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VIII.

Noch Einiges

von der Truppen-Ausbildung etc.

Volksheer und Miliz.

v. Roon. Die Armee ist eine große Volksschule, in welcher das Volk für die Waffen geschult wird; und wer die Armee kennt, wird hinzusetzen: nicht allein für die Waffen, sondern auch noch für eine Menge anderer, nüßlicher, menschlicher Zwecke. Die Armee ist eine große Volksschule, durch welche eine große Zahl von Wehrpflichtigen hindurchgehen muß, um die Aufgabe, welche die Armee im Interesse des Vaterlandes zu lösen hat, wirklich erfüllen zu können.

Ich weiß sehr wohl, daß unser Material das kostbarste ist, womit man in den Krieg ziehen kann. Ich weiß und erkenne es mit Dank an, daß unsere Kriegsverfassung uns die Macht giebt, die wirkliche Blüthe der Nation zu verwerthen. Ja, meine Herren, darum können wir allerdings numerisch etwas schwächer sein, als die Anderen; es hat das aber seine Grenze. Ich erkenne mit Dank an, daß bei uns Niemand durch die Gewinnung eines enfant perdu aus dem Volke sich die Möglichkeit verschaffen kann, sich von den heiligsten und wichtigsten Leistungen für das Vaterland loszukaufen; jeder Preuße, der die und die Bedingungen erfüllt, ist wehrpflichtig; jeder Preuße, der das 20. Lebensjahr erreicht hat, ist wehrpflichtig.

Wir sprechen mit Selbstgefühl von unserm Volksheer. Jawohl, meine Herren, unser Heer ist ein Volksheer, denn es ist Fleisch von unserm Fleisch und Bein von unserm Bein; aber soll es deswegen etwa militärisch unerzogen, unfertig für seinen Beruf, in Turnhose und Leinwandblouse einhergehen? Ich glaube, nicht deswegen wird ein Heer ein Volksheer, weil es gewisse populäre Allüren annimmt, sondern nur dann wird es mit Recht ein Volksheer sein und bleiben, wenn es im Stande

ist, die Aufgabe für sein Volk zu lösen, die ihm durch die Natur seines Berufes gestellt ist.

Eine tüchtige Armee muß Preußen haben, wenn es seine Rolle in der Welt spielen soll, wenn den patriotischen Gefühlen, dem Preußischen Selbstbewußtsein ein Genüge geschehen soll; eine tüchtige Armee, die im Stande ist, des Landes Ehre und Wohlfahrt zu schützen.

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Dazu aber dürfen wir weder Rekruten Bataillone, noch Milizen bestimmen, und die Landwehr, welche die Aufgabe hat, im Kriege das stehende Heer zu unterstützen, kann diese ihre Aufgabe nur erfüllen, wenn sie eine recht gründliche militärische Ausbildung erhalten hat. Wir können zwar wohl in vier Wochen Rekruten nothdürftig dressiren. Wir haben es jahrelang gethan, wie ich aus eigener Praxis weiß, aber wo bleiben die Erinnerungen an diese vier Wochen? Wir haben später eine Kriegsreserve mit sechs Monat Dienstzeit gehabt. Ja, meine Herren, wenn die nun bei einer Mobilmachung eingestellt werden, so findet sich, daß die Leute eben Alles vergessen haben, daß sie mit einem Wort keine Soldaten sind. Und wir haben beim Kriegsausbruche Heutzutage nicht Monate, ja nicht wochenlang Zeit, alte Erinnerungen aufzufrischen, um die alten Elemente wieder neu einzuschulen; wir müssen bei dem ersten Rufe sprungfertig gegen den Feind sein, und können nicht warten, bis alte Erinnerungen wieder aufgeweckt sind durch Bataillons- und Kompagnie-Schulen.

Fast noch kostbarer als das Material, aus dem das stehende Heer besteht, ist das Material, aus dem die Landwehr besteht. Die Landwehr vertritt den wehrhaften Theil derjenigen Bevölkerung, die in den großen Erwerbskreisen des Landes die Güter des Landes mehrt, der für Weib und Kind zu sorgen hat, den Theil, dessen Dezimirung durch große Schlachten, an denen man sie unnöthigerweise, bloß einer Theorie zu Liebe, Theil nehmen läßt, ganz gewiß die kostbarsten Verluste in das hellste Licht setzt. Die Landwehr Preußens verlangt also nach meiner Auffassung die allergrößte Berücksichtigung in Bezug auf die militärischen Leistungen, die man von ihr verlangt.

Je vorzüglicher die Ausbildung einer Truppe ist, alle übrigen Umstände gleichgesezt, je geringer sind ihre Verluste. Das ist eine Erfahrung, welche alle Kriege bestätigen. Junge unerfahrene, schlecht exerzirte Soldaten werden, wenn auch alle übrigen Umstände, Güte der Bewaffnung, der Bekleidung und Körperkräfte, als gleich vorausgesetzt werden, stets mehr verlieren, als eine wohlgeschulte Truppe. Steht das nun fest, so folgt zweierlei daraus: die Landwehr muß geschont werden, sie muß nur für die großen historischen Krisen, in denen es sich

um die Existenz handelt, in Scene gesezt werden; sie muß aber auf der anderen Seite militärisch tüchtig bleiben. Uebungen sind daher nothwendig. Sie müssen gleich gut bewaffnet, gleich gut ausgerüstet werden, wie die Linie, das versteht sich von selbst, das folgt mit Nothwendigkeit. Wir dürfen also die Kriegstüchtigkeit der Landwehr eben um ihrer Kostbarkeit willen nicht verringern lassen.

Es ist oft davon die Rede gewesen, daß wir zu viel verlangten von unseren Schülern, daß unsere Ausbildung eine pedantische, nur auf Augenluft und Paradedienst gerichtete sei. Meine Herren, das sieht so aus; es sind aber auch zu anderen Zeiten schon ähnliche Vorwürfe erhoben worden. Ich erinnere Sie daran, was gegen die Armee Friedrich Wilhelms I. Alles deklamirt worden ist - und hätten wir eine Preußische Geschichte, deren Hauptstempel den Namen Friedrichs II. trägt, ohne diesen weisen und großen Friedrich Wilhelm I., der Preußens Heer zuerst geformt und geschult und zu großen Thaten geschickt gemacht hat?! Ich meine, meine Herren, es ist ein gewisser Zwang nothwendig für die Kriegszucht, und wenn der Laie das nicht faßt und für Pedanterie erklärt, was ihm in dem Augenblicke nicht verständlich erscheint, so sollen Sie doch wissen, es liegt in allen diesen Dingen ein tieferer Grund, weswegen man auf eine gewisse stramme und feste Haltung und Exekution aller militärischen Evolutionen, Griffe u. s. w. halten muß. Der Soldat fann nicht mit der philosophischen Selbstbestimmung sein Handwerk ausüben, wie dies vielleicht Jeder von Ihnen für sich selbst in Anspruch nimmt; er muß als Glied der Maschine seine Rolle ausfüllen oder er wird zerquetscht. (v. Roon, Aus den Reden 1863-65; siehe auch v. Moltke über Miliz, S. 25—27.)

Die Landwehr.

v. Roon. Vielfach verwechselt man die historische Landwehr, wie sie im Drange der Noth, in dem begeisterten Aufschwunge eines großen Moments der vaterländischen Geschichte geschaffen worden, mit der gleichfalls als Nothbehelf, als Auskunftsmittel zur Ausgleichung einer zwischen berechtigtem Machtanspruch und faktischem Machtmangel bestehenden Differenz ins Leben gerufenen Friedens-Landwehr. -Man behauptet, weil jene historische Preußische Landwehr, ungeachtet aller Mängel ihrer Organisation, in den blutigen Kämpfen jener großen Zeit getreulich mitgeholfen und nach Kräften mitgestritten, so habe man ihr und der in ihr, wie man meint, vorzugsweise sich darstellenden gemeinsamen Volkskraft die Befreiung des Vaterlandes vornehmlich zu danken und deshalb auch die

aus ihr hervorgegangene Friedens-Landwehr, als die besondere und vorzügliche Repräsentantin der kriegerischen Nationalkraft, vor jeder Beeinträchtigung ihres Wesens und ihrer Bedeutung zu behüten.

Eine vorurtheilsfreie, von Ueberschätzung wie von Unterschätzung der Thaten und Schicksale der historischen Landwehr gleich fern bleibende Würdigung ihrer kriegerischen Befähigung ist außer Stande, diese Behauptung zu bestätigen, denn, abgesehen davon, daß die historische Landwehr die aus derselben hervorgegangene Friedens-Landwehr weder in ihrer Organisation, noch in ihrer Leistungsfähigkeit, noch endlich nach ihrer historischen Bedeutung und den daran sich knüpfenden PietätsBeziehungen identisch sind: so wird auch die kriegerische Volkskraft Preußens keineswegs vorzugsweise oder gar ausschließlich weder durch die historische noch durch die Friedens-Landwehr repräsentirt, sondern vielmehr einst wie jetzt durch das stehende Heer, die Landwehr und alle übrigen wehrfähigen Elemente des Volkes zusammengenommen.

Es ist daher auch nicht die entfernteste Veranlassung zu der Besorgniß vorhanden, daß die Landwehr von dem chrenvollen Beruf der Vaterlands-Vertheidigung ausgeschlossen werden, daß sie nicht ferner einen achtungswerthen Antheil an den etwanigen kriegerischen Thaten der Armee, der sie angehört, nehmen könne und solle.

Der Schwerpunkt unserer Kriegsverfassung lag und liegt aber sonst wie jetzt nicht, wie man gemeint hat, in der Landwehr, sondern in der allgemeinen Wehrpflicht und in der opferfreudigen Bereitwilligkeit, dieser Pflicht jederzeit zu genügen.

Wenn mit der Reorganisation die gerechtere und zweckmäßigere Vertheilung dieser Pflicht angestrebt und darin gefunden worden ist, daß die älteren Klassen der Verpflichteten entweder ganz davon befreit oder wesentlich erleichtert werden sollen, so folgt daraus von selbst, daß die jüngeren Klassen, in größerer Allgemeinheit als bisher, jene Entlastung und Erleichterung der älteren zu übertragen haben, keineswegs aber, daß auch sie erleichtert werden müssen.

Jedes System überlebt sich. Unsere Landwehreinrichtung ist an und für sich vortrefflich und richtig gedacht; sie war den Zeitverhältnissen und unseren schwachen Finanzkräften angemessen. Aber wenn wir uns unsere Preußische Armee im Kriege mit einem unserer überlegenen Nachbarn dachten, so fiel Einem unwillkürlich ein: Ja, dasselbe wird doch unsere Armee schwerlich leisten, wie die erfahrene, geübte, tüchtige und wohlgeschulte, aus alten Soldaten bestehende, überlegene feindliche Armee.

(v. Roon, Reden 1863-1865.)

Die allgemeine Wehrpflicht und die Dienstzeit.

Bronsart v. Schellendorff. Die allgemeine Wehrpflicht wurde zur Wahrheit zunächst nur in Preußen durch das Gesetz vom 8. September 1814. Jeder zum Heeresdienst moralisch würdige und körperlich fähige Unterthan war verpflichtet, denselben persönlich abzuleisten. Die Vortheile, welche hierdurch dem Heere in numerischer, moralischer und intellektueller Hinsicht erwachsen sind, haben erst nach den glänzenden Feldzügen von 1866 und 1870/71 die allgemeine Anerkennung so weit gefunden, daß jezt die allgemeine Dienstpflicht ohne Stellvertretung in. den großen Kontinental - Staaten Europas im Prinzip überall angenommen ist.

Die praktische Durchführung derselben, welche auch in Preußen zeitweise infolge eines zu geringen Friedens - Präsenzstandes erhebliche Beeinträchtigungen erfahren hatte, scheint seit der Reorganisation des Heeres und der auf den Grundlagen derselben zu Stande gekommenen Wehrverfassung des Deutschen Reiches für den Umfang des letzteren in der Hauptsache gesichert.

Es ist heutzutage kein Streit darüber, daß die Wehrkraft eines Staates im Kriegsfall nicht stark genug sein kann. Der Gedanke, daß das Gefühl gewaltiger militärischer Kraft eine Regierung und ein Volk zu einer ungerechten kriegerischen Initiative verleiten könne, hat bezüglich des Deutschen Reiches nur eine theoretische Bedeutung, denn die Friedensliebe ist ein nationaler Zug des Deutschen Volkes.

Mit um so größerer Unbefangenheit können wir daher uns für den Krieg so stark als möglich organisiren. Ein Faktor der Stärke, und zwar ein sehr wesentlicher, ist die Zahl der ausgebildeten Streiter; unter sonst nicht zu ungleichen Bedingungen wirkt sie entscheidend. Man muß daher bestrebt sein, sich das numerische Uebergewicht zu verschaffen.

Aber hiermit ist auch nur noch nichts bezüglich der Qualität der Truppen erreicht. Wird man an guten, brauchbaren Truppen im Kriege nie zuviel haben können, so wächst die Verlegenheit, welche schlechte unbrauchbare Truppen der eigenen Regierung bereiten, sicherlich mehr, als im geraden Verhältniß ihrer Zahl. Wer hieran noch gezweifelt hat, konnte, wenn er wollte, sich durch den großen Amerikanischen Krieg und durch den zweiten Theil des Deutsch-Französischen Krieges belehren lassen. Wie in Amerika ein verhältnißmäßig kleines, aber wohl orga= nisirtes und gut ausgebildetes Heer auf der einen oder der anderen Seite schon im Anfang des Krieges letteren schnell entschieden haben würde, so sind in der zweiten Periode des Kampfes zwischen Deutschland

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