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dieser indirekte Census der Wählbarkeit schlimmer sei als jeder andere, dass das allgemeine Wahlrecht nicht existire, wenn nicht wie jeder wähle, so auch jeder gewählt werden könne. Diesen allgemeinen Sätzen stand aber die Erwägung gegenüber, dass es in Deutschland vor allem darauf ankomme, die gewichtigen Klassen des besitzenden Bürgerthums und des Grundadels mehr in das parlamentarische Leben hereinzuziehen und so allmählich zu einer politischen Klasse zu gelangen, welche die Vertretung der Interessen der Nation zu ihrer ersten Lebensaufgabe mache2; ferner die Erfahrung, dass die konstitutionelle Entwickelung Englands mit dem unentgeltlichen Ehrendienste der Parlamentsmitglieder eng zusammenhänge, während die reichliche Bezahlung der Deputirten in Frankreich mit zur Entartung des gesetzgebenden Körpers beigetragen habe. Auch darf wohl bei dem allgemein entwickelten Wohlstande Deutschlands kaum bezweifelt werden, dass sich in allen Parteien gebildete Männer finden werden, die ihrer politischen Ueberzeugung dieses pekuniäre Opfer zu bringen willig und im Stande sind. Jedenfalls ist die ganze Frage im hohen Grade disputabel und es bedarf noch der praktischen Erfahrung, ob das Princip des unbezahlten Ehrendienstes oder das der Diäten in Deutschland den Vorzug verdient. In der Vorberathung wurde zwar der Antrag Weber-Thünen, welcher auf Bewilligung von Diäten ging, mit einer kleinen Majorität angenommen. Als aber in der Schlussberathung die Regierungen von der Wiederherstellung dieser Bestimmung des Entwurfes das Zustandekommen der ganzen Verfassung abhängig machten, war es ebenso staatsklug, als patriotisch, dass auch viele principielle Anhänger des Diätensystems für die Regierungsvorlage stimmten, um an einem so disputabeln, jedenfalls in seiner Bedeutung weit überschätzten Punkte nicht das ganze Verfassungswerk möglicher Weise scheitern zu lassen.

Dagegen gelangte eine ganze Reihe anderer, zu diesem Abschnitte des Entwurfes gemachter Amendements definitiv zur Annahme, welche die Freiheit und Selbstständigkeit des Hauses und der einzelnen Abgeordneten zu sichern bestimmt sind. So der

2) Von diesem Standpunkte aus beleuchtet besonders der Abg. BraunWiesbaden in seinem Rechenschaftsberichte S. 14 ff. in lichtvoller Weise die Diätenfrage. Vergl. auch preuss. Jahrb. Bd. XIX. Aprilheft.

bereits erwähnte Antrag auf die Zulässigkeit der Wahl von Beamten und ihres Eintrittes in den Reichstag, ohne dazu des Urlaubs zu bedürfen (nach Art. 78 der preuss. Verf.), ferner auf die dem Art. 84 dieser Verfassung entsprechende Sicherstellung der Reichstagsmitglieder gegen Eingriffe in ihre Thätigkeit durch Untersuchung oder Verhaftung, ingleichen der Antrag auf Aufnahme der in den Art. 51 und 52 der preussischen Verfassung enthaltenen Bestimmungen, bezüglich der Wiederwahl und Berufung des Reichstages für den Fall einer Auflösung, wie bezüglich der Vertagung, nicht minder die Bestimmung: »dass wahrheitsgetreue Berichte über Verhandlungen in den öffentlichen Sitzungen des Reichstages von jeder Verantwortung frei bleiben. «< Auch wurde dem Reichstage ausdrücklich das Recht beigelegt, »an ihn gerichtete Petitionen dem Bundeskanzler zu überweisen «<.

§. 21.

VI. Zoll- und Handelswesen.

Dieser mit grosser Sachkunde ausgearbeitete Abschnitt des Entwurfes wurde von dem Reichstage fast unverändert ange

nommen.

Von staatsrechtlicher Wichtigkeit ist besonders, dass der auf internationalen, kündbaren Verträgen ruhende Zollverein nun in eine verfassungmässige Institution des norddeutschen Bundesstaates umgewandelt worden ist. Allerdings bot der Zollverein bereits den allgemeinen Verkehrsmarkt für die Waaren, aber über diesen Markt wölbte sich kein staatlicher Aufbau, welcher eine gemeinsame Gesetzgebung ermöglicht hätte. >> Wir hatten wie Michaelis bemerkt eine internationale Vereinigung, welche jedesmal zwölf Jahre stagnirte und beim Ablaufe des Vertrages in eine tiefgehende Krisis gerieth, wenn es Noth that, Reformen in der Gesetzgebung herbeizuführen «1. Jetzt ist eine einheitliche und ausschliessliche Gesetzgebung durch die bundesstaatlichen Organe auf dem gesammten Gebiete des Zollwesens und der indirekten Steuern für immer festbegründet. Mit dem Uebergange dieser Gesetzgebung in eine geordnete staatliche Institution ist nicht nur in der Handelspolitik, sondern auch im

1) Vergl. die Rede des Abg. Michaelis S. 470.

Steuerwesen eine gesunde einheitliche Reform ermöglicht. Es ist dem norddeutschen Bunde dadurch eine feste finanzielle Grundlage gegeben, indem ihm ein- für allemal die gesammten Einnahmen aus den Zöllen und den in diesem Abschnitte genannten indirekten Steuern zugewiesen sind. Auch die Verwaltung ist eine einheitliche unter Leitung und Kontrolle des Bundespräsidiums. Alle Erträge des Zollwesens fliessen in die Bundeskasse. Der Bund bildet ein Zoll- und Handelsgebiet von gemeinschaftlicher Zollgrenze umgeben, nur die Hansestädte bleiben als Freihäfen ausserhalb der gemeinsamen Zollgrenze, bis sie ihren Einschluss selbst beantragen. Als ein Fortschritt ist es anzusehen, dass Gegenstände bei ihrer Einführung von einem Bundesstaate in den andern von diesen nur dann einer Abgabe unterworfen werden dürfen, wenn die gleichartigen inländischen Erzeugnisse einer gleichen innern Steuer unterliegen. Wenn der Zollverein, als internationale Vereinigung, für das norddeutsche Gebiet mit der Publikation der Verfassung aufhört zu existiren2, indem er sich in eine staatliche Institution des neuen Bundesstaats verwandelt, besteht derselbe in ersterer Eigenschaft fort mit den süddeutschen Staaten, indem es bereits in den erwähnten Friedensverträgen gleichlautend heisst:

>>Die hohen Kontrahenten werden unmittelbar nach Abschluss des Friedens wegen Regelung der Zollvereinsverhältnisse in Verhandlung treten. Einstweilen sollen der Zollvereinigungsvertrag vom 16. Mai 1865 und die mit ihm in Verbindung stehenden Vereinbarungen, welche durch den Ausbruch des Krieges ausser Wirksamkeit gesetzt sind, vom Tage des Austausches der Ratifikation des gegenwärtigen Vertrages an, mit der Massgabe wieder in Kraft treten, dass jedem der hohen Kontrahenten vorbehalten bleibt, dieselben nach einer Aufkündigung von 6 Monaten ausser Kraft

zu lassen «<.

Nach der neusten Uebereinkunft mit den süddeutschen Staaten zu Berlin vom 4. und 18. Juni 1867 hat dieser prekäre Zustand des Zollvereins aufgehört und sich in eine sichere, dauernde Zollgemeinschaft der betreffenden Staaten mit

2) Dabei bleiben jedoch alle frühern Bestimmungen soweit in Kraft, als sie nicht ausdrücklich aufgehoben und mit dem neuen staatlichen Charakter der Institution vereinbar sind.

dem norddeutschen Bunde verwandelt3. Demzufolge bleiben der Zollvereinsvertrag vom 16. Mai 1865 und die mit ihm in Verbindung stehenden Vereinbarungen in Kraft, soweit sie nicht durch die Uebereinkunft vom 4. Juni 1867, die Fortdauer des. Zoll- und Handelsvereins betreffend, oder auf dem Wege der Gesetzgebung abgeändert werden. Die Gesetzgebung in Zollvereinsangelegenheiten soll einem gemeinschaftlichen Organe der betheiligten Regierungen und einer Vertretung der Bevölkerungen übertragen werden. Das gemeinschaftliche Organ der betheiligten Regierungen soll aus Vertretern derselben bestehen, unter welche die Stimmenführung nach Massgabe der Vorschriften für das Plenum des ehemaligen Bundestages vertheilt wird". Preussen beruft dasselbe, führt das Präsidium und ist in dieser Eigenschaft berechtigt, im Namen der betheiligten Staaten Handels- und Schifffahrtsverträge einzugehen. Die Vertretung der Bevölkerung der kontrahirenden Staaten besteht aus den Mitgliedern des Reichstages des norddeutschen Bundes und aus Abgeordneten aus den süddeutschen Staaten. Der norddeutsche Reichstag wird durch den Zutritt dieser süddeutschen Volksvertreter ad hoc zu einem gemeinsamen deutschen »Zoll parlamente« gemacht.

§. 22.

VII. Eisenbahnwesen.

Dieser Abschnitt enthält in den Artikeln 38. bis 44. des Entwurfs zweckmässige Bestimmungen über das Eisenbahnwesen,

3) Diese Uebereinkunft steht in der Nationalzeitung vom 25. Juni d. J. Nr. 289. Die Uebereinkunft vom 4. Juni wurde abgeschlossen mit Würtemberg, Baden und Hessen-Darmstądt, am 18. Juni trat Bayern bei. Nach der Mittheilung der neusten »>Provinzialkorrespondenz«< ist die Fortdauer des Zollvereins, welche durch die vorläufige Vereinbarung vom 4. Juni gesichert war, nunmehr durch die Arbeit der zu Berlin versammelten Zollkonferenz weiter geregelt worden. Von der Absicht geleitet, die Fortdauer des deutschen Zoll- und Handelsvereins sicher zu stellen und dessen Einrichtungen in einer dem gegenwärtigen Bedürfnisse entsprechenden Weise fortzubilden, haben der norddeutsche Bund, Bayern, Würtemberg, Baden und Darmstadt einen neuen Vertrag über die Fortdauer des Zoll- und Handelsvereins geschlossen, welcher am 8. Juli von sämmtlichen Bevollmächtigten zu Berlin unterzeichnet worden ist. Dieser Vertrag, dessen Bestimmungen am 1. Januar 1868 ins Leben treten, ist zunächst bis zum 31. Dec. 1877 abgeschlossen.

4) Nur Bayern hat wegen seiner grössern Bevölkerung billiger Weise 6 Stimmen erhalten.

nach denen der Bau von Eisenbahnen »im Interesse der Vertheidigung des Bundesgebietes oder im Interesse des gemeinsamen Verkehrs« nicht mehr durch den Widerspruch einzelner Regierungen verhindert oder verzögert werden kann und nach denen der ganze Eisenbahnbetrieb einheitlicher, wohlfeiler und für das Publikum nützlicher gestaltet werden soll. Einige wichtige Verbesserungen verdankt übrigens dieser Abschnitt den von Michaelis redigirten Anträgen verschiedener Abgeordneten, welche dahin gehen, dass der Centralisation nur soviel gewährt werde, wie im Interesse der Gesammtheit nothwendig ist, ohne der freien Selbstverwaltung der bestehenden Privatbahnen und der Konkurrenz neuzuerrichtender Bahnen mehr als nöthig Abbruch zu thun1.

§. 23.

VIII. Post- und Telegraphenwesen.

Das Postwesen und das Telegraphenwesen werden für das gesammte Gebiet des norddeutschen Bundes als »einheitliche Staatsverkehrsanstalten« eingerichtet und verwaltet. Die Gesetzgebung in Betreff dieser Einrichtungen ist Bundessache; der Krone Preussen gebührt kraft des Bundespräsidiums die ganze obere Leitung der Post- und Telegraphenverwaltung, dieselbe hat dafür zu sorgen, dass Einheit in der Organisation der Verwaltung und im Betriebe des Dienstes, sowie in der Qualifikation der Beamten hergestellt und erhalten werde. Auch die Anstellung aller Oberbeamten steht dem Bundespräsidium zu; den übrigen Regierungen bleibt nur die Besetzung der untersten Verwaltungsämter, deren Inhaber aber auch dem Präsidium eidlich zum Gehorsam verpflichtet werden. Die Einnahmen des Post- und Telegraphenwesens sind gemeinsam und fliessen in die Bundeskasse. Diese wichtige Herstellung eines einheitlichen Postwesens wurde erst möglich gemacht durch einen Vertrag zwischen der Krone Preussen und dem Fürsten von Thurn und Taxis vom 28. Januar 1867, wodurch dieser das gesammte Thurn und Taxis'sche Postwesen gegen eine Entschädigung von 3 Millionen Thalern auf den preussischen Staat übertrug2.

1) Referat von Michaelis S. 504 ff.
2) Glaser's Archiv H. II, S. 104.

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