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scheint dabei allseitig stillschweigend angenommen worden zu sein, dass der Tod des N. N. durch Embolie in Folge der früheren Verletzung eingetreten ist, zumal da die vorher kurz von mir skizzirte Krankengeschichte einen ausführlichen actenmässigen Beleg hat. Dennoch möchte eine etwas eingehendere Erörterung derselben im Zusammenhang mit den beiden früheren Fällen nicht ganz fruchtlos sein, weil diese in der That sehr viel Gemeinsames mit ersterer haben.

Um mit einigen mehr äusserlichen Dingen zu beginnen, so ist es auffallend, dass jedes Mal die gleiche Unterextremität, nämlich die der linken Seite die verletzte gewesen ist. Dieses kann ein reiner Zufall sein, wir müssen aber daran erinnern, weil gerade die abhängige Haltung der Schenkel für die Entstehung von localen Kreislaufsstörungen sehr wesentlich ist. Ausserdem kann man hier u. A. erwähnen, dass die V. iliac. comm. dextr. kürzer und „steiler" (Henle) ist, als die der linken Seite, welche wegen der Lage der V. cava inf. rechts von der Aorta abdom. einen längeren Raum zu durchlaufen und einen stärkeren Winkel gegen die Medianlinie zu bilden hat. Es sind dieses kleine anatomische Begünstigungen, welche speciell für das Zustandekommen der Thrombose der V. cava inf. in Fall I. zu verwerthen sind. Der Beobachter des eben genannten Falles stellt sich nämlich vor, dass, nachdem die 14 Tage vor dem Tode erlittene Contusion der mit Varicen behafteten Gegend des Unterschenkels dort zur Phlebitis und Gerinnselbildung geführt, ein Theil dieses Gerinnsels sich löste, wahrscheinlich gerade, als Pat. an seinem letzten Lebenstage den Gang vom Arzte machte (cfr. supr. p. 229). Es wurde dann nach aufwärts geschwemmt, bis es sich an der Vereinigungsstelle der beiden Vv. iliac. comm. fing; während hierbei die relativ etwas schwierigere Blutbewegung in der V. iliac. comm. auf der linken Seite in einem gewissen Grade hülfreich mitwirken musste, konnte sich an einem verhältnissmässig kleinen Pfropf sehr bald jenes lange Gerinnsel niederschlagen, welches aus der V. cava inf. entfernt wurde und dort jede Blutbewegung vollständig hemmen musste.

Weitere pathologisch-anatomische Speculationen will ich hier übergehen; dieselben dürften bei der mehr gerichtsärztlichen Besprechung, der ich hier die drei vorstehenden Fälle zu unterwerfen habe, nicht wesentlich nützen. Die Frage, die hier hauptsächlich

interessirt, ist die: wie konnte es kommen, dass drei, im gewöhnlichen Leben ohne Zweifel als leicht aufzufassende Verletzungen in so exceptioneller Weise tödtlich endeten? Hier fällt uns zunächst ein Factum auf, das in foro freilich weniger Bedeutung gewinnt, als es den Anschein hat. Alle drei Patienten nämlich haben sich nach einer stumpfen Gewalteinwirkung, die ohne Trennung der Haut, anscheinend auch ohne jede gröbere Continuitätsstörung der tiefer liegenden Theile, die untere Extremität traf, zur richtigen Zeit nicht genügend geschont; ja, der Kranke in Fall II. scheint überhaupt eine regelmässige Behandlung absichtlich verschmäht zu haben. Dennoch würde trotz der zeitweiligen Nichtbefolgung ärztlichen Rathes die etwaige Schuld Dritter an der betreffenden Verletzung, beziehungsweise an ihrem Ausgange nicht erleichtert werden; unser Strafgesetz kennt einmal keine Zwischenursachen, sondern es handelt sich immer nur darum, welcher Ausgang wirklich die definitive Folge der durch die Verletzung gegebenen Endursache geworden ist. Etwas anderes wäre es, wenn in einem der drei Fälle dargethan werden könnte, dass entweder die von der Verletzung abhängige Embolie nicht die Ursache des Todes, oder aber die Embolie nicht von der Verletzung abhängig gewesen ist. Ein derartiger Nachweis wäre am ehesten in Fall I. denkbar, weil überdies hier (abgesehen von den Localerscheinungen) keinerlei ernstere Störungen dem Ende voraufgingen und über die Art und Weise, wie die hier schliesslich eingetretene Verstopfung der unteren Hohlvene zum Tode führte, nur Vermuthungen angestellt werden können. Letzteres ist denn auch Seitens des Beobachters des Falles, Browne, in ausgedehntestem Masse geschehen, doch können wir diesen Hypothesen hier nicht weiter folgen. Für uns genügt die physiologische Möglichkeit, dass eine plötzliche Unterbrechung des Blutstromes im Bereiche fast der ganzen unteren Hohlvene durch collaterale Hyperaemie anderer lebenswichtiger Theile schnell den Exitus lethalis veranlassen darf. Fälle wie der Browne's haben im Uebrigen eine gewisse Aehnlichkeit mit dem bekannten von C. O. Weber *) angeführten Beispiele einer amputirten Frau, welche

*) C. O. Weber, Krankheiten der Venen in v. Pitha und Billroth, Handb. d. Chirurgie, Bd. II. 2. Abth. S. 112.

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in Folge unbedachtsamen Aufstehens durch Lungenembolie von der Wunde aus schnell zu Grunde ging. Aber diese Aehnlichkeit ist in vieler Hinsicht eine mehr äusserliche; in Browne's Fall war keine eigentliche Wunde" vorhanden, dagegen eine Vorbedingung, die wir bis jetzt noch nicht hervorgehoben haben, die aber bei Weber's Kranker gefehlt hat. Es ist dies die frühere Gefässerkrankung an der Stelle der Verletzung, bestehend in Varicositäten der oberflächlichen Schenkelvenen. Dieselben sind für die allgemeine Würdigung des Falles nicht unwichtig, bei der gerichtlichen Beurtheilung desselben würden sie allerdings unter das oben angeführte (S. 228) Dictum fallen, dass nämlich Niemand die Verpflichtung haben kann, seine Gesundheit auf einen möglichst günstigen Ausgang etwaiger äusserer Verletzung einzurichten. Ausserdem ist nirgends erwähnt, dass die genannten Venen ausser den Varicositäten noch andere Erkrankungen, z. B. Blutgerinnungen, stellenweise Obliterationen u. dgl. vor der Verletzung gezeigt haben; wäre dieses der Fall gewesen, so könnte man schon eher in dem Zustande der Venen eine mit der äusseren Gewalteinwirkung concurrirende Todesursache vermuthen.

Für die beiden anderen Fälle sind selbstverständlich die letzten Erörterungen unnöthig; hier betraf die äussere Verletzung ganz normale Körpertheile völlig gesunder*) Individuen. Dagegen würde ich in einer anderen Beziehung eine vergleichende Besprechung zwischen Fall II. und III. für nicht gerade überflüssig halten, nämlich hinsichtlich der localen Symptome und der Prodromalerscheinungen des tödtlichen Ausganges. Letztere fehlten bekanntlich in Fall I. gänzlich, in Fall II. äusserten sie sich in sehr vager Form, (wofern man nicht einen besonderen Werth auf die an Pyämie erinnernde, intercurrente Gelbsucht legen will), deutlich waren sie nur in Fall III., in welchem zugleich das bei Weitem längste Zeitintervall zwischen der Verletzung und dem tödtlichen Ausgang statt hatte. Indem es sich hier jedoch im Vergleich zu Fall I. nur um kleinere, im Hinblick auf

* Referent der Beobachtung II. würdigt zwar einer längeren Discussion, ob der Abusus spirituosorum, welchem der qu. Pat. eingeständlich huldigte, von Einfluss auf den Ausgang von dessen Verletzung gewesen ist; für uns in Deutschland ist dagegen ein weiteres Eingehen auf diesen Punkt mindestens überwundener Standpunkt

Fall II. aber nur um wenige Gefässe handelte, welche der embolischen Verstopfung anheimfielen, war bei langsamerem Verlaufe selbst bier das Krankheitsbild keineswegs ein ganz klares; namentlich waren in dieser letzten Beobachtung die Vorboten des Todes keineswegs so deutlich, wie sich die Zeichen der embolischen Erkrankung in einem oder dem anderen der oben erwähnten Fälle Prescott Hewett's dargeboten hatten. Das Ende kam bei meinem Kranken überdies, wie ich es ausdrücklich noch einmal hier (s. o. S. 232) hervorheben will, der Umgebung mehr oder weniger unerwartet. Rechnet man hierzu noch den negativen Sectionsbefund an der Stelle der Verletzung, so wird man nicht erstaunt sein, dass Andere, die den Fall intra vitam gar nicht gesehen, eine kurze Zeit über den Zusammenhang der Verletzung und der tödtlichen Embolie nicht ganz klar waren, so dass der Text des oben von mir gebrachten vorläufigen Gutachtens sehr reservirt gehalten werden musste. Indessen dürften jetzt, wo die Antecedentien des Kranken vollständig bekannt sind, alle etwaigen Zweifel vor folgenden Betrachtungen schwinden: Gewisse locale Befunde intra vitam verhalten sich in der Beobachtung III. - abgesehen von den sonstigen durchgreifenden Verschiedenheiten des Krankheitsverlaufes in ziemlich gleicher Weise wie in Fall II. Wenn wir diese Befunde näher bezeichnen wollen, so haben wir namentlich die gleichmässige, wenn schon nicht gerade sehr erhebliche Anschwellung des erkrankten Gliedes in toto und das Auftreten von Schmerzen ausserhalb der Stelle der ursprünglichen Verletzung zu erwähnen. Diese beiden Symptome sind unter den gegebenen Bedingungen meines Erachtens lediglich auf die Venenaffection zu beziehen, und auf diese dürften überhaupt alle Localerscheinungen, welche sich in dem von mir behandelten Fall III. während der letzten Krankheit gezeigt haben, zurückzuführen sein. Das negative Ergebniss der höchst genauen Autopsie der Stelle der ursprünglichen Verletzung hat daher keine andere Bedeutung, als dass die traumatische Erkrankung des Knöchelgelenkes bereits abgelaufen war, als die ersten Zeichen der Venenthrombose äusserlich wahrnehmbar zu werden begannen. Ob und wie lange schon vorher die Restitutio in integrum im Knöchelgelenk erfolgt war, vermag ich freilich nicht näher anzugeben, da Pat. in der Zeit relativen Wohlseins nur wenig Gelegenheit zu einer genauern ärztlichen

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Untersuchung bot. Welches ferner die Einflüsse gewesen sind, die zur Loslösung der anfänglich nur ganz local beschränkten Gerinnsel führten, kann ich ebenfalls aus den mir zu Gebote stehenden Daten nicht weiter entwickeln. Es ist wohl glaublich, obgleich nur hypothetisch, dass hier ein unzeitgemässer Gehversuch während des letzten Krankenlagers von Bedeutung gewesen ist. Pat. war, wie ich bereits oben angedeutet habe, während dieser letzten Krankheit schon verhältnissmässig früh in den Bewegungen des Kniees der kranken Extremität behindert, indem sich wahrscheinlich die Thrombose bis in die Nachbarschaft dieses Gelenkes von den Knöcheln aus verbreitet hatte.

Wenn wir daher die negativen Befunde an der Stelle der Verletzung nicht gegen den Zusammenhang dieser mit der tödtlichen thrombotischen Gefässerkrankung verwerthen können, so werden wir auch nicht andere unwichtigere Momente, die den in Rede stehenden Fall vor den beiden fremden Beobachtungen auszeichnen, in diesem Sinne ausbeuten dürfen. Ich rechne dahin die bereits besprochene Grösse des Intervalles zwischen dem Trauma und dem Exitus lethalis; dieselbe ist beinahe 50 Mal erheblicher als in Fall I. und immer noch sehr viel beträchtlicher als in Fall II. Ferner ist an dieser Stelle zu erwähnen, dass die Art und Weise, wie der Pat. der III. Krankengeschichte starb, nicht näher anzugeben ist, weil ungleich den beiden anderen Fällen kein Arzt den letzten Augenblicken des Leidenden beiwohnte.

Alles dieses sind im Hinblick auf das Gesammtergebniss der Untersuchung des vorliegenden Falles nur nebensächliche Umstände. Derselbe trägt ebenso wie die beiden früheren vollwichtige Zeichen für die Abhängigkeit des tödtlichen Ausganges von der ursprünglichen Verletzung an sich, obgleich

1) zwischen dem früheren Trauma und den definitiven Folgen eine erhebliche Zeit verstrichen ist,

2) ferner diese Zeit von Intervallen relativen Wohlbefindens theilweise ausgefüllt war,

3) und das auf die Verletzung zurückführbare Leiden als ein ganz aussergewöhnliches Vorkommniss gelten musste.

Man sieht, die drei Bedingungen, welche ich im Eingange dieser Arbeit als wohl geeignet für eine etwaige Verdunklung der Zusammengehörigkeit zwischen primärer Verletzung und dem definitiven tödtlichen Ausgange aufstellen konnte, sind hier glücklich

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