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§. 19.

IV. Bundespräsidium.

Unter dem Titel des Bundespräsidiums, welcher eigentlich auf eine blos formelle Geschäftsleitung hinweist, stehen dem Könige von Preussen so reiche und selbstständige Machtbefugnisse zu, dass derselbe als eigentliches Bundesoberhaupt betrachtet werden muss, wenn auch neben und mit ihm der Bundesrath einen Antheil an der Exekutive hat.

Vor allem wichtig ist die der Krone Preussen zustehende völkerrechtliche Vertretung des Bundes und der Bundesangehörigen, jus repraesentationis omnimodae. Zwar nicht theoretisch konsequent, aber politisch taktvoll ist es, dass den übrigen Fürsten das von ihnen so hoch gehaltene Gesandtschaftsrecht nicht ausdrücklich entzogen ist, weil dasselbe, bei einer kräftigen auswärtigen Politik der Bundesgewalt, von selbst bald ausser Gebrauch kommen, wenigstens völlig unschädlich gemacht werden wird1.

Insoweit die Verträge mit fremden Staaten sich auf solche Gegenstände beziehen, welche nach Art. 4. in den Bereich der Bundesgesetzgebung gehören, ist zu ihrem Abschlusse die Zustimmung des Bundesraths nöthig. Durch ein angenommenes Amendement des Abgeordneten Lette, »dass zu ihrer Gültigkeit auch die Genehmigung des Reichstages gehöre, «< wurde auch in dieser Beziehung die legislative Befugniss der Volksvertretung gewahrt.

Die konstitutionellen Prärogativen der Krone in Betreff der Berufung, Eröffnung, Vertagung und Schliessung des Reichstages stehen dem Präsidium zu; dem Bundesrathe ist indessen insoweit ein Einfluss auf die Berufung eingeräumt, als sie erfolgen muss, wenn sie von der Stimmenzahl verlangt wird. Auch die Auflösung des Reichstages kann nur erfolgen durch einen Beschluss des Bundesraths unter Zustimmung des Präsidiums.

Der Hauptkampf in Betreff des Abschnitts IV. drehte sich um Herstellung eines verantwortlichen Bundesministeriums. Während die principiellen Gegner des Entwurfs überhaupt gegen

1) Vergleiche darüber die praktischen Bemerkungen des Abgeordneten, Ministers von Watzdorf- Weimar. S. 337.

die Struktur der Bundesgewalt, wie sie im Entwurfe enthalten war, ankämpften und eine Uebertragung der gesammten Exekutive auf die Krone Preussen, mit Ausschluss des Bundesrathes, also eine einheitliche konstitutionell - monarchische Bundesgewalt verlangten, sahen die Mitglieder der national-liberalen Partei ein, dass man hier einer der vertragsmässigen Grundlagen des Entwurfes gegenüberstehe, die man nicht beseitigen könne, ohne den ganzen Entwurf zu gefährden; sie beschränkten daher ihre Forderung darauf, dass wenigstens die der Präsidialgewalt zugestandenen Befugnisse durch verantwortliche Minister ausgeübt würden, indem der Grundsatz der Ministerverantwortlichkeit mit den Grundlagen des Entwurfes in Einklang stehe und für die Dauerhaftigkeit der Verfassung und deren fernere Entwickelung von Bedeutung sei2. Es wurden jedoch mehrere darauf gerichtete Anträge abgelehnt, so der Antrag: »dem Reichstage das Recht beizulegen, bei seinen Berathungen die Anwesenheit des Bundeskanzlers und der vom Bundespräsidium ernannten Vertreter der einzelnen Bundesverwaltungszweige, oder wenigstens eine Stellvertretung des Kanzlers zu verlangen «< (136 gegen 120 Stimmen), desgleichen der während der Vorberathung wiederholte Antrag: »das Präsidium für befugt zu erklären, Vorstände für einzelne Verwaltungszweige zu ernennen «< (140 gegen 124 Stimmen), endlich auch die Anträge: >> auf Ernennung von Kommissarien behufs Vertretung des Bundeskanzlers nach Massgabe ihres Auftrages, « wie » der Vorbehalt eines Gesetzes über die Verantwortlichkeit des Kanzlers und etwa ernannter Verwaltungsvorstände.« Nur der folgende Antrag des Abgeordneten von Bennigsen gelangte zur Annahme: »die Anordnungen und Verfügungen des Bundespräsidiums werden im

2) Unrichtig ist die öfters ausgesprochene Behauptung, dass die Herstellung eines Bundesministeriums die anderen Regierungen » mediatisiren«< würde, ein Ausdruck, der überhaupt mit einer Unklarheit der staatsrechtlichen Auffassung zusammenhängt. Im Bundesstaate findet eine Theilung der Souveränetätssphäre statt, indem ein Theil der Staatshoheitsrechte der Centralgewalt, ein anderer Theil den Einzelstaaten zufällt, beide sind in ihrer Sphäre souverän, die Einzelstaaten sind nicht mediatisirt, aber im Umfange ihrer Souveränetätsrechte beschränkt. Ob die Bundesgewalt die ihr zustehenden Befugnisse durch ein Ministerium oder durch Ausschüsse ausübt, ist mehr eine Frage der Behördenorganisation, als der Souveränetätsabgrenzung. In den vereinigten Staaten von Nordamerika hat die Bundesexekutive ihr vollständiges Kabinet, in der Schweiz hat der Bundesrath seine Departements und Ausschüsse, aber kein eigentliches Ministerium.

Namen des Bundes erlassen und bedürfen zu ihrer Gültigkeit der Gegenzeichnung des Bundeskanzlers, welcher dadurch die Verantwortlichkeit übernimmt. «<

Im Uebrigen blieb es bei der Bestimmung des Entwurfes Art. 16., wonach das Präsidium die erforderlichen Vorlagen, nach Massgabe der Beschlüsse des Bundesraths, an den Reichstag zu bringen hat, wo sie durch Mitglieder des Bundesraths oder durch besondere von letztern zu ernennende Kommissarien vertreten werden. Nach Art. 18. ernennt das Präsidium die Bundesbeamten, hat dieselben für den Bund zu vereidigen und erforderlichen Falles ihre Entlassung zu verfügen.

Sachlich steht übrigens in Betreff der Ministerverantwortlichkeit die Bundesverfassung mit der preussischen auf einer Linie, denn wenn letztere auch eine juristische Verantwortlichkeit principiell ausspricht, so ist diese doch, in Ermangelung eines speciellen Gesetzes, praktisch unausführbar; im norddeutschen Bunde, wie im preussischen Staate, giebt es somit in der That bis jetzt nur eine politisch moralische Verantwortlichkeit. Nicht die Unterschätzung der Bedeutung der rechtlichen Ministerverantwortlichkeit überhaupt, welche als eine nothwendige Konsequenz eines festgeordneten Rechtsstaates betrachtet werden muss, sondern die Einsicht, dass dieselbe bei den völlig unfertigen Zuständen des norddeutschen Bundes und in Ermangelung eines geeigneten Gerichtshofes vorläufig unausführbar sei, liess die Majorität des Reichstages wohlweislich auf dahin gehende Anträge verzichten 3.

3) S. 373. Den staatsrechtlich korrekten Gesichtspunkt machte der Abg. Gneist geltend: »Die rechtliche Verantwortlichkeit der Minister ist nöthig, um überhaupt das Verhältniss zwischen Gesetz und Verordnung zu regeln. Diese rechtliche Verantwortlichkeit grundsätzlich negiren, heisst überhaupt wollen, dass der Staat nicht nach Gesetzen regiert werde, mit einem Worte: die Verantwortlichkeit grundsätzlich negiren, heisst den Rechtsstaat selbst negiren. Aber richtig sind die Bedenken, soweit sie darauf aufmerksam machen, dass man eine Verfassung nicht mit der rechtlichen Verantwortlichkeit der Minister an fangen kann. Man kann vielmehr eine Verfassung mit den dazu gehörigen Gesetzen als fertig abschliessen, indem man das Siegel darauf setzt durch die Sanktion der Verantwortlichkeit. Ich finde nicht, dass die Ministerverantwortlichkeit in dieser erst entstehenden Gesetzgebungsgewalt, in dieser erst entstehenden Vollziehungsgewalt eine Stelle finden könnte, wo man sie zum Schutze eines schon bestehenden Systems der Bundesgesetzgebung ansetzen könnte. Das einzig Zulässige ist die Forderung, die

§. 20.

V. Der Reichstag.

Es war eine Reihe von Anträgen darauf gerichtet, das Zweikammersystem auch auf den Reichstag in Anwendung zu bringen. So sehr sich die Herstellung eines Oberhauses im allgemeinen empfehlen mag, besonders wo dazu geeignete lebensfähige aristokratische Elemente vorhanden sind, so wäre doch, bei der ganzen Struktur der Verfassung des norddeutschen Bundes, eine derartige Körperschaft eine verfehlte Bildung gewesen, a) weil bereits der Bundesrath, neben andern Funktionen, gewissermassen doch zugleich die Stelle einer ersten Kammer, sowie eines Staatenhauses einnimmt, b) weil durch Einfügung eines solchen neuen Gliedes der an sich schon schwerfällige bundesstaatliche Mechanismus noch unbehülflicher geworden wäre, während es gerade darauf ankommt, so lange die Zustände noch im Flusse begriffen sind, durch leichtere Beweglichkeit der Organe die Bildsamkeit der Verfassung zu erhalten. Erst wenn dereinst aus den elementaren Anfängen des norddeutschen Bundes eine Reichsverfassung im grossen Style herausgewachsen ist, wird der hohe Adel deutscher Nation, wenn er sich mit patriotischem Geiste und richtigem Verständnisse der neuen Staatsentwickelung anschliesst, den höchsten politischen Beruf einer wahren Aristokratie in einem deutschen Oberhause erfüllen können.

Selbstverständlich konnte daher in dem Entwurfe auch nur von einer reinen Wahlkammer die Rede sein. Um ein allgemein durchgreifendes, einfaches Princip der Wahl zu haben, war allerdings wohl nichts anderes übrig geblieben, als das Reichswahlgesetz von 1849 für den ersten konstituirenden, ad hoc berufenen Reichstag zu adoptiren. Es ist indessen immerhin ein bedenkliches Experiment, das allgemeine, direkte, gleiche und geheime Wahlrecht als eine dauernde Institution in die Bundesverfassung einzuführen, welche so lange in Kraft bleiben soll, bis ein definitives Reichswahlgesetz zu Stande gekommen sein wird. Bei der Kindheit unseres ganzen konstitutionellen Lebens, bei der Indifferenz der höheren, bei der geringen politischen Bil

bestimmten Organe der Staatsgewalt zu bezeichnen, die dem Parlamentskörper über Akte der Exekutive Rede und Antwort zu stehen haben.<<

dung der niedern Volksschichten in vielen Gegenden von Deutschland, erscheint es wie ein jäher Sprung, einen Wahlmodus anzunehmen, welchen das seit Jahrhunderten in konstitutioneller Freiheit und Selbstverwaltung geübte englische Volk nicht einzuführen wagt. Die Vorliebe des absolutistischen Cäsarismus, wie des demokratischen Radikalismus für diesen Wahlmodus weist deutlich auf die Gefahren hin, womit derselbe eine gesunde konstitutionelle Entwickelung bedroht. Ob es dereinst gelingen wird, in dem verheissenen Reichswahlgesetze dieses allgemeine, unterschiedslose Wahlrecht, welches lediglich auf das mechanische Princip der Kopfzahl hinausläuft, organischer zu gestalten (etwa durch engere Anknüpfung an die Gemeindeverhältnisse, durch richtige Formulirung des Begriffes der Selbstständigkeit, des eigenen Hausstandes), ist die wichtigste Lebensfrage für die Entfaltung des konstitutionellen Systems in Deutschland, welche erst die reichere Erfahrung der Zukunft richtig beantworten kann1.

Die in dem Entwurfe enthaltene Bestimmung, dass alle Beamten im Dienste eines Bundesstaats nicht wählbar sein sollten, wurde mit Recht durch den Reichstag beseitigt. Man ging dabei von der richtigen Erwägung aus, dass bei der ganzen socialen Entwickelung des deutschen Volkes, welche wesentlich von dem Beamtenthume getragen worden sei, politische Bildung ausserhalb des Beamtenkreises noch nicht genug verbreitet sei, um eine hinreichende Zahl sachkundiger und geschäftserfahrener Männer für die parlamentarische Thätigkeit zu gewinnen; obgleich es sich ebensowenig verkennen lässt, dass unser konstitutionelles Leben erst dann wahren Werth und Inhalt erhalten wird, wenn sich die selbstständigen Elemente aus den Kreisen des grossen Grundbesitzes, der Industrie, des Handels in grösserer Anzahl aktiv an den Staatsangelegenheiten betheiligen werden. Auf eine derartige Entwickelung unseres politischen Lebens sollte auch die in dem Entwurfe enthaltene Versagung der Diäten für die Abgeordneten hinarbeiten. Diese in den deutschen Verhältnissen neue und ungewohnte Bestimmung des Entwurfes bildete einen Brennpunkt der Debatten, indem von Seiten der Linken und einem Theile der Nationalliberalen geltend gemacht wurde, dass

1) Die gewichtigen Bedenken des Abg. von Sybel sind ausgesprochen in seiner Rede S. 427.

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