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Vorgeschichte.

Erstes Kapitel.

Der militairische Charakter des preußischen Staates in seiner historischen Entwickelung.

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Toujours en vedette", so lautet die treffende Charakteristik Friedrichs des Großen über die von ihm geschaffene Monarchie, weil dieselbe ein Militairstaat in der vollendetsten Form war und alle Triebräder ihres sorgfältig gegliederten Organismus für den Zweck der militairischen Kraftentwickelung mitwirkten. Man darf hierbei jedoch keineswegs in den heutzutage häufigen Irrthum verfallen, daß ein derartiger Militairstaat mit einem bloßen Soldatenstaat identisch sei. Diese unrichtige Auffassung, — in Folge deren man zu einer gänzlich falschen Beurtheilung des wahren Militairstaates verleitet wird und diese Bezeichnung daher auch für Staatenbildungen gebraucht, welche es ihrem Charakter nach nicht sind, entsteht hauptsächlich dadurch, daß beide in ihrem Ursprung eine gewisse Gleichartigkeit befizen. Der Militairstaat, sowie der reine Soldatenstaat finden ihre Entstehung gewöhnlich durch Eroberung mit dem Schwert, und das Recht des Stärkeren ist bei ihnen häufig die Urkunde für die Legalisirung des erworbenen Befisstandes. Allein dies ist auch das einzige beiden gleichartige Element, denn schon in den ersten Anfängen der ferneren Entwickelung zeigt sich die charakteristische Verschiedenheit.

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In einem bloßen Soldatenstaat erscheint als das Endziel alles Strebens nur das Wohlbefinden und die absolute Bevorzugung einer Soldatenkaste; ihr Wille ist für den Staatsorganismus entscheidend, und ihre Stellung die allein einflußreiche, weil Alles im Staat lediglich von ihr abhängt. Derartige Staatenbildungen entstanden, wenn sich erobernde Braeuner. Die preußische Landwehr.

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Heere in den erworbenen Ländergebieten niederließen und aus einer Zahl von Kriegern zu einer eben solchen kleiner Herren wurden. Indem fie alsdann jedes andere Element unterdrückten und als alleinige Richtschnur ihre spezifisch persönlichen, auf Bereicherung und Willkürherrschaft gerichteten Interessen gelten ließen, bildeten sie einen herrschenden Stand, welcher, auf die absolute Gewalt des Schwertes gestützt, alle übrigen seinen Zwecken dienstbar machte. Natürlich entbehrte eine derartige, we sentlich nur auf den Augenblick berechnete Schöpfung jedes sicheren Fundamentes für ein längeres Bestehen, denn ihr fehlte der höhere, einheit liche Staatszweck, welcher alle Bestandtheile eines Staates zu einem festen Ganzen verbindet und dann auch über die Gesammtkraft gebietet. Schon der Umstand, daß die Unterdrücker prinzipiell die Wehrhaftigkeit aller anderen Bewohner verhindern mußten, führte dazu, daß die Wehrkraft des Staates eben nur durch den einen herrschenden Stand ver treten war; sowie dieser aber entweder durch Wohlleben seine kriegerische Tüchtigkeit verloren hatte, oder einem stärkeren Gegner nicht gewachsen war, mußte das ganze Gebäude zerfallen, weil das Volk fehlte, es zu stüßen. Derartige Erscheinungen finden wir namentlich in den wech selnden Staatenbildungen, welche durch die Völkerwanderung hervorge bracht wurden; denn es macht keinen Unterschied, ob die erobernden Heere zugleich aus ganzen Volksstämmen bestanden, weil das Charakteristische darin liegt, daß dieselben sich nicht mit den unterworfenen Bes wohnern vereinigten und ihre kriegerische Tüchtigkeit auf dieselben verpflanzten, so daß kein einheitliches wehrhaftes Volk entstand. Das Produkt einer solchen Staatenbildung ist noch jetzt die Türkei, welche ihre Existenz augenblicklich, nachdem die kriegerische Tüchtigkeit des herrschenden Stammes im Laufe der Zeit zu Grunde gegangen, nur dadurch kümmerlich fristet, daß die Interessen der anderen Staaten ihre einseitige Eroberung verbieten.

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Allerdings kann sich ein Soldatenstaat, wie wir ihn geschildert, auch erst nach und nach entwickeln, und ist die militairische Staatengründung nicht die unbedingt erforderliche Prämisse für seine Existenz. Wenn ein ursprünglich in seiner Gesammtheit wehrhaftes Volk nach und nach verweichlicht oder durch seine anderweitigen, Lohn und Gewinn bringenden Beschäftigungen zum Aufgeben des persönlichen Waffendienstes verleitet wird und denselben daher nur von Einzelnen, die von der Gesammtheit erhalten werden, ausüben läßt, so tritt leicht im Laufe der Zeit an die Stelle eines ursprünglichen Militairstaates der bloße

Soldatenstaat, weil die den Kriegsdienst Ausübenden sich gewöhnlich schließlich der Herrschaft bemächtigen und aus einem ursprünglich den allgemeinen Interessen dienenden ein herrschender Stand werden. Dies führt, wie es im alten Rom geschah, zum Prätorianerthum und Cäsarismus, und von der Kraft und Tüchtigkeit des letteren hängt es dann einzig ab, ob dem ganzen Staat die Lebensfähigkeit dadurch erhalten bleibt, daß dem dominirenden Soldatenstand die Kriegstüchtigkeit bewahrt und der Staatszweck gegen das Untergehen in Einzelinteressen geschützt wird. Weil derartige Staaten aber aus diesem Grunde eine schließlich traditionell werdende Eroberungspolitik treiben und zu diesem Behuf wieder eine außergewöhnlich bedeutende Militairmacht entwickeln müssen, so nennt man sie gemeinhin Militairstaaten, obwohl sie durchaus nicht den vollkommenen Charakter derselben besigen. Ein solcher war Rußland bis auf die heutige Zeit; ein ebensolcher das napoleonische Frankreich.

Ganz anders verhält es sich mit einem durch die Nothwendigkeit seiner gesammten Entwickelung hervorgebrachten Militairstaat in der Bedeutung, welche wir unserem Vaterlande vindiziren. Hier handelt es sich nicht um die spezifischen Interessen Einzelner, sondern um das Staatswohl im Ganzen, und die Durchführung des Staatszweckes ist das Endziel, auf welches alle Kräfte vereinigt hinstreben. Da dieses aber eine fortwährend gesteigerte militairische Kraftentwickelung erforderlich macht, so konzentriren sich auch alle Kräfte des Staates in dieser Richtung und finden ihren Ausdruck in der Wehrhaftigkeit. Weil das Staatsinteresse und die darauf begründete Wohlfahrt aller Bewohner die höchste Wehrhaftigkeit erfordern, so trägt auch jeder Einzelne hierzu bei, und dadurch entsteht der charakteristische Unterschied des wahren Militairstaates. Da das gesammte Volk einheitlich alle seine Kräfte aufbietet, um die für das Gesammtwohl nothwendige höchste militairische Kraftentwickelung zu ermöglichen, so ist es auch in seiner Gesammtheit wehrhaft und findet die entsprechende Repräsentation seiner Wehrkraft in einem, alle streitbaren Männer in sich schließenden Nationalheer. In den im Eingang geschilderten Soldatenstaaten dagegen war die Wehrkraft nur in dem einen herrschenden Stamm oder Stand konzentrirt; natürlich demgemäß auch geringer, weil selbst bei Aufwendung aller Mittel des Staates für ein isolirtes Heer dasselbe niemals die Stärke eines aus den Prinzipien der allgemeinen Wehrhaftigkeit und Wehrpflicht hervorgegangenen Nationalheeres erreichen kann.

Dieses beansprucht dagegen troß seiner größeren Stärke verhältnißmäßig viel geringere Kosten; dieselben werden erforderlich: einerseits, um die zur kriegsmäßigen Ausbildung und Uebung der wehrpflichtigen Mannschaft nothwendigen Einrichtungen treffen zu können, damit der Staat im Fall des Bedarfs auch wirklich ausgebildete Soldaten und nicht blos aufgebotene Milizen vorfindet; andrerseits, um die ganze Heeresverfassung derartig einzurichten, daß sie für die herrschenden Grundfäße der Kriegführung geeignet ist. Während der Staat sich also das Recht vorbehält, eintretenden Falls die gesammte wehrhafte Bevölkerung aufzubieten und in Folge ihrer militairischen Ausbildung vermittelst der vorhandenen Einrichtungen in ein kriegstüchtiges Heer zu verwandeln, hat er für gewöhnlich in den stehenden Kadres nur die in der Ausbildungsperiode begriffene Mannschaft unter den Waffen. Die zahlreichen, für die vollkommene Ausbildung der gesammten wehrpflichtigen Mannschaft berechneten Kadres können aber durch Einziehung von bereits ausgebildeten, kürzlich entlassenen Mannschaften sofort auf die für den Krieg nöthige Stärke gebracht werden und bilden dann die stets schlagfertige Feldarmee, hinter welcher als Reserve die große Masse der schon länger entlassenen älteren Mannschaften steht, indem für sie nur ein allgemeiner Rahmen der Organisation existirt, weil an sie wegen der eintretenden Opfer nur in besonderen Fällen und namentlich zur Landesvertheidigung vom Staat Anspruch gemacht werden kann. Die im Fall des Krieges sofort in Soldaten zu verwandelnden Bewohner gehen aber im Frieden, mit Ausnahme der wenigen Jahre der aktiven Dienstzeit, ihrem Lebensberuf nach und erhöhen durch den Betrieb von Ackerbau, Handel, Gewerbe und Industrie die innere Kraft des Staates. Unter dem sicheren Schuß der militairischen Institutionen, welche die Wehrhaftigkeit des gesammten Volkes und somit die Macht des Staates be gründen, blüht daher die Kultur, entwickelt sich der Wohlstand und entfalten sich Künste und Wissenschaften; denn in dieser Blüthe liegt zugleich eine sichere Stüße der militairischen Kraftentwickelung, so lange der militairische Charakter des Volkes durch entsprechende Einrichtungen bewahrt bleibt. Da zu den für diese letteren erforderlichen Opfern aber alle Kräfte des Staatsorganismus gleichmäßig beitragen und dafür ihre Entschädigung in dem Staatswohl, welches in der Sicherheit, dem Ansehen und der Weiterentwickelung des Staates begründet ist, finden, so wird auch keine von ihnen erschöpft, sondern nur so weit in Anspruch genommen, daß die Wehrkraft für ihre Bestimmung, d. h. für den

Schuß des Staates und die Durchführung des Staatszwecks, geeignet gemacht werden kann.

Auf die Entstehung eines derartigen Militairstaates sind nun besonders drei Faktoren von Einfluß. Die territoriale Lage und die historische Entwickelung des Staates, sowie der Charakter der Bevölkerung. Es kann jedoch keiner von ihnen allein einen solchen in vollkommener Weise hervorbringen, sondern es ist hierzu die Vereinigung und das Zusammenwirken aller drei erforderlich. Der erstgenannte Faktor ist die territoriale Lage. Es wird einleuchten, daß es wesentlich von ihr abhängt, ob der Staat gesicherte Grenzen hat und, ein festgeschlossenes Ganze bildend, hierin den nöthigen Schutz gegen feindliche Angriffe findet. Ist dies nicht der Fall, so kann dieser Schuß nur durch die Wehrhaftigkeit der Bevölkerung geschaffen werden, und dieselbe wird daher fortwährend. mit der Hand am Griff des Schwertes auf der Wacht stehen müssen, um die Eroberungsgelüfte der Nachbarn im Schach zu halten. Kommt hierzu noch der zweite Faktor: daß sich der Staat nicht durch eine geschlossene Nationalität innerhalb natürlicher Grenzen gebildet hat, sondern durch Eroberung eines Landstriches in militairischer Form gegründet und in gleicher Weise weitergewachsen ist, so tritt zu der defensiven Anforderung an die Wehrkraft noch die offensive: die weitere Ausbreitung und den ferneren Aufbau des Staates zu ermöglichen.

Beides ist augenscheinlich in unserem Vaterlande seit den Anfängen feiner Begründung der Fall gewesen; wir sagen Anfängen, weil die beiden Hauptbestandtheile des preußischen Staates in vielen anderen Beziehungen ihre gesonderte Entwickelungsgeschichte gehabt haben. Die Mark Brandenburg sowohl, als das Ordensland Preußen sind militairische Gründungen und trugen ursprünglich vollständig den Charakter von Militairkolonien. Die Krieger, denen die Bewachung der deutschen Grenzmark zugewiesen war, blieben vollkommen militairische Truppen, und ebenso waren alle Institutionen des deutschen Ordens militairischer Natur. Beide standen auf Vorposten gegen das Slaventhum, zugleich mit dem entschiedenen offensiven Bestreben, das deutsche Element immer weiter nach Osten auszubreiten. Die alten Markgrafen und Hochmeister waren aber nicht nur Heerführer, sondern auch Staatsmänner und richteten daher ihr Streben von vornherein darauf, den Militairkolonien einen festeren Halt zu geben, um aus ihnen einheitliche Staaten zu bilden. Deshalb drangen sie mit dem Schwert nach Osten

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