Abbildungen der Seite
PDF
EPUB

der inneren Arbeit nöthigt den Staat, sein Augenmerk und unter Umständen auch seine Kraft nach außen zu wenden. Wenn fundamentale Interessen verschiedener Staaten in Konflikt gerathen, so kann der Ausgleich nur durch friedliche Verständigung oder durch Zwangsmittel erzielt werden. Wenn, wie meist in wichtigen Fragen, ein Staat sich einem Schiedsspruch nicht unterwirft, so können nur Zwangsmittel zum Ziele führen.

Wer den Krieg in seiner vollen Bedeutung würdigen will, darf sich durch die unmittelbaren Eindrücke seiner zerstörenden Wirkungen den Blick nicht trüben lassen für die belebende Kraft desselben. Hiervon kann freilich da wenig die Rede sein, wo die Kriegführung Söldnerschaaren überlassen wird, die das Kriegshandwerk um des materiellen Vortheils willen betreiben. Von ganz anderer Wirkung ist ein Krieg, in welchem ein Volk seine ganze Kraft, Gut und Blut einsetzt für die Sicherung der Lebensbedingungen des Staates, für seine Ehre, seinen Kulturberuf. Mächtig werden da die Geister angeregt und auf das Ideale hingelenkt, schlummernde Kräfte wachgerufen, Muth und Manneskraft, Pflichtgefühl und Selbstverleugnung triumphiren über die Zaghaftigkeit, den Hang zum Wohlleben, die Selbstsucht; das Gefühl der Zusammengehörigkeit, das Staatsbewußtsein wird belebt, das Wahre und Echte in Volk und Staat tritt in sein Recht, die Lüge, die Unfähigkeit, der Schein werden entlarvt. Solch ein Krieg gleicht dem Gewitter, das nach schwülen Sommertagen über das Land dahinbraust, ängstigend und vernichtend, zugleich aber reinigend, befruchtend, die ermatteten Kräfte zu neuem Leben erweckend. Und wie die Gewitter eine Naturnothwendigkeit sind, so bedürfen die Staaten und Völker zur Erhaltung ihrer Lebensfrische bisweilen des Krieges.

Wenn wir somit den Krieg als ein nothwendiges Glied in der Kette der Erscheinungen betrachten, und wenn wir ihm im Besondern die Kraft einer sittlichen Läuterung der Völker beimessen, so sind wir doch keineswegs blind und gefühllos gegen die schweren Leiden, welche er im Gefolge hat. Jeder Krieg zerstört viel Lebensglück, vernichtet die Früchte vielen Fleißes, fordert schwere Opfer; er bleibt ein Uebel, wenn auch ein bisweilen nothwendiges und in seinen Folgen heilsames.

Berechtigt und löblich ist daher das Bestreben, die Welt vor leichtfertigen Kriegen zu bewahren, aber thöricht andrerseits die Verdammung des Krieges an sich, und verderblich die Verbreitung des Glaubens, daß die Herstellung des ewigen Friedens nur von dem guten Willen der Machthaber abhänge.

Ein mannhaftes Volk soll dem Kriege, weil es ihn oft nicht vermeiden kann, offenen und festen Blickes ins Auge sehn und sich stärken für den Kampf.

Angesichts der Leiden, welche der Krieg mit sich führt, weilen die humanen Tendenzen gern bei dem Gedanken, daß eine Zeit kommen möge, wo die Menschheit ihren idealen Zielen ohne blutiges Ringen sich nähert. Voraussetzung wäre, daß die Menschheit eine Höhe der Vollkommenheit erreichte, auf welcher sie die geistigen und sittlichen Hebel des Krieges entbehren könnte. Auf Prüfung der Frage, ob solches Ziel vor dem Ende aller Dinge überhaupt erreichbar ist, können wir füglich verzichten, da wir von demselben jedenfalls sehr, sehr weit entfernt sind. Fast scheint es, als wenn die sich steigernde Thätigkeit des Staaten- und Völkerlebens mit den friedlichen Berührungspunkten zunächst auch die feindlichen vermehrte.

(Oberst Blume, „Strategie“.)

Der Traum vom ewigen Frieden.

Jähns. Der Krieg ist so alt wie die Menschheit; zuerst galt es den Krieg jedes einzelnen gegen den andern um gleiche Lebensnothdurft ringenden Menschen, den Krieg Aller gegen Alle, dann den Krieg von Sippe gegen Sippe, von Stamm gegen Stamm und endlich von Staat gegen Staat; wie vorher unter den Individuen, so wurde nunmehr unter den Staaten die Regel des Lebens, ja die Grundlage ihrer ganzen Entwickelung der Krieg, in dem Maße, daß uns Volksgeschichte und Kriegsgeschichte für große Perioden menschlichen Daseins fast zusammenzufallen scheinen.

Thatsächlich betrachtet denn auch die ganze antike Welt den Krieg als etwas durchaus Selbstverständliches, als das natürliche Verhältniß im Völkerleben und als eine nothwendige Funktion aller und jeder Staatswesen.

Indeß troß dieser allgemeinen Anschauung vom Kriege und tro der Kenntniß von den vorher erwähnten Errungenschaften des Menschengeschlechtes durch den Krieg empfanden diesen doch auch schon antike Kreise als ein Uebel. Die Phantasie vom goldenen Zeitalter malt den Zustand eines ungestörten seligen Friedens als die wünschenswertheste Form des Lebens behaglich aus; und wie allenthalben sind es auch in Hellas Priesterkreise, welche solche Vorstellungen zuerst und nachdrücklich praktisch zu verwerthen suchten.

Solchergestalt erscheint der Gedanke der Amphiktyonie in seiner Reinheit und historischen Idealität. Anders freilich bewährte sich die praktische Wirksamkeit, deren Mißerfolge als höchst bedeutsame Illustrationen gelten können zu jenem auch heut noch so oft gehörten Verlangen, den Krieg zu beseitigen durch Begründung eines obersten Gerichtshofs für alle Völker, der zur Vollstreckung seiner Beschlüsse über die Heere aller Staaten nach Bedarf verfügen könne.

Gewaltiger und nachhaltiger war die geistige Bewegung zu Gunsten des ewigen Friedens, welche im Gefolge der christlichen Propaganda einherging. Die neue Lehre, deren innerstes Wesen ganz und gar abstrahirte vom Staat und den Einzelnen nur als Glied der gesammten Menschheit, nicht als Bürger zu erfassen suchte, diese Lehre mußte naturgemäß den Krieg verbieten. Aber je mehr sie sich verbreitete, je mehr Raum sie einnahm in dem wohlgefügten Staatsbau des römischen Reiches, um so mehr Zugeständnisse mußte sie machen, um so weniger vermochte sie, ihre Negationen der bürgerlichen Verhältnisse und namentlich auch die des Krieges in voller Schärfe aufrecht zu erhalten.

(Der Verfasser wirft dann einen nähern Blick auf alle die vergeblichen Bemühungen für den ewigen Frieden im Mittelalter und in der neueren Zeit bis zu Kants berühmter Schrift zum ewigen Frieden", deren Gegenpol Fichtes Reden über den Begriff des wahrhaften Krieges" bilden. Fichte entflammt die preußische Jugend zu begeistertem Kampfe, entwickelt ihr zugleich in großen, wunderbaren Zügen den tiefen Sinn und die innerste Bedeutung des wahren Krieges, und stellt die große Aufgabe seiner Zeit, den Krieg um höchste Lebensgüter, preisend dar.)

,,Dem Denker ist das Leben nichts als das Mittel, die sittliche Aufgabe zu erfüllen, das Bild Gottes zur Erscheinung zu bringen. Das Leben und seine Erhaltung kann also niemals Zweck sein, vielmehr hat es nur unter der Voraussetzung Werth, daß es frei ist, d. h. daß es sich rein seinen eigenen innersten Gesetzen gemäß entfalten kann. Die Möglichkeit hierzu gewährt aber nur die sittliche Rechts- und Lebensordnung, nämlich der Staat, und zwar der Staat, mit dessen ganzer bisheriger geschichtlicher Entwickelung, mit dessen Volkssubstanz, mit dessen Kulturaufgaben und tiefstem nationalen Bestreben der Einzelne durch sein Hineingeborensein natürlich und untrennbar zusammengehört, so daß die reine Entwickelung, die Freiheit des Einzelnen gestört, ja vernichtet ist durch jeden Eingriff in die Freiheit des Staates. Aber nur frei hat das Leben Werth. Jeder also ohne Ausnahme, ohne Stellvertretung, hat für die Freiheit des Staates zu kämpfen und muß nicht leben wollen, wenn nicht als Sieger!"

Der große Kampf um die Freiheit der Staaten (1813-15) wurde siegreich durchgekämpft; der Friede kehrte zurück und mit ihm der sehnliche Wunsch der Regierungen wie der Völker, ihn dauernd zu erhalten, ihn womöglich zu verewigen. Bei seinem Besuche des Schlachtfeldes von Bellealliance sprach Kaiser Alexander den Wunsch aus, daß von dort eine belle alliance aller Völker ausgehen möchte, und die Verwirklichung dieser Idee versuchte er mit seinen erhabenen Verbündeten in der Stiftung der Heiligen Allianz“.

Am 26. September 1815 formulirten in Paris Alexander von Rußland, König Friedrich Wilhelm III. und Kaiser Franz von Desterreich ihren unerschütterlichen Entschluß, von nun an nur nach den Vorschriften der Gerechtigkeit, der christlichen Liebe und des Friedens zu regieren, einander in christlicher Bruder- und Landsmannschaft verbunden zu bleiben und Beistand zu leisten, sowie sich selbst nur als Bevoll= mächtigte der Vorsehung zu betrachten, um drei Zweige einer und derselben Familie zu beherrschen. Alle vorfallenden Frrungen sollten nach rein moralischen, christlichen Prinzipien auseinandergesetzt werden, um die Ruhe Europas zu befestigen und zu erhalten. Dieser heiligen Allianz traten nach und nach sämmtliche europäische Monarchen bei, mit Ausnahme des Sultans, des Prinz - Regenten von England und des Papstes. Doch fehlte dem Plane das verfassungsmäßige Konseil zur Schlichtung der Streitigkeiten zwischen den Gliedern des Bundes. Die zu Aachen im Jahre 1818 gegebene Akte der heiligen Allianz hatte überhaupt nur Titel und Charakter einer Deklaration der Monarchen, feineswegs aber die Attribute eines Staatsvertrages. Um öffentliche Anerkennung einer sittlichen Gesinnung und. Verpflichtung, nicht um publizistisch bestimmte Leistungsformen handelte es sich.

Zugleich mit der Konstituirung dieser großen und ideal angelegten Institution der Fürsten begann aber auch eine bedeutungsvolle Strömung in den Völkern selbst zu Gunsten des Friedens, ja zur Verwirklichung eines ewigen Friedensreiches. Diese Bewegung ging vorzugsweise von Amerika und England aus und verpflanzte sich dann auf den europäischen Kontinent. Gesellschaften zur Erzielung ewigen Friedens wurden unmittelbar nach dem großen ermattenden Völkerringen gegen Napoleon gestiftet: 1815 in New-York, 1816 in London. Zwei Männer gewannen hervorragenden Einfluß auf die weltbürgerlichen Friedensbestrebungen, welche beide der angelsächsischen Race angehören: Cobden und Elihu Burrit. Jener, ein Engländer, begann zuerst in den dreißiger Jahren die Mittel zu erörtern, welche zur Herbeiführung des allgemeinen Weltfriedens dienen könnten, und trat besonders in den

Vordergrund durch seine im Unterhause gegen den Krimkrieg gerichtete Opposition, in welcher er so weit ging, den Antrag zu stellen, die Flotte Großbritanniens auf ein Minimum zu reduziren. Cobdens Thätigkeit hat indeß immerhin einen staatsmännischen Charakter, und das englische Prinzip der Nichtintervention findet in ihm, wenn nicht den Autor, so doch den hervorragendsten Vertreter. Eine Persönlichkeit ganz anderer Dieser gelehrte Grobschmied",

Art ist der Amerikaner Elihu Burrit. wie er sich gern mit gerechtem Stolze nennen hört, faßte die Idee einer demokratischen Verbrüderung aller Völker und stiftete als ersten Schritt dazu einen Bund des ewigen Friedens, dessen Hauptvertreter er ist und dessen Versammlungen er seit 1848 von England aus regelmäßig zu besuchen pflegte. - Denn außer den dauernd konstituirten Friedensgesellschaften versammelten sich bekanntlich auch periodisch wiederkehrende Friedenskongresse zu öffentlicher Besprechung des Gegenstandes und zur Formulirung von Ueberzeugungen und Wünschen. Als Ziel aller dieser Thätigkeiten pflegt man zu bezeichnen: die Aufstellung und Kodifizirung eines allgemein gültigen Völkerrechts, ja womöglich die Einrichtung einer Weltakademie desselben, ferner allgemeine Entwaffnung, Feststellung von Schiedsgerichten beim Abschluß jedes Staatsvertrages zur Entscheidung der ihm später etwa entspringenden Streitigkeiten und endlich die sitt= liche Brandmarkung aller Anleihen zu Kriegszwecken. Die Friedensliguen wollen also bejahen, was die ganze Weltgeschichte bisher stets verneint hat.

Diese Kongresse und Publikationen haben den Friedensgedanken in weite Kreise getragen und zu einer Tagesfrage gemacht. Praktische Ergebnisse fehlen indessen. Im Leben ist keine Spur ihres Einflusses, im Völkerrecht kein Nußen zu erkennen. Robert v. Mohl erklärt den Frieden zwar als ein selbstverständliches Vernunftideal des Völkerlebens; die Durchführung desselben erscheint ihm indeß praktisch unmöglich, da sie eine unbedingte und allgemeine Herrschaft der Vernunft über alle Menschen voraussetze, so daß niemals eine ungerechte Forderung gemacht, niemals ein Streit durch Gewalt entschieden werde. Es wäre aber thöricht, meint er, jemals, selbst in unabsehbarer Zeit, auf die Sittlichkeit aller Menschen rechnen zu wollen.

In der That: der Mensch, wie er nun einmal aus Geist und Körper, aus Seele und Leib zusammengesezt ist, muß gerade da, wo das Aeußerste und Höchste nicht nur erhalten, sondern oft auch erst errungen werden soll, mit allen Kräften, mit Seele und Leib eintreten für seine Sache; wahr machen wird er immer und immer wieder das unsterbliche Wort Schillers:

« ZurückWeiter »