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Pfingsten geschehen; aus der Aussage des Steuererheber B. geht jedoch hervor, dass die Angeschuldigte am 29. Juni in C. gewesen, da sie bei dieser Gelegenheit demselben Steuern abgetragen. Die Z. ist damals von der E. mit Milch, Butter, Brod und etwas gewärmtem Branntwein bewirthet worden, und hat angeblich von den ihr ungewohnten Speisen recht viel genossen, namentlich die Butter nicht gespart und recht stark auf das Brod aufgetragen, auch der fetten Milch gut zugesprochen. Gleich nach ihrer Rückkehr habe sie dann Erbrechen und Durchfall bekommen, es hätten sich starke Kopfschmerzen eingestellt und sie habe sich recht krank gefühlt; seit dieser Zeit, also bereits 2-3 Tage vor dem 2. Juli, fehle ihr vollständig die Erinnerung für das Vorgegangene. Sie behauptet auch mir gegenüber, wie bei ihrer gerichtlichen Vernehmung, keinen Grund angeben zu können, der sie zu ihrer That bewogen, und läugnet namentlich, dass sie dieselbe aus Noth vollbracht. Sie habe ihre Kinder stets geliebt, nach Kräften für sie gesorgt und auch im Gefängniss höre ihre Sorge nicht auf, wie es ihren Kindern unter der Obhut des trinkfälligen Vaters ergehen möge. Sie leidet übrigens auch im Gefängniss viel an Kopfschmerzen und Sausen vor den Ohren; die Menstruation ist seit ihrer Inhaftirung nicht eingetreten, Anfälle von Bewusstlosigkeit haben sich jedoch nicht gezeigt.

Wir haben keinen Grund zu der Annahme, dass die Z. in ihren Aussagen in Bezug auf die That simulire. Eine zwar in dürftigen Verhältnissen und in unglücklicher Ehe lebende Frau, die freilich dem Branntwein nicht ganz abhold ist, über deren sonstige moralische Führung jedoch nichts Nachtheiliges feststeht, die ihre Kinder liebt und auch für sie nach Kräften sorgt, entäussert sich so ihres mütterlichen Gefühls, dass sie ihr Kind in einen Brunnen wirft. Lässt dieser Umstand schon vermuthen, dass die Angeschuldigte ihre That nicht mit Ueberlegung vollbracht, so forschen wir auch vergeblich nach einem Grunde, der die Z. zu ihrer That veranlasst haben könnte. Bei den ärmlichen Verhältnissen und der unglücklichen Ehe, in welcher die Angeschuldigte lebte, liegt es freilich nahe, daran zu denken, dass Noth sie dazu getrieben, sich ihres Kindes zu entledigen. Indessen ist uns Nichts. darüber bekannt geworden, dass gerade zur Zeit der That die Noth der Familie sich derartig gesteigert, dass ein solcher Ent

schluss in der Frau hätte entstehen müssen. Sie selbst bezeichnet den vorhergegangenen Winter als eine Zeit der grössten Noth, in der sie doch für ihre Kinder immer gesorgt habe; der Mann behauptet, dass sie noch immer zum Sattessen gehabt haben, und gerade die Zeit der That ist wohl eine solche, wo Frauen auf dem Lande durch Feldarbeiten Gelegenheit zum Verdienst haben. Auch sagen die Zeugen, dass die Z. im Ganzen arbeitsam gewesen, und berichtet die Lehrerfrau W. zwar, dass die Angeschuldigte ihr öfters geklagt, es gehe ihr schlecht, jedoch nie geäussert habe, sie müsse sich oder ihren Kindern das Leben nehmen. Von einer Annahme, dass die That der Z. in Folge ihrer Noth bereits früher beschlossen sei, kann meiner Ansicht nach daher nicht die Rede sein; über die Aeusserungen, die sie in Bezug hierauf am 2. Juli selbst gemacht haben soll, werde ich später Gelegenheit haben, mich auszulassen. Nach den Aussagen der R. und der N. ist die Z. von ihrem Ehemann des Ehebruchs beschuldigt worden und soll namentlich am Abend vor der That deshalb Streit zwischen den Eheleuten stattgefunden und die Frau ihre Untreue eingestanden haben. Es lag nahe anzunehmen, dass vielleicht der Ehemann das jüngste Kind A. als im Ehebruch erzeugt bezeichnet, der Frau Vorwürfe gemacht und diese somit zur Beseitigung des Kindes Veranlassung genommen. Indessen hat die von mir dieserhalb erbetene Vernehmung der Eheleute keinen Anhalt für eine solche Annahme ergeben. Der Z. bestreitet durchaus, dass am Abend vorher dergleichen vorgefallen; er behauptet, seine Kinder und namentlich das jüngste Kind geliebt zu haben, und die Ehefrau sagt aus, dass ihr Mann im trunkenen Zustande sie häufig der Untreue beschuldigt, sie jedoch ein reines Gewissen gehabt und deshalb diese Vorwürfe seinem trunkenen Zustande zu Gute gehalten habe.

Spricht das bisher Erörterte bereits dagegen, dass die That von der Z. in geistesgesundem Zustande begangen ist, so wollen wir ferner das Verhalten der Angeschuldigten während des ganzen 2. Juli berücksichtigen. Die bereits oben angeführten Zeugenaussagen ergeben zur Genüge, dass die Z. sowohl vor der That, als nach derselben sich in einem Zustande gezeigt hat, der von Allen als der einer Geistesgestörten bezeichnet wird. In unordentlicher Kleidung, mit entblössten Schultern und verbundenem Kopfe einhergehend führte die Z. unverständige Reden und zeigte bereits

am Vormittage einen wirren Blick und ein unstätes Wesen, das sich nach der That zu einer wilden Aufgeregtheit steigerte, um dann wieder in einen stark deprimirten Zustand überzugehen. Letzterer hielt mehrere Tage an, die Angeschuldigte lag fast vollständig sprach- und bewegungslos im Bette und verweigerte jede Nahrung. Keiner der Zeugen bezeichnet das Verhalten der Z. als das einer Betrunkenen, es ist Niemandem eingefallen, dieselbe für eine Simulantin zu halten, und kann auch ich keinen Grund zu solcher Annahme finden. Es erscheint aber auch folgerichtig, dass der anfangs beobachtete, mehr deprimirte Gemüthszustand der Angeschuldigten nach der That, auf die sie in Folge ihr gemachter Vorwürfe aufmerksam wird, durch eine gesteigerte Erregung unterbrochen wird, dass sie für einige Zeit, gleichsam wie aus einem Traume aufgerüttelt, ein unklares Bewusstsein über das Geschehene wiedererhält, nach dem Kinde sucht und es an sich nehmen will, ohne jedoch zu völliger Besinnung zu gelangen, und dass dieser Zustand dann bald wieder in eine tiefe Depression der Geisteskräfte übergeht, die sich selbst mit mehrtägiger Nahrungsverweigerung verbindet. Die Z. hat sich mithin zur Zeit der That in einem krankhaften, unfreien, geistesgestörten Zustande befunden, und die von ihr gemachten, oben erwähnten Aeusserungen während desselben können ihr deshalb nicht imputirt und aus diesem Grunde auch nicht benutzt werden, um aus ihnen einen Beweggrund zur That herzuleiten. Sehen wir davon ab, dass die auf Noth als Beweggrund sich beziehenden Aeusserungen auf Befragen von ihr gethan und ihr wohl von den Personen, die ihr Vorwürfe machten und den Grund der That zu erforschen suchten, in den Mund gelegt sind, so können wir die Aussprüche der Z. („sie hätte es thun müssen“, „er habe es so gewollt" etc.) nur auf Wahnvorstellungen beziehen, die sie ebenso zur That angetrieben haben, wie zu dem Geständnisse des Ehebruchs, das sie ihrem Manne kurz vor der That machte. Sie hat von denselben ebenso wenig eine Rückerinnerung, wie von fast allen übrigen Vorgängen des 2. Juli, und während zurechnungsfähige Verbrecher häufig ihre Thaten dadurch zu beschönigen suchen, dass sie bei ihrer Vernehmung ähnliche zwingende Vorstellungen als Grund ihrer Verbrechen anführen und diese als unwillkürliche bezeichnen wollen, hat die Z., als sie sich wieder bei völligen Geisteskräften befand, solcher nie wieder erwähnt. Dieselbe hat ferner nie die geringste Miene gemacht,

später ebenfalls einen geistes verwirrten Zustand zu zeigen, wie dies bei Simulanten zu geschehen pflegt; sie giebt sich jetzt ruhig und verständig und macht nicht den Eindruck, als ob sie den Mangel an Rückerinnerung simulire. Sie erzählt unbefangen Alles, was bis nach ihrer Rückkehr aus C. geschehen, verschweigt auch nicht, dass sie sich dunkel des Transports nach D. und des Besprechens erinnere, in der übrigen Zeit aber ist ihr Bewusstsein in einem tiefen Traume befangen gewesen und sie hat von dem Vorgefallenen keine Erinnerung mehr.

Glaube ich bisher genügend nachgewiesen zu haben, dass die Z. ihre That in einem geistesgestörten, unzurechnungsfähigen Zustande ausgeführt habe, so bleibt mir noch zu erörtern übrig, wie es gekommen, dass eine bis dahin geistesgesunde Person für einen Zeitraum von mehreren Tagen in einen krankhaften Geisteszustand gerathen, welcher, ohne weitere Spuren zurückzulassen, wieder vorübergegangen ist, und ob die ärztliche Erfahrung für solche Vorkommnisse spricht. Die Z. ist eine schwächliche und hagere Person, von nervöser Constitution und hat bereits als Mädchen an heftigen, anfallsweise auftretenden Kopfschmerzen gelitten, zu welchen sich in der Ehe Schwindelanfälle mit Bewusstlosigkeit gesellt haben. Sie giebt an, dass dieselben ziemlich häufig eintreten, und ist an deren Vorhandensein wohl nicht zu zweifeln; auch der Ehemann hat sie einige Male beobachtet und krampfhafte Zuckungen der Arme dabei gesehen. Es scheint keinem Zweifel zu unterliegen, dass wir diese mit Bewusstlosigkeit verbundenen Anfälle als epileptischen Schwindel oder unvollkommene Epilepsie bezeichnen müssen, und haben wir Grund, die vorübergegangene Geistesstörung der Z. mit diesen Anfällen in Verbindung zu bringen. Es finden sich solche transitorische psychische Störungen nicht selten bei epileptischen oder mit epileptiformen Zuständen behafteten Personen, entweder im Anschluss an epileptische Paroxysmen oder in der Zwischenzeit zwischen denselben oder, an Stelle derselben, als Transformationen der epileptischen Anfälle. Sie zeigen entweder einen tobsüchtigen oder melancholischen Charakter, die Befallenen haben entweder gar keine oder nur eine summarische Erinnerung vom Vorgefallenen während des Zustandes, und gehen diese Störungen zuweilen in kurzer Zeit vorüber, währen häufig aber auch einige Tage. v. Krafft-Ebing (Die transitorischen Störungen des Selbstbewusstseins. Erlangen, 1868.) und Liman (Zwei

felhafte Geisteszustände. Berlin, 1869.) sprechen sich vorzugsweise über diese Zustände aus, und stehe ich nicht an, unseren Fall unter diese Kategorie zu subsumiren. Haben wir auch keine Bestimmtheit darüber, ob in letzterer Zeit oder gar kurz vor der That epilepsieähnliche Anfälle bei der Z. aufgetreten sind, so bedurfte es doch bei einer so nervösen, durch viele Geburten und langes Stillen heruntergekommenen Frau nur eines geringen Anlasses zum körperlichen und psychischen Erkranken, zumal unter den geschilderten ehelichen Verhältnissen fast taglich deprimirende Gemüthsaffecte auf sie einwirkten. Es ist aber nichts Ungewöhnliches, dass namentlich Diätfehler die Wiederkehr epileptischer Erscheinungen im Gefolge haben, und glaube ich einen solchen auch in unserem Falle anschuldigen zu können. Am 29. Juni, an welchem Tage übrigens eine windige und regnigte Witterung statthatte, hat sich die Z. wohl unzweifelhaft durch Diätfehler eine Indigestion zugezogen, und zwar in Folge der Bewirthung in C. bei der Wirthsfrau E. Sie, die sonst nur an fettarme, schlechte Kost gewöhnt ist, hat an diesem Tage sehr fette Speisen in recht starkem Masse zu sich genommen, und haben sich die Folgen davon in einem heftigen Magenkatarrh gezeigt, der sich durch Erbrechen und Durchfall dokumentirte. Die Z. wurde dadurch bettlägerig, und unter Vorausgang von heftigen Kopfschmerzen hat dieser krankhafte Zustand den Eintritt der psychischen Störung veranlasst, entweder nach einem vorausgegangenen epileptischen Anfalle oder die Stelle eines solchen vertretend. Ich gebe somit mein Gutachten dahin ab:

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„dass die etc. Z. aus K. sich zur Zeit der That in einem unzurechnungsfähigen Zustande befunden hat."

Die Z. wurde hierauf aus der Haft entlassen.

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