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DIE KRISIS Schu 8h

DES

DEUTSCHEN STAATSRECHTS

IM

JAHRE 1866.

VON

DR. HERMANN SCHULZE,

ORD. PROFESSOR DES STAATSRECHTS AN DER UNIVERSITÄT ZU BRESLAU.

(NACHTRAG ZUR EINLEITUNG IN DAS DEUTSCHE STAATSRECHT.)

LEIPZIG,

DRUCK UND VERLAG VON BREITKOPF & HÄRTEL.

1867.

Vorwort.

Kurz vor der weltgeschichtlichen Katastrophe des Jahres 1866 erschien meine >>Einleitung, in das deutsche Staatsrecht,« welche sich zur Aufgabe gestellt hat, als Propädeutik der positiven deutschen Staatsrechtswissenschaft, die allgemeinen staats-philosophischen und geschichtlichen Fundamente unseres öffentlichen Rechtszustandes in Deutschland zu erörtern. Während der allgemeinstaatsrechtliche Theil die Lehren vom Wesen, Rechtsgrund und Zweck des Staates behandelt, führt der geschichtliche Theil die deutsche Staatsentwickelung bis auf die Gegenwart herab. Gerade dieser, von mir zum erstenmal gemachte Versuch einer neuesten deutschen Verfassungsgeschichte ist von sachkundigen Männern als besonders brauchbar anerkannt worden.

Ich glaube nun meiner »Einleitung« dadurch noch eine erhöhte Brauchbarkeit zu geben, dass ich in einem Nachtrage, welchen ich zugleich in Form einer eigenen kleinen Schrift hier erscheinen lasse, die Krisis des Jahres 1866 und die Gründung des norddeutschen Bundes von staatsrechtlichem Standpunkte aus erörtere. Erst indem ich den Faden bis zu diesem neuesten Wendepunkte herabführc, gelangt meine geschichtliche Entwickelung zu einem organischen, naturgemässen Abschlusse. Das Jahr 1866 hat für die Praxis wie für die Theorie des deutschen Staatsrechtes dieselbe tief einschneidende Bedeutung, wie das Jahr 1806. Wie 1806

das deutsche Reich, so hat 1866 der deutche Bund zu existiren aufgehört. Dasselbe Schicksal, welches damals die Reichspublicistik getroffen hat, erfährt heute die Literatur des Bundesrechtes. Zwar ist heute ebensowenig, wie damals, in Deutschland tabula rasa gemacht worden und ein grosser Theil unseres öffentlichen Rechtes, besonders in den Verfassungen der einzelnen Staaten, wird diesen Umsturz überdauern. Aber die Gesammtverfassung des deutschen Bundes ist definitiv beseitigt. Was an ihre Stelle zu treten bestimmt ist, erscheint durchaus als ein staatlicher Neubau. Die Kontinuität der staatlichen Rechtsentwickelung ist abermals zerschnitten. So wenig wie die Aufhebung des deutschen Reiches, lässt sich die Auflösung des de jure unauflöslichen deutschen Bundes, vom Standpunkte des positiven Rechtes aus, rechtfertigen.

Diesen Bruch mit dem Buchstaben des Rechtes mögen diejenigen beklagen, welche ernstlich an eine organische Entwickelungsfähigkeit der deutschen Bundesverfassung glaubten. Ich habe nie zu diesen gehört und erkenne in diesem Bruche eine geschichtliche Nothwendigkeit, welche das werdende Recht der Zukunft an die Stelle des überlebten und verknöcherten der Vergangenheit setzt. Ich habe bereits vor mehrern Jahren offen ausgesprochen: »dass in dem Dualismus der beiden Grossmächte und der anerkannten vollen Souveränetät der Einzelstaaten jeder durchgreifenden Umgestaltung des deutschen Bundes Schwierigkeiten entgegenstehen, welche die Gegenwart zu überwinden nicht im Stande ist, dass erst grössere Staatsmänner und grössere Zeiten das unvergängliche Recht des deutschen Volkes auf eine wahre nationale Gesammtverfassung zur vollen, ungeschmälerten Geltung bringen werden.« Freilich hat auch das grosse Jahr 1866 dies nationale Recht nicht ungeschmälert zur Geltung gebracht. Ein wichtiger Theil Deutschlands steht noch ausserhalb des Bundes. Das neue Verfassungswerk erscheint noch als ein unfertiger Staatsbau. Dennoch erkenne ich in der Gründung des norddeutschen Bundes den grössten Fort

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