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Fürst Wilhelm Hyacinth

von

Nassau-Siegen,

Prätendent der oranischen Erbschaft,
seine Regierung und Zeitgenossen

von

E. F. Keller,

Pfarrer und Kirchenrath zu Sulzbach.

Den Fürsten Wilhelm Hyacinth von Nassau-Siegen habe ich um deswillen vor vielen andern zum Gegenstand einer geschichtlichen Untersuchung gewählt, weil derselbe mit seinem Lande und seiner Regierung ein merkwürdiges Zeitbild darbietet und sehr klare Blicke in die besonderen Zustände des deutschen Reiches mit dem Anfang des vorigen Jahrhunderts eröffnet. Zwar ist das ehemalige Fürstenthum Siegen ein von Nassau schon längere Zeit abgetretener Landestheil, aber der Bewohner desselben erkennt noch immer seine Stammesgenossenschaft mit Nassau an und bewegt sich in seinen historischen Rückerinnerungen auf alt Nassauischem Gebiete. Die früheren oder späteren Annectirungen thun solchen geschichtlichen Untersuchungen über Nassau nicht den mindesten Eintrag, denn erst dann, wenn die Specialgeschichte dieses, wie jedes andern kleinen Landes nach den Quellen bearbeitet und klar gestellt worden ist, wird eine gründliche Behandlung der allgemeinen Geschichte möglich und ausführbar werden. Zugleich geben diese historischen Ausführungen Veranlassung zu manchen, nicht uninteressanten Paralellen. Während Frankreich in dieser Zeit von dem Prinzipe der Unität und der Centralisation geleitet, dahin arbeitet, dass der ganze Staatsmechanismus von dem Mittelpuncte aus überwacht und in Bewegung gesetzt wird, auch in England ein starkes Königthum als Grundlage staatlicher und nationaler Einheit immer kräftiger sich entwickelt und befestigt, gibt unser deutsches Reich den traurigen Anblick der

Zerklüftung und Machtlosigkeit; auch die kleinsten Stände sind nur darauf bedacht, ihre Hausmacht zu vergrössern und sich vom Reiche immer unabhängiger zu machen; ja sie gefallen sich nicht selten in einem despotischen Regimente und suchen den Glanz und die Majestät grösserer Höfe anzunehmen. Aber es wird auch an Andeutungen nicht fehlen, welcher von den unmittelbaren Ständen über alle Andere ein Uebergewicht gewinnen und einst als Hauptmacht in Deutschland auftreten werde. Endlich sehen wir den Fürsten Wilhelm Hyacinth als Prätendenten der oranischen Erbschaft mit den ersten europäischen Cabinetten in nähere Berührung kommen und während wir die Geschichte eines kleinen Landes zum Gegenstande unserer Untersuchung wählen, haben wir Gelegenheit einen Theil der Europäischen Staatengeschichte selbst zu überblicken. Alles dieses veranlasst mich, den 1) Fürsten Wilhelm Hyacinth von Nassau-Siegen, den letzten seines Stammes, Prätendenten der oranischen Erbschaft, seine Regierung und Zeitgenossen zum Gegenstand einer besonderen geschichtlichen Untersuchung zu machen.

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Fürst Wilhelm Hyacinth, geboren den 7. April 1666, der katholischen Linie von Nassau-Siegen angehörend, bisher in spanisch-niederländischen Kriegsdiensten stehend, lebte seit dem im Jahre 1691 erfolgten Tode seiner Gemahlin, der Marie Franziska, des Fürsten Hermann Egon von Fürstenberg Tochter im Wittwerstande, war aber im Jahre 1695 mit der Gräfin Anna Josepha von Hohenlohe - Schillingsfürst in eine neue Eheberedung getreten, die er auch einige Jahre später als Gemahlin heimführte. Sein Vater Johann Franz Desideratus, Dekan und Ritter des goldnen Vliesses, der sich als Gouverneur des spanischen Gelderns meist in Ruremonde oder auf seinem Schlosse Renaix bei Oudenarde aufhielt, wünschte, dass sein Sohn nach Siegen übersiedle, um da Hof zu halten, vielleicht um ihn aus seiner Umgebung einiger entstandenen Missverhältnisse wegen zu entfernen, oder auch dem schwer heimgesuchten Siegen einige Vortheile durch seine Hofhaltung zuzuwenden. Diese Stadt hatte nämlich 1695 durch eine furchtbare Feuersbrunst 350 Gebäude, zwei Kirchen, nebst dem Hospitale eingebüsst und den Verlust von eilf Menschenleben und vielem Vieh zu beklagen. Zugleich wurde auch das ehemalige Franziskaner Kloster, seit der Secularisation im 16. Jahrhundert der Nassauer Hof genannt, die zeitweilige Residenz des Nassauer Hauses, in die Asche gelegt, womit auch ein Theil des Archiv's verbrannte. Fürst Adolf erbaute seit 1696 an dieser Stelle das untere Schloss, das von nun an um so mehr die bleibende Residenz des refor

1) Diese biographische Skizze, wurde durch einige Vorträge, gehalten im Museum zu Wiesbaden, die hier eine weitere Ausführung erhalten haben, veranlasst. D. Verf.

mirten Hauses wurde, da wenige Jahre vorher die Wilhelmsburg zu Hilchenbach in Flammen aufgegangen war.

Dem Biographen macht übrigens die Schilderung von Wilhelm Hyacinth's Charakter grosse Schwierigkeiten, denn bei vieler geistiger Kraft und umfassenden Sprachkenntnissen, war er zugleich ein so stolzer, eingebildeter und hochfahrender Mann, dass er sich in seinem kleinen Fürstenthume keinem Herkommen, Gesetz und Ordnung unterwerfen wollte und selbst mit der grössten Heftigkeit gegen den Kaiser auftrat, wenn derselbe nicht in seine Pläne eingehen wollte oder wegen seiner Gewaltthätigkeiten ernste Massregeln gegen ihn ergreifen musste. Er war ein excentrischer Kopf, der aber auch wieder zu anderer Zeit seine milde Seite gezeigt haben soll.

Die Erziehung, welche übrigens in jener Zeit den Söhnen fürstlicher und gräflicher Häuser gegeben wurde, war auch im Allgemeinen eine sehr ungenügende, ja nicht selten eine ganz verkehrte. Es fehlte zwar nicht an ritterlichen Uebungen und andern noblen Fertigkeiten; auch lernten sie frühe, sich in verschiedenen Zungen vernehmen zu lassen, aber sie erfuhren wenig oder nichts von dem, was zu der Regierung eines Landes gehörte oder was zu wissen einem Stande des deutschen Reichs geziemen mochte. Die Gewissensräthe, welche aber in jenen Zeiten an den Höfen besonderen Einfluss hatten, halfen leicht über alle Bedenklichkeiten des sittlichen Bewusstseins hinweg, wenn man sich nur ihren intoleranten Bestrebungen recht gefügig erzeigte. Bei Wilhelm Hyacinth treten aber die Eindrücke, welche er bei seinem langen Aufenthalt in den Niederlanden erhalten hatte, sehr deutlich hervor und man erkennt an ihm vorwiegend den jesuitisch-spanisch-aristokratischen Zögling.

Wilhelm Hyacinth kam im November 1695 im Fürstenthum Siegen an, das ihm nach den Gesetzen der Primogenitur einmal zufallen musste. Es charakterisirt ihn übrigens nicht günstig, dass er in vielen Dingen den Regierungsmassregeln seines Vaters entgegenwirkte und er fand unter dessen Dienstpersonal Männer, welche die zwischen Beiden entstandenen Zerwürfnisse eifrig zu nähren suchten. Die Streitigkeiten zwischen Vater und Sohn wegen Schmälerung des erbprinzlichen Gehalts entbrannten auch so heftig, dass die Sache an den Reichshofrath in Wien kam, von dem auch deshalb 1698 eine Commission an Trier und Pfalz erkannt wurde.

Wiewohl die Nassau-Ottonischen Linien alle Veranlassung hatten, in ihrem Hofhalt recht sparsam zu sein, weil sie noch immer die Nachwehen der Niederländischen Befreiungskriege zu empfinden hatten und Alle, Nassau-Diez ausgenommen, sehr verschuldet waren, so liess sich Wilhelm Hyacinth doch nicht abhalten, in Siegen eine recht splendite Hofhaltung zu führen. Er trug sich nämlich mit der sicheren Hoffnung

herum, dass ihm nach dem Tode seines Vetters, des Königs Wilhelm III. von England, zugleich Statthalter der vereinigten Niederlande, der ohne Kinder war, die ganze oranische Erbschaft zufallen werde.

Als rechtmässiger Erbe dieses berühmten Regenten aber aufzutreten und sich einst in Besitz von dessen Nachlassenschaft zu setzen, diese Aussicht war für ihn so verlockend und schmeichelhaft und füllte alle seine Gedanken in dem Grade aus, dass sie ihn bis zu seinem hohen Lebensalter nicht mehr verliess und allen seinen Bestrebungen ein eigenthümliches, wenn auch nicht immer anziehendes, Gepräge aufdrückte.

König Wilhelm III. war ja, wie Macaulay 1) sagt, dazu besimmt gewesen, den Ruhm und die Macht des Hauses Nassau auf ihren Gipfel zu erheben, die vereinigten Niederlande vor Knechtschaft zu bewahren, die Macht Frankreichs zu bändigen und die englische Verfassung auf dauernden Grundsätzen zu stellen. Er genoss überdiess in ganz Europa das höchste Ansehen als Besitzer eines glänzenden Vermögens, als Chef eines der erlauchtetsten Häuser, als souveräner Fürst des deutschen Reichs, als englischer Prinz von Geblüt und als Abkömmling des Gründers der Batavischen Republik. Es war weniger die Aussicht, einst als Regent über ein grösseres Gebiet und über mehr Unterthanen zu herrschen, was dem Fürsten von Siegen diese Erbschaft so wünschenswerth machte, als sich in den. Besitz der oranischen Güter zu setzen, einen höhern Rang, als er bisher gehabt, einzunehmen und diesem Range gemäss einen glänzenden Hof zu unterhalten und ein recht behagliches, seinen Launen entsprechendes Leben zu führen.

Die dereinstige Hinterlassenschaft, wonach er mit so grossem Verlangen strebte, war aber auch sehr bedeutend. Von verschiedenen Schriftstellern 2) wird sie mit einem kleinen Königreiche verglichen und Wilhelm der Schweigsame selbst nannte in einer zufälligen Unterredung mit dem Herrn von Vielleville 3), wie uns derselbe in seinen Memoiren erzählt, das Fürstenthum Orange den sechsten und gerade nicht den besten Theil seiner Besitzungen. Hierzu waren aber die reichen Erwerbungen unter den Statthaltern Moritz, Friedrich Heinrich, Wilhelm II. und dem Könige Wilhelm III. von England hinzugekommen, dem überdiess noch die reiche Nachlassenschaft seiner Grosstante Emilie, Prinzessin von Portugall, zugefallen war.

Auch schienen den Fürsten Wilhelm Hyacinth mehrere Gründe zu der Hoffnung zu berechtigen, dass auf ihn die oranische Erbschaft einst übergehen werde. Denn schon Prinz Renat von Oranien erklärte nach

1) Macaulay's Geschichte Englands B. 1 S. 234.
nien, herausgegeben von Wuttke 1864. S. 12.
Vielleville B. 4. S. 352.

2) Klose, Wilhelm von Ora

8) Memoires du Marech.

einstiger Erlöschung des oranischen Hauses, die deutsche ottonische Linie für erbberechtigt und der älteste Sohn Wilhelm des Schweigsamen Philipp Wilhelm, der so lange in spanischer Gefangenschaft schmachten musste, hatte seinen Stiefbruder Moritz und eventuell seinen jüngsten Stiefbruder Friedrich Heinrich, Statthalter der vereinigten Niederlande, zu Erben eingesetzt, aber zugleich bestimmt, dass nach Abgang der männlichen Oranischen Linie, die Erbfolge auf die männlichen Nachkommen seines Oheims, Johann des Aelteren zu Dillenburg, nach den Gesetzen der Primogenitur übergehen sollte. Wilhelm Hyacinth zu Siegen, zugleich Senior des ganzen Ottonischen Stammes, sah sich aber bei dem Erlöschen des Nassau-Oranischen Hauses durch den Tod des Königs Wilhelm als Hauptberechtigter der ganzen Verlassenschaft an.

Bei den Missverhältnissen, worin sein Vater Franz Desideratus mit diesem heftig aufbrausenden Sohne stand, .wollte er seine zweite Gemahlin und die mit ihr erzeugten Kinder vor seinem tödtlichen Hingang sicher stellen. Franz Desideratus war nämlich nach dem Tode der Mutter des Wilhelm Hyacinth, einer Markgräfin von Baden-Baden in eine1) morganatische Ehe mit Isabella Clara Eugenia de la Serre, die er unter den Hofdamen seiner verstorbenen Gemahlin auswählte, getreten. Nach einer auf der Bürgermeisterei zu Lüttich niedergelegten Urkunde, sollten zwar die in dieser Ehe erzeugten Kinder nur den Rang von Edelleuten haben, aber es scheint ihm diese Anordnung später leid geworden zu sein, denn er liess 1673 einen auf das Jahr 1669 zurückdatirten neuen Ehevertrag ausfertigen, wodurch diese de la Serre für eine Fürstin von Nassau und ihre Kinder für standesmässig und successionsfähig erklärt wurden, und er suchte auch sechs Jahre später bei dem Kaiser um Bestätigung des zweiten vorgeblichen Ehevertrags nach. Er liess auch seine Gemahlin 1686 in den Reichsgrafenstand erheben und ihren Söhnen in den Niederländischen Besitzungen huldigen.

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Um nun Gemahlin und Kinder gegen die leider allzukundig unordentlichen Conduiten seines Sohnes Wilhelm Hyacinth, wie sich der Vater ausdrückt, sicher zu stellen, hatte er in seinen letzten Lebensjahren mit Annullirung früherer Dispositionen, ein Testament in lateinischer und französischer Sprache zu Siegen und Ruremonde niedergelegt, worin zwar Wilhelm Hyacinth zum Universalerben erklärt und ihm sowohl das Fürstenthum Siegen, als auch die Niederländischen Besitzungen mit allen Rechten, Renten und Gefällen zufielen, aber seine Mutter de la Serre war darin mit ihren Kindern auf eine Weise bedacht, wodurch sie, seiner Meinung nach, sehr bevorzugt erschien. Und doch waren Ge

1) Archiv zu Idstein.

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