Abbildungen der Seite
PDF
EPUB

Ueber die

Wiederherstellung eines Deutschen Reichsarchivs

und über

Reformen im Archivwesen.

Von F. B. Freihrn, von Hagke, Mitglied des Reichstags.

Mit dem Wiedererstarken des nationalen Lebens

in Deutschland und dem seit der Errichtung des Norddeutschen Bundes sich immer lebendiger gestaltenden Bewusstsein der Zusammengehörigkeit aller Deutschen Volksstämme findet jeder Wunsch, welcher den nationalen Gefühlen Ausdruck giebt, sympathischen Wiederball und jeder Gedanke freudige Aufnahme, welcher die Herbeiführung erhöhter Einheit der Deutschen Nation bezweckt. Im Schoosse des Reichstages des Norddeutschen Bundes hat eine Fülle derartiger Wünsche und schöpferischer Gedanken seine Geburtsstätte, und nicht allein in dieser Versammlung selbst, sondern auch im Bundesrathe und in der gesammten Deutschen Nation fruchtbaren Boden gefunden.

Als Zeichen des nationalen Aufschwungs des Deutschen Volkes, als Beweis seines Selbstgefühls und seiner Selbstachtung darf es betrachtet werden, dass dasselbe mit Genugthuung auf seine Grösse in der Vergangenheit, mit Befriedigung auf seine gegenwärtige Kraft und mit Vertrauen auf seine künftige Macht blickt, dass es aus der ruhmreichen Vergangenheit, die seine Geschichte lehrt, die Hoffnung auf eine grosse Zukunft schöpft. Es kann hiernach nicht überraschen, dass im Reichstage Wünsche zu erkennen gegeben, dass Anträge gestellt worden sind, welche die Erhaltung der Quellen der vaterländischen Geschichte, welche die bessere Verwerthung der heimischen Urkundenschätze und die Conservirung der Deutschen Archive bezweckten.

In der 10. Sitzung des ersten ordentlichen Reichstages vom 28. September 1867 wurde vom Abgeordneten Dr. Bernhardi die fernere Subventionirung des Nationalwerkes monumenta Germaniae historica von Pertz befürwortet, es wurde vom Abgeordneten Forkel auf die Nothwendigkeit der Anlegung eines statistischen Bureaus für den Umfang der Staaten des Norddeutschen Bundes hingewiesen, es wurde ferner von dem Abgeordneten Frhrn. Nordeck zur Rabenau die Unterstützung des germanischen Museums zu Nürnberg" empfohlen, und vom Verfasser dieser Zeilen wurde eine bessere Einrichtung der Archive des Norddeutschen Bundes beantragt. Diese sämmtlichen Wünsche fanden Seitens des Reichstages beifällige Annahme, sowie das bereitwilligste, wohlwollendste Entgegenkommen Seitens des Herrn Bundeskanzlers.

Im Anschluss an den letzteren dieser Anträge ist

der Wunsch auf Behandlung des Deutschen Archivwesens als Bundesangelegenheit und auf die Errichtung eines Deutschen Bundesarchivs laut geworden, und es hat dieser Wunsch zunächst Ausdruck in einer Petition gefunden, welche, unmittelbar nach Annahme des v. Hagkeschen Antrages Seitens des Reichstages, von dem Archivrath a. D. Frhrn. v. Medem an den Reichstag gerichtet wurde.

Insofern der Bundesrath dem vom Reichstage einstimmig angenommen v. Hagke schen Antrage weitere Folge geben sollte, dürfen zunächst die Schwierigkeiten nicht unterschätzt werden, welche in der Ausführung dieses Antrages liegen. So gross, so eminent diese an die Nationalkraft zu stellende Aufgabe erscheint, so erhaben, so würdig ist sie der Deutschen Nation!

Bevor wir andeuten, in welcher Weise die Ausführung dieses Antrages geboten ist und möglich erscheint, wollen wir zunächst den Wunsch der Errichtung eines Reichsarchivs des Norddeutschen Bundes beleuchten, von welchem, falls das Archivwesen des Norddeutschen Bundes, wie wohl unumgänglich, zur Bundesangelegenheit gemacht werden sollte, die öffentlichen Archive der Norddeutschen Staaten als Filial - Archive dependiren müssten.

Als Elemente für die Bildung eines neuen Deutschen Reichsarchivs bieten sich die noch vorhandenen Trümmer des alten Deutschen Reichsarchivs dar.

Ueber die Zeit der Entstehung dieses Deutschen Reichsarchivs lauten die Annahmen der älteren Schriftsteller sehr verschieden. Nach Franz Schal*) und nach Tobias Eckard**) soll schon Kaiser Karl der Grosse seinem Kanzler Eginhard aufgetragen haben, die wichtigsten Schriften zu sammeln und in einem Archive zu vereinigen. Eine Bestätigung dieser Angabe gewähren die ältesten Jahrbücher der Franken vom Jahre 812 durch die Mittheilung, dass der Kaiser, welcher die Verordnungen der Kirchenversammlungen sich vorlegen liess, angeordnet habe, dass Abschriften hiervon nicht allein in den Städten, wo die Kirchenversammlungen gehalten worden, aufzubewahren, sondern auch im Archiv des Kaiserlichen Palastes niederzulegen seien.

) Franz Schal, zuverl. Nachr. von dem zu Mainz aufbewahrten Reichsarchiv. Mainz 1784. **) Sched. de tab. antiq. n. 19. p. 31.

Andere Schriftsteller) nehmen den Zeitpunkt der Errichtung eines Deutschen Reichsarchivs erst nach dem Erlöschen des Karolingischen Stammes in Deutschland an und verlegen denselben unter die Regierung der Kaiser aus dem Sächsischen Hause, unter Heinrich I. und seine Nachfolger, die Ottonen. Joh. Christ. Wagen seil**) giebt an, dass im Deutschen Reichsarchiv nur wenig Staatsschriften übrig seien, welche vor oder bald nach Rudolph I. ausgestellt wurden, und hieraus darf geschlossen werden, dass erst mit der durch Kaiser Karl IV. im Jahre 1356 erfolgten Errichtung der goldenen Bulle, dieses Reichsfundamental - Gesetzes, welches den Grund des wechselseitigen Verhältnisses der Deutschen Staats- und Reichsglieder gegen ihr Oberhaupt und dieses Oberhauptes gegen jene Glieder legte, der Zeitpunkt beginnt, wo man in Deutschland der Aufbewahrung der Staatsschriften und Urkunden grössere Sorge widmete. - Für die weitere Entwickelung des Archivwesens in Deutschland und des Deutschen Reichsarchivs insbesondere gebührt das Verdienst Kaiser Maximilian I., welcher, wie Rhenan***) mittheilt, einen grossen Preis für die Herbeischaffung 500 Jahre alter, deutscher Urkunden aussetzte, der auf eigene Kosten verschiedene Gelehrte Deutschland, Italien und Frankreich durchreisen liess, um alte Staatsschriften und Originalurkunden zu sammeln †), und durch die dem Reichstage zu Worms 1495 vorgelegte Regiments - Ordnung u. s. w. für die Ausstattung und Erhaltung des Reichsarchivs Fürsorge traf.

[ocr errors]

Unter der allgemeinen Benennung Deutsches Reichsarchiv +†) werden die nachstehenden vier Theile desselben begriffen, die sich in folgenden vier Städten befanden:

I. zu Wien das Kaiserliche Reichs-Hof-Archiv, bestehend aus 1. aus der geheimen Reichs - HojRegistratur deutscher und lateinischer Expedition, für Staats-, Lehn-, Gnaden- und andere aussergerichtliche Sachen für Deutschland und Italien; 2. aus der Reichs-Hofraths-Registratur, hauptsächlich für streitige Rechts- und Lehnsachen; 3. aus der Registratur des Reichs-Hof-Taxamtes. Diese Wiener Abtheilung des Reichsarchivs wurde in den Oesterreichisch-Französischen Kriegen der Jahre 1805 und 1809, in so weit solche die Urkunden umfasste, nach der Ungarischen Festung Temeswar geflüchtet, den in Wien zurückgebliebenen Theil aber liess Napoleon im Jahre 1809 nach Paris abführen, von wo derselbe, in Folge der Stipulationen des Art. 31 des Pariser Friedens vom 30. Mai 1814, noch im Jahre 1814, in 1057 Kisten verpackt, nach Wien zurückgelangte;

II. zu Wetzlar (und zu Aschaffenburg, nach welch letzterem Orte in den Jahren 1689-1693 aus Speyer, dem Sitze des Reichskammergerichts, 500

) v. Ludwig, Commentar. II. p. 589.

*) Dissert. de Imper. arch. aur. bull. etc. Num. VII. p. 787. ***) Rerum Germ. lib. II.

†) Pregitzerus. Dissert. de not. Imper. §. 19.

tt) F. Schal, Nachr v. d. Reichsarchiv zu Mainz 1784. v. Bergauer, von d. deutsch. Staat, den Archiven und Registrataren 1792. v. Holzschuer, Deductions-Biblioth. III. 1639. Gercken, Reisen III. 56-62. Moser, von d. rom. Kaiser 531. Klaber, Cit. 243. Winkopp,

Patter, Cit. III. 224.

rhein. Bund etc.

-

Fässer älterer Acten geflüchtet wurden und erst 1807 nach Wetzlar gelangten, während der nicht gerettete Theil des Speyerschen Archivs von den Franzosen nach Strassburg gebracht, indess nach dem Frieden von Ryswik zum grössten Theil wieder ausgeliefert wurde) das Archiv des Kaiserlichen und Reichs-Kammergerichts;

III. zu Regensburg das Reichstag-Directorial-Archiv und das Reichs-Erbmarschallamts-Archiv ef. Winkopp, rhein. Bund XXI 445);

IV. zu Mainz das erzkanzlerische ReichsHaupt-Archiv. Dieses Archiv befand sich bis zur Mitte des 15. Jahrhunderts mit dem erzbischöflichen und dem churfürstlichen Archiv zu Mainz in der Domkirche, dann bis zum Ende des 16. Jahrhunderts in der vom Churfürsten Diether im Jahre 1480 zu Mainz erbauten Martinsburg, hierauf in dem 1576 vom Churfürsten Daniel in der Nähe dieser Martinsburg aufgeführten Schlosse, wurde 1792, als die Franzosen sich Mainz näherten, nach Holland geflüchtet, kam von da nach erfolgter Wiedereroberung von Mainz im Jahre 1703 dabin zurück, musste im Jahre 1794, bei abermaligem Heranrücken der Franzosen, wiederum und zwar nach Aschaffenburg geflüchtet werden, verblieb daselbst und kam 1818 nach Frankfurt a. M.**) - Später hat bekanntlich Oesterreich sich dieses Archiv angeeignet, hat dasselbe in Verwahrung genommen und schliesslich aus den Räumen des Deutschherrenhauses zu Frankfurt ohne alle Berechtigung nach Wien entführt.

Trümmer***) des einstigen Mainzer Archivs sind, abgesehen von dem nach Wien geschafften Theile desselben, vorhanden:

1. auf der Stadtbibliothek in Mainz; 2. in Darmstadt, und zwar verschiedene Urkunden und Copialbücher einiger Stifter; 3. in München die in den regestis boicis aufgeführten, an Bayern abgegebenen Original-Urkunden bis 1400; 4. in Würzburg das grosse, erzstiftliche Copialbuch auf Pergament in 7 Foliobänden, viele andere Copialbücher, Acten und die Urkunden seit 1401; 5. in Aschaffenburg, wo sich aus der Zeit, in welcher das Archiv daselbst untergebracht war, noch einige Reste desselben befinden. Mehrere hundert Centner Acten aus diesem Archiv hat die Bayrische Regierung verkaufen lassen, um aus dem Erlös den Druck der regesta boica zu bestreiten.

Als weitere Theile des einstigen Deutschen Reichsarchivs sind die Reichs-Kreisarchive zu nennen, welche in verschiedenen Orten aufbewahrt werden; so befindet sich z. B. zu Aschaffenburg das zuvor in Hanau gewesene Archiv des oberrheinischen Kreises, welches laut Protokoll der 27. Sitzung der Bundesversammlung vom Jahre 1828 die Bayrische Regierung von der Kurhessischen Regierung übernahm.

Erwägen wir nun, welche Theile dieser Ueberreste der alten Deutschen Reichsarchive die Elemente für die Wiedererrichtung eines Deutschen Reichsarchivs abgeben dürften, so liegt zunächst wohl der Wunsch

*) Schneidemantel, Repertor. des Deutschen Staats- und Lehnrechts, s. v. Arch. §. 7.

**) Friedeman, Zeitschr. für die Archive Deutschl. II. p. 109. ***) Schmidt, Zeitschr. f. Gesch. Wissensch. Bd. IV. Heft 4. S. 396.

nahe, dass Alles was Deutsch ist oder Deutsch war, auch Deutsch bleiben oder wieder Deutsch werden möge, dass also alle Deutschen Documente, dass alle jene ehrwürdigen Reste einer grossen Vorzeit, dass dieses Gesammteigenthum des Deutschen Volkes demselben als ein gemeinsames Nationalgut erhalten werde, dass es nicht Norddeutschland, nicht Süddeutschland, nicht Oesterreich allein, dass es der gesammten Deutschen Nation, dass es allen Völkern Deutscher Zunge, die hieran ein gleiches Anrecht haben, denen es gleichmässig zur nationalen Zierde, zum nationalen Ruhm und Stolz gereichen würde, verbleiben möge. In sofern aber das Wünschenswerthe nicht immer das Erreichbare ist und damit das Gute nicht des Besseren halber unterbleibe, werden wir uns darauf beschränken müssen, diejenigen Ueberreste des zertrümmerten Baues wieder aufzurichten, die als zunächst greifbare Bausteine uns vorliegen, dasjenige Material für unseren Nationalbau zu reclamiren, welches unbestrittenes Eigenthum unserer Baugesellschaft ist, welches Norddeutschland gehört und gebührt.

An diese Willens selbstbeschränkung, die wir uns auferlegen, an diese Selbstverläugnung in der Erfüllung eines nationalen Wunsches knüpft sich indess sogleich die Hoffnung, dass unsere Brüder in Süddeutschland, die, wie wir, vom Deutschen Einheitsgeiste erfüllt, die, wie wir, von ächt Deutschen Gesinnungen und Empfindungen getragen sind, uns auch in dieser Hinsicht die Hand reichen, dass sie uns die Vollziehung einer hohen nationalen Aufgabe entgegenkommend erleichtern werden.

Nach diesen Gesichtspunkten haben wir bei der Wiederherstellung eines Deutschen Reichsarchivs für jetzt zu verzichten auf das von jeher zu Wien aufbewahrte Reichs-Hofarchiv mit seinen Unterabtheilungen; wir haben ebenso vorläufig abzusehen von dem Regensburger Reichstag-Directorial-Archive und müssen unsere Blicke beschränken zunächst auf das vormals zu Mainz befindlich gewesene, aber nach Wien entführte Reichs-Erzkanzler-Archiv und auf das Reichs-Kammergerichts-Archiv zu Wetzlar. Was zunächst das erstere, das Reichs-Erzkanzler-Archiv betrifft, so kann weder in Deutschland, noch in Oesterreich, noch in der ganzen Welt darüber ein Zweifel bestehen, dass Oesterreich durch dessen heimliche Ueberführung von Frankfurt nach Wien einen Missbrauch seiner Gewalt als Präsidialmacht des Deutschen Bundes, dass es damit einen geistigen Raub an Deutschland begangen hat, den durch Rückgabe des widerrechtlich entführten Archivs zu sühnen Oesterreich um so weniger Bedenken tragen sollte, als es damit Deutschland für manche seiner einstigen undeutschen Bestrebungen versöhnen, als es damit nur einen Act der Gerechtigkeit vollzieheu und damit der Bestimmung des Artikel VI. des Prager Friedens, welcher die Auseinandersetzung des früheren Bundeseigenthums behandelt, entsprechen würde. Dem Vernehmen nach ist die Preussische Regierung mit der Oesterreichischen Regierung über diese Angelegenheit in Verhandlung getreten, und es darf auf einen, den Deutschen Wünschen entsprechenden günstigen Austrag derselben wohl gehofft werden. Was nun weiter das Reichs-Kammergerichts-Archiv zu Wetzlar anlangt, so erscheint, wie die vorstehenden Anführungen ergeben, dieses für's Erste als die

nächste und einzige Unterlage für die Neubildung eines Deutschen Reichsarchivs.

Das reichskammergerichtliche Archiv zu Wetzlar nebst den älteren, einst aus Speyer nach Aschaffenburg geflüchteten und den in Folge der Bestimmungen des Ryswiker Friedens aus Strassburg zurückgelieferten Acten wurde durch die Beschlüsse der Deutschen Bundesversammlung vom 6. August 1818, 25. Januar 1821, 7. Februar und 7. März 1822 und 19. Juni 1825 unter die Aufsicht einer von der Bundesversammlung und von Preussen angeordneten Commission gestellt und durch spätere Bundesbeschlüsse, namentlich durch die vom 23. Juni 1842, 4. September 1845, 7. September 1846 und 4. März 1847 der Auseinandersetzung und partiellen Vertheilung, mit der Bestimmung eines trennbaren und eines untrennbaren Theils desselben preisgegeben. Die Verwaltung der von der Vertheilung ausgenommenen, der Erhaltung gewidmeten und als untrennbarer Theil bezeichneten Archivhälfte übernahm, auf den Wunsch der Bundesversammlung, die Preussische Regierung. Dieser untrennbare Theil und der Preussische Antheil (etwa des Vertheilten) des ehemaligen ReichsKammergerichts-Archivs befinden sich in den sehr stattlich eingerichteten Localitäten der unteren Gewölbe des ursprünglichen Archivgebäudes zu Wetzlar, dessen übrige Räume gegenwärtig das Kreisgericht daselbst inne hat.

Der Archivrath a. D. Freiherr v. Medem hat der vorberegten Petition an den Reichstag des Norddeutschen Bundes eine sehr schätzenswerthe Denkschrift über den gegenwärtigen Zustand des reichskammergerichtlichen Archivs angeschlossen, in welcher derselbe u. A. sagt: „Auf die Gesammtheit des Deutschen Reichs sich beziehend, auf dessen mächtigsten Träger, der die Ideen des Rechts verwirklichte, führt es uns in eine Pflegestätte der Gerechtigkeit, welche durch höchstes kaiserliches Ansehen alle Reichsangehörigen verpflichten, durch die Vereinigung der Besten unter den Rechtskundigen allen Gerichtshöfen voranleuchten sollte. Was in dieser geistigen Werkstatt, in dieser Heimath Deutscher Einheit, geschaffen wurde, bildet den eigentlichen Haupttheil des Archivs, dem selbst die Centralbehörde, die über das Archiv verfügen durfte, mit ehrerbietiger Scheu sich nahte, ihn für untrennbar erklärte und dadurch als ein bleibendes historisches Denkmal hinstellte, sich selbst in dieser Anerkennung ehrend, die sie der Geschichte darbrachte."

Der reiche Inhalt dieses Archivs ist seither der Wissenschaft verborgen geblieben, und fast unglaublich klingt es, dass, wie Freiherr v. Medem mittheilt, üher diese zahlreichen Archivstücke (allein gegen 80,000 Processe*) mit geringer Ausnahme, weder ein umfassendes, vollständiges Repertorium, noch detaillirte Inhaltsübersichten vorhanden sind, dass keine officielle Maassregel die Anfertigung dieser ganz unentbehrlichen Arbeiten verfügte, dass nicht einmal ein Archivbeamter mit dem erforderlichen Hülfspersonal diesem Archive vorsteht, und dass das Preussische Justizministerium, unter

p. 97.

*) Friedemann, Zeitschr. für die Archive Deutschlands I.

dessen Aufsicht dieses Archiv sich befindet, seither mehr darauf bedacht gewesen zu sein scheint, dasselbe sorgsam zu verwahren, als der Wissenschaft zu erschliessen.

Obgleich die Bundesversammlung mit dem Archive abschloss, als die Auseinandersetzung desselben erfolgt war, und obgleich sie die Aufbewahrung und Erhaltung des untrennbaren Theils dem Preussischen Gouvernement überliess, so trat dieselbe doch in Widerspruch mit dem Beschluss, der die auf die ehemaligen Reichslande bezüglichen Acten ausdrücklich der Vertheilung entzog und mit dem untrennbaren Archivtheile verband, indem dieselbe vor wenigen Jahren erst an Belgien und Holland auf den von diesen Staaten kaum geäusserten Wunsch, aus Courtoisie, Tausende von Acten verabfolgen liess, die dem an Preussen bereits überantworteten Archive nun wohl auf immer entfremdet sind.

Möge, was Befangenheit hier gefehlt, was Mangel an Sachkunde und an rechtem Interesse für die Gesammtheit Deutscher Verhältnisse versäumt hat, bald gesühnt werden durch eine richtigere Würdigung und bessere Pflege eines ungeachtet seiner Verkümmerung unschätzbaren Deutschen Gemeingutes, damit auch auf dem geistigen Gebiete sich eine Einheit der Deutschen Nation vollziehe, wie solche auf dem politischen und volkswirthschaftlichen Gebiete angebahnt ist! Wie jeder Gebildete die Auflösung des reichskammergerichtlichen Archivs und die widerrechtliche Wegführung des reichserzkanzlerischen Archivs mit tiefem Schmerze empfand, so werden alle gebildeten, alle Deutscher Gesinnung erfüllten Männer, die Wiedervereinigung dieser zusammengehörigen, weil einander ergänzenden Archive und die Bildung eines Deutschen Reichsarchivs aus denselben gewiss mit hoher Freude begrüssen, sie werden sicher gern mitwirken an einem Werke, welches der Deutschen Nation ebenso zu hohem Ruhm gereichen, als dieselbe mit gerechtem Stolze erfüllen würde.

von

die

Aufgabe des Bundesrathes und des Reichstages des Norddeutschen Bundes wird es sein, Schritte zu thun, welche geeignet sind, die zerstreuten Trümmer der alten Deutschen Reichsarchive zu sammeln und zu einem der ganzen Deutschen Nation gemeinsamen Nationalarchive zusammen zu fassen.

Hinsichtlich der unter Preussen vereinigten ehemaligen Reichsländer und hinsichtlich der übrigen Staaten des Norddeutschen Bundes dürfte die Wiedererrichtung eines Reichsarchivs aus den Ueberresten zunächst des Wetzlarschen Archivs auf keine Schwierigkeiten stossen; was aber den sogenannten untrennbaren Theil dieses Archivs anlangt, dessen Generalien jetzt herrenloses, ehemaliges Bundeseigenthum und dessen Archivalien der aussernorddeutschen Gebiete unzweifelhaft Eigenthum der solche betreffenden vormaligen Deutschen Bundesstaaten sind, so ist zu hoffen, dass die Süddeutschen Staaten und Oesterreich, wenn die Ausstattung des zu errichtenden Reichsarchivs eine würdige und dessen Benutzung eine unbeschränkte ist, diesem nationalen Werke, diesem Asyle der Wissenschaft, Staatshandbuch des Nordd. Bundes etc.

diesem geistigen Tempel Deutscher Einheit, keine Hindernisse bereiten werden!

Indem wir hiermit die Wiedererrichtung eines Deutschen Reichsarchivs dem Bundesrathe und dem Reichstage des Norddeutschen Bundes, so wie den Deutschen Regierungen vertrauens- und hoffnungsvoll anheim geben, wenden wir uns nunmehr zu den öffentlichen Archiven der Norddeutschen Bundesstaaten, deren bessere Einrichtung und leichtere

Zugängigmachung für Wissenschafter der vom Reichstage am 28. September 18.7 angenommene v. Hagke'sche Antrag bezweckt.

Zu der Freude über die Einstimmigkeit, mit welcher dieser Antrag seitens des Reichstags angenommen wurde, gesellt sich die Freude über die wohlwollende Aufnahme, welche dieser Antrag bei dem Herrn Bundeskanzler fand. Derselbe äusserte nach dem stenographischen Sitzungsbericht sich dahin, ,dass das Bundeskanzleramt von diesem Wunsche Act nehme und in demselben eine dankenswerthe Anregung finde, den Gegenstand im Schoosse des Bundesraths zur Sprache zu bringen“, und bemerkte ferner: „dass er die Klage des Vorredners (des Abg. v. Hagke) über den gegenwärtigen Zustand der Archive, was Preussen betreffe, aus eigener Erfahrung nur bestätigen könne, da sich die Archive, ungeachtet der an denselben thätigen, ausgezeichneten Arbeitskräfte, wegen der Dürftigkeit der für dieselben zur Disposition stehenden Mittel, nicht überall in dem gewünschten Zustande befänden, und dass er, als Chef der Preussischen Archive, es nur dankend anerkennen werde, wenn der Reichstag diesem Gebiete seine Fürsorge zu widmen sich in der Lage befinden sollte."

Falls der Reichstag und der Bundesrath sich in diese Lage versetzen und hierin die fernere bereitwillige Unterstützung des Herrn Bundeskanzlers finden, so wird, wenn etwas Grosses und Ganzes geschehen, wenn der vom Reichstag adoptirte v. Hagkesche Antrag im vollen Umfange und in einer der Deutschen Nation würdigen Weise ausgeführt werden soll, vor Allem dazu zu schreiten sein, das Archivwesen zur Bundesangelegenheit zu machen und sodann auf den Haushalts-Etat des Norddeutschen Bundes alljährlich eine Summe zu bringen, welche genügt, um das gesteckte, grosse Ziel in nicht allzu ferner Frist zu erreichen.

In den wissenschaftlichen Kreisen Deutschlands. ist der durch Annahme des v. Hagke'schen Antrages vom Reichstag gefasste Beschluss, wie aus den, dem Verfasser dieser Zeilen von vielen Seiten zugegangenen Zuschriften und den bezüglichen Aeusserungen der Presse hervorgeht, auf das Beifälligste aufgenommen worden; so schreibt z. B. der Geheime Archivrath Dr. Märker in Berlin darüber Folgendes:

„Die Lösung eines Problems, an welchem schon so mancher denkende Patriot scheiterte, konnte wohl in keinem glücklicheren Momente angeregt werden, als in diesen Tagen des nationalen Aufschwungs, und an keiner geeigneteren Stelle, als Angesichts einer Centralbehörde, welche nicht bloss den ernsten Willen, sondern auch die Macht besitzt, ebensowohl die geistigen als die materiellen Interessen der Nation zu fördern. In welchem Maasse

30

die Idee einer Sammlung und Veröffentlichung des Inhalts sämmtlicher älterer Urkunden Deutschlands eine naturwüchsige sei, dies leuchtet schon daraus hervor, dass im Laufe der letzten Jahrzehnte in allen Deutschen Gauen der historische Boden der grossen Deutschen Vergangenheit, sei es durch die Bestrebungen Einzelner oder ganzer Vereine, nach allen Richtungen gelockert und vorbereitet ist und es sich al o nur darum handelt, die vorhandenen Kräte und Mittel zu verstärken und zu concentriren, um das anscheinend gigantische Werk mit Leichtigkeit in Gang zu setzen."

Wir heben von vielen ähnlich lautenden Urtheilen Sachverständiger gerade dieses hervor, weil es das eines bedeutenden Fachmannes ist und weil wir an die vorstehenden Schlussworte die Mittheilung anzuknüpfen wünschen, dass, während selbige das vorhabende Werk ein gigantisches, aber doch mit Leichtigkeit in Gang zu setzendes nennen, uns andererseits Urtheile unterbreitet sind, welche dasselbe geradezu für ein unausführbares Unternehmen erklären. Indem wir competenten Urtheilen es unterstellen, ob dies Werk ein riesenhaftes oder zwerghaltes, ob es leicht oder schwer ausführbar oder ob es unausführbar sei, sind unsererseits wir nicht darüber in Zweifel, dass die gestellte Aufgabe zwar eine ganz aussergewöhnliche, aber sehr wohl lösbare sei, in sofern die dazu erforderlichen Geldmittel bewilligt und am rechten Platze verwendet werden, und in sofern die zu der Arbeit berufenen, sachkundigen Personen, an denen in Deutschland kein Mangel ist, sich der ihnen zugetheilten Aufgabe mit voller Liebe und Hingebung widmen.

Wir können hierbei nicht verhehlen, dass wir die Schwierigkeiten der Ausführung des Unternehmens, so wenig wir dieselben unterschätzen, doch für geringer erachten, als die Hindernisse, welche dem Beginn desselben von mancher Seite entgegen zu stellen versucht werden dürften.

Derartige Hindernisse können, abgesehen von der vielleicht nicht überall vorhandenen Bereitwilligkeit zur Gewährung der Geldmittel, eintreten, einerseits durch Souveränetätssusceptibilitäten einzelner Fürsten, durch deren Abneigung, dem Bunde und dem Reichstage weitere Befugnisse einzuräumen, als die Verfassung des Norddeutschen Bundes bereits gewährt, also in dem Widerstreben, das Archivwesen der Staaten des Norddeutschen Bundes zur Bundesangelegenheit zu machen, und andererseits durch die sichtbare und unsichtbare Opposition, welche manche Archivbeamte der Sache aus dem Grunde bereiten werden, weil sie sich dadurch aus einer beschaulichen Ruhe aufgerüttelt oder in ihren eigenen Studien gestört und in ihren literarischen Unternehmungen behindert glauben dürften.

Was die Deutschen Fürsten anlangt, so darf bei der Hochherzigkeit, mit welcher die meisten derselben ihre Souveränetätsinteressen den Einheitsbestrebungen der Deutschen Nation untergeordnet haben, wohl angenommen werden, dass etwaige Abneigungen gegen die in Rede stehenden weiteren Zugeständnisse an die Bundescentralgewalt und an den Reichstag keine unbesiegbaren sein dürften; es muss aber ausdrücklich hervorgehoben werden, dass bei einer Unterordnung der Archive der ein

zelnen Staaten unter die Aufsicht des Bundes die Ausscheidung der die fürstlichen Familien betreffenden Archivtheile aus den Staatsarchiven und die Zurückstellung derselben als fürstliche Familienarchive ebenso selbstverständlich sein würde, wie bei einem Anschlusse der öffentlichen Archive der einzelnen Staaten an ein Centralarchiv des Bundes es selbstredend sich nicht um eine Auflösung jener Archive, um ein Aufgehen derselben in diesem Centralarchive handeln könnte, da der Fortbestand derselben als besondere Archive und deren Erhaltung in einer gewissen Selbstständigkeit aus den verschiedensten Rücksichten geboten sein würde.

Was ein etwaiges Widerstreben der Archivbeamten gegen eine umfassende Repertorisirung der Archivalien und gegen die Veröffentlichung eines Theils der Urkundenschätze durch den Druck betrifft, so muss denselben entgegengehalten werden, dass diese Repertorisirung eine nicht länger aufzuschiebende und gewiss von ihnen selbst am meisten erkannte Nothwendigkeit ist, der sie sich bereitwillig fügen dürften, wenn ihnen die dazu erforderlichen Arbeitskräfte gewährt werden, und dass die Veröffentlichung der wichtigsten Urkunden durch den Druck keine Concurrenz für ihre eigenen derartigen Veröffentlichungen sein, dass dieselbe ihre eigenen literarischen Arbeiten nicht stören, sondern unterstützen, dass dieselbe die Mittel zur Fortsetzung und Vollendung der hier und da bereits begonnenen Herausgabe provinziell begrenzter Urkundenbücher gewähren würde.

Bei der Uebereinstimmung, die in den sachkundigen Kreisen darüber herrscht, dass eine dem Archivwesen zu widmende grössere Fürsorge ein unabweisbares Bedürfniss sei, erscheint es nicht erforderlich, die Nothwendigkeit der in dieser Hinsicht zu ergreifenden Maassnahmen näher darzulegen, und wir dürfen uns auf den Hinweis beschränken, dass bei dem Erstarken des nationalen Lebens in Deutschland und bei dem regen Eifer, welcher für die Kenntniss der vaterländischen Vorzeit erwacht ist, das Bedürfniss einer, dem jetzigen Stande der Wissenschaft entsprechenden historischen Quellensammlung ebenso fühlbar ist, wie die Anlegung der Regestensammlungen und deren Vervielfältigung durch den Druck höchst dringlich erscheint, um der Nachwelt die unschätzbaren schriftlichen Denkmale der Vorzeit zu erhalten.

So gross auch die Anzahl der in den öffentlichen und in den Privatarchiven befindlichen alten Urkunden und Schriften noch ist, so gehen dieselben doch mehr und mehr verloren; alljährlich verzehrt Brand, Mäuse und Mottenfrass, verschleppt eine unwissenschaftliche Neugier, vernichtet die Unkunde der Besitzer oder verdirbt die Feuchtigkeit der Aufbewahrungsorte einen grossen Theil jener Schätze, und wenn hier nicht baldige Abhülfe geschieht, so ist die Zeit absehbar, in der jene ehrwürdigen Ueberreste sämmtlich vernichtet sein werden.

Bei der Fülle des Stoffes, der unserer Betrachtung sich bietet, und bei den nur engen Grenzen, in denen unsere Abhandlung sich bewegen kann, müssen wir uns auf flüchtige Andeutungen beschränken, in welcher Weise die Ausführung des

« ZurückWeiter »