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wiederum auf einige Zeit aus der preußischen Wehrverfaffung verschwand.

Nunmehr läuft der historische Faden überhaupt nur noch in Entwürfen fort, welche von Männern gemacht wurden, die ihrer Zeit vorausgeeilt waren und auf dem Boden der geschichtlichen Entwickelung diejenigen Einrichtungen für die Wehrkraft des Landes treffen wollten, welche ihm vielleicht die unglückliche Katastrophe von 1806 erspart, dann aber allerdings auch einen großen Theil der Segnungen entzogen hätten, die in jenen harten Zeiten des Unglücks, der Prüfung und der Erhebung gewonnen wurden.

In den Akten *) der Militair-Organisations-Kommission, welche in Folge der Erwerbung von Südpreußen im Jahr 1795 eingeset wurde, findet sich zuvörderst ein Erlaß des Ober-Kriegs-Kollegii vom 29. Juli 1794 an den Kommandanten von Wesel, durch welchen das Anerbieten des Kammerpräsidenten von Stein,,,Schüßen und Jäger vom Lande zum Transport der französischen Gefangenen zu stellen", nicht allein gebilligt, sondern auch noch erklärt wird, „daß überhaupt in dringenden Fällen die Versammlung einer Miliz von dergleichen Leuten und wobei allenfalls ehemalige gediente Offiziere, welche sich dazu qualifiziven, angestellt werden können, einzurichten wäre". Indeß scheint dieser Plan nicht weiter zur Ausführung gekommen zu sein.

Ferner tritt eine Korrespondenz zwischen dem Departement der auswärtigen Angelegenheiten und dem Ober-Kriegs-Kollegium vom 25. August 1794 als wichtig hervor, da sie den Gegenstand einer allgemeinen Volksbewaffnung behandelt, welche der Kaiserliche Hof bei verschiedenen Kreisen des Reiches in Vorschlag gebracht hatte. Die preußische Regierung erklärt sich gegen diesen Vorschlag, „weil ein solches Volksaufgebot gegen den Feind ebenso unzulänglich und unwirksam, als an sich gefährlich wäre“. Dagegen wird die Errichtung von Landmilizen, namentlich in den Rheinprovinzen, sehr zweckmäßig gefunden, denselben aber nur Landsturmzwecke zugewiesen. Auch diese Errichtung ist nicht über das Projekt hinausgekommen, und so endet die Regierung Friedrich Wilhelms II. damit, daß durch Aufhebung der Garnison- und Miliztruppen das Heer nur aus der Feldarmee bestand, der also im Kriegsfall sowohl die Offensive nach Außen, als auch die Defensive der Landesvertheidigung zufiel.

*) Milit. Wochenblatt. Jahrgang 1848 S. 35.

In Betreff des stehenden Heeres bleiben noch einige Verbesserungen im Kantonreglement, sowie die Herabseßung der Dienstzeit auf die Dauer von zwanzig Jahren zu erwähnen. Auch erscheint es eigenthümlich, daß im Eingang des Kantonreglements vom 12. Februar 1792 ausdrücklich die allgemeine Wehrpflicht im Prinzip aufgestellt wird. Dort heißt es: „Die Verbindlichkeit zu Kriegsdiensten ist eine Obliegenheit Unserer getreuen Unterthanen, die mit der Erhaltung des Staates, zu dessen Wohlstand Wir eine zahlreiche Armee gebrauchen, und mit der Sicherstellung ihrer eigenen Habe und Güter in der allergenauesten Verbindung steht." Ferner:,,Da der Verbindlichkeit, den Staat zu vertheidigen, Niemand, der dessen Schuß genießt, sich entziehen kann." Hier möge auch eines Gutachtens des Herzogs von Braunschweig erwähnt werden, in welchem gesagt wird: „daß eine Population von 6-7 Millionen gegen Populationen von 20 Millionen und darüber sich nur durch ausgezeichnete Staatseinrichtungen, durch Muth und Vaterlandsliebe aller Stände und durch Sicherheit und innere Stärke des Heeres erhalten könne."

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Troß dieser richtigen Grundsäße aber blieb es bei dem Kantonsystem, welches soviel Befreiungen enthielt, daß der Kriegsdienst hauptsächlich denjenigen Klassen der Bevölkerung zugewiesen war, welche am wenigsten im Staat zu vertheidigen und daher auch das geringste Interesse für ihn hatten. - Troßdem blieb der Schuß des Staates einer Armee anvertraut, welche nur zu einem Theil aus Inländern, zum andern aber aus geworbenen Ausländern bestand und in ihren Kräften ihrer Aufgabe nicht gewachsen war, weil ihr wichtige Elemente des Wehrsystems ganz fehlten. Troßdem wurden die Vorschläge einsichtsvoller Männer, die schon damals ähnliche Einrichtungen treffen wollten, wie die waren, welche 10 Jahre später bei 5 Millionen Einwohnern und erschöpften Hülfsquellen die Aufstellung eines Heeres von 260,000 Mann möglich machten, — entschieden zurückgewiesen, so daß es nur dem persönlichen Einfluß und dem entschiedenen Willen König Friedrich Wilhelms III. zuzuschreiben ist, daß überhaupt Schritte zur Wiederanknüpfung des historischen Fadens gethan und die früheren Einrichtungen einer Landesbewaffnung in ähnlicher Weise erneuert werden sollten.

Im Jahre 1803 wurde der Militair-Organisations-Kommission, deren Präsident der Feldmarschall von Möllendorf war, durch den König ein von dem General von Rüchel ausgearbeiteter Plan vorgelegt,

nach welchem 50,000 Mann Landmilizen zur Zeit des Krieges für die Küsten- und Festungsvertheidigung errichtet werden sollten. Sie sollten aus den entlassenen inländischen Soldaten, die nach ihrer Entlassung noch zehn Jahre in der Landmiliz zu dienen hatten, aus den Bürgerföhnen der kantonfreien Städte oder Distrikte und aus sogenannten bedingt Eximirten d. h. denjenigen, die ursprünglich kantonpflichtig wegen ihrer Studien oder sonstigen Laufbahn vom Militairdienst befreit waren, bestehen. Zu Offizieren und Unteroffizieren waren Halbinvalide der Armee in Aussicht genommen.

Ueber diesen Plan fällte die Kommission ein günstiges Gutachten. Während sie noch mit speziellerer Ausarbeitung beschäftigt war, wurde ihr durch den König ein neuer Vorschlag zugeschickt, der von dem General von Courbière herrührte. Nach demselben sollte durch vermehrte Einziehung von Rekruten und dafür erfolgende Beurlaubung einer gleichen Zahl ausgebildeter Soldaten ein Vorrath ausererzirter Mannschaft zur Kriegsaugmentation und Vermehrung des Heeres erzielt werden, so daß im Fall einer Mobilisirung jedes Regiment, statt seiner zwei Bataillone à fünf und des dritten à vier Kompagnieen, vier Bataillone à vier Kompagnieen formiren konnte, wovon drei für den Feldfrieg und das vierte zur Festungsbesaßung bestimmt war. Dieser schon unbedingt weit beffere Plan, der die spezielle Feldarmee um ein Sechstel ihrer Stärke an Infanterie vermehren wollte, fand zwar den Beifall des Königs und des Feldmarschalls von Möllendorf, gleichwohl wurde das Rüchel'sche Projekt beibehalten.

Das ungünstigste Urtheil aber ward über einen ebenfalls durch den General Rüchel eingereichten Plan des Majors von Knesebeck gefällt, und doch war dies vor allen derjenige, welcher die Reorganisation des Wehrsystems zu einem nationalen Heerwesen am schärfften und besten erfaßt hatte. Der Inhalt des Planes, der bisher im Original nicht aufzufinden gewesen ist, läßt sich in seinen Grundzügen deutlich aus der erfolgten Begutachtung erkennen. Es sollte die Dienstpflicht nach Möglichkeit auf alle Landeseinwohner ausgedehnt, die Dienstzeit aber von 20 auf 15 Jahre herabgesetzt werden. Alle Mannschaften, welche bedingt eximirt, unter drei Zoll groß waren (solche wurden nicht in die Armee eingestellt), überhaupt alle nicht unbedingt Befreiten, die nicht zur Kantonaushebung herangezogen wurden, sollten bei den Regimentern ausererzirt werden und die große Masse der Landreserve bilden. Aus den ausgedienten Soldaten und den Bürgern der Städte sollten besonBraeuner. Die preußische Landwehr.

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dere Truppen-Körper, „Vaterlands-Legionen" genannt, errichtet und im Ganzen 130,000 Mann ausgebildeter Landreserve gewonnen werden, welche ohne Unterschied in ihren Provinzen und außerhalb derselben gebraucht werden konnten. Da die selbstständigen Uebungen dieser Landreserven zu kostspielig erschienen, so sollte alljährlich eine gewisse Zahl von ihnen bei den Regimentern gegen Zurücklaffung von Beurlaubten eingezogen werden. Außerdem wurde, zur Hebung des Soldatenstandes in der allgemeinen Achtung, vorgeschlagen, die erniedrigenden Strafen abzuschaffen und außerdem in den Schulen gymnastische Uebungen, sowie Vorträge über glänzende Thaten aus der Vergangenheit des Heeres einzuführen, um den patriotisch-soldatischen Sinn der Bevölkerung anzuregen.

Diese Ideen stießen aber auf den entschiedensten Widerspruch. Sie wurden als unausführbar und gefährlich bezeichnet, weil es unbegreiflich sei, wie man einer siegreichen Armee, die so lange für ganz Europa ein unerreichtes Muster gewesen ist und bleiben wird, eine totale Veränderung ihrer Verfassung zumuthen kann, welche sie in Ansehung der vielen Beurlaubten zu einer bloßen Landmiliz machen würde!"

Wie wenig man überhaupt ein klares Verständniß von derjenigen Stärke hatte, welche ein Land wie Preußen besaß, wenn es seine Wehrkraft auf die Wehrhaftigkeit des ganzen Volkes basirte, das zeigen auch die beiden Aeußerungen des Generals von Rüchel: „Für unser System schickt sich eine Landmiliz im freien Felde nicht, wegen unserer schnellen Manövers und unserer Feinde", und „die preußische Militairverfassung und Staatswirthschaft ist ein ehrwürdiges Original, rührt man ein Glied an, so erhält die ganze lange Kette einen Schlag.“

Es wurde daher nach dem Plane des Generals von Rüchel die Errichtung von 78 Nationalbataillonen in 26 Brigaden à drei Bataillone angeordnet. Die Kragen an den Uniformsjacken der Mannschaft sollten aus den Provinzialfarben bestehen, die Zusammensetzung der Bataillone an Mannschaften, Unteroffizieren und Offizieren ganz nach dem Plan stattfinden und sofort mit den nöthigen Arbeiten begonnen werden. Diese letteren wurden aber mit so geringem Eifer betrieben, daß sie sich noch in den ersten Stadien befanden, als die Wogen des Unglücks über unser Vaterland hereinbrachen und in dem großen Trümmerhaufen auch diese erneuten Versuche einer Volksbewaffnung begruben. Nur in Schlesien kam es zur Zusammenziehung einiger solcher Bataillone; sie wurden zur Verstärkung der Festungsbesaßungen, namentlich von Kosel

verwandt, leisteten hier aber sehr wenig, da sie aus unzuverlässigen, größtentheils polnischen Mannschaften bestanden.

Ueberblickt man die leßte Epoche noch einmal, so steht man zwar das Gefühl für die Nothwendigkeit einer Verbesserung der Landesvertheidigung hervortreten: im Ganzen waren es aber mehr Landsturmzwecke, für welche die Milizen bestimmt waren, als der wirkliche Vertheidigungskrieg. Die ganze Wehrkraft und Macht des Staates hielt man durch die siegreiche, bisher unerreichte Armee" für vollständig gesichert, - und doch trug diese lettere troß ihrer so hoch gepriesenen Verfassung wenige Jahre später ihren wohlerworbenen Ruhm zu Grabe.

Man war in den Fehler verfallen, der häufig nach großartigen Epochen eintritt: daß man in dem überkommenen System das Universalmittel zu besißen und sich durch pünktliche Aufrechthaltung der siegreich gewesenen Formen die Möglichkeit gleicher Erfolge für alle Zeiten sichern zu können glaubte. Man wähnte, die Fridericianische Armeeverfassung hätte die Triumphe Preußens herbeigeführt, und wagte es daher nicht, an ihr zu rütteln, sondern hielt sie für ein Schiboleth. Statt also zu erkennen, daß nur das Prinzip festgehalten, das System aber den neuen Einflüssen entsprechend lebenskräftig weiter entwickelt werden müsse, bestrebte man sich nur, den Gang der todten Maschine zu erhalten und glaubte in diese Formen den Genius des großen Friedrich bannen zu können. Man war blind gegen die Erkenntniß, wie die großen Erfolge der vergangenen Epoche errungen worden waren, meinte in dem Heere, welches den siebenjährigen Krieg glücklich zu Ende geführt, das vollkommenste der Welt zu besißen und übersah, daß das Heer in den letzten Stadien des Krieges ohne den Geist seines gekrönten Feldherrn nichts mehr gewesen wäre; hätte man sich klar zu machen vermocht: daß in den ersten Kriegsjahren der große König, wenn ihm der geeignete Augenblick gekommen schien, seine zaudernden Gegner zur Schlacht zwang und wesentlich durch die Tüchtigkeit seines Heeres befiegte, daß diese aber nach und nach verloren gegangen war, seitdem die Blüthe der Armee und namentlich des Offizierkorps die Felder von Prag, Kollin, Leuthen und Hochkirch mit ihrem Herzblut getränkt hatte, so daß der Königliche Feldherr in den letzten Jahren die Schlachten mied und nur als äußerstes Mittel betrachtete, wenn es nicht gelang, durch geniale Manöver und Kombinationen, gut gewählte Stellungen, so wie befestigte Lager die Gegner zu vertreiben; - hätte man sich dies tlar zu machen gewußt, so hätte man auch eingesehen, daß die Frideri

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