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der Bundesgesetzgebung, in Betreff einer weiteren Ausbildung und reicheren materiellen Ausstattung dieses Indigenats, für die Zukunft irgendwie Schranken setzen zu wollen*.

Der Art. 4. des Entwurfes zählt die Gebiete auf, für welche die Bundesgesetzgebung kompetent sein soll; er schliesst sich fast wörtlich an Art. 6. der Grundzüge vom 10. Juni an und fasst die wesentlichen und wahrhaft praktischen Punkte mit grosser Umsicht zusammen. Derselbe fand daher die fast allgemeine Billigung des Reichstages, nur in wenigen, aber nicht unwichtigen Punkten wurde die Kompetenz der Bundesgesetzgebung durch Annahme von Amendements erweitert. So wurde auf den Antrag des Abgeordneten von Hammerstein auch »das Staatsbürgerrecht«, auf den Antrag von Michaelis auch »das Passwesen und die Fremdenpolizei« hereingezogen. Während der Entwurf die Gesetzgebung des Bundes nur auf >> die für Bundeszwecke zu verwendenden indirekten Steuern << beschränkt, wurde auf Antrag von Baumstark und Braun der Zusatz »indirekt beseitigt, in Erwägung, dass das System der Matrikularbeiträge grosse Unvollkommenheiten habe und zu einer Lähmung der Centralgewalt führen könne, dass es somit für die Bundesgewalt eine Lebensfrage sei, das Recht zu haben, nach Bedarf die Geldbedürfnisse des Bundesstaates auch durch direkte Besteuerung aufzubringen, wenigstens wollte man der Bundesgewalt diese Befugniss für die Zukunft nicht abschneiden. Ausserdem erfolgten noch einige Zusätze untergeordneter Art, SO wurden auf Antrag des Grafen Eulenburg zu Nr. 8. die Worte: >> Herstellung der Land- und Wasserstrassen«, auf Antrag Baumstark's zu Nr. 9. das Wort » Flösserei« eingefügt, durch einen Antrag des Grafen Schwerin wurden unter Nr. 15. auch >> Massregeln der Medicinal- und Veterinärpolizei« zur Bundesgesetzgebung gezogen.

Ein Verdienst um das künftige Staatsrecht des norddeutschen Bundes erwarb sich der Abgeordnete Twesten dadurch, dass auf

4) In welcher Weise diese Weiterentwickelung zu erfolgen habe »durch Herstellung einer allgemeinen Zugfreiheit«, deutete Braun-Wiesbaden an. (Stenogr. Bericht S. 253.)

5) Man schloss sich darin der Resolution des am 4. August 1867 zu Braunschweig versammelten Kongresses der deutschen Volkswirthe Vierteljahrsschr. für Volkswirthschaft. 4. Jahrg. 2. Bd. S. 180, 184, 193.

an.

seinen Antrag auch »das Militärwesen und die Kriegsmarine« der Bundesgesetzgebung unterstellt wurde. Es war hier offenbar in dem Entwurfe eine, auch von den Regierungen gefühlte Lücke, welche der Ausfüllung bedurfte. Durch Art. 57 des Entwurfes war ausgesprochen, dass mit der Publikation der Verfassungsurkunde alle Bestimmungen der preussischen Militärgesetzgebung ohne weiteres in den verbündeten Ländern eingeführt sein sollen. Es fehlte aber in diesem Artikel jede Bestimmung darüber, wie und in welcher Weise die vielfach dringend gebotene Weiterbildung der Militärgesetzgebung in Zukunft zu erfolgen habe. Dieselbe dem preussischen Landtage fernerhin allein zu überweisen, wäre eine Zurücksetzung der übrigen Staaten, die Regelung wirklich ins Gebiet der Gesetzgebung eingreifender Verhältnisse auf dem blossen Verordnungswege durch den Bundesfeldherrn ein rein absolutistisches Verfahren gewesen. Es war daher eine nothwendige Konsequenz des bundesstaatlichen Princips, diese wichtige Seite der Legislative den gesetzgebenden Faktoren des Bundes, d. h. dem Bundesrathe und dem Reichstage, zu überweisen. Mit dieser Erweiterung der legislativen Kompetenz des Bundes musste aber nothwendig eine Bestimmung verbunden werden, welche Preussen, das sich damit seiner eigenen Legislatur über die Militärverhältnisse begab, gegen jede, wenigstens denkbare Majorisirung zu schützen im Stande war. Es musste der Krone Preussen dasselbe Veto zum Schutze bestehender Einrichtungen beigelegt werden, welches der Entwurf ihr bei Berathungen über Zollwesen und Handelsverträge einräumt. Nur so kann verhütet werden, dass wider den Willen der preussischen Regierung, als Vertreterin der Wehrkraft des Bundes, durch eine Mehrheit im Bundesrathe und im Reichstage, Aenderungen in der Militärgesetzgebung herbeigeführt werden können, welche die Wehrhaftigkeit des Bundes schwächen. Der zweite Theil des Twesten'schen Amendements:

>> Bei Gesetzesvorschlägen über das Militärwesen und die Kriegsmarine giebt, wenn im Bundesrathe eine Meinungsverschiedenheit stattfindet, die Stimme des Präsidiums den Ausschlag, wenn sie sich für die Aufrechthaltung der bestehenden Einrichtungen ausspricht

6) Rede des Abg. Wagner. Stenogr. Ber. S. 306.
7) Rede des Abg. Twesten. Stenogr. Ber. S. 308.

Krisis des deutschen Staatsrechts.

war das nothwendige Korrelat, welches der preussischen Regierung die Annahme des ersten Theiles des Amendements möglich machte.

ge

Schliesslich fand noch eine wesentliche Erweiterung der Bundeskompetenz in Betreff der eigentlichen Justizgesetzgebung statt. Während der Entwurf unter Nr. 13 nur » die meinsame Civilprozessordnung und das gemeinsame Konkursverfahren nebst Wechsel- und Handelsrecht ins Auge fasste, wurde, auf den Antrag des Abgeordneten Lasker, von dem Reichstage beschlossen, die gemeinsame Gesetzgebung auch auf » das Obligationenrecht, Strafrecht, Handels- und Wechselrecht und das gerichtliche Verfahren« zu erstrecken. Noch weiter ging der Antrag des Abgeordneten Miquèl, welcher eine gemeinsame Gesetzgebung über »das bürgerliche Recht, das Strafrecht und das gerichtliche Verfahren « postulirte. Obgleich sein wohlmotivirter Antrag nicht die Mehrheit für sich gewann, so war es doch bedeutsam, dass zwei hervorragende Meister der Rechtswissenschaft, der eine als Vertreter der civilisti. schen, der andere der germanistischen Jurisprudenz, ein gewichtiges Zeugniss ablegten für das einheitliche Rechtsbewusstsein des deutschen Volkes und das nationale Streben der neueren deutschen Rechtswissenschaft. Die beiden Abgeordneten Wächter und Gerber erklärten mit eben so beredten Worten, als schlagenden Gründen die nationale Rechtseinheit, die Schöpfung eines wahrhaft gemeinen Rechtes, welches das lebendige und zeitgemässe Rechtsbewusstsein des deutschen Volkes zum Ausdrucke bringe, für die edelste Sehnsucht und das höchste Ziel aller denkenden deutschen Juristen. Ist der Wunsch dieser Männer, » dass der deutschen

es

8) Vergl. dessen Motivirung S. 285.

9) Der Abgeordnete von Wächter sprach sich folgendermassen aus: »Ich glaube, wir könnten es als eine zulässige Aufgabe der Zukunft hinstellen, überhaupt ein gemeinsames bürgerliches Gesetzbuch für den ganzen norddeutschen Bund und für diejenigen Staaten, die wir hoffentlich noch zu unserem Bunde heranziehen werden, zu schaffen... Wie unendlich wichtig wäre ich will nicht sagen für die Theorie, denn Gesetze macht man nicht für die Theorie, sondern für die Praxis und für das Leben-wie unendlich wichtig wäre es für das Leben, wenn alle Staaten des norddeutschen Bundes ein und dasselbe Gesetzbuch hätten, in welchem die ganze geistige und wissenschaftliche Kraft der Theoretiker und Praktiker aller dieser Staaten sich koncentrirte, während jetzt unsere Kraft und die praktische Ausbildung unseres Rechtes sich in den verschiedensten Legislationen zersplittert und zum Theil verdumpft.«< (S. 288.) In gleicher Weise motivirte Gerber diesen Gedanken: »Es bedarf

Bundesgewalt eine Einwirkung auf dieses wichtige Gebiet der Volkssittlichkeit direkt und ausdrücklich gesichert, dass ihr die Vollmacht gegeben werde, auf diesem Wege vorzuschreiten, «< durch Ablehnung des Miquèl'schen Antrages vorläufig nicht in vollständige Erfüllung gegangen, so ist doch durch sie für die Zukunft der Weg unfehlbar vorgezeichnet, welchen die Rechtswissenschaft, im Dienste des deutschen Volkslebens, zu wandeln hat, um ihre höchste Aufgabe zu erfüllen.

Nachdem die Kompetenz der Bundesgewalt in dieser Weise umgrenzt worden ist, geht der Entwurf zur Feststellung der Organe über, durch welche die Bundesgewalt ausgeübt werden soll. Es sind deren drei: der Bundesrath, das Bundespräsidium und der Reichstag. Durch den Bundesrath und den Reichstag wird die legislative Gewalt des Bundes ausgeübt, die Uebereinstimmung der Mehrheitsbeschlüsse beider Versammlungen ist zu einem Bundesgesetze erforderlich und ausreichend. Nur bei Verfassungsänderungen ist eine Mehrheit yon der Stimmen im Bundesrathe nothwendig. Die Regierungsgewalt des Bundes, die s. g. Exekutive, steht dem Bundesrathe, unter Leitung des Bundespräsidiums, in einigen der wichtigsten Funktionen aber dem Bundespräsidium, unter verschiedenen Titeln, allein zu; der Reichstag nimmt in keiner Beziehung an der Exekutive Theil. Die Organisation dieser drei wichtigen Faktoren der Bundesgewalt hing so eng mit der ganzen Natur des Verfassungswerkes zusammen, dass man durch Bekämpfung dieser fundamentalen Einrichtungen die ganze Existenz des Entwurfes in Frage gestellt haben würde. Die positiven Elemente des Reichstages nahmen daher, trotz tiefgehender principieller Bedenken, die organischen Grundlagen an und suchten nur im Einzelnen auf solche Abänderungen im konstitutionellen und einheitlichen Sinne hinzuwirken, welche mit dem Geiste des Entwurfes nicht unverträglich waren. So ging vor allen der Bundesrath ohne jede Veränderung aus den Berathungen des Reichstages hervor.

in der That keiner Ausführung, warum diese Sehnsucht nach einem gemeinsamen Rechte besteht und was ihre Grundlage ist. Es sind die zwei Gedanken: einmal, dass die Einheit des Rechts auf die Zusammenfassung des sittlichen Geistes des geeinten Volkes zurückwirkt, und dann der Gedanke, dass die Wissenschaft in dem Ausbaue dieses einheitlichen Rechtes sich koncentrirt und es vermeidet, ihre Kräfte zu vergeuden, indem sie sich an einer Reihe von Partikularrechten zersplittert.« S. 290.

§. 18.

III. Bundesrath.

Da der Entwurf überhaupt beabsichtigte, »an gewohnte Einrichtungen anzuknüpfen, so wurde für die Stimmenvertheilung im Bundesrathe das Stimmenverhältniss im Plenum des ehemaligen Bundestages zu Grunde gelegt. Indem dem preussischen Staate die Stimmen der inkorporirten Länder Hannover, Kurhessen, Holstein, Nassau und Frankfurt akkresciren, so kommen von den 43 Stimmen 17 auf Preussen. Wollte man einmal einen derartigen Bundesrath ins Leben rufen, so durfte wenigstens die juristische Möglichkeit nicht ausgeschlossen sein, dass die Gesammtheit der anderen Staaten Preussen zu überstimmen im Stande sei, da dieselben sonst gar kein Interesse haben würden, sich in demselben vertreten zu lassen; wird doch diese Möglichkeit durch den thatsächlichen Einfluss Preussens und sein Veto in zwei der wichtigsten Beziehungen weniger bedenklich gemacht. Die verfassungsmässigen Ausschüsse sind wesentlich nur vorbereitende Organe des Bundesrathes, doch kommen ihnen auch einige unabhängige Funktionen zu, namentlich dem Ausschusse für das Rechnungswesen, welcher alle drei Monate die Beträge der Zölle und Verbrauchsabgaben festzustellen, die einzelnen Staaten davon in Kenntniss zu setzen und sie zur definitiven Feststellung dem Bundesrathe vorzulegen hat, und der Ausschuss für Handel und Verkehr, welcher bei der Anstellung von Bundeskonsuln vernommen werden soll. Wichtig ist, dass die Mitglieder des Militär- und des Marineausschusses lediglich vom Bundesfeldherrn, d. h. vom Könige von Preussen, ernannt werden.

Die Mitglieder des Bundesrathes erfreuen sich der völkerrechtlichen Prärogative diplomatischer Personen, dagegen ist ihnen der Rang einer bestimmten Gesandtenklasse nicht beigelegt.

Uebrigens ist die politische Bedeutung und geschäftliche Praxis des Bundesraths noch so wenig fixirt, dass das Meiste hier der lebendigen Entwickelung der Zukunft überlassen bleibt. Viel wird davon abhängen, ob und wie weit die einzelnen Glieder des Bundesraths es verstehen, sich nicht blos zu Dienern partikulärer Interessen, sondern auch zu Trägern einer gesunden nationalen Weiterentwickelung zu machen.

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