23. bis 33. Auflage Illustrationen bon Erich M. Simon Druck der Spamerschen Buchdruckerei in Leipzig Die Wintersonne stand nur als armer Schein, milchig und matt hinter Wolkenschichten über der engen Stadt. Naß und zugig war's in den giebes ligen Gassen, und manchmal fiel eine Art von weichem Hagel, nicht Eis, nicht Schnee. Die Schule war aus. Über den gepflasterten Hof und heraus aus der Gatterpforte strömten die Scharen der Befreiten, teilten sich und ent: eilten nach rechts und links. Große Schüler hielten mit Würde ihr Bücherpäckchen hoch gegen die linke Schulter gedrückt, indem sie mit dem rechten Arm wider den Wind dem Mittagessen entgegen ruderten; kleines Volk setzte sich lustig hail in Trab, daß der Eisbrei umhersprißte und die Siebensachen der Wissenschaft in den Seehundsrånzeln klapperten. Aber hie und da rig alles riß mit frommen Augen die Müßen herunter vor dem Wotanshut und dem Jupiterbart eines ge= messen hinschreitenden Oberlehrers. ,,Kommst du endlich, Hans?" sagte Tonio Kröger, der lange auf dem Fahrdamm gewartet hatte; lächelnd trat er dem Freunde entgegen, der im Gespräch mit anderen Kameraden aus der Pforte kam und schon im Begriffe war, mit ihnen davon zu gehen ... „Wieso?“ fragte er und fah Tonio an. ,,Ja, das ist wahr! Nun gehen wir noch ein bißchen." Lonio verstummte, und seine Augen trübten fich. Hatte Hans es vergessen, fiel es ihm erst jekt wieder ein, daß sie heute mittag ein wenig zusammen spazieren gehen wollten? Und er selbst hatte sich seit der Verabredung beinahe unausgesetzt darauf gefreut! „Ja, adieu, ihr!" sagte Hans Hansen zu den . Kameraden.,,Dann gehe ich noch ein bißchen mit Kröger." Und die beiden wandten sich nach links, indes die anderen nach rechts schlen: derten. Hans und Tonio hatten Zeit, nach der Schule Spazieren zu gehen, weil sie beide Häusern ange, hörten, in denen erst um vier Uhr zu Mittag gegessen wurde. Ihre Väter waren große Kaufs 7 leute, die öffentliche Ämter bekleideten und mächtig Beide hatten die Schulmappen über die Schuls nisi und zart umschattete Augen mit zu schweren Lidern träumerisch und ein wenig zaghaft her: chin Dor .. Mund und Kinn waren ihm ungewöhnlich weich gebildet. Er ging nachlässig und ungleichmäßig, während Hansens schlanke Beine in den schwarzen Strümpfen so elastisch und taktfest einherschritten . . Tonio sprach nicht. Er empfand Schmerz. Jne dem er seine etwas schräg stehenden Brauen zus sammenzog und die Lippen zum Pfeifen gerundet hielt, blickte er seitwärts geneigten Kopfes ins Weite. Diese Haltung und Miene war ihm eigen tümlich. Plöglich schob Hans seinen Arm unter den Tonios und sah ihn dabei von der Seite an, denn er begriff sehr wohl, um was es sich handelte. Und obgleich Tonio auch bei den nächsten Schritten noch schwieg, so ward er doch auf einmal sehr weich gestimmt. „Ich hatte es nämlich nicht vergessen, Tonio,“ sagte Hans und blickte vor sich nieder auf das Trottoir, sondern ich dachte nur, daß heute doch wohl nichts daraus werden könnte, weil es ja so naß und mindig ist. Aber mir macht das gar nichts, und ich finde es famos, daß du troßdem auf mich gewartet hast. Ich glaubte schon, du seist nach Hause gegangen, und ärgerte mich..." Alles in Tonio geriet in eine hüpfende und jubelnde Bewegung bei diesen Worten. |