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Eine schaukelnde und still entzückte Stimmung erfüllte ihn. Er war ein wenig niedergeschlagen gewesen, daß man ihn daheim als Hochstapler hatte verhaften wollen, ja, obgleich er es gewissermaßen in der Ordnung gefunden hatte. Aber dann, nachdem er sich eingeschifft, hatte er, wie als Knabe zuweilen mit seinem Vater, dem Verladen der Waren zugesehen, mit denen man, unter Rufen, die ein Gemisch aus Dänisch und Plattdeutsch waren, den tiefen Bauch des Dampfers füllte, hatte gesehen, wie man außer den Ballen und Kisten auch einen Eisbären und einen Königs: tiger in dick vergitterten Käfigen hinabließ, die wohl von Hamburg kamen und für eine dänische Menagerie bestimmt waren; und dies hatte ihn zerstreut. Während dann das Schiff zwischen den flachen Ufern den Fluß entlang glitt, hatte er Polizist Petersens Verhör ganz und gar vergessen;

und alles, was vorher gewesen war, seine süßen, traurigen und reuigen Träume der Nacht, der Spaziergang, den er gemacht, der Anblick des Walnußbaumes, war wieder in seiner Seele stark geworden. Und nun, da das Meer sich öffnete, sah er von fern den Strand, an dem er als Knabe die sommerlichen Träume des Meeres hatte belauschen dürfen, sah die Glut des Leucht: turms und die Lichter des Kurhauses, darin er mit seinen Eltern gewohnt . Die Ostsee! Er lehnte den Kopf gegen den starken Salzwind, der reif und ohne Hindernis daherkam, die Ohren ums

hüllte und einen gelinden Schwindel, eine gedämpfte Betäubung hervorrief, in der die Erinnerung an alles Böse, an Qual und Irrsal, an Wollen und Mühen träge und selig unterging. Und in dem Sausen, Klatschen, Schäumen und Ächzen rings um ihn her glaubte er das Rauschen und Knarren des alten Walnußbaumes, das Kreischen einer Gartenpforte zu hören... Es dunkelte mehr s

und mehr.

,,Die Sderne, Gott, sehen Sie doch bloß die Sderne an," sagte plößlich mit schwerfällig singender Betonung eine Stimme, die aus dem Innern einer Tonne zu kommen schien. Er kannte sie schon. Sie gehörte einem rotblonden und schlicht gekleideten Mann mit geröteten Augenlidern und einem feuchtkalten Aussehen, als habe er soeben gebadet. Beim Abendessen in der Kajüte war er Zonio Krögers Nachbar gewesen und hatte mit zagen und bescheidenen Bewegungen erstaunliche Mengen von Hummer-Omelette zu sich genommen. Nun lehnte er neben ihm an der Brüstung und blickte zum Himmel empor, indem er sein Kinn mit Daumen und Zeigefinger erfaßt hielt. Dhne Zweifel befand er sich in einer jener außerordent lichen und festlich-beschaulichen Stimmungen, in denen die Schranken zwischen den Menschen dahinsinken, in denen das Herz auch Fremden sich öffnet und der Mund Dinge spricht, vor denen er sich sonst schamhaft verschließen würde...

,,Sehen Sie, Herr, doch bloß die Sderne an. Da sdehen sie und glitzern, es ist, weiß Gott, der ganze Himmel voll. Und nun bitt' ich Sie, wenn man hinaufsieht und bedenkt, daß viele davon doch hundertmal größer sein sollen als die Erde, wie wird einem da zu Sinn? Wir Menschen haben den Telegraphen erfunden und das Telephon und so viele Errungenschaften der Neuzeit, ja, das haben wir. Aber wenn wir da hinaufsehen, so müssen wir doch erkennen und versdehen, daß wir im Grunde Gervürm sind, elendes Gervürm und nichts weiter,

hab' ich recht oder unrecht, Herr? Ja, wir find Gewürm!" antwortete er sich selbst und nickte demütig und zerknirscht zum Firmament empor.

...

Au . . . nein, der hat keine Literatur im Leibe! dachte Tonio Kröger. Und alsbald fiel ihm etwas ein, was er kürzlich gelesen hatte, der Aufsatz eines berühmten französischen Schriftstellers über kosmologische und psychologische Weltanschauung; es war ein recht feines Geschwätz gewesen.

Er gab dem jungen Mann etwas wie eine Antwort auf seine tief erlebte Bemerkung, und dann fuhren sie fort, miteinander zu sprechen, in: dem sie, über die Brüstung gelehnt, in den un: ruhig erhellten, bewegten Abend hinausblickten. Es erwies sich, daß der Reisegefährte ein junger Kaufmann aus Hamburg war, der seinen Urlaub zu dieser Vergnügungsfahrt benußte...

,,Soulst," sagte er,,,ein bißchen mit dem steamer

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nach Kopenhagen fahren, denk' ich, und da sdeh ich nun, und es ist ja so weit ganz schön. Aber das mit den Hummer-Omeletten, das war nicht richtig, Herr, das sollen Sie sehn, denn die Nacht wird sdürmisch, das hat der Kapitän selbst ge= sagt, und mit so einem unbekömmlichen Essen im Magen ist das kein Sbaß. . ."

Lonio Kröger lauschte all dieser zutunlichen Lorheit mit einem heimlichen und freundschaft: lichen Gefühl.

„Ja,“ sagte er, „man ißt überhaupt zu schwer hier oben. Das macht faul und wehmütig."

,,Wehmütig?" wiederholte der junge Mann und betrachtete ihn verdußt...,,Sie sind wohl fremd hier, Herr?" fragte er plößlich.

„Ach ja, ich komme weit her!" antwortete Lonio Kröger mit einer vagen und abwehrenden Armbewegung.

„Uber Sie haben recht,“ sagte der junge Mann; ,,Sie haben, weiß Gott, recht in dem, was Sie von wehmütig sagen! Ich bin fast immer wehmütig, aber besonders an solchen Abenden wie heute, wenn die Sderne am Himmel sdehn.“ Und er stüßte wieder sein Kinn mit Daumen und Zeige: finger.

Sicherlich schreibt er Verse, dachte Lonio Kröger, tief ehrlich empfundene Kaufmannsverse . . .

Der Abend rückte vor, und der Wind war nun so heftig geworden, daß er das Sprechen

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