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Hände auf dem Bauch faltete und die Zunge in den Mundwinkel schob; tat man es dennoch, so hatte Herr Knaak eine Art, es ebenso zu machen, daß man für den Rest seines Lebens einen Efel vor dieser Haltung bewahrte

Dies war der Anstand. Was aber den Lanz betraf, so meisterte Herr Knaak ihn womöglich in noch höherem Grade. In dem ausgeräumten Salon brannten die Gasflammen des Kronleuch ters und die Kerzen auf dem Kamin. Der Boden war mit Lalkum bestreut, und in stummem Halbkreise standen die Eleven umher. Aber jens seits der Portieren, in der anstoßenden Stube, saßen auf Plüschstühlen die Mütter und Lanten und betrachteten durch ihre Lorgnetten Herrn Knaak, wie er, in gebückter Haltung, den Saum seines Gehrockes mit je zwei Fingern erfaßt hielt und mit federnden Beinen die einzelnen Leile der Masurka demonstrierte. Beabsichtigte er aber, sein Publikum gänzlich zu verblüffen, so schnellte er sich plöglich und ohne zwingenden Grund vom Boden empor, indem er seine Beine mit verwirrender Schnelligkeit in der Luft umeinander wirbelte, gleichsam mit denselben trillerte, worauf er mit einem gedämpften, aber alles in seinen Festen erschütternden Plumps zu dieser Erde zurückkehrte...

Was für ein unbegreiflicher Uffe, dachte Tonio Kröger in seinem Sinn. Uber er sah wohl, daß

Inge Holm, die lustige Inge, oft mit einem selbstvergessenen Lächeln Herrn Knaaks Bewegun gen verfolgte, und nicht dies allein war es, weshalb alle diese wundervoll beherrschte Körperlich keit ihm im Grunde etwas wie Bewunderung abs gewann. Wie ruhevoll und unverwirrbar Herrn Knaaks Augen blickten! Sie sahen nicht in die Dinge hinein, bis dorthin, wo sie kompliziert und traurig werden; sie wußten nichts, als daß sie braun und schön seien. Über deshalb war seine Haltung so stolz! Ja, man mußte dumm sein, um so schreiten zu können wie er; und dann wurde man geliebt, denn man war liebenswürdig. Er verstand es so gut, daß Inge, die blonde, süße Inge, auf Herrn Knaak blickte, wie sie es tat. Aber würde denn niemals ein Mädchen so auf ihn selbst blicken?

doch, das kam vor. Da war Magdalena Vermehren, Rechtsanwalt Vermehrens Lochter, mit dem sanften Mund und den großen, dunklen, blanken Augen voll Ernst und Schwärmerei. Sie fiel oft hin beim Lanzen; aber sie kam zu ihm bei der Damenwahl, sie wußte, daß er Verse dichtete, sie hatte ihn zweimal gebeten, sie ihr zu zeigen, und oftmals schaute sie ihn von weitem mit gesenktem Kopfe an. Aber was sollte ihm das? Er, er liebte Inge Holm, die blonde, lustige Inge, die ihn sicher darum verachtete, daß er poetische Sachen schrieb er sah sie

an, sah ihre schmalgeschnittenen, blauen Augen, die voll Glück und Spott waren, und eine nei= dische Sehnsucht, ein herber, drängender Schmerz, von ihr ausgeschlossen und ihr ewig fremd zu sein, saß in seiner Brust und brannte

,,Erstes Paar en avant!" sagte Herr Knaak, und keine Worte schildern, wie wunderbar der Mann den Nafallaut hervorbrachte. Man übte Quadrille, und zu Lonio Krögers tiefem Erschrecken befand er sich mit Inge Holm in ein und demselben Karree. Er mied sie, wie er konnte, und dennoch geriet er beständig in ihre Nähe; er wehrte seinen Augen, sich ihr zu nahen, und dennoch traf sein Blick beständig auf sie.. Nun kam sie an der Hand des rotköpfigen Ferdinand Matthiessen gleitend und laufend herbei, warf den Zopf zurück und stellte sich aufatmend ihm gegenüber, Herr Heinzelmann, der Klavierspieler, griff mit seinen knochigen Händen in die Lasten, Herr Knaak kommandierte, die Quadrille begann.

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Sie bewegte sich vor ihm hin und her, vors wärts und rückwärts, schreitend und drehend, ein Duft, der von ihrem Haar oder dem zarten, weißen Stoff ihres Kleides ausging, berührte ihn manchmal, und seine Augen trübten sich mehr und mehr. Ich liebe dich, liebe, süße Inge, sagte er innerlich, und er legte in diese Worte seinen ganzen Schmerz darüber, daß sie so eifrig und

lustig bei der Sache war und sein nicht achtete. Ein wunderschönes Gedicht von Storm fiel ihm ein: Ich möchte schlafen; aber du mußt tanzen." Der demütigende Widersinn quälte ihn, der darin lag, tanzen zu müssen, während man liebte . . .

,,Erstes Paar en avant!" sagte Herr Knaak, denn es kam eine neue Lour. Compliment! Moulinet des dames! Tour de main!" Und niemand beschreibt, auf welch graziöse Art er das stumme e vom,,de" verschluckte.

3weites Paar en avant!" Tonio Kröger und seine Dame waren daran.,,Compliment!" Und Lonio Kröger verbeugte sich.,,Moulinet des dames!" Und Tonio Kröger, mit gesenktem Kopfe und finsteren Brauen legte seine Hand auf die Hände der vier Damen, auf die Inge Holms, und tanzte,,moulinet“.

Ringsum entstand ein Richern und Lachen. Herr Knaak fiel in eine Ballettpose, welche ein stilisiertes Entsetzen ausdrückte. „ weh!" rief er.,,Halt, halt! Kröger ist unter die Damen geraten! En arrière, Fräulein Kröger, zurück, fi donc! Alle haben es nun verstanden, nur Sie nicht. Husch! Fort! Zurück mit Ihnen!" Und er zog sein gelbseidenes Taschentuch und scheuchte Tonio Kröger damit an seinen Plak zurück.

Alles lachte, die Jungen, die Mädchen und die Damen jenseits der Portieren, denn Herr Knaak

hatte etwas gar zu Drolliges aus dem Zwischenfall gemacht, und man amüsierte sich wie im Theater. Nur Herr Heinzelmann wartete mit trockener Geschäftsmiene auf das Zeichen zum Weiterspielen, denn er war abgehärtet gegen Herrn Knaaks Wirkungen.

Dann ward die Quadrille fortgesetzt. Und dann war Pause. Das Folgmädchen klirrte mit einem Leebrett voll Weingeleegläsern zur Tür herein, und die Köchin folgte mit einer Ladung Plums cake in ihrem Kielwasser. Uber Tonio Kröger stahl sich fort, ging heimlich auf den Korridor hinaus und stellte sich dort, die Hände auf dem Rücken, vor ein Fenster mit herabgelassener Jalousie, ohne zu bedenken, daß man durch diese Jalousie gar nichts sehen konnte, und daß es also lächerlich sei, davorzustehen und zu tun, als blicke man hinaus.

Er blickte aber in sich hinein, wo so viel Gram und Sehnsucht war. Warum, warum war er hier? Warum saß er nicht in seiner Stube am Fenster und las in Storms,,Immensee“ und blickte hie und da in den abendlichen Garten hinaus, wo der alte Walnußbaum schwerfällig knarrte? Das wäre sein Plak gewesen. Mochten die anderen tanzen und frisch und geschickt bei der Sache sein!

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. . Nein, nein, sein Plaß war dennoch hier, wo er sich in Inges Nähe wußte, wenn er auch nur einsam von ferne stand und versuchte, in dem Summen, Klirren und Lachen dort drinnen ihre

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