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Frage der allgemeinen Wehrpflicht sprechen müssen, trotz seiner eigenen Anregungen, die mit Verminderung der Exemtionen und Abschaffung der Auslandswerbung auf die allgemeine Wehrpflicht hindrängten? Ich sehe keinen Grund, der des Königs Verhalten vollkommen rechtfertigen könnte, auch nicht in der politischen Lage.

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Wir brechen hier die Betrachtung der militärischen Reformarbeit ab. Ihre wesentlichsten Errungenschaften fielen in das Jahr 1808; die mußten jetzt in emsiger Friedensarbeit wirksam gemacht werden. Manches war freilich noch zu tun, aber mit Scharnhorsts Entlassung auf Drängen Napoleons im Juni 1810 kam das Reformwerk einigermaßen ins Stocken1; die bedeutendste Neuerung aus den folgenden Jahren ist das Exerzierreglement vom 15. Januar 1812. Eine Arbeit für sich wäre es, Friedrich Wilhelms Verhältnis zu den Rüstungen des Jahres 1813, zur Landwehr namentlich, zum Wehrgesetz vom 3. September 1814 und der an dieses anknüpfenden militärischen Entwicklung in Preußen zu schildern. Nur noch einer Äußerung des Königs sei, als hierher gehörig, gedacht. In der Krisis von 1811, als die immer drohender anwachsenden französischen Heeresmassen an den preußischen Grenzen zu einer Entscheidung für Frankreich oder Rußland drängten, in den bangen Monaten immerwährenden Schwankens des Königs, überreichte ihm unter anderen Gneisenau einen Plan zur Vorbereitung eines Volksaufstandes. Die Antwort des Königs lautete: „Bei einer Nation, die Intelligenz habe, gehe ein revolutionärer Volkskrieg, der alles über und durcheinander stürzt, zur Not, nicht aber bei der deutschen. Ausführung und Chaos würden eins sein; niemand werde diesen Wirrwarr leiten können und wollen; nach einigen Exekutionen des Feindes wird sich alles zerstreuen". Und die höchsten Anforderungen an Gemeinsinn und Vaterlandsliebe, von denen der edle und heilige Eifer von Geisenaus Feuerseele sprach, verwies der König in das

1 Die Entlassung Scharnhorsts war allerdings nur eine scheinbare; sein Nachfolger in der Leitung des Allgemeinen Kriegsdepartements, Oberst von Hake, blieb an die Übereinstimmung mit Scharnhorst gebunden, der im übrigen offiziell zum Chef des Generalquartiermeisterstabes und des Ingenieurkorps ernannt wurde. Lehmann II, 318ff.

Delbrück, Gneisenau I, 207.

* Vergl. dazu Lehmann, Knesebeck und Schön bzw. Meinecke, Boyen.

Gebiet der Poesie und frommen Wünsche.1 Diese Äußerung des Königs, die das Jahr 1813 so glänzend Lügen strafen sollte, steht leider nicht allein, so daß man es zum mindesten verstehen wird, wenn Max Lehmann einmal angesichts der Haltung des Königs in die Worte ausbricht, es sei wohl selten ein Monarch in dem Maße wie Friedrich W. von der Überlegenheit des Gegners, der Verderbtheit seines Volkes, der Unfähigkeit seiner Räte und Feldherrn überzeugt gewesen."

Nur ein kleiner Ausschnitt aus der großen Reformzeit und der Anteil Friedrich W. III. an ihm hat uns im voraufgehenden beschäftigt, aber die Urteile über diesen König lassen sich bei der Dauer und der Art seines Wirkens auf dem preußischen Thron überhaupt nur in gewissem Maße verallgemeinern. In der Einschätzung seines tatsächlichen Wirkens in der in Frage kommenden Zeit ist meines Erachtens an den Grundlinien von Delbrück Lehmann Meinecke Sorel durchaus festzuhalten. Eines freilich scheint mir jedoch Lehmann und Sorel gegenüber nicht nur möglich, sondern auch notwendig: eine mildere Formulierung der daraus abgeleiteten Urteile. Sie stellt sich von selbst ein, wenn man die Taten des Königs gerecht und konsequent allein an dem Maßstabe der ihm verliehenen Einsichten und Fähigkeiten mißt. Ebensowenig wie man dem Ruhme des großen Preußenkönigs einen Dienst leistet, wenn man seinen Entscheidungen in den Schicksalsstunden seines Daseins und des preußischen Staates papierene Stützen unterschiebt oder deren Wert ungebührlich überschätzt, ebenso wenig darf man die bescheideneren Gaben Friedrich W. III. messen an dem Genie seiner Umgebung.

Wollen wir nun noch eine zusammenfassende Antwort geben auf die oben mitgeteilte Behauptung Thimmes, so kann sie nach der kurzen Prüfung von Urheberschaft und Ausführung der wichtigsten militärischen Reformgesetze nicht wohl zweifelhaft sein. Selbst wenn es möglich gewesen wäre, außer den Anregungen und den Entscheidungen des Königs auch noch den Gründen, die ihn dazu bestimmten, näher nachzugehen, das Urteil über seinen Anteil an den militärischen Reformen vor wie nach der Kata

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1 Pertz, Gneisenau II, 106 ff.; Lehmann II, 394 ff. Vergl. mit dieser Äußerung des Königs jene aus dem Jahre 1800 (1801) cf. oben S. 492. 2 Lehmann II, 295.

strophe von Jena und Auerstädt könnte meines Erachtens nur dahin lauten, daß er nach Maßgabe seiner Einsicht und Kraft, und in treuer Erfüllung der von seiner Mittelmäßigkeit als recht erkannten Pflicht an der Reformbewegung aktiv teilgenommen hat. Und das ist genug! Ungerecht wäre, es diesem Könige allzuschwer anzurechnen, daß sein nüchterner Verstand und seine unsichere Schwerfälligkeit dem hohen Fluge seiner besten Ratgeber nicht immer zu folgen vermochte1, daß er nur schwer sich daran gewöhnen konnte, daß eine neue Zeit heraufgezogen, daß der Träger einer so stark absolutistischen Regierungsgewalt wie der preußischen sich nicht leicht zurechtfand in der gewaltigen Umwälzung, die sich in der Durchdringung von Individuum und Staat damals in Preußen vollzog, daß vor allem der preußische Heerkönig Mißtrauen hatte gegen eine Umwandlung seines Heeres, über das die Ahnen so restlos unumschränkt geboten hatten, in eine großartige „Repräsentanz des Volkes". Bedenken wir, wie verpönt im alten Preußen - seit Friedrich W. I. zum mindesten schon das bloße Wort „Miliz" gewesen war!

Und noch Eines darf nicht außer acht gelassen werden bei dem Urteil über den König: Vergessen wir nicht die ungeheure Tragweite der damaligen Reformen, bei denen überdies, wie bei allem Sturmgeborenen, manche Schlacken, manches Unreife sich mit einschlich, und daß es gilt, den Monarchen zu beurteilen, bei dem die letzte Entscheidung, aber auch die ungeheure und von Friedrich W. tief gefühlte Last der Verantwortung lag für die Existenz eines jahrelang buchstäblich am Rande des Abgrundes schwebenden Staatswesens.

Ebenso entschieden werden wir es aber auch zurückweisen, wenn man den König als den geistigen Mittelpunkt einer Bewegung hinstellen will, die einer Summe höchster Intelligenzen ihren Ursprung dankt, ja die in gewisser Beziehung wenigstens als der vollendetste Ausfluß der intellektuellen und moralischen Kräfte des ganzen Volkes gelten darf.

Nehmen wir noch hinzu den Anteil Friedrich Wilhelms an den bürgerlichen Reformen, und werfen wir in die Wagschale

1 Es sei hierbei daran erinnert, daß, was auch garnicht zu verwundern ist, nach dem übereinstimmenden Urteil der Zeitgenossen, die allgemeine Wehrpflicht in weiteren Kreisen anfangs keine Sympathie fand.

516 Alfred Herrmann. Friedr. Wilh. III. u. sein Anteil an der Heeresreform.

seinen starken Anteil an der auswärtigen Politik, wobei man des Königs Entscheidungen, weil sie schließlich zum Guten ausschlugen, häufig auch dann als einer überlegenen Einsicht entsprungen hinstellte, wenn sie in Wahrheit nach dem heutigen Stand der Forschung nur Resultate seiner Unentschlossenheit und Schwäche waren, so werden wir alles in allem, das eingangs zitierte Wort Rankes wieder aufnehmend, sagen dürfen: Friedrich Wilhelm III. gehört für die von uns behandelte Zeit zweifellos zu den minderbegabten Individualitäten der Hohenzollern.

Nachschrift. Es war mir nicht mehr möglich, Fr. Meusels Friedr. Aug. Ludw. v. d. Marwitz I. Berlin 1908 zu benutzen. Die hier in sehr erheblich erweiterter (erste Ausgabe 1852) und vor allem unverfälschter Form (aber auch M. verschweigt noch zuviel) gebotenen Mitteilungen aus dem literarischen Nachlaß des streitbaren märkischen Junkers sind zweifellos in verschiedener Hinsicht eine hochbedeutsame Quelle für die Reformzeit. Mögen M.s Urteile auch stark subjektiv, häufig ungerecht und falsch sein, seine Aufzeichnungen sind, mit der nötigen Kritik benutzt, z. B. für meine Auffassung Friedr. Wilhelms ein gewichtiges Zeugnis. Die für unsere Abhandlung wohl besonders interessanten militärischen Tagebücher und Schriften v. d. Marwitzens stehen noch aus, ebenso ein Aufsatz die Neuformation der preußischen Armee nach dem Tilsiter Frieden", den Meusel für die „Jahrbücher f. d. dtsche. Armee u. Marine“ 1908 ankündigte.

Nachgetragen sei auch noch das beachtenswerte Urteil, das der neueste Blücher-Biograph (Unger, Blücher. 2 Bde. Berlin 1907/8 II, 354f.) über das Verhältnis seines Helden zu Friedr. Wilh. fällt. Es sei, gemäß der Verschiedenheiten ihrer Naturen, nie ein sonderliches gewesen. Es entspreche Blüchers Loyalität, daß man von ihm, der sonst so oft gewettert, über den König kein bitteres Wort weiß, aber ebenso bezeichnend sei, daß in seinen vertrauten Briefen auch kein anerkennenswertes zu finden ist.

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Kleine Mitteilungen.

Zur Kontroverse über Legnano (1176).

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Die Niederlage Friedrich Barbarossas bei Legnano ist in letzter Zeit mehrfach Gegenstand historischer Untersuchung gewesen. Ferdinand Güterbock widmete ihr im Jahre 1901 eine italienisch geschriebene Abhandlung Ancora Legnano.1 Vier Jahre darauf erschien eine Berliner Dissertation von Benno Hanow2, deren Ergebnisse Delbrück im dritten Bande seiner „Geschichte der Kriegskunst" verwertete, während sie Güterbock in einer Besprechung ablehnte, ohne seine entgegengesetzten Behauptungen zu begründen. Erst in diesem Jahre hat er in einer neuen Arbeit seine Ansicht aus den Quellen zu belegen versucht. Da die Kontroverse Punkte betrifft, die von allgemeiner Wichtigkeit sind, insofern es sich dabei um die Auffassung vom mittelalterlichen Kriegswesen überhaupt handelt, mag mir eine nochmalige Behandlung des Gegenstandes verstattet sein.

Die Meinungen gehen vor allem bei zwei Hauptfragen auseinander: bei der nach der Stärke der beiden Heere und bei der nach der Bedeutung des Fußvolkes für die Entscheidung der Schlacht. Das Problem der Feststellung der Heereszahlen ist ja auch sonst besonders heiß umstritten. Delbrücks bahnbrechende Untersuchungen, die er unter Verwendung indirekter Methoden anstellte, ergaben für das Altertum und das Mittelalter im allgemeinen erheblich geringere Heeresstärken, als sie in der Überlieferung behauptet werden. Immer wieder aber begegnen Forscher, die der Tradition gegenüber konservativ bleiben wollen. Hans Jahn hatte in einer Berliner Dissertation 5 nachzuweisen unternommen, daß beim dritten Kreuzzug mit Friedrich I. nur 12000-15000 Mann, darunter höchstens 3000 Ritter ins heilige Land gezogen seien. Ein anonymer Kritiker in der Hist. Zeitschrift 6

1 Milano, Hoepli.

* Beiträge zur Kriegsgeschichte der staufischen Zeit. Die Schlachten bei Carcano und Legnano.

3 Deutsche Literaturzeitung vom 1. Juli 1905, Sp. 1630 f.

Die Luckmanierstraße und die Paßpolitik der Staufer. Friedrichs I. Marsch nach Legnano, veröffentlicht in den „Quellen und Forschungen aus italienischen Archiven und Bibliotheken", hrsg. vom Königl. Preußischen Historischen Institut in Rom, Band XI, Heft I, Rom 1908.

Die Heereszahlen in den Kreuzzügen, Berlin 1907.

• Bd. 99,

197.

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