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22. Gesunde sollen nie auf demselben Schiffe, mit dem sie eingetroffen, die Quarantaine abhalten, wenn auf diesem während der Fahrt verdächtige Krankheitsfälle vorgekommen sind.

23. Die Frage, ob nach stattgehabter Einschleppung in einem Ort die Quarantaine - Massregeln noch aufrecht zu erhalten seien, kann nie principiell, sondern nur nach Massgabe aller örtlichen in Betracht kommenden Verhältnisse entschieden werden.

Im speciellen Theile, zu dem ich mich jetzt wende, werde ich mich auf das Gelbfieber, die Cholera und die Pest beschränken und jedem einzelnen Capitel eine summarische Darstellung der Krankheit und ihrer Verbreitungsart vorausschicken, soweit dies für unsere Frage in Betracht kommt. Wenn ich dabei dem Gelbfieber eine besondere Aufmerksamkeit schenke, hoffe ich durch den Inhalt gerechtfertigt zu werden.

Specieller Theil.

Das Gelbfieber.

1. Das Gelbfieber, seit Anfang des 17. Jahrhunderts uns bekannt,. herrscht endemisch auf der Mehrzahl der westindischen Inseln, an den mexikanischen Küsten, vielleicht auch an den südlichen Küsten der Vereinigten Staaten. Von hier aus verbreitet es sich epidemisch über die Ostküsten fast des ganzen amerikanischen Continents und erreichte dabei im Norden Quebec*) (46° 80 N.B.) im Jahre 1805, im Süden Buenos-Ayres (34° 36 S.B.) in den Jahren 1850 und 1871. An der Westküste hat sich die Krankheit nach Süden bis nach Valparaiso (33° 2 S.B.) im Jahre 1856 erstreckt, während ich über die nördliche Grenze keine genaue Angabe finde, jedoch scheint die Krankheit an dieser Küste bisher nicht 20° N.B. überschritten zu haben.

Auf der östlichen Hemisphäre herrscht das Gelbfieber von 0 bis 20 N.B. an der Westküste Afrikas, besonders an der Sierra - Leona - Küste, ohne dass bisher die Frage über den genetischen Zusammenhang dieses Krankheitsgebietes mit dem in Westindien definitiv gelöst wäre. Jedenfalls

*) Matthaei 1. c. II. p. 46 u. 47. Hirsch (Handb. 1. c. I. p. 71) giebt Porthmouth (N. Hamp.) unter 43° 4 als den nördlichsten bisher erreichten Punkt an im Juli 1798.

sind am Ende des vorigen Jahrhunderts von hier schwere Epidemien nach Amerika eingeschleppt.

Von Amerika wieder eingeschleppt hat das Gelbfieber in Europa Spanien in 3 Perioden schwer heimgesucht (1800-1804, 1810-1813, 1819-1821), in isolirten Epidemien die Orte Livorno 1804, Palma 1821, Passages 1823, Gibraltar 1828, Lissabon 1857, Barcelona *) und Valencia 1871.

Einschleppungen einzelner Fälle und ganz kleine Epidemien sind auch im nördlichen Europa mehrfach vorgekommen und haben hier bis jetzt in Swansea (1865) unter 51°,38 N.B. ihre nördliche Grenze erreicht.

2. Das Gelbfieber ist bis vor etwa 30 Jahren mit Ausnahme der nordamerikanischen und spanischen Epidemien fast ganz auf sein endemisches Gebiet beschränkt gewesen. Erst seit 1849 ist Brasilien befallen; die Westküste Amerikas war bis 1842 vom Gelbfieber frei, seit 1857 drang die Krankheit nach Süden bis in die La Plata Staaten einerseits, andererseits bis Valparaiso vor, erst seit den 40 ger bis 50 ger Jahren datiren die häufigen Verschleppungen derselben in englische Häfen.

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3. Während die Krankheit im endemischen Gebiete zu allen Jahreszeiten herrscht, erscheint sie ausserhalb desselben nur in den heissen Monaten **). In Spanien erschien sie stets zwischen Juli und September***). Es erlöschen die Epidemien im endemischen Gebiete ebenso wie sie begonnen ohne Abhängigkeit von der Jahreszeit, im epidemischen Gebiete dagegen gegen Jahresende†).

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4. Der Ausbruch der Krankheit erfolgt nie, wenn die Lufttemperatur unter 20°C. 16° R. = 62° F. hinunterreicht; doch ist zu bemerken, dass vor noch nicht langen Jahren die Minimal-Temperatur für das Auftreten derselben um einige Grade höher angegeben ward als jetzt††), nämlich 22°,2-25°,5 C. 72° 80° F. Wer weiss also, ob wir nicht mit der Zeit Epidemien bei noch geringerer Wärme kennen lernen werden?

*) Vielleicht von hier aus hat Buenos-Ayres seine schwere Seuche erhalten. (cf. Leudesdorf 1. c. 3. Folge, p. XVIII.)

**) Hirsch, Handb. 1 c. I. p. 85.

Die Krankheit brach aus im Mai, Juni, Juli, August, Septbr., Octbr.

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***) Doch verbreitete sie sich in einzelnen Fällen bis Ende October. (27. October 1804. Ximenes de la Frontera.)

†) In Nordamerika hörten von 91 Epidemien 10 im September, 37 im October, 36 im November, 8 im December auf. (Hirsch, Handb. I. 1. c.) ††) Hirsch, Handb. 1. c. I. p. 86. 1860.

5. Einmal ausgebrochen lässt die Krankheit selbst bei beträchtlicher Temperaturerniedrigung erst langsam nach, hört oft erst nach ernstem Froste auf, ja es werden Fälle berichtet, in denen die anscheinend schon erloschene Krankheit bei erneutem Eintritt höherer Wärme wieder ausbrach.

6. Ob ein bestimmter Grad der Luftfeuchtigkeit für den Ausbruch des Gelbfiebers erforderlich sei und welcher, ist noch nicht entschieden.

7. Das Gelbfieber herrscht, abgesehen von vereinzelten erheblichen Ausnahmen (Spanien), ausschliesslich an den Meeresküsten und den Ufern grösserer Ströme, soweit in diese die Wassercommunication mit der See sich erstreckt, und mit besonderer Vorliebe auf den Schiffen selbst.

8. Es werden vorzugsweise die Städte befallen, während das platte Land selbst in nächster Nähe in der Regel verschon bleibt.

9. In den Städten werden die hygieinisch ungünstigst situirten Quartiere, die engen schmutzigen Gassen mit überfüllten Wohnungen, Matrosenkneipen etc., wie sie in der Nähe des Wassers in den grösseren Hafenplätzen zu liegen pflegen, besonders heimgesucht.

10. Fremde sind der Infection ganz besonders ausgesetzt. Erschreckende Beispiele bieten für diese Thatsache die europäischen nach Westindien gebrachten Truppen (z. B. Ende des vorigen Jahrhunderts auf St. Domingo, 1862 in Mexico, 1872 auf Cuba). Ebenso verheerend ist die Seuche, wenn sie auf bisher verschonte Orte fällt *). Nur der längere Aufenthalt in einer inzwischen von Gelbfieber heimgesuchten Stadt, sowie ein früheres Ueber

*) Die folgenden Beispiele aus diesem Jahrhundert sind Matthaei und Leidesdorf entnommen.

1800. Cadix Von 71,000 Einwohnern wanderten 14,000 aus. 48,500 wurden befallen, 9,977 starben. 10. August bis Ende November. Sevilla. Von 90,000 Einwohnern flohen 4,000. 76,000 erkrankten, von denen 20,000 starben. Xeres de la Frontera. 42,000 Einwohner. 30,000 Erkrankungen und 14,000 Todte.

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1804. Gibraltar. Anfang September bis Ende December. Von 14,000 Einwohnern blieben nur 21 frei. Von diesen hatten 12 früher das Fieber überstanden. Es starben 5,946.

1821. Barcelona. 60,000 nicht ausgewanderte Einwohner: 18,000 bis 20,000 Todte. Tortosa. 5,000 nicht ausgewanderte Einwohner: 4,500 Todte. Palma. Von 30,000 Einwohnern 18,000 in der Stadt geblieben. 7,400 Erkrankungen, 5,341 Todte.

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1871. Buenos-Ayres. Von 30,000 zurückgebliebenen Einwohnern 26,200 Todte. Am Ostermontage wurden 1,000 beerdigt. Da diese Veröffentlichungen nicht dazu angethan sind, die Einwanderung zu begünstigen", wird unterm 4. Mai 1871 das Abonnement auf das englische Blatt Standard", das dieselben gebracht, verboten. Nach den officiellen Angaben waren von 180,000 Einwohnern 90,000 geflohen, in der Zeit vom 27. Januar bis 28. Mai 13,689 gestorben, mit 503 Todten am 10. April als höchster Todeszahl für einen Tag.

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stehen der Krankheit gewähren eine die Dauer des Aufenthalts nicht sehr lange überdauernde Immunität*).

11. Die Incubation dauert 1 bis 6 Tage.

12. Eine directe Uebertragung von Person zu Person findet nicht statt. Gesunde und Kranke, die aus einer befallenen Stadt auf's Land fliehen, verbreiten die Krankheit nicht**).

13. Dagegen verschleppen Gesunde, Kranke und Effecten aus einem Gelbfieberorte die Seuche nach anderen Orten oder auf Schiffe, wenn dort die örtlichen, zeitlichen und individuellen Dispositionen vorhanden sind ***). 14. Die Reproduction des Krankheitsgiftes findet ausserhalb des menschlichen Organismus statt, ob jedoch derselbe bei der Verschleppung ganz unbetheiligt sei, ist noch nicht entschieden.

15. Die Krankheit folgt in ihrer Verbreitung so gut wie ausschliesslich dem Schiffsverkehr. Die unter 2. geschilderte Ausbreitung geht parallel mit der Entwicklung der Schifffahrt, namentlich der Dampfschifffahrt.

16. Das Gelbfieber ist im prägnantesten Sinne eine Krankheit der Schiffe. Keine andere Krankheit tritt dort so oft und so verheerend auf wie diese. Auch hier werden wieder die hygieinisch ungünstigsten Localitäten besonders heimgesucht; die überfüllten Räume, die den Gerüchen des faulenden Bilschwasserst), der Ladung, der Küchenabfälle ansgesetzt sind, die Kojen der Maschinisten und Matrosen gegenüber den häufig verschonten Kajüten der Officiere und Passagiere.

*) Inwieweit die Immunität der Eingeborenen durch früheres Ueberstehen leichter Abortivformen der Krankheit bedingt sei, ist nicht entschieden. (cf. Vir chow-Hirsch Jahresbericht 1870. II. p. 222; auch Bergholz, Die Fieber. Hamburg, 1872.)

**) Viele Daten im Second report on quarantine, 1852. Anlässlich der Lissaboner Epidemie 1857 ward diese Thatsache in 182 Fällen amtlich constatirt. (cf. John Simon, 8. report 1. c. p. 45.)

***) Diese vermittelnde, aus den erbitterten Kämpfen der Contagionisten und Anticontagionisten hervorgegangene Ansicht findet immer mehr Anhänger. Dieselben sind Mühry, l. c. p. 145; Hirsch, Die Verbreitungsart von Gelbfieber, 1. c.; Pettenkofer, Ueber den gegenwärtigen Stand der Cholerafrage, 1. c. p. 10; John Simon, 8. report 1. c. p. 45, 46; Nott und Stone, Virchow - Hirsch Jahresber. 1871. II. p. 208, 209.

†) Durch die gesammte deutsche Literatur über das Gelbfieber geht das Wort „Kielwasser" zur Bezeichnung des im Grunde der Schiffe zwischen den Füllungen angesammelten Wassers. Es beruht dies auf einer durchaus falschen Uebersetzung des englischen bilgewater", die freilich von unseren Philologen durch die gleiche Uebersetzung des lateinischen „sentina" vorgemacht ist. In Bobrick's Allgemeinem nautischen Wörterbuch, Leipzig 1850, heisst es beim Artikel Kielwasser: „Der Strich oder Streif von schäumendem oder wirbelndem Wasser, den das Schiff bei seiner Fahrt hinter sich lässt. Es entsteht aus den beiden Seitenwasserlinien, die hinter dem

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Die Punkte unter 1. und 2. rufen einige weitere Betrachtungen wach. Offenbar befindet sich das Gelbfieber in einer Periode steigender Ausbreitung. Während bis vor 30 Jahren Europa sich nur gegen Sierra Leona, Westindien und einzelne Häfen der Vereinigten Staaten zu schützen hatte,

Schiff zusammenstossen, um den von dem durchsegelnden Schiff gemachten leeren Raum wieder auszufüllen. Das Kielwasser ist 2-3 Schiffslängen weit bemerklich, und um so stärker, je schneller das Schiff segelt. Der Winkel, den das Kielwasser mit der Richtung des Schiffes macht, zeigt die Grösse der Abtrifft." Nur in diesem und nie in einem anderen Sinne benutzen unsere Seeleute das Wort Kielwasser. Für „sentina“, „bilgewater“ gebrauchen sie allgemein das Wort Bilschwasser, muth masslich ein gutes deutsches Wort, dessen Stamm in dem plattdeutschen „pülschen, schülpen“ (überpülschen, überschülpen, verpülschen, Pülsche, Schülp) wiederkehrt; Verben, die transitiv und intransitiv von der Bewegung von Flüssigkeiten in Gefässen gebraucht werden. Freilich habe ich bei verschiedenen Philologen und in Büchern vergeblich nach näherer Auskunft geforscht. Die in Wörterbüchern häufig für, bilgewater angegebenen Worte, Schlagwasser" und Lenzwasser" decken den Begriff nicht genau.

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Das Bilschwasser nun findet sich in jedem Schiff, ja wenn das letztere so dicht gefugt ist, dass es kein Wasser macht", wird solches absichtlich hineingegossen, um den trockenen Brand des Holzes zu hindern, namentlich bei Reisen nach den Tropen.

Jeder Capitain weiss, wie viel auf den Wechsel des durch hineingerathene Küchenabfälle, todte Ratten, Spül- und Waschwasser etc. verunreinigten Bilschwassers ankommt. Zu dem Ende wird dasselbe durch gleichzeitiges Ausleeren mit der einen Pumpe und Nachfüllen durch die andere in geeigneten Zwischenräumen erneuert. Oft aber wird diese Absicht vereitelt. Es können Theile der Ladung in den untersten Raum gerathen und die Saugöffnungen der Pumpen (Brausen) verstopfen; dann ist nicht allein. ein Wechsel des Wassers unmöglich, sondern auch der Fäulniss jener Ladungstheile ein besonderer Vorschub geleistet. Dann kann unerträglicher Gestank das Schiff für die ganze Reise verpesten, die Schwefelwasserstoff- Entwicklung so stark werden, dass der Bleiweiss - Anstrich der Kajüten etc. sich schwärzt. Besonders verrufen sind in dieser Beziehung Korn- und Reisladungen, da das Korn aus den geplatzten Säcken wie Wasser" in den Kielraum hinabrinnt, und ebenso Zucker, der unter der Tropensonne schmilzt und ähnliche Zufälle verursacht.

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Auf eisernen Schiffen entstehen andere Schwierigkeiten. Bei manchen Ladungen, z. B. durch auslaufende Häringslake, wird das Bilschwasser „sauer" und greift das Eisen an, andererseits kann man dasselbe durch die Pumpen nie so vollständig entleeren, um diesen Nachtheil ganz zu beseitigen. Es kommt daher darauf an, durch fortdauernde Verdünnung und nachfolgendes Auspumpen die Gefahr möglichst zu verkleinern. Um dies aber von dem guten Willen des Kapitains und der Mannschaft möglichst wenig abhängig zu machen, bringen die Schiffsbauer von vornherein absichtlich einen kleinen Leck an den Schiffen an, der zum häufigen Pumpen

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