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Wurde doch auch ein andres tragisches Ereignis aus dem Familienleben Friedrichs hier mit roher Hand hervorgezerrt und ihm selbst Schuld gegeben: der Tod seines Erstgeborenen Heinrich im Februar 1242. Nach der besten uns vorliegenden Nachricht des Chronicon de rebus Siculis1 hat er sich auf einer Übersiedlung von einem Haftorte zum andern im Gebirge vom Pferd gestürzt und ist an den Verletzungen bald darauf gestorben. Ob wirklich Selbstmordabsichten vorlagen, wie hier behauptet wird, möchte ich danach noch nicht einmal für ausgemacht halten. Denn da der König nach dem Sturze ,,quasi mortuus" war und kurz darauf starb, so ist doch sehr fraglich, ob er selbst das noch gestanden hat, oder ob etwa jener vielleicht unfreiwillige Sturz vom Pferde von den Begleitern oder auch Fernerstehenden nur als Selbstmord ausgelegt worden ist. Richard von S. Germano bezeugt demgegenüber, Heinrich sei natürlichen Todes gestorben. Es ist nun bekannt, daß von Späteren daraus ein Sturz in den Abgrund gemacht wurde, und eine Legende daran anknüpfte, die in Conrad Ferdinand Meyers schönem Gedicht ihre letzte poetische Ausgestaltung gefunden hat. Unsre Flugschrift aber darf dafür nicht, wie es von Böhmer in den Regesten geschehen ist, als ein zeitgenössischer Beleg angeführt werden, und die von Folz S. 54 gegebene Übersetzung ist nicht richtig. Denn „desperationis precipitium advocavit" ist zunächst nur bildlich gemeint, wie wir sagen würden: „Er wurde an den Rand der Verzweiflung gebracht", hier nur aktiver mit dem Hintergedanken, daß Selbstmord in der Tat vorliege, zu verstehen. Vielleicht hat aber gerade dieser bildliche Ausdruck, indem er mißverstanden wurde, zur Ausgestaltung dieser Legende beigetragen.

Doch ich breche hier ab, denn es lag nicht in meiner Absicht, den vollen Inhalt dieser bedeutsamen Flugschriften auszuschöpfen oder sie nach ihrem publizistischen Gehalt zu würdigen. Vielmehr kam es mir einzig darauf an, für eine solche Verwertung und Würdigung eine sichere kritische Grundlage zu schaffen.

1 Vgl. Reg. Imp. V, 4383n, wo auch die sonstigen Quellenstellen verzeichnet sind. Dazu Holder-Egger M. G. SS. XXXII, 87.

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* Vgl. ganz ähnlich in der Flugschrift B 709, 28,,in abissum desperationis".

Histor. Vierteljahrschrift. 1908. 3.

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Briefe der Herzogin Elisabeth Charlotte von Orléans nach Modena, Stockholm und Turin.

Mitgeteilt von

Hans F. Helmolt.

„Ich bekomme oft brieffe von Modene von unßer Hertzogin von Hanover [Benedicta Henriette]", so schreibt Liselotte am 8. April 1696 an ihre alte Erzieherin, Frau A. K. von Harling in Hannover; „ainsi je vous advoue, que le peu de temps, qui me reste, je l'occupe a escrire . . . une [fois la semaine] a la duchesse de Hannover, a Modene", so lautet dasselbe Bekenntnis in einem Brief an ihren Halbbruder, den Raugrafen Karl Moritz, vom 7. Nov. 1700. Nahe genug lag somit der Gedanke, einmal in Modena anzufragen, ob sich nicht dort noch Briefe der Herzogin von Orléans befänden. Und richtig! Mit der an ihm bereits andern Forschern gegenüber bewährten Liebenswürdigkeit (vgl. z. B. Karl Haucks badisches Neujahrsblatt,,Rupprecht der Kavalier", Heidelb. 1906, S. 115 Anm. 60) ging Giovanni Ognibene, Direktor des R. Archivio di Stato, auf meine Wünsche ein und sandte mir erst 4, dann weitere 23 Kopien zu. Die Originale davon liegen in der Cancelleria Estense, Principi esteri, Francia, Busta 14; zeitlich reichen sie vom Jahre 1672 bis Ende 1720, umfassen also fast den gesamten Zeitraum, den Liselotte als Gattin Monsieurs in Frankreich zugebracht hat (1671-1722). Leider befinden sich Briefe an die oben erwähnte, gleichalterige Herzogin Benedicta Henriette von Hannover, die als Schwiegermutter des Herzogs Rinaldo 1696-1710 meist zu Modena weilte, gar nicht darunter. Das ist sicherlich ein bedauerlicher Verlust, da diese Korrespon

denz höchst wahrscheinlich in deutscher Sprache geführt worden ist. Die erhaltenen Stücke können uns dafür keineswegs entschädigen; inhaltlich reicht ihr Wert an die von Paul Haake in dieser Zeitschrift III, 3 (vom 1. Sept. 1898, S. 418–428) veröffentlichten Briefe an Wilhelmine Ernestine von der Pfalz bei weitem nicht heran. Trotzdem erschien es notwendig, lediglich um der Briefschreiberin willen notwendig, sie einmal geschlossen an einer Stelle zu publizieren, wo sie allen Fachgenossen zugänglich sind und nicht so bald der Vergessenheit anheimfallen können. Dasselbe gilt in jeder Beziehung auch von den gleich zu besprechenden Briefen nach Schweden und Savoyen.

Für das freundliche Entgegenkommen, womit mir der Herr Herausgeber dieser Zeitschrift ohne weiteres ihre Spalten zur Verfügung gestellt hat, danke ich aufrichtig.

A. Sachlich ist den Briefen Liselottens nach Modena wenig hinzuzufügen. Es sind recht gleichgültige Dinge, die hier zur Sprache kommen: Todesfälle, Geburten, Vermählungen; nur im allerletzten Brief ist ein politisches Ereignis, der Kongreß von Cambrai, berührt. Also Äußerungen rein konventioneller Natur, teilweise (was namentlich die unwahren Gefühlsergüsse anläßlich der Verbindung der total verzogenen Charlotte-Aglaé d'Orléans mit dem Erbprinzen von Modena betrifft) sogar ,,konventionelle Lügen der Kulturmenschheit". Selbst eine Liselotte hat, wie wir das ja auch aus andern Zeugnissen von ihr wissen, diesem häßlichen Zwang ihren Tribut gezollt; zwar mit Unmut, aber eben doch gezollt. Wir sehen sie förmlich ächzen unter dieser höfischen Nötigung. Und so mag sie gar nicht so böse gewesen sein, als während des Spanischen Erbfolgekriegs vielleicht mit infolge der Verheiratung der jüngsten Tochter Benedictens an den Erzherzog, seit 1705 Kaiser Joseph I. der Draht zwischen Versailles und dem vorher so französisch gesinnten Modena derb gelockert, wenn nicht eine Weile ganz zerrissen war: da hatte sie, obwohl dort 1702 Prinzessin Henriette und 1708 Prinz Clemens geboren wurden, doch eine lange Reihe von Jahren (1701, zweite Hälfte, bis Jan. 1717) Ruhe, mit einziger Ausnahme der Kondolation anläßlich des frühen Todes der Herzogin Charlotte Felicitas, ihrer Nichte, im Herbst 1710. Auch vorher schon ist einmal eine größere Lücke in der Korrespondenz (zwischen

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Nov. 1686 und Sept. 1697) zu verzeichnen. Ich vermute den Grund davon in der Tatsache, daß Ludwig XIV. nach der Vermählung des taubstummen Emanuel-Philibert von SavoyenCarignan (Nov. 1684), eines Oheims des Prinzen Eugen, mit Angela Catharina, einer Tochter des mailändischen Generals Borso von Este Marchese von Scandiano (1605—57), den Herzog Francesco II. von Modena (1662-94) genötigt hatte, einen Verwandten seines Hauses, der jene dem französischen König unerwünschte Verbindung vermittelt oder befördert hatte, von seinem Hofe zu entfernen (vgl. Saint-Simon, Ausg. von 1873, VI, 394f.; E. Bourgeois: Ez. Spanheim, Relation de la cour de France en 1690, Paris u. Lyon 1900, S. 222).

Alles übrige an Beziehungen usw. ergibt sich aus den Anmerkungen zu den einzelnen Briefen selbst.

B. Auch die 4 Briefe nach Stockholm sprechen in der Hauptsache für sich selbst. In einer Hinsicht sind sie die „Perle“ der vorliegenden Publikation, insofern nämlich, als sie wenigstens zur Hälfte deutsch abgefaßt sind und doch etwas Politisch-historisches enthalten. Während der einzige Brief an Karl XII. nichts von Belang bietet, gewinnt das Verhältnis der Herzogin von Orléans zum Stockholmer Hof an Interesse und Lebhaftigkeit von dem Augenblick an, wo in Friedrich, dem Gatten der Königin Ulrike Eleonore, ein naher Verwandter1 den schwedischen Thron teilt und dann wirklich besteigt. Fortan spielt auch die seit langem strittige Frage der Auszahlung von französischen Subsidien, auf die schon Landgraf Karl von Hessen und sein Sohn Friedrich als Erbprinz Anspruch gehabt hatten (vgl. meine „Briefe der Herzogin Elisabeth Charlotte von Orleans", Leipzig 1908, II, S 159 f.), eine beträchtliche Rolle. Ich habe schon in meinen Erläuterungen zu Liselottens Korrespondenz an den lothringischen Hof („Jahrbuch der Gesellschaft f. lothr. Geschichte u. Altertumskunde" 1908)

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ausgeführt, daß aktive Politik zu treiben der Herzogin von Orléans selbst während der Regentschaft ihres Sohnes durchaus ferngelegen hat; nur so viel läßt sich behaupten, daß sie sich gern als Vermittlerin zwischen berechtigten Interessen naher Verwandten und der französischen Regierung hat gebrauchen lassen. Das gilt auch hier. Zu danken habe ich für die Herstellung und Vergleichung der Abschriften (nach den Originalen der Sammlungen „Gallica“ und „Kongl. arkiv. Bref till Ulrika Eleonora") dem allezeit hilfsbereiten Herrn Archivrate Dr. Th. Westrin am k. schwed. Reichsarchive.

C. Daß von dem ziemlich lebhaften Briefwechsel Liselottens mit dem Hause Savoyen (ihre 1669 geborene Stieftochter AnneMarie, die, von der Stiefmutter erzogen, mit herzlicher Liebe an dieser hing, hatte 1684 Vittorio Amedeo II. von Savoyen geheiratet) leider nur ganze zwei Briefe erhalten sind, hatte schon A. Gagnière in der Biographie 'Marie-Adélaïde de Savoie' (Paris 1897, S. 12) kundgegeben. Meinerseits bedurfte es daher nur der bestimmten Bitte an das R. Archivio di Stato zu Turin (Kategorie: Lettere Principi Forestieri, Francia mzzo 10, 1669 in 1789, fasc. 1722), mir davon Kopien anfertigen zu lassen. Inhaltlich ziemlich bedeutungslos, werden diese beiden letzten Stücke bloß der Vollständigkeit wegen mitgeteilt.

Da die Briefe der Herzogin von Orléans an die Königin Sophie Dorothee von Preußen aus den Jahren 1716-22, die, bisher der Forschung über Liselotte gänzlich unbekannt und entzogen, im K. Hausarchive zu Charlottenburg ruhten, von mir im Histor. Jahrbuche veröffentlicht werden und alle übrigen Nachfragen bei andern Archiven ergebnislos waren, so dürfte es mir gelungen sein, das Suchen nach verschollenen Briefen der tüchtigen und liebenswerten Pfälzerin zu einem vorläufigen Abschlusse gebracht zu haben. Nun kann es sich meines Erachtens nur noch um einzelne Stücke handeln, die gelegentlich der Autographenhandel zutage fördern wird. Es sollte mich freuen, wenn ich meiner kritischen Liste aller erreichbaren Briefe Liselottens (Konr. Haeblers „Sammlung bibliothekswissenschaftlicher Arbeiten", 1908) einst recht viele Nachträge anzugliedern hätte.

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