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,,Gern!" sagte der Beamte und zwinkerte noch heftiger ,,Gewiß, das steht jedermann frei. Wollen Sie sich nur umsehen Ist Ihnen ein Katalog gefällig?"

...

,,Danke,“ antwortete Tonio Kröger. „Ich oriens tiere mich leicht." Damit begann er, langsam an den Wänden entlang zu schreiten, indem er sich den Anschein gab, als studiere er die Titel auf den Bücherrücken. Schließlich nahm er einen Band heraus, öffnete ihn und stellte sich damit ans Fenster.

Hier war das Frühstückszimmer gewesen. Man hatte hier morgens gefrühstückt, nicht droben im großen Eßsaal, wo aus der blauen Tapete weiße Götterstatuen hervortraten . . . Das dort hatte als Schlafzimmer gedient. Seines Vaters Mutter war dort gestorben, so alt sie war, unter schweren Kämpfen, denn sie war eine genußfrohe Weltdame und hing am Leben. Und später hatte dort sein Vater selbst den letzten Seufzer getan, der lange, korrekte, ein wenig wehmütige und nach: denkliche Herr mit der Feldblume im Knopfloch ... Lonio, hatte am Fußende seines Sterbebettes gesessen, mit heißen Augen, ehrlich und gänzlich hingegeben an ein stummes und starkes Gefühl, an Liebe und Schmerz. Und auch seine Mutter hatte am Lager gekniet, seine schöne feurige Mutter, ganz aufgelöst in heißen Tränen; worauf sie mit dem südlichen Künstler in blaue Fernen ge

zogen war Aber dort hinten, das kleinere, dritte Zimmer, nun ebenfalls ganz mit Büchern angefüllt, die ein dürftiger Mensch bewachte, war lange Jahre hindurch sein eigenes gewesen. Dorts hin war er nach der Schule heimgekehrt, nach: dem er einen Spaziergang, wie eben jest, gemacht, an jener Wand hatte sein Tisch gestanden, in dessen Schublade er seine ersten innigen und hilfs losen Verse verwahrt hatte... Der Walnußbaum... Eine stechende Wehmut durchzuckte ihn. Er blickte seitwärts durchs Fenster hinaus. Der Garten lag wüst, aber der alte Walnuß baum stand an seinem Plaße, schwerfällig knarrend und rauschend im Winde. Und Lonio Kröger ließ die Augen auf das Buch zurückgleiten, das er in Händen hielt, ein hervorragendes Dichtwerk und ihm wohlbekannt. Er blickte auf diese schwar: zen Zeilen und Satzgruppen nieder, folgte eine Strecke dem kunstvollen Fluß des Vortrags, wie er in gestaltender Leidenschaft sich zu einer Pointe und Wirkung erhob und dann effektvoll abseßte ...

Ja, das ist gut gemacht, sagte er, stellte das Dichtwerk weg und wandte sich. Da sah er, daß der Beamte noch immer aufrecht stand und mit einem Mischausdruck von Diensteifer und nach: denklichem Mißtrauen seine Augen zwinkern ließ.

,,Eine ausgezeichnete Sammlung, wie ich sehe," sagte Lonio Kröger. Ich habe schon einen Übers blick gewonnen. Ich bin Ihnen sehr verbunden.

Adieu." Damit ging er zur Tür hinaus; aber es war ein zweifelhafter Abgang, und er fühlte deutlich, daß der Beamte, voller Unruhe über diesen Besuch, noch minutenlang stehen und zwinkern würde.

Er spürte keine Neigung, noch weiter vorzu= dringen. Er war zu Hause gewesen. Droben, in den großen Zimmern hinter der Säulenhalle, wohnten fremde Leute, er sah es; denn der Treppens kopf war durch eine Glastür verschlossen, die ehes mals nicht dagewesen war, und irgend ein Namensschild war daran. Er ging fort, ging die Treppe hinunter, über die hallende Diele, und verließ sein Elternhaus. In einem Winkel eines Restaurants nahm er in sich gekehrt eine schwere und fette Mahlzeit ein und kehrte dann ins Hotel zurück.

„Ich bin fertig," sagte er zu dem feinen Herrn in Schwarz. „Ich reise heute nachmittag.“ Und er bestellte seine Rechnung, sowie den Wagen, der ihn an den Hafen bringen sollte, zum Dampfschiff nach Kopenhagen. Dann ging er auf sein Zimmer und setzte sich an den Tisch, saß still und aufrecht, indem er die Wange in die Hand stützte und mit blicklosen Augen auf die Tischplatte niedersah. Später beglich er seine Rech nung und machte seine Sachen bereit. Zur fest= gesetzten Zeit ward der Wagen gemeldet, und Lonio Kröger stieg reisefertig hinab.

Drunten, am Fuße der Treppe, erwartete ihn der feine Herr in Schwarz.

,,Um Vergebung !" sagte er und stieß mit den kleinen Fingern seine Manschetten in die Ärmel zurück...,,Verzeihen Sie, mein Herr, daß wir Sie noch eine Minute in Anspruch nehmen müssen. Herr Seehaase - der Besitzer des Hotels

ersucht Sie um eine Unterredung von zwei Worten. Eine Formalität . . . Er befindet sich dort hinten ... Wollen Sie die Güte haben, sich mit mir zu bemühen Es ist nur Herr Seehaase, der Besitzer des Hotels."

Und er führte Lonio Kröger unter einladens dem Gestenspiel in den Hintergrund des Vestibüls. Dort stand in der Lat Herr Seehaase. Lonio Kröger kannte ihn von Ansehen aus alter Zeit. Er war klein, fett und krummbeinig. Sein geschorener Backenbart war weiß geworden; aber noch immer trug er eine weit ausgeschnittene Frackjacke und dazu ein grün gesticktes Sammetmüßchen. Übrigens war er nicht allein. Bei ihm, an einem kleinen, an der Wand befestigten Pultbrett, stand, den Helm auf dem Kopf, ein Polizist, welcher seine behandschuhte Rechte auf einem bunt beschriebenen Papier ruhen ließ, das vor ihm auf dem Pulte lag, und Lonio Kröger mit seinem ehrlichen Soldatengesicht so entgegen. sah, als erwartete er, daß dieser bei seinem Anblick in den Boden versinken müsse.

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