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(Sitzung vom 19. Mai 1874.)

Berathung und Annahme des Impfentwurfes, von Prof. A. Hirsch, Dr. Börner, Prof. Skrzeczka, Generalarzt Böger, Geheimrath Meitzen unter Zuziehung des Geheimraths Eulenberg entworfen.

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Vorstellung der Deutschen Gesellschaft für öffentliche Gesundheitspflege in Berlin, betreffend die Einrichtung der Impflisten und Impfscheine nach den Forderungen des Impfgesetzes vom 8. April 1874 und deren Verwerthung für die Zwecke der medicinischen Statistik."

An

das Reichskanzler - Amt zu Berlin.

Dem hohen Reichskanzler-Amt beehrt sich die unterzeichnete Deutsche Gesellschaft für öffentliche Gesundheitspflege in Betreff der Ausführung des Impfgesetzes vom 8. April 1874 folgende Wünsche für die Einrichtung des Impfgeschäfts, der Impflisten und Impfscheine ganz gehorsamst zu unterbreiten.

Dieselbe sieht in der gesetzlich angeordneten Impfung und Besichtigung aller Kinder und der im 12. Lebensjahre stehenden Jugend eine Gelegenheit, Aufgaben von grösster Tragweite zur Lösung zu bringen. Sie hält es für vollkommen ausführbar, durch zweckmässige Einrichtung der betreffenden Listen und Scheine, den Gesundheitszustand der Bevölkerung im jugendlichen Alter zu beobachten und zugleich die Möglichkeit herbeizuführen, für jedes Individuum gewisse Umstände seiner ersten Entwicklung zu constatiren, deren beweisfähige Kenntniss in verschiedenen Fällen seines späteren Lebens sowohl für den Einzelnen selbst, wie für das öffentliche Leben von der grössten Wichtigkeit werden kann. Die Gesellschaft hat sich bemüht, die für die Verwerthung dieser Sachlage sich darbietenden Gesichtspunkte aufzusuchen. Sie ist dabei von dem Grundsatze ausgegangen, dass, bei aller Bedeutung des vorschwebenden Zieles, dasselbe gleichwohl nur soweit verfolgt werden dürfe, als das ohne irgend erhebliche Erschwerung des Impfgeschäftes und ohne fühlbaren Aufwand an Mühe, Zeit oder Kosten erreichbar sei, dass es aber auch innerhalb dieser Beschränkung eine öffentliche Pflicht ist, dasselbe mit den zweckdienlichsten Mitteln anzustreben.

Die Wünsche, welche sich aus diesen Erwägungen ergaben, hat die Gesellschaft geglaubt, in der Formulirung einer Impf- und Revaccinationsliste, sowie eines Impf- Revaccinationsscheines, in einem dieselben erläuternden Berichte und einem Entwurfe der Bestimmungen über die zur Ausführung des Impfgesetzes vom 8. April 1874 erforderliche Listenführung zum Ausdrucke bringen zu sollen.

Einem hohen Reichskanzler-Amt erlaubt sich die Deutsche Gesellschaft für öffentliche Gesundheitspflege in den Anlagen diese Schriftstücke mit der Bitte ehrerbietigst zu überreichen, die darin ent

haltenen Vorschläge bei der Berathung über das vom Bundesrath festzustellende Listen- und Bescheinigungswesen nach Ermessen hochgeneigtest in Betracht ziehen zu wollen.

Des hohen Reichskanzler-Amtes ganz gehorsamste

Die Deutsche Gesellschaft für öffentliche Gesundheitspflege in Berlin. I. A. Der Vorsitzende.

:

Bericht

der Commission der Deutschen Gesellschaft für öffentliche Gesundheitspflege in Berlin bezüglich der Ausführungsbestimmungen für das Impfgesetz vom 8. April 1874 und die Benutzung desselben für die Zwecke der medicinischen Statistik.

I.

Nach §. 6. des Impfgesetzes vom 8. April 1874 sollen.

1) in jedem Bundesstaate Impfbezirke gebildet werden, deren jeder einem Impfarzte zu unterstellen ist;

2) der betreffende Impfarzt soll in der Zeit von Anfang Mai bis Ende September jeden Jahres an den vorher bekannt zu machenden Orten und Tagen die Impfungen vornehmen;

3) die Orte für die Vornahme der Impfungen, sowie die Vorstellungen der Impflinge sollen so gewählt werden, dass kein Ort des Bezirks von dem nächst gelegenen Impforte mehr als 5 Kilometer entfernt ist.

Nach §. 13. des Gesetzes sollen die Vorsteher derjenigen SchulAnstalten, deren Zöglinge dem Impfzwange unterliegen, bei der Aufnahme von Schülern durch Einfordern der vorgeschriebenen Bescheinigungen feststellen, ob die gesetzliche Impfung (i. e. Revaccination) erfolgt ist. Sie haben dafür zu sorgen, dass Zöglinge, welche während des Besuchs der Anstalt nach §. 1. Ziffer 2. impfpflichtig (i. e. revaccinationspflichtig) werden, dieser Verpflichtung genügen.

Ist eine Impfung (i. e. Revaccination) ohne gesetzlichen Grund unterblieben, so haben sie auf deren Nachholung zu dringen. Aus diesen Bestimmungen des Gesetzes ergiebt sich sofort die für jeden einzelnen Impfbezirk erforderliche Arbeit, sowie der zu ihrer Ausführung erforderliche Geschäftsbetrieb.

Der durch das Gesetz festgestellte einzelne Impfbezirk wird durchschnittlich im Deutschen Reiche, abgesehen von den Städten, etwa die Grösse einer Quadratmeile haben.

Da auf einem solchen Raume durchschnittlich 4240 Einwohner sich befinden und je auf 25 Lebende während eines Jahres im Durchschnitt eine Geburt kommt, so wird man auf 1000 Einwohner ca. 40 im ersten Lebensjahre befindliche Kinder rechnen können, wobei der Schwankungen wegen ein Abzug auf die in den ersten Monaten sterbenden nicht gemacht

werden kann. Da indessen eine gleiche Behandlung von Stadt und Land unzulässig erscheint, so kann man für das platte Land für die Quadratmeile ungefähr 3000 Einwohner mit durchschnittlich 120 Impflingen für jedes Jahr annehmen.

Bei der Regelung des Geschäftsbetriebes in einem solchen Bezirke ist vor Allem die Frage zu entscheiden, ob während der durch den §. 6. angeordneten Impfzeit (Anfang Mai bis Ende September) in jedem Orte das Impfgeschäft nur ein Mal durchgeführt oder auf zwei Termine vertheilt werden soll.

Wir glaubten eine Vertheilung des Impfgeschäftes auf zwei Termine als durchaus nothwendig anempfehlen zu müssen. Findet nämlich nur ein Hauptimpftermin an jedem Impforte statt, so werden sich die Impflinge in einem Alter bis 21 Monate befinden. Hieraus erwächst, abgesehen von anderen Nachtheilen, schon die grössere Gefahr einer Pockenansteckung.

Schon aus diesem Grunde ist es daher unserer Ansicht nach wünschenswerth, die betreffenden Einrichtungen so zu treffen, dass das durchschnittliche Alter der Impflinge 12 Monate beträgt, was nur dadurch erreichbar erscheint, wenn zwei Termine, ein erster vom 1. Mai bis 15. Juli, ein zweiter vom 15. Juli bis 30. September, angesetzt werden. Es würden dann im Frübjahr ca. 80, im Herbst ca. 40 Kinder zu impfen sein, und könnten die Revaccinationen vorzugsweise auf den zweiten Termin verlegt werden. Ein anderer grosser Vorzug der Vertheilung auf zwei Termine besteht aber noch darin, dass jedesmal die Superrevision der in dem vorangegangenen Termine geimpften Kinder vorgenommen werden kann, wodurch besonders das Vorhandensein syphilitischer Infektionen, sowie der Gesammteinfluss der Zwangsimpfung zu constatiren und die noch so weit verbreiteten Vorurtheile in dieser Beziehung zu widerlegen sind.

Die Impfung selbst verlangt nun unter allen Umständen folgende Arbeit mit dem ihr entsprechenden Zeitaufwande:

a) Es müssen einige Kinder, für den Bezirk etwa sechs, vorgeimpft werden, und bei diesem Termin wird die Berichtigung der Listen für die Bestellung, sowie die Rücksprache mit dem Protokollführer stattzufinden haben.

b) An dem Hauptimpftermine, 7-8 Tage später *), sind durchschnittlich 120 Kinder zu impfen. Man kann annehmen, dass pro Tag nicht mehr als 60 sorgfältig ausgeführte Impfungen vorgenommen werden können, sobald der Impfarzt verpflichtet wird, auch den Gesundheitszustand der Impflinge, besonders auch in Betreff vorhandener Syphilis, zu untersuchen, so dass für diesen Termin zwei Tage nothwendig sein würden. An demselben Termin könnten eventuell noch 20 Revaccinationen vorgenommen werden.

c) Bei der Nachimpfung, wieder 6-8 Tage später, ist erforderlich die Revision sämmtlicher Geimpfter, die Nachimpfung der Impflinge, bei

*) Das Gesetz stellt sechs bis acht Tage fest. Wir halten es für zweckmässiger, für die Ausführung sieben bis acht Tage vorzuschreiben. Dem Gesetze wird dadurch nicht widersprochen.

denen die erste Impfung misslungen war, die Impfung der im vorigen Termin Ausgebliebenen, und endlich die Revaccination von etwa 60 Zwölfjährigen, sowie der sich etwa zu diesem Zwecke freiwillig Stellenden.

d) Die Revision sämmtlicher Geimpfter hat wiederum nach 7-8 Tagen stattzufinden.

Hieraus ergiebt sich, dass der betreffende Impfarzt in einem Bezirke von der Grösse einer Quadratmeile lediglich zur Durchführung der Bestimmungen des Gesetzes 5 Tage zu verwenden hat, wenn nur einmal jährlich das Impfgeschäft vollzogen werden soll. Werden unserer Ansicht entsprechend zwei Termine Seitens des hohen Bundesrathes angeordnet, so verringert sich die Zahl der Arbeitstage auf 4 Tage für je einen Termin. Das Gesammterforderniss beträgt im ersten Fall 5, im zweiten 8 Tage.

Die Zahl der Tage, die für die nothwendigen Reisen erforderlich sind, wird sich richten nach der Grösse des Impfbezirkes und soll hier nicht weiter erörtert werden.

Wir vermeiden es vielmehr, in der Anknüpfung an diese Darlegung bestimmte Vorschläge zu machen über die Zahl der einem Impfarzte zu übertragenden einzelnen Impfbezirke. Die demselben eventuell obliegende Arbeit ergiebt sich indessen, abgesehen von den Reisetagen, sofort aus den obigen Ausführungen, indem die Zahl der für je eine Quadratmeile nothwendigen Arbeitstage lediglich mit der Zahl der Bezirke zu multipliciren ist. Wir können aber andrerseits nicht umhin, darauf hinzuweisen, von wie fundamentaler Wichtigkeit für den Erfolg des Gesetzes eine zweckmässige Organisation des Geschäftsbetriebes und eine richtige Auswahl der betreffenden Impfärzte ist.

Wollte man das Hauptgewicht auf den Kostenpunkt legen und nicht auf die keineswegs bei allen Aerzten ohne Weiteres vorauszusetzende praktische Befähigung und entsprechende Neigung, so wird man nicht mehr sicher sein, dass die Impfungen und Revisionen mit der unbedingt nothwendigen Sorgfalt und Umsicht stets ausgeführt werden und wahrscheinlich auf's Neue die Erfahrung machen, dass die Unvollkommenheit der Ausführung nicht nur die Zwecke selbst der besten Gesetze schädigt, sondern auch ihren Gegnern die Waffen zur Bekämpfung geradezu liefert. Das System, die Mindestfordernden in erster Reihe zu begünstigen, ist wohl für die Gebiete, auf denen ärztliche Sachverständige thätig sein sollen, am wenigsten anwendbar.

Wir konnten uns, ohne vorgreifen zu wollen, dennoch der Ueberzeugung nicht entziehen, dass die Bildung sehr kleiner Impfbezirke zu dem Zweck, vielen praktischen Aerzten die Uebernahme des Impfgeschäftes zu erleichtern, einerseits um deswillen schon nicht zu empfehlen sei, weil sieh in einem grossen Theile des deutschen Reiches keineswegs die für die Impfung befähigten ärztlichen Sachverständigen in der dann erforderlichen Zahl finden dürften, andrerseits aber, weil dagegen der Umstand spricht, dass bei kleinen Bezirken sehr häufig ein Wechsel der Aerzte eintreten und dadurch bei der Auswahl oft eine Zwangslage entstehen wird. Ein Ersatz

wird freilich fast immer zu finden sein, es kann aber nicht die Absicht des Gesetzes sein, Neulingen Gelegenheit zu verschaffen, sich einzuüben, oder Aerzte anzustellen, die auf das Impfen, als eine mehr oder weniger unbedeutende Nebenbeschäftigung, schwerlich die erforderliche Mühe immer verwenden werden.

Endlich wird bei kleinen Impfbezirken der Ortswechsel der Impflinge überaus empfindlich und belästigend wirken, weil dann sehr häufig eine förmliche Ueberweisung von einem Bezirk in den andern stattfinden muss.

Für welches System man sich aber auch entscheiden möge, die in obiger Ausführung geforderte Arbeit ist unter allen Umständen zu verrichten und andrerseits die Garantie, dass sie lediglich von befähigten Sachverständigen gethan werde, niemals zu umgehen.

Selbstverständlich wird der Geschäftsbetrieb an manchen Orten, besonders in grossen Städten, manche Modifikationen erleiden, diese sind aber unschwer festzustellen. Die unsrerseits aufgestellten prinzipiellen Forderungen bleiben durchweg dieselben.

II.

Nach §. 7. des Gesetzes ist angeordnet:

dass für jeden Impfbezirk vor Beginn der Impfzeit eine Liste der der Impfung unterliegenden Kinder von der zuständigen Behörde aufgestellt werde, ebenso eine Liste über 'die auf Grund des §. 1. Ziffer 2. zur Impfung Gelangenden.

Die Impfärzte haben in den Listen zu vermerken, ob eine Impfung mit oder ohne Erfolg vollzogen, oder ob und weshalb sie ganz oder vorläufig unterblieben ist.

Die Einrichtung der Listen wird durch den Bundesrath festgestellt. Nach §. 10. soll über jede Impfung nach Feststellung der Wirkung von dem Arzte ein Impfschein ausgestellt werden.

Derselbe soll Vor- und Zunamen des Impflings, Jahr und Tag seiner Geburt und die Bescheinigung enthalten, dass durch die Impfung der gesetzlichen Pflicht genügt ist, oder, dass die Impfung im nächsten Jahre wiederholt werden muss.

In den ärztlichen Zeugnissen, durch welche die gänzliche oder vorläufige Befreiung von der Impfung nachgewiesen werden soll, wird unter der für den Impfschein vorgeschriebenen Bezeichnung der Person bescheinigt, aus welchem Grunde und wie lange die Impfung unterbleiben darf.

§. 13. endlich bestimmt, dass die Vorsteher derjenigen Schulen, deren Zöglinge dem Impfzwange (i. e. Revaccinationszwange) unterliegen, vier Wochen vor Schluss des Schuljahres den zuständigen Behörden ein Verzeichniss derjenigen Schüler vorzulegen haben, für welche der Nachweis der Impfung nicht erbracht ist.

Indem wir uns beehren, der Deutschen Gesellschaft für öffentliche Gesundheitspflege Formulare für die Listenführung vorzulegen, deren Einrichtung unserer Ansicht nach geeignet ist, die Erfüllung der Forderungen zu

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