Abbildungen der Seite
PDF
EPUB

Auch an Nervenschlag (Neuroparalyse), etwa in Folge von zu langer Einwirkung sehr kalter Temperatur, an allgemeiner Schwäche, an Verblutung, an Vergiftung ist das Kind nicht gestorben. Alle aktenmässig festgestellten Thatsachen sowohl, als auch der Leichenbefund weisen solche Annahmen auf das Bestimmteste zurück.

Nein! Es steht fest, das Kind ist erstickt; auf welche Weise aber, durch welche Veranstaltungen die Communication der Athmungsorgane mit der atmosphärischen Luft so vollständig aufgehoben wurde, dass der Tod erfolgen musste, darüber giebt die Obduction keine positiven Aufklärungen; wir können nur mit Bestimmtheit aussprechen, dass dieselbe keine Momente ergab, aus denen geschlossen werden könnte, dass der Erstickungstod durch innere Zustände bedingt gewesen sei: Herz und Lungen waren normal und, was das Wesentlichste ist, weder Mund- und Rachenhöhle, noch Kehlkopf, Luftröhre und ihre Verzweigungen enthielten irgend Etwas, nicht Blut- nicht Schleimpfröpfe, noch sonst etwas Fremdartiges, was durch Verschluss dieser Organe den Zutritt der Luft hätte verhindern können. Dieselbe muss also durch aussere Umstände abgesperrt worden sein, auf welche Weise aber, darüber bringt die Obduction, wie gesagt, keine Aufklärung. Wäre das Kind durch ein Tuch oder durch einen Fingerdruck am Halse erdrosselt, oder durch gewaltsames Auflegen der Hand auf Mund und Nase erstickt, so müsste die äussere Besichtigung Spuren von Strangrinnen oder Fingereindrücken, auch wohl eine plattgedrückte Nase nachgewiesen haben. Auch in einer Flüssigkeit ist das Kind nicht erstickt, d. h. es ist nicht ertränkt, weil die Obduction weder in Luftröhre, Lungen und Magen Ertränkungsflüssigkeit nachgewiesen hat.

Die Erstickung hat sich vielmehr in einer ganz analogen Weise vollzogen, wie sie so häufig bei Säuglingen vorkommt, die von Müttern und Ammen mit ins Bett genommen werden, ganz gesund einschlafen und am Morgen todt gefunden werden. Es heisst dann in der Regel, , das Kind hat Krämpfe gehabt", in Wahrheit aber ist es bei der schlafenden Mutter in eine Lage gekommen, welche den Eintritt der Luft in Mund, Nase und Lungen verhinderte; bei der Obduction stellt sich der Erstickungstod klar heraus, ohne dass bei der äusseren Besichtigung irgendwelche Spur eines gewaltsamen Eingriffs zu bemerken wäre.

In ähnlicher Weise muss auch bei unserem Kinde der Hergang gewesen sein; es muss ihm durch Auflegen von Betten oder schweren Röcken oder durch seine Lagerung gerade auf das Gesicht in weiche Betten oder durch ähnliche Umstände, die keine bemerkbaren Erscheinungen an der Leiche zurücklassen, das Athmen unmöglich gemacht und sein Tod herbeigeführt worden sein. Ob dieses absichtlich oder durch Fahrlässigkeit oder durch ganz unverschuldete Zufälle geschehen, können wir auf Grund der Obduction nicht beurtheilen. Wir können nur und müssen unser Gutachten dahin abgeben:

1) dass das vollkommen ausgetragene, lebensfähige, ganz gesunde, mit durchaus gesunden Organen ausgestattete Kind in Folge von Erstickung an Herz- und Gehirnschlag gestorben ist; dass aber Spuren äusserer Gewalt, welche diesen Erstickungstod herbeigeführt haben könnten, die Obduction nicht ergeben hat;

2) dass die Erstickung in inneren Zuständen nicht begründet war, sondern durch irgendwelche äusseren Umstände, z. B. Auflegen von Betten oder Lagerung auf das Gesicht in weiche Betten etc., die keine Merkmale an der Leiche zurückgelassen haben, bewirkt wurde.

Die Staatsanwaltschaft hat die weitere Untersuchung fallen lassen.

7.

Ueber die Umwandlung des Brucins in Strychnin.

Von

F. L. Sonnenschein.

Es besteht zwischen den in der Natur vorkommenden Alkaloiden insofern ein näherer Zusammenhang, als die in derselben Pflanzenspecies vorkommenden eine gewisse Uebereinstimmung in der Zusammensetzung zeigen.

Conium maculatum L. enthält Conydrin C, H17 NO und Coniin Cs H15 N. Letzteres kann aus ersterem durch Wasserentziehung

bei der Destillation mit wasserfreier Phosphorsäure erhalten werden, Cg H17NO-H2O CH15 N, so dass Conydrin als das Hydrat des Coniin betrachtet werden kann.

8

17

=

15

Die in Papaver somniferum L. vorkommenden zahlreichen Basen sind zum Theil isomer unter einander, zum Theil gehören sie einer homologen Reihe an.

Die von verschiedenen Cinchona-Arten stammenden Alkaloide bilden zwei isomere Gruppen, von welchen die eine 1 At. Sauerstoff mehr als die andere enthält und so gleichsam ein höheres Oxyd. derselben darstellt.

Peganum Harmala L. enthält 2 Alkaloide; Harmalin C13 H14 N2O und das Harmin C13 H12 N2O. Es enthält demnach ersteres 2 H mehr als das andere. Durch Behandeln des in Alkohol gelösten salpetersauren Harmalins mit Chlorwasserstoffsäure wird dasselbe in Harmin umgewandelt, indem 1 At. Sauerstoff aufgenommen und 1 Wasser ausgeschieden wird, C13 H14 N20+0=C13 H12 N2O+ H2O.

In verschiedenen Strychnos - Arten kommen 2 Basen vor: Strychnin C21 H22 N2 O2 und Brucin C23 H26 N2 04.

Diese beiden bei oberflächlicher Betrachtung sehr weit auseinander stehenden Verbindungen stehen dennoch ausser ihrem Vorkommen in einer und derselben Pflanzenspecies auch ihrer chemischen Zusammensetzung nach in näherem Zusammenhang, wie neuere in meinem Laboratorium über Pflanzenbasen ausgeführte Arbeiten ergeben haben. Hiernach kann nämlich Brucin willkürlich in Strychnin umgewandelt werden. Bei der näheren Betrachtung der diesen beiden Alkaloiden zukommenden Formeln zeigt sich, dass erstere durch Aufnahme von 4 Sauerstoff und Ausscheidung von 2 Wasser und 2 Kohlensäure in die 2 te umgewandelt wird:

[merged small][merged small][ocr errors][merged small][ocr errors][merged small]

Diese Umwandlung kann auf folgende Weise *) bewerkstelligt werden:

Brucin wird mit dem 4-5 fachen Gewicht verdünnter Salpetersäure in einem Kolben gelinde erwärmt. Hierbei tritt unter gleichzeitiger Rothfärbung der Masse

*) Dieselbe wird auch noch durch passende Einwirkung anderer oxydirender Körper, als Kaliumchromat etc. hervorgebracht.

eine ziemlich starke Gasentwicklung ein. Die Gegenwart der Kohlensäure unter diesen Gasen wird dadurch bewiesen, dass dieselben in einem Gemisch von Chlorbaryum und Ammoniak einen weissen Niederschlag von kohlensaurem Baryt hervorbringen.

Wird die rothe Lösung nach dem Eindicken im Wasserbade mit Kali im Ueberschuss vermischt und mit Aether ausgeschüttelt, so bleibt nach dem freiwilligen Verdunsten des letzteren eine röthlich gefärbte Masse zurück, die einen rothen Farbstoff, ein gelblich gefärbtes Harz und eine Basis enthält, welche durch Lösen in Säuren und Umkrystallisir en rein erhalten werden kann. Dieselbe besitzt den äusserst bittern Geschmack und die übrigen Eigenschaften des Strychnins, giebt auch die charakteristischen Reactionen mit Kaliumchromat, Ceroxyduloxyd und Schwefelsäure, liefert mit Chlor die schwerlösliche Chlorverbindung und die entsprechenden Salze. Das chlorwasserstoffsaure Salz bildet feine, seidenglänzende Nadeln, welche 9,20 pCt. Chlor enthielten; das chlorwasserstoffsaure Strychnin, C21 H22 N2 O2 HCl, verlangt 9,58 pCt.

Die Unwandelbarkeit des Brucins in Strychnin ist nicht nur eine an und für sich höchst interessante Thatsache, sie hat auch ihre Bedeutung für forensische Untersuchungen, indem sie auf's Neue zeigt, dass die Anwendung von oxydirenden Körpern bei Untersuchungen organischer Substanzen nur mit höchster Vorsicht gestattet ist, wofür folgender Vorfall als Beispiel dienen kann.

Im vorigen Semester wurde in meinem Laboratorium einem studirenden Pharmaceuten zur Uebung in toxikologischen Untersuchungen ein Gemisch, welches unter Andern Brucin und Bleinitrat enthielt, gegeben. Derselbe wandte das Stass-Otto'sche Verfahren zur Abscheidung der Alkaloide an und erhielt statt Brucin Strychnin. Hier war die aus dem Bleinitrat frei gewordene Salpetersäure in Wirksamkeit auf's Brucin getreten und letzteres in Strychnin umgewandelt. Welche Folgen eine solche Umwandlung haben kann, ist leicht einzusehen.

Aber auch nach andern Versuchen findet ein Zusammenhang zwischen den beiden Strychnos - Alkaloiden statt. Wird nämlich Strychnin mit einer starken Base: Kali, Natron, Baryt etc. und Wasser in einer zugeschmolzenen Glasröhre im Wasserbade längere Zeit erhitzt, so bildet sich unter Andern ein dem Brucin in seinen Reactionen ähnlicher Körper, indem die Reactionen auf Strychnin verschwinden.

Auch diese Zersetzung, über welche die Versuche noch fortgesetzt werden, verdient bei forensischen Untersuchungen Beachtung. Berlin, den 14. März 1875.

II. Oeffentliches Sanitätswesen.

1.

Gutachten

der K. Wissenschaftlichen Deputation für das Medicinalwesen

über

zweckmässigste Ventilation und Heizung der Schulzimmer.

(Erster Referent: Virchow.)

Durch Verfügung Sr. Excellenz des Herrn Ministers der geistlichen, Unterrichts- und Medicinal-Angelegenheiten vom 18. Mai 1872 ist die unterzeichnete Wissenschaftliche Deputation für das Medicinalwesen beauftragt worden,

diejenigen Punkte zu bezeichnen, welche für eine zweckmässige Ventilationseinrichtung in den Schulzimmern als massgebend erachtet werden sollen, damit den Schulaufsichtsbehörden für die zum Schutze der Gesundheit der Schuljugend zu treffenden Massnahmen, event. behufs Vervollständigung des bis jetzt vorhandenen Materials eine geeignete Unterlage an die Hand gegeben werden könne. Die äussere Veranlassung zu diesem Auftrage bot eine wissenschaftlich-technische Controverse, welche sich in Folge eines von dem Regierungs- und Baurath N. zu N. unter dem 8. Januar 1871 erstatteten Gutachtens über die Ventilationseinrichtung der Schulzimmer" zwischen diesem Beamten und dem Oberlehrer N. zu N. erhoben hatte. Das Provinzial - Schulcollegium hatte den Herrn Minister um eine Prüfung und Entscheidung der streitigen Punkte gebeten und, nachdem auch der Herr Handels- Minister in einer sehr umfangreichen und die Frage der Schulventilation von vielen Seiten behandelnden Denkschrift vom 27. März 1872

[ocr errors]
« ZurückWeiter »