Abbildungen der Seite
PDF
EPUB

4.

Ob Mord?

Tod durch Erschiessen.

Ob Selbstmord?

Vom

Kreis-Physikus Dr. Cohn in Grätz.

Einige auffallende Erscheinungen, unter denen der Leichnam eines unbekannten, kräftigen, jungen Mannes aufgefunden worden ist, veranlassen mich, den nachstehenden Fall der Oeffentlichkeit zu übergeben.

Am 13. November 187. Abends zwischen 6 uud 7 Uhr ist auf der Landstrasse von O. nach R., unweit des Bahnhofes O., ein Mann im Alter von circa 25 Jahren todt und auf dem Rücken liegend aufgefunden worden. Derselbe gehörte seiner Kleidung nach dem besseren Bürgerstande an. Etwa 10 Schritt von der Leiche entfernt lag an deren linken Seite ein abgeschossenes einläufiges Terzerol.

Am 15. November erfolgte die gerichtliche Section, und hebe ich nur nachstehende abnorme Befunde hervor.

A. Aeussere Besichtigung.

7. Der Kopf zeigt den gewöhnlichen Umfang und ist mit hellblondem, 9 Ctm. langem Kopfhaar reichlich bedeckt. Die Kopfhaare am Hinterhaupt sind mit Blut verunreinigt. Nachdem sie mittelst einer Scheere abgeschnitten worden sind, zeigt sich die Kopfhaut von gewöhnlicher Farbe und unverletzt.

13. Die Augen sind von blaugrauer Farbe. Die rechte Pupille ist erweiterter als die linke. Am rechten äusseren Augenwinkel ist eine 2 Ctm. breite und 3 Ctm. lange Hautabschürfung von länglich-runder Form sichtbar. Die Richtung der gedachten Abschürfung entspricht der Form des Jochbogens (Arcus zygomaticus).

Am innern Segment des linken Augapfels zeigt sich ein dreieckig geformter Bluterguss in der Augenbindehaut. Nach Aussen zu von letzterem Augapfel erblickt man einen stecknadelkopfgrossen rothen Fleck.

17. Die Lippen sind bleich und trocken und in der Mitte der Oberlippe vom Zahnbändchen bis zum Lippenrande ist eine von unregelmässiger Form sugillirte Stelle vorhanden. Dieselbe fühlt sich weich an, schneidet sich auch weich und zeigt einen 1 Linie tiefen Blutaustritt, der an Umfang und Grösse einem halben Silbergroschenstücke entspricht.

26. Die Brust ist stark gewölbt. An der linken Brustseite zwischen der 2. und 4. Rippe findet sich etne länglich-runde Oeffnung, deren grösster Durchmesser schräg von oben nach unten gemessen 8 Ctm. beträgt. Die Breite dieser Oeffnung ist 6 Ctm. Die Wundränder sind nach innen gestülpt, auch zeigen sie sich gequetscht und fühlen und schneiden sich hart und haben ein geschwärztes Aussehen. Die Tiefe der Wunde ist mit dem untersuchenden Finger nicht zu erforschen. Die Umgebung der Wundränder ist in einer Ausdehnung von Handbreite von grüner Verwesungsfarbe. Bei dem Einführen des Fingers in jene grosse Oeffnung findet sich an der 3. Rippe ein Substanzverlust von fast 8 Ctm.

28. Von der Rückenwirbelsäule 31⁄2 Ctm. nach links entfernt findet sich eine bohnengrosse Erhöhung. Dieselbe, die unterhalb der Mitte des äusseren Randes des Schulterblattes gelegen ist, fühlt sich sehr hart an, und lässt sich auch in ihr ein harter rundlicher Körper hin und her bewegen.

32. An der rechten Hand zwischen dem kleinen und dem daran grenzenden Ringfinger ist ein kleiner, trockener Schorf. Die rechte Hand, deren Finger mehr nach der Hohlhand zu eingebogen sind, riecht stark nach Pulver.

Quer über die erste Phalanx des rechten kleinen Fingers und zwar an der Rückenseite erstreckt sich ein schmaler Hautriss. Am Ringfinger derselben Hand zwischen 1. und 2. Phalanx finden sich auf dessen Rückenfläche zwei rundliche, linsengrosse, bläulich-rothe, hart anzufühlende und ebenso zu schneidende Flecke.

Am Zeigefinger der nämlichen Hand zeigt sich zwischen 1. und 2. Phalanx im Gelenk, zum Theil an der inneren, theilweise an der Rückenfläche eine 11⁄2 Ctm. lange, oberflächliche, quer verlaufende, frische Risswunde.

B. Innere Besichtigung.

Eröffnung der Brusthöhle und der Halsorgane.

34. Nachdem das Brustbein mit möglichster Schonung der an der Brustseite vorgefundenen Wunde entfernt ist, findet sich unter der die linke Seite deckenden Haut ein Blutaustritt von syrupdicker, mehr geronnener Beschaffenheit. Diese Blutschicht ist 11⁄2 Ctm. dick und erstreckt sich bis zum rechten Rande des Brustbeins hin. Die ganze Ausdehnung dieser Blutschicht beträgt in Bezug auf die Länge 12 Ctm. und die Breite 9 Ctm.

35. Nach Zurückschlagung des Brustbeins zeigt sich ein 4 Ctm. langes, nach innen hängendes Rippenfragment (Stück), und bei näherer Besichtigung des Brustbeins stellte es sich heraus, dass es die 3. Rippe ist, welche losgerissen und von der ein 4 Ctm. langes Stück fehlt. An dem vorhandenen Rippenreste treten an der Bruchstelle starke Knochenspitzen hervor.

36. Die linke Lunge mit Ausnahme eines kleinen, unteren, dem Zwerchfell angrenzenden Theils ist vollständig zerrissen und bildet eine weiche, mussartige Masse, in der mehrere Knochensplitter von verschiedener Grösse sich vorfinden.

37. Der Bluterguss in den linken Brusthöhlenraum beträgt weit über 250 Grm. eines dunkelrothen, fast schwärzlichen, syrupdicken Blutes.

39. Der Herzbeutel ist links und oben eingerissen und ist die ungleichförmig gestaltete Oeffnung etwa 6 Ctm. gross. In demselben finden sich 2 Esslöffel voll zum Theil geronnenen, zum Theil flüssigen, dunklen Blutes.

41. Von grösseren Blutgefässen findet sich die absteigende Hohlvene unmittelbar über dem rechten Vorhof eingerissen und zwar an zwei einander gegenüberliegenden, auf gleicher Höhe befindlichen Stellen. Die Oeffnungen dieses verletzten Blutgefässes haben eine mehr länglich-runde Form, auch sind die Wundränder sugillirt.

44. Nachdem der Leichnam auf die rechte Seite gewandt worden ist, wird ein Einschnitt in jene auf dem Rücken befindliche, oben angeführte Erhöhung gemacht, worauf ein plattgedrückter Rehposten zu Tage tritt. Darauf wird der Leichnam wieder auf den Rücken gelegt und die linke Lunge entfernt, wobei sich in der 7. Rippe, 4 Ctm. von der Wirbelsäule entfernt, eine runde Oeffnung zeigt, in die man die Spitze des Zeigefingers einführen kann. Man gelangt nun durch letztere Oeffnung bis zu dem auf dem Rücken in die Erhöhung gemachten Einschnitt. Die Knochenränder dieser verletzten 7. Rippe sind scharf, und ist auch von der zuletzt gedachten Oeffnung aus der Bruch der Rippe weiter zu verfolgen.

Hiernach konnte das Gutachten dahin abgegeben werden:
1) dass Denatus in Folge von Verblutung gestorben sei;
2) dass die Verblutung in Folge der Zerstörung der linken
Lunge und grösserer Blutgefässe eingetreten sei;

3) dass die Zerstörung der linken Lunge auf gewaltsame
Weise, i. e. durch einen Schuss erzeugt sei.

Die Königliche Kreisgerichts - Deputation hat nach beendeter Section und abgegebenem vorstehendem Gutachten noch die Frage vorgelegt, ob:

4) der Schuss auf den Verstorbenen von einem Dritten abgefeuert worden ist.

Ich will nur einige Bemerkungen hervorheben, die zweifellos den Selbstmord constatiren.

Der Fahrdamm der Landstrasse war in Folge des um jene oben angegebene Zeit stattgehabten Regens äusserst durchweicht, und die Fussgänger haben sich deshalb an der rechten Seite des Weges, wenn man von O. nach R. geht, jenseits des dort befindlichen Grabens, unmittelbar an demselben einen Fussweg auf dem angrenzenden Felde gemacht. Auf diesem Fusswege lag die Leiche auf dem Rücken und hatte die Arme von sich gestreckt. Der Rock und die Weste standen offen. Das weisse Leinenhemd und ein Flanellhemd, welches letztere Denatus unter jenem an sich trug,

war in der Herzgegend wie in Blut getränkt. In die oben bezeichnete Brustwunde war das Flanellhemd fest hineingestopft. Dieser Umstand berechtigt zu der Annahme, dass der Verstorbene Rock und Weste sich selbst aufgeschlagen hat, um desto sicherer die gewählte Körpergegend zu treffen, an der die Wunde sich vorgefunden. Ein dritte Person hätte sich schwerlich bei dem regen Verkehr, der auf dem bezeichneten Wege stattgefunden, so viel Zeit nehmen können, dem Denatus Rock und Weste etc. zu öffnen, um auf die blossgelegte Körperstelle das Terzerol aufzusetzen und alsdann erst abzufeuern. Auch hatte ein Kampf, falls eine dritte Person einen Mord begangen hätte, dieser Todesart vorangehen müssen, da der Verstorbene ein kräftiger Mensch gewesen ist und sich, falls ein Angriff auf ihn gemacht worden wäre, zur Wehr gesetzt haben würde. Fanden sich indess auch in der Gegend, wo die Leiche aufgefunden worden ist, Fussspuren von Passanten, so war das Erdreich doch nicht so gestaltet, als ob etwa ein Ringen oder ein Kampf daselbst stattgefunden. An der Stelle, wo der Kopf lag, fand sich übrigens auch eine ziemliche Quantität Pulver verschüttet, auch roch die rechte Hand des Verstorbenen (Obd.Prot. 32.) stark nach Pulver und in der Hosentasche ist eine Anzahl von Rehposten, deren Grösse dem oben aufgefundenen Korne entspricht, aufgefunden worden. Diese Thatsachen zeigen wohl zur Genüge, dass Denatus mit Selbstmordgedanken umgegangen ist und den Mord such selbst begangen hat. Die vorhanden gewesene Verkohlung der Kleidungsstücke an dem Verstorbenen in der Gegend der Brustwunde, sowie die kolossale Zerstörung, die der Schuss zur Folge gehabt hat, führen zu dem Schluss, dass jener aus nächster Nähe erfolgt ist.

Wenn ferner das abgefeuerte Terzerol an der linken Seite der Leiche und mehrere Schritte von derselben aufgefunden worden ist, so deutet dieser Umstand mit ebenso grosser Wahrscheinlichkeit darauf hin, dass die Feuerwaffe bei der Entladung aus der rechten Hand des Verstorbenen weggeschnellt worden ist und hierdurch am Zeigefinger zwischen 1. und 2. Phalanx im Gelenk (Obd.-Prot. 32.) die 1 Ctm. lange, oberflächliche, querverlaufende Risswunde erzeugt worden ist.

5.

Ein Apothekergehülfe als Frauenarzt.

Von

Dr. Becker,
Amtsphysikus zu Gotha.

Der vom Untersuchungsrichter des Herzogl. Kreisgerichts unter

dem 24. März v. J. erforderte Obductionsbericht und das Gutachten über die von dem Apothekergehülfen S. an der Frau J. M. W. geb. B. zu G. vorgenommene Behandlung gewähren als Illustration zur freien Praxis und wegen der Kühnheit, mit welcher sich Abenteurer auf dem ärztlichen Gebiete bewegen, ein grosses Interesse.

Der Apothekergehülfe O. S. aus Berlin, um den es sich hier handelt, hatte bis 1871 als Gehülfe conditionirt, später seiner Angabe nach in K. ein Semester medicinische Collegien gehört und sich dann hier als „ für Frauenkrankheiten" niedergelassen. Schon früher war S. wegen Anmassung des Doctortitels und einmal wegen fahrlässiger Körperverletzung bestraft worden.

,,

Die Frau J. M. W. war am 11. Mäлz v. J. verstorben, und da sich inzwischen Verdacht erhoben hatte, dass die Behandlung derselben durch den Apothekergehülfen S. mit ihrem Tode in Beziehung zu setzen sei, wurde die Vernehmung des Ehemannes vorgenommen, welcher folgende Angaben machte.

Seine Frau, 46 Jahre alt, habe sich bereits seit mehreren Jahren und vielleicht schon seit sie zum letzten Mal geboren, seit 1862, geklagt. Ihre Beschwerden haben anfänglich in einem Gefühl von Schwere und Druck im Unterleibe bestanden, später jedoch und in der Zeit fast unmerklich sei der Leib angeschwollen und seitdem immer mehr angewachsen, so dass er zuletzt wie der Leib einer schwangeren Frau gewesen sei. Die Frau habe davon Beschwerden und auch öfters Schmerzen gehabt, doch seien dieselben nie bedeutend und bis zur Arbeitsunfähigkeit angestiegen, überhaupt sei sie die ganzen Jahre nie bettlägerig erkrankt gewesen; ihre monatliche Regel habe sie stets in der Ordnung und zuletzt noch wenige Wochen vor ihrem Tode gehabt. Im vorigen Jahre habe sie einmal den

« ZurückWeiter »