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Atmosphäre abnorm machen. Aus Gründen der weiblichen Organisation muss die Arbeit in Fabriken als grossen Versammlungslocalen, d. b. der Massenbetrieb, Weiber mehr als Männer gesundheitlich schädigen. Die Hygiene hat also zu fordern, dass die Fabrikarbeit auf eine bestimmte Anzahl Stunden beschränkt und speciell die Nachtarbeit möglichst vermieden werde.

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Noch zwei Hauptfactoren kommen bei jedem Fabrikbetrieb in Betracht: die Rohproducte mit ihren oft complicirten, gegen die Gesundheit der Arbeiter mehr oder weniger differenten oder in differenten Umsetzungen und die körperliche Anstrengung, der Kräfteconsum. Erfahrungsgemäss wirken alle Industriezweige durch die Natur und Metamorphosen des in Sammellocalen zu verarbeitenden Rohstoffes gesundheitsschädlich theils durch den fein vertheilten Staub, theils durch die bei hoher Temperatur verdunstenden Flüssigkeiten, theils durch Ausdünstungen und Gase. Ergiebige Ventilation in den Fabrikräumen wird aus Betriebsrücksichten häufig nicht zu ermöglichen und die Frau aus oben mitgetheilten Gründen mehr als der Mann gefährdet sein, was u. A. die Seidenbandweberei in Basel bestätigt, eine relativ unschuldige Industrie. Trotz der günstigsten Raumverhältnisse der Räume, in denen die Luft durch das Weben ao Stühlen staubig wird, starben 1870 (bei 570 todten Erwachsenen) 26 männliche, 40 weibliche Fabrikarbeiter, von letzteren 17 an Phthisis, 1871 (bei 705) 36 resp. 49, darunter 21 an Phthisis.

Gefährlicher für die fast ausschliesslich dabei beschäftigten Frauen ist die Floretspinnerei nicht nur wegen des Staubes, sondern der Ausdünstungen der massenhaften Cocons. Bei dieser Industrie erkranken die Arbeiterinnen in bestimmten Perioden an einer eigenthümlichen, schwer definirbaren Affection, von den Baseler Aerzten nach dem Namen der grössten, 600 Frauen beschäftigenden Fabrik Morbus Rumpelii benannt, von der sie sich in 1-2 Wochen bei frischer Luft und guter Kost zu erholen pflegen.

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Gesundheitsschädigungen der Arbeiterinnen als Folgen der körperlichen Anstrengung allein sind zwar durch die vervollkommneten Maschinen und Werkzeuge in den meisten Industrien seltener geworden, doch werden durch die Einseitigkeit der Arbeit oft gewisse Körpertheile alterirt, missbildet, verkrüppelt; Referent erinnert an die Zeugdruckereien. Bei der Fabrikarbeit leiden schwangere und stillende Frauen für sich und die Kinder, und hat mit der gesteigerten Industrie die Kindersterblichkeit in Basel um 12 pCt. zugenommen.

In Fabriken, wo Stoffe, die entweder directe, oder durch ihre Umwandlungen Gifte sind resp. so wirken (Blei, Quecksilber, Phosphor, Arsenik, Kupfer, Anilin), ist die Frauenarbeit entweder ganz zu verbieten, oder höchstens unter sicher schützenden Vorrichtungen zu gestatten.

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Im Allgemeinen ist die Gesetzgebung zum Schutze der Fabrikarbeiterinnen dürftig. In England beträgt der gesetzliche Arbeitstag derselben 12 Stunden, von Morgens 6 bis Abends 6 mit 1 stündiger Mittagspause, ausdrücklich ist Nacht- und Bergwerksarbeit denselben untersagt, welche letztere eider noch in Belgien existirt. Der neue französische Gesetzentwurf von 1872 schliesst Frauen von gewissen Industrien ganz aus. Oesterreich ex

perimentirt noch und Preussen wie Deutschland hat nur die Verhältnisse der jugendlichen Arbeiter bezüglich ihres Alters und der Arbeitsdauer in der Gewerbe-Ordnung geregelt. Dagegen berücksichtigt die neuere Gesetzgebung einiger Schweizer - Cantone die Frauen sehr verständig, indem die Tagesarbeit auf 10 Stunden mit 1stündiger Pause normirt und den Müttern eine je 5wöchentliche, grösstentheils salarirte Arbeitsfreiheit vor und nach der Entbindung zugestanden ist. Freilich ist die Controle des Aussetzens und Wiederbeginns der Arbeit schwer und trotz der Krippen siechen die von den Frauen daheim gelassenen Kinder, woraus folgt, dass verheirathete Frauen (Mütter) überhaupt nicht zur Fabrikarbeit herangezogen, vielmehr häuslich beschäftigt werden sollen, letzteres aber nur in Industriezweigen, die nicht giftig wirken. Eine Specialisirung der Gifte, für welche die fabrikmässige Frauenarbeit zu verbieten, wird das Gesetz wegen des Wechsels der Verwendung nicht, vielmehr nur allgemeine Directiven aufzunehmen, die Ausführungsbestimmungen den Fabrik-Inspektoren zu überlassen haben.

Referent empfiehlt die bekannten Hirt'schen Normen („über die gewerbliche Thätigkeit der Frauen vom hygienischen Standpunkte“) als Ausgangspunkt der Gesetzgebung, welche er aber noch durch den Nachweis der Revaccination, das Verbot der Beschäftigung in giftigen Industrien, den gänzlichen Ausschluss der verheiratheten Frauen gesteigert wissen will.

Hirt bestätigt zunächst auf Grund seiner Untersuchungen in Fürth die Thatsache, dass das Weib durch Fabrikarbeit mehr gefährdet sei als der Mann. In den dortigen Spiegelmanufacturen erkrankten an Hydrargyrismus 35 Frauen gegen 6 Männer bei fast gleicher Zahl. Die fabrikliche Gefährdung der Weiber erstreckt sich aber auch auf ihre Nachkommenschaft, indem z. B. 50-60 pCt. der Kinder von Eltern, welche mit Giften fabrikmässig beschäftigt sind, starben.

Demnächst zum gesetzlichen Schutz der jugendlichen Fabrikarbeiter übergehend, fixirt er den Begriff Kind als Knabe oder Mädchen unter 14 Jahren. In Betreff jenes hat die Gesetzgebung zu berücksichtigen und zu bestimmen: 1) Die Altersgrenze. Vor 1833 bestand in England keine Regelung derselben; man beschäftigte ungenirt und unbestraft Kinder von 4-6 Jahren in Bergwerken, bei Tag und Nacht, bis eine UntersuchungsCommission das Alter erst auf 9, später auf 8 Jahre festsetzte. Die Alterscontrole wurde aber illusorisch, weil man theils den Angehörigen gestattete, das Alter der resp. Kinder selbst anzugeben, theils das Alter nach der Körpergrösse feststellte; ein 3' 10" grosses Kind galt z. B. noch nicht 8, ein solches von 4′ 31⁄2" noch nicht 13 Jahre alt. Die plumpen Täuschungen der Aufsichtsbeamten schildert Referent recht drastisch. Im Allgemeinen ist der Gesundheitsschutz der jugendlichen Arbeiter in englischen Fabriken noch recht ungenügend trotz verschiedener Act's und Bill's. Hirt fand z. B. in einer Chromkali-Fabrik zu Glasgow die Nasenscheidewand eines Kindes bereits zerstört; ein Schicksal, dem alle dort beschäftigten Kinder wahrscheinlich entgegengehen.

In Deutschland regelt §. 128 der Gewerbeordnung die Altersverhältnisse der kiudlichen Fabrikarbeiter. Die Fassung desselben, dass Kinder unter

12 Jahren zu regelmässiger Fabrikarbeit nicht angenommen werden dürfen, ist indess elastisch und verschieden, im Interesse des Arbeitsgebers und zum Schaden des Arbeiters, zu interpretiren. Die Schweiz allein fixirt gesetzlich den Beginn der Fabrikarbeit der Kinder auf das vollendete 14. Jahr im wohlverstandenen hygienischen und pädagogischen Interesse. Trotz der Opposition der Fabrikherren und wohl auch der Eltern muss die schulpflichtige Jugend von der Fabrikarbeit ferngehalten, allenfalls bis zur Ueberleitung der Sache nicht unter die Grenze von 12 Jahren gegangen werden. 2. Die Arbeitsdauer. Der Normalarbeitstag läuft in England von 6 Uhr Morgens bis 6 Uhr Abends mit 1 stündiger Unterbrechung; in Deutschland dürfen die Arbeitsstunden nicht vor 51⁄2 Uhr Morgens beginnen und nicht über 8 Uhr Abends dauern, und die noch nicht 14jährigen nicht über 6 Stunden täglich beschäftigt werden. Referent zieht die englische Arbeitsdauer vor.

3. Ohne den Nachweis der körperlichen Tüchtigkeit zur Fabrikarbeit durch ein Gesundheits- resp. Revaccinationszeugniss darf kein Kind angenommen werden.

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4. Gewisse Beschränkungen für einzelne Fabrikzweige bezüglich der Altersgrenze und der Grösse des Arbeitstages hat das Gesetz

aufzunehmen.

5. Von gewissen Fabrikarbeiten (Glasstampfereien, Nadelschleifereien, Shoddy, Bronzefarben-, Mühlstein -, Chlorkalkfabriken, Glasätzereien, sind jugendliche Arbeiter überhaupt auszuschliessen.

Hirt schliesst mit einer Bemerkung Virchow's, dass noch sehr viel Detailarbeit auf diesem Gebiete nöthig, jede dankbar anzunehmen sei, denn ihr Inhalt ist ein Cardinalpunkt der künftigen Gesetzgebung.

Die Discussion bleibt der nächstjährigen Versammlung, für welche als Mitglieder der die Tagesordnung vorbereitenden Commission: Beneke, Gauster, Mosler, Sachs, Spiess sen., Virchow und Wasserfuhr gewählt werden, vorbehalten.

men.

Die Arbeiten und Resolutionen der Section fallen vielleicht günstig mit den an massgeben der Stelle aufgestellten Entwurfsvorschlägen zusamAeusserem Vernehmen nach hat die Reichs-Cholera Commission und die Reichs-Commission für Medicinal - Statistik vor Kurzem ihre Arbeiten vollendet; letztere betreffen u. A. auch die Mortalitäts-Statistik mit Unterscheidung der Todesursachen im Anschluss an die obligatorische Leichenschau.

Kreisphysikus Dr. Winkel.

Vierteljahrsschr. f. ger. Med. N. F. XXII. 2.

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IV. Literatur.

Statistische Sanitätsberichte über das XII. (Königlich Sächsische) Armee corps für die Jahre 1872 und 1873. Bearbeitet von der Königlichen Sanitätsdirection in Dresden 1875. 4. 50 S. mit 2 chromolithogr. Tafeln. Verlag von Conrad Weiske in Dresden.

Diese Berichte enthalten in einer Form, mit welcher diejenige der Königl. Preuss. Armee-Sanitätsberichte der Vergleichbarkeit wegen nachgeahmt worden ist, die tabellarischen Darstellungen der Krankenbewegung, der Ursachen der Dienstuntauglichkeit, der Ursachen der Halb- und Ganz-Invalidität, des Bestandes, Zugangs und Abgangs des militärärztlichen, pharmaceutischen und rossärztlichen Personals, ferner anhangsweise die der stattgefundenen Impfungen und Wiederimpfungen, der Krankenbewegung bei den Dienstpferden und endlich die des Arzneimittelverbrauchs für die erkrankten Personen des Soldatenstandes.

Um nur einen Augenblick bei den allerwichtigsten Ziffern dieser Berichte bei den Sterblichkeitsziffern zu verweilen, so finden wir, dass die Sterblichkeit des Königl. Sächs. Armeecorps sich im Jahre 1872 auf 131 = 6,4 pCt. und im Jahre 1873 nur auf 108 = 4,95 pCt. der Iststärke belaufen hat, Verhältnisse, welche denjenigen der meisten Preussischen Armeecorps annähernd entsprechen und welche, im Hinblick auf die im Gange befindliche bauliche Herstellung zeitgemässer Unterkunftsräume für das Sächsische Militär, voraussichtlich weitere günstige Wandlungen erfahren werden.

Es bezeichnen diese Berichte einen Schritt weiter zu der eher oder später nothwendigermassen sich vollziehenden Einheit der Deutschen Militär- und Medicinalstatistik, d. h. derjenigen wissenschaftlichen Forschungsmethode, welche die Wege eröffnet, auf welchen der Militärmedicinaldienst seiner höchsten Aufgabe der Hebung der nationalen Wehrkraft näher gerückt wird.

Topographisch-anatomischer Atlas. Nach Durchschnitten

an gefrornen Cadavern herausgegeben von Dr. med. Wilh.
Braune, Professor an der Universität Leipzig. Mit fünfzig
Holzschnitten im Texte. Leipzig 1875. Fol. 218 S. und
XXXI. Tafeln Abbildungen. Verlag von Veit u. Comp. in
Leipzig.

Bekanntlich ist Professor Braune zu dem Zwecke, die Bestandtheile des menschlichen Körpers in grösster Naturtreue bildlich veranschaulichen

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zu können, so verfahren, dass er menschliche Leichen in gefrornen Zustand übergeführt, dann die aufzunehmenden Theile in den interessantesten Richtungen blossgelegt und die Zeichnungen auf den gefrornen Präparaten durchgepaust hat. Die Hauptergebnisse dieser Arbeiten hat Prof. Braune in seinem in 2. Auflage erschienenen „Topographisch - anatomischen Atlas nach Durchschnitten an gefrornen Cadavern" mit 33 colorirten Tafeln Imp. Fol. und mit 50 Holzschnitten im Text (120 Mark) niedergelegt. Um diese werthvollen Ergebnisse allgemeiner zugängig zn machen, hat der Verfasser die anthropotomische Literatur mit dem Eingangs erwähnten kleineren Atlas, der die Abbildungen des grossen Atlas in photographischer Nachbildung verkleinert wiederbringt, bereichert. Es ist dieser Atlas in der That nicht bloss eine gewöhnliche Vermehrung, sondern zugleich eine Bereicherung, eine bedeutende Ergänzung unserer anatomischen Lernmittel. Und zwar muss diese Bereicherung grade auf dem Gebiete der angewandten Medicin um so freudiger begrüsst werden, als die Ausübung der letzteren nicht mehr mit isolirten anatomischen Präparaten, mit in sich homogenen Einheiten, sondern vielmehr mit topographischen Proportionen zu rechnen pflegt, und als ferner namentlich die verantwortungsschweren Arbeiten der Staatsmedicin diejenigen topographischen Veranschaulichungen am meisten begehren müssen, welche sich durch die grösstmögliche Naturtreue auszeichnen. Um den Inhalt dieses kleinern Atlas nur nach seiner Vielseitigkeit zu kennzeichnen, so finden wir Flächen - Darstellungen von medianen, transversalen, sagittalen, frontalen und schrägen Schnitten durch den ganzen Körper, durch den Kopf, den Hals, die praktisch wichtigsten Bezirke der Brust- und Bauch-Eingeweide, durch die Gliedmassen und ihre Gelenke, ja selbst durch den Körper einer Hochschwangern und durch die untere Hälfte des Körpers einer Gebärenden, alle mit erläuterndem Zwischentexte und ausserdem mit auf den Tafeln selbst seitlich eingefügten anatomischen Benennungen versehen. In wenigen Minuten ruft dieser Atlas, dieser gleichsam auseinandergelegte Menschenleib, die gesammte Anatomie in das Gedächtniss zurück und lässt auf den ersten Blick schon erkennen, dass man in ihm für zumal gutachtliche Arbeiten einen unentbehrlichen Rathgeber besitzt. H. Frölich.

Die Lage der Bauch-Organe des Menschen von Hubert v. Luschka. Mit 5 Tafeln. Carlsruhe, 1873.

An das Braune'sche Werk schliesst sich eine Arbeit des hochverdienten, leider schon verstorbenen Anatomen v. Luschka an, welche für den gerichtlichen Arzt von besonderem Interesse ist, da sie auf eine lichtvolle Weise den Situs viscerum vor Augen führt.

Elbg.

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