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Gesell, der ritt, turnte, schwamm wie ein Held und sich der allgemeinen Beliebtheit erfreute. Die Lehrer waren ihm beinahe mit Zärtlichkeit zuges tan, nannten ihn mit Vornamen und förderten ihn auf alle Weise, die Kameraden waren auf seine Gunst bedacht, und auf der Straße hielten ihn Herren und Damen an, faßten ihn an dem Schopfe bastblonden Haares, der unter seiner dänischen Schiffermüße hervorquoll und sagten: ,,Guten Tag, Hans Hansen, mit deinem netten Schopf! Bist du noch Primus? Grüß' Papa und Mama, mein prächtiger Junge..."

So war Hans Hansen, und seit Lonio Kröger ihn kannte, empfand er Sehnsucht, sobald er ihn erblickte, eine neidische Sehnsucht, die oberhalb der Brust saß und brannte. Wer so blaue Augen hätte, dachte er, und so in Ordnung und glüclicher Gemeinschaft mit aller Welt lebte, wie du! Stets bist du auf eine wohlanständige und allgemein respektierte Weise beschäftigt. Wenn du die Schulaufgaben erledigt hast, so nimmst du Reitstunden oder arbeitest mit der Laubsäge, und selbst in den Ferien, an der See, bist du vom Rudern, Segeln und Schwimmen in Anspruch genommen, indes ich niüßiggångerisch und verloren im Sande liege und auf die geheimnisvoll wechselnden Mienens spiele starre, die über des Meeres Antlig huschen. Aber darum sind deine Augen so klar. Zu sein

roie du ..

Er machte nicht den Versuch, zu werden wie Hans Hansen, und vielleicht war es ihm nicht einmal sehr ernst mit diesem Wunsche. Aber er begehrte schmerzlich, so, wie er war, von ihm geliebt zu werden, und er warb um seine Liebe auf seine Art, eine langsame und innige, hins gebungsvolle, leidende und wehmütige Art, aber von einer Wehmut, die tiefer und zehrender brennen kann als alle jähe Leidenschaftlichkeit, die von seinem fremden Äußern hätte erwarten

man

können.

Und er warb nicht ganz vergebens, denn Hans, der übrigens eine gewisse Überlegenheit an ihm achtete, eine Gewandtheit des Mundes, die Lonio befähigte, schwierige Dinge auszusprechen, begriff ganz wohl, daß hier eine ungewöhnlich starke und zarte Empfindung für ihn lebendig sei, erwies sich dankbar und bereitete ihm manches Glück durch sein Entgegenkommen aber auch manche Pein der Eifersucht, der Enttäuschung und der vergeblichen Mühe, eine geistige Gemeinschaft herzustellen. Denn es war das Merkwürdige, daß Lonio, der HansHansen doch um seine Daseinsart beneidete, bestän= dig trachtete, ihn zu seiner eigenen herüberzuziehen, was höchstens auf Augenblicke und auch dann nur scheinbar gelingen konnte...

„Ich habe jetzt etwas Wundervolles gelesen, etwas Prachtvolles..." sagte er. Sie gingen und aßen gemeinsam aus einer Lüte Fruchtbon=

bons, die sie beim Krämer Jiversen in der Mühlen. straße für zehn Pfennige erstanden hatten.,,Du mußt es lesen, Hans, es ist nämlich Don Carlos von Schiller Ich leihe es dir, wenn du willst..."

,,Ach nein," sagte Hans Hansen,,,das laß nur, Lonio, das paßt nicht für mich. Ich bleibe bei meinen Pferdebüchern, weißt du. Famose Abbildungen sind darin, sage ich dir. Wenn du mal bei mir bist, zeige ich sie dir. Es sind Augenblicks: photographien, und man sieht die Gäule im Trab und im Galopp und im Sprunge, in allen Stellungen, die man in Wirklichkeit gar nicht zu sehen bekommt, weil es zu schnell geht . . .“

,,In allen Stellungen?" fragte Lonio höflich. ,,Ja, das ist fein. Was aber Don Carlos betrifft, so geht das über alle Begriffe. Es sind Stellen darin, du sollst sehen, die so schön sind, daß es einem einen Ruck gibt, daß es gleichsam knallt ...“ ,,Knallt es?" fragte Hans Hansen ... „Wieso?“ ,,Da ist zum Beispiel die Stelle, wo der König gemeint hat, weil er von dem Marquis betrogen ist. aber der Marquis hat ihn nur dem Prinzen zuliebe betrogen, verstehst du, für den er sich opfert. Und nun kommt aus dem Kabinett in das Vorzimmer die Nachricht, daß der König geweint hat.,Geweint? Der König geweint? Ulle Hofmånner sind fürchterlich betreten, und es geht einem durch und durch, denn es ist ein schrecklich

starrer und strenger König. Aber man begreift es so gut, daß er geweint hat, und mir tut er eigentlich mehr leid, als der Prinz und der Marquis zusammengenommen. Er ist immer so ganz allein und ohne Liebe, und nun glaubt er einen Menschen gefunden zu haben, und der vers rät ihn..."

Hans Hansen sah von der Seite in Lonios Gesicht, und irgend etwas in diesem Gesicht mußte ihn wohl dem Gegenstande gervinnen, denn er schob plötzlich wieder seinen Arm unter den Tonios und fragte:

,,Auf welche Weise verrät er ihn denn, Lonio?" Lonio geriet in Bewegung.

„Ja, die Sache ist," fing er an, „daß alle Briefe nach Brabant und Flandern. . .

,,Da kommt Erwin Jimmerthal," sagte Hans. Lonio verstummte. Möchte ihn doch, dachte er, die Erde verschlingen, diesen Jimmerthal! Warum muß er kommen und uns stören! Wenn er nur nicht mit uns geht und den ganzen Weg von der Reitstunde spricht... Denn Erwin Jimmerthal hatte ebenfalls Reitstunde. Er war der Sohn des Bankdirektors und wohnte hier draußen vorm Lore. Mit seinen krummen Beinen und Schlihaugen kam er ihnen, schon ohne Schuls mappe, durch die Allee entgegen.

,,Lag, Jimmerthal," sagte Hans. „Ich gehe ein bißchen mit Kröger..."

„Ich muß zur Stadt," sagte Jimmerthal, „und etwas besorgen. Aber ich gehe noch ein Stück mit euch... Das sind wohl Fruchtbonbons, die ihr da habt? Ja, danke, ein paar esse ich. Morgen haben wir wieder Stunde, Hans." Es war die Reitstunde gemeint.

„Famos!" sagte Hans. Ich bekomme jetzt die ledernen Gamaschen, du, weil ich neulich die Eins im Exerzitium hatte..."

,,Du hast wohl keine Reitstunde, Kröger?" fragte Jimmerthal, und seine Augen waren nur ein Paar blanker Rißen...

„Nein...“ antwortete Lónio mit ganz un: gewisser Betonung.

„Du solltest," bemerkte Hans Hansen, „deinen Vater bitten, daß du auch Stunde bekommst, Kröger."

„Ja..." sagte Lonio zugleich hastig und gleichgültig. Einen Augenblick schnürte sich ihm die Kehle zusammen, weil Hans ihn mit Nachnamen angeredet hatte; und Hans schien dies zu fühlen, denn er sagte erläuternd:

"Ich nenne dich Kröger, weil dein Vorname so verrückt ist, du, entschuldige, aber ich mag ihn nicht leiden. Tonio... Das ist doch überhaupt kein Name. Übrigens kannst du ja nichts dafür, bewahre!"

,,Nein, du heißt wohl hauptsächlich so, weil es so ausländisch klingt und etwas Besonderes

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