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Aerzte muss ich mich entschieden aussprechen; sie sind mit wenigen Ausnahmen schlecht; es wird weder exact, noch sauber dispensirt; man wird sie vermeiden durch richtige Concessionirung.

Nach diesen Einwendungen, die übrigens keineswegs als infallibel gelten sollen, wünsche ich der neuen Apotheker - Ordnung wie der Ordnung der ganzen Frage über die gewerblichen Verhältnisse der Apotheker eine baldige und im Interesse des Gemeinwohls glückliche Geburt.

4.

Kritik der Quarantaine-Massregeln für Seeschiffe

von

Dr. J. J. Reincke in Hamburg.

(Schluss.)

Diesen Uebelständen kann nur durch eine ärztliche Untersuchung am Ankunftsorte vorgebeugt werden für jedes Schiff innerhalb der Zeit, wo gegen den Abfahrtshafen Quarantainen in Wirksamkeit sind, wie dies z. B. in New-York geübt wird. Anderweitige Bestimmungen an anderen Orten haben offenbar den Zweck, nicht unnöthig Personen der Infection auszusetzen, resp. dieselben davor zu schützen, bei jeder neuen Ankunft wieder mit in Quarantaine zu müssen. Aber alle diese Vorsichtsmassregeln haben eine Gränze, wenn nicht der Werth des ganzen Institutes darunter leiden soll. Wohl ist es widersinnig, wenn wie z. B. in Portugal bei der Ankunft des Schiffes eine ganze Schaar von Quarantaine-, Zoll- und verschiedenen Monopol-Beamten an Bord erscheint, aber es ist ebenso verwerflich, wenn man an andern Orten nur vom Boote aus, mit langen Stangen etc. mit dem Schiffe verkehrt*).

*) Vergleiche die jetzt aufgehobene Instruction der Sanitäts-Commission von Swinemünde vom 1. December 1847. §. 11. bei Horn: Das preussische Medicinalwesen, Bd. I. p. 273. Wie weit das in früheren Jahren ging, möge man im Fischer 1. c. nachlesen.

Wenn man nicht selbst zusieht*), wird man beständig hintergangen werden, eine einmal erfolgte Einschleppung wird nicht durch die nachherige Bestrafung des Capitains für Meineid aufgewogen.

Die Forderungen für die Einrichtung der Quarantaine - Anstalten selbst folgen leicht aus dem früher Erörterten.

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Was zunächst die Lage derselben betrifft, so sollen sie auf der einen Seite möglichst fern von den grossen Städten und Häfen liegen, auf der andern aber auch nicht so weit in die See hinausgerückt werden, dass Missstände wie die oben geschilderten an der Humber-Mündung oder in New-York bei der Ankunft der „Helvetia" eintreten können. Wer freilich unter einer Quarantaine-Anstalt sich nur einen grossen Complex massiver, von einer hohen Mauer umgebener Gebäude vorstellen kann, wird in dieser Forderung eine grosse Schwierigkeit erblicken, um so mehr, als die Anstalten je nach dem Gange der Seuchen, je nach der Richtung des Verkehrs bald bier bald dort nothwendig werden, an anderen Stellen ihre Bedeutung dauernd verlieren.

Aber solch grossen Apparates bedarf es auch nicht. Seitdem England neuerdings den Versuch gemacht hat, wenn auch sehr moderirte Cholera-Quarantainen wieder einzuführen, sind in sämmtlichen Hafenplätzen des Landes schwimmende Lazarethe eingerichtet oder vorgesehen; seit die New-Yorker Quarantaine-Anstalt auf Staten - Island zerstört, wird der grossartige **) Quarantainebetrieb jenes Hafens grösstentheils von Hospital-Schiffen versehen. Für die Ankünfte aber, die auf Schiffen keine Quarantaine abhalten können oder dürfen, sind gleichfalls am Lande leicht Räumlichkeiten beschafft. Seit den letzten grossen Kriegen haben wir gelernt, in kurzer Zeit grosse Spitäler und Baracken für Gefangene in durchaus zweckentsprechender Weise herzustellen, deren Anlagen den Bedürfnissen der Quarantainen in der Hauptsache

*) Leider ist mir auch von grober Bestechlichkeit von QuarantaineAerzten berichtet.

**) Im Jahre 1871 kamen in New-York 5,062 Schiffe an (darunter 741 Dampfschiffe) mit 106,475 Mann Besatzung. Die Zahl der Einwanderer aus dem Auslande betrug 1869: 395,922, 1870: 378,796, 1871: 346,938 Menschen. Ueber die Zahl der zur See eingetroffenen amerikanischen Passagiere finde ich keine Angaben. (15. report of the chamber of commerce, 1. c. p. 154 u. 166.)

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vollkommen entsprechen würden, um so mehr, als die grossen Wanderungen der Seuchen wie der Menschen wesentlich in die wärmeren Jahreszeiten fallen, die ebenso leicht oder schwer zu isoliren sind wie jede andere Anstalt, die allen hygienischen Anforderungen ebenso gut wenn nicht besser genügen können als jene.

Während in den meisten türkischen Quarantaine - Anstalten 1865 vielfache Cholera-Erkrankungen vorkamen, blieben die Anstalten von Candia und Rhodus fast ganz verschont, wo man die Internirten in Zelten und Baracken untergebracht hatte. Gerade diese Anlagen mit vielen isolirten kleinen Räumen gestatten besonders leicht eine durchgreifende Trennung der Gesunden und Kranken, sowie der zeitlich getrennten Ankünfte, während sonst nur zu oft die Leute, die fast das Ende ihrer Gefangenschaft erreicht, durch die Ankunft neuer Genossen auf's Neue gefährdet, vielleicht sogar zu einer Prolongation ihrer Quarantaine genöthigt wurden. Je öfter dies geschieht, je mehr die Menschen sich häufen, desto leichter entwickelt sich die Epidemie, desto leichter überschreitet dieselbe die Grenzen der Anstalt.

Solche Betrachtungen haben Lecadre zu ähnlichen, aber das Ziel weit überschiessenden Vorschlägen Anlass gegeben. Er will alle gesunden Passagiere nach Desinfection der Effecten freigeben und für eine möglichst rasche Vertheilung derselben sorgen (,,le débarquement des passagers ou marins sera précipeté, leur dissémination sera favorisée par tous les moyens possibles"), weil er die ausschliessliche Gefahr in der Anhäufung des Giftes sieht, von der Verstreuung eine solche Verdünnung desselben hofft, dass es unwirksam wird. So kommt er zu dem paradoxen Satze, dass er durch eine möglichste Verstreuung der Menschen dieselben isolire. Die Kranken will er jeden für sich in einem Zelte ausserhalb der Stadt behandeln, zum mindesten jeden in einem isolirten Zimmer eines Krankenhauses.

Schliesslich ist noch eine nicht immer befolgte Forderung im Interesse der ankommenden Gesunden zu stellen, nämlich die, dass dieselben unter keinen Umständen die Quarantaine auf dem Schiffe, mit dem sie eingetroffen, abhalten dürfen, wenn auf diesem Erkrankungsfälle oder gar eine Epidemie vorgekommen.

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Das Beispiel des Eclair habe ich schon angeführt, ein anderes sehr lehrreiches theilt Mélier mit:

Auf dem Kriegsschiffe „Le Duperre", das Kranke aus der Krim nach Frankreich brachte, brach auf der Fahrt von Eupatoria nach Toulon (10. April bis 2. Mai) Fleck fieber aus und dauerte trotz energischer Reinigung des Schiffes fort, da man in Toulon die 450 Mann starke Besatzung an Bord liess. Schon bis zum 13. Mai waren 23 neue Erkrankungen eingetreten und über einen Monat hinaus folgten immer neue, bis mit der Entfernuug der Mannschaften vom Schiffe bie Seuche erlosch. Als aber das Schiff von einer neuen Besatzung bezogen ward, brach unter dieser die Krankheit wieder aus. Der Admiral Dubourdieu sagte: „C'est le navire qui est malade."

So steht es aber auch mit Choleraschiffen, wie dem „Franklin", dem „Leibnitz", dem „Lord Brougham", mit Pestschiffen und vor Allem mit jedem Gelbfieberschiffe, selbst dann wenn die Krankheit schon längere Zeit erloschen ist. Wie auf der „Anne Marie" im Hafen von St. Nazaire beim Löschen der Waaren die scheinbar längst überstandene Epidemie auf's Neue ausbrach, so ist es in Amerika vielfach beobachtet.

Werden die Quarantainen in der angedeuteten Richtung reformirt, dann zweifle ich nicht an grösseren Erfolgen. Mit diesen wird das Vertrauen zu denselben steigen, der Antrieb zu Umgehungen nachlassen.

Ehe ich mich nun zum speciellen Theil wende, ist noch die oft ventilirte Frage zu erörtern, ob die Quarantainen auch dann noch aufrecht erhalten werden sollen, wenn eine Einschleppung schon stattgefunden hat. Mir scheint eine principielle Entscheidung der Frage unmöglich. Nach Wunderlich's Bericht kam es 1866 in Leipzig erst im Anfang August zur Verbreitung der Cholera in der Stadt, obgleich seit dem 23. Juni fortdauernd Einschleppungen durch preussische Truppenzüge stattgefunden hatten. Erst als ein inficirtes schwarzes Husaren-Regiment eintraf und in einem besonders ungünstig gelegenen Stadttheile einquartirt ward, breitete sich von hier die Epidemie aus. Hätte die letzte Einschleppung ferngehalten werden können, so wäre die Stadt verschont geblieben trotz der wiederholten vorhergehenden Importationen. Hätte New-York, nachdem 1856 und 1870 in Fort Hamilton und auf Governor's Island Gelbfieber ausgebrochen, von allen weiteren Quarantaine - Massregeln abstehen sollen? Gewiss nicht. Auf der anderen Seite wird kein Mensch fordern, dass 1871 Buenos-Ayres oder 1873 Rio de Janeiro ihre GelbfieberQuarantainen hätten aufrecht erhalten sollen. Ich meine, dass

diese Frage in jedem einzelnen Falle nach Massgabe aller örtlichen in Betracht kommenden Verhältnisse gelöst werden müsse.

Ich resümire das in den letzten Abschnitten Besprochene in folgenden Sätzen:

13. Je weniger die Quarantainen den Handel beeinträchtigen, je wirksamer sie sich andererseits erweisen, desto geringer wird der Antrieb zu Umgehungen. 14. Darum sollen die Quarantainen möglichst von Abgaben befreit werden.

15. Die Quarantainen haben nur in Kraft zu treten zur Zeit einer wirklichen Gefahr.

16. Um vom Eintritt der Gefahr rechtzeitig unterrichtet zu sein, sollen die Staaten durch telegraphische Berichte ihrer Consuln und Gesandtschafts-Aerzte sich in fortlaufender Kenntniss von dem Gesundheitszustande fremder Länder erhalten.

17. An den einzelnen Ankunftsorten sollen die Quarantainen auch dann nur eintreten, wenn die Art des Seeverkehrs eine Einschleppung überhaupt möglich macht, andererseits die Art desselben oder gleichzeitige Landcommunicationen nicht den Erfolg von vornherein aussichtslos erscheinen lassen.

18. Die Hauptaufmerksamkeit soll auf die Knotenpunkte des Verkehrs gerichtet werden.

19. Die Quarantaine - Massregeln gegen einzelne Schiffe sollen in keiner Weise präjudicirt werden durch ein reines Gesundheitspatent vom Abfahrtshafen, noch durch die Aussagen des Capitains, sondern ausschliesslich abhängig sein vom Befunde am

Ankunftsorte.

20. Die Quarantaine-Anstalten sollen in möglichster Entfernung von den Häfen und grossen Städten liegen, sie sollen den höchsten Anforderungen der Hygieine entsprechen und eine ausgiebige Trennung der Gesunden und Kranken wie der verschiedenen Ankünfte gestatten.

21. Zu diesen Zwecken empfehlen sich schwimmende und Baracken-Quarantainen.

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