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110 Zweites Kapitel. Die Gründung des norddeutschen Bundes.

selbst nichtverbündeten Staaten abschliessen können, dass sie das aktive und passive Gesandtschaftsrecht beibehalten, ist juristisch unzweifelhaft, wenn es auch thatsächlich keine grosse Bedeutung haben wird.

4. Die grössten Beschränkungen erfährt das Staatsrecht der Einzelstaaten auf finanziellem Gebiete, besonders wird das Budgetrecht der Landtage sehr modificirt. In den Einzelbudgets (natürlich auch im preussischen) fallen ganze Kategorien von Einnahmen weg, z. B. aus dem Salzmonopol, den Zöllen, den Verbrauchssteuern, aber ebenso grosse Ausgabeposten für Militär, Marine, Post- und Telegraphenwesen u. s. w. Die über den Ertrag der dem Bunde zustehenden Einnahmen hinausgehenden Ausgaben sind vorläufig durch Matrikularbeiträge zu decken. Die auf jeden Staat fallende Summe kann von den Einzellandtagen nie verweigert werden, sie ist, nur der Uebersicht halber, in den Etat aufzunehmen.

Schon aus diesen kurzen Andeutungen ergiebt sich, dass das Nebeneinanderstehen zweier Verfassungen, die Theilung der Staatsaufgaben zwischen der Centralgewalt und den Einzelstaaten zu manchen Kompetenzkonflikten führen kann, dass insbesondere Reibungen zwischen den zwei grossen Körperschaften des Reichstages und des preussischen Landtages nicht ausserhalb der Möglichkeit liegen. Aber auch im Staats- und Völkerleben gilt der Satz, dass der Buchstabe tödtet und der Geist lebendig macht. Es ist die treibende Kraft des deutschen Volksgeistes, welcher wir die Weiterbildung dieses Verfassungswerkes vertrauensvoll überlassen können. Dieser Geist wird die im Mechanismus dieser Verfassung nothwendig liegenden Mängel überwinden helfen und zur rechten Zeit dem nationalen Bedürfnisse auch die rechte Form geben. Auf den elementaren, aber soliden Fundamenten des norddeutschen Bundes wird sich das deutsche Volk das deutsche Reich der Zukunft aufbauen.

Anhang.

Verfassung

des

Norddeutschen Bundes*.

Seine Majestät der König von Preussen, Seine Majestät der König von Sachsen, Seine Königliche Hoheit der Grossherzog von MecklenburgSchwerin, Seine Königliche Hoheit der Grossherzog von Sachsen-WeimarEisenach, Seine Königliche Hoheit der Grossherzog von MecklenburgStrelitz, Seine Königliche Hoheit der Grossherzog von Oldenburg, Seine Hoheit der Herzog von Braunschweig und Lüneburg, Seine Hoheit der Herzog von Sachsen-Meiningen und Hildburghausen, Seine Hoheit der Herzog zu Sachsen-Altenburg, Seine Hoheit der Herzog zu SachsenKoburg und Gotha, Seine Hoheit der Herzog von Anhalt, Seine Durchlaucht der Fürst zu Schwarzburg-Rudolstadt, Seine Durchlaucht der Fürst zu Schwarzburg-Sondershausen, Seine Durchlaucht der Fürst zu Waldeck und Pyrmont, Ihre Durchlaucht die Fürstin Reuss älterer Linie, Seine Durchlaucht der Fürst Reuss jüngerer Linie, Seine Durchlaucht der Fürst von Schaumburg-Lippe, Seine Durchlaucht der Fürst zur Lippe, der Senat der freien und Hansestadt Lübek, der Senat der freien Hansestadt Bremen, der Senat der freien und Hansestadt Hamburg, jeder für den gesammten Umfang ihres Staatsgebietes, und Seine Königliche Hoheit der Grossherzog von Hessen und bei Rhein, für die nördlich vom Main belegenen Theile des Grossherzogthums Hessen, schliessen einen ewigen Bund zum Schutze des Bundesgebietes und des innerhalb desselben gültigen Rechtes, so wie zur Pflege der Wohlfahrt des deutschen Volkes. Dieser Bund wird den Namen des Norddeutschen führen und wird nachstehende Verfassung haben.

I. Bundesgebiet.

Art. 1. Das Bundesgebiet besteht aus den Staaten Preussen mit Lauenburg, Sachsen, Mecklenburg-Schwerin, Sachsen-Weimar, Meck

*) Die im Texte mit Cursiv - Schrift gedruckten Stellen sind die vom Reichstage angenommenen Zusätze, während die unter den Seiten fortlaufenden Sätze die gestrichenen Stellen des Entwurfs bezeichnen.

lenburg-Strelitz, Oldenburg, Braunschweig, Sachsen-Meiningen, Sachsen-Altenburg, Sachsen-Koburg-Gotha, Anhalt, Schwarzburg - Rudolstadt, Schwarzburg-Sondershausen, Waldeck, Reuss älterer Linie, Reuss jüngerer Linie, Schaumburg-Lippe, Lippe, Lübeck, Bremen, Hamburg, und aus den nördlich vom Main belegenen Theilen des Grossherzogthums Hessen.

II. Bundes-Gesetzgebung.

Art. 2. Innerhalb dieses Bundesgebiets übt der Bund das Recht der Gesetzgebung nach Massgabe des Inhalts dieser Verfassung und mit der Wirkung aus, dass die Bundesgesetze den Landesgesetzen vorgehen. Die Bundesgesetze erhalten ihre verbindliche Kraft durch ihre Verkündigung von Bundes wegen, welche vermittelst eines Bundesgesetzblattes geschieht. Sofern nicht in dem publicirten Gesetze ein anderer Anfangstermin seiner verbindlichen Kraft bestimmt ist, beginnt die letztere mit dem vierzehnten Tage nach dem Ablauf desjenigen Tages, an welchem das betreffende Stück des Bundesgesetzblattes in Berlin ausgegeben worden ist.

Art. 3. Für den ganzen Umfang des Bundesgebiets besteht ein gemeinsames Indigenat mit der Wirkung, dass der Angehörige (Unterthan, Staatsbürger) eines jeden Bundesstaates in jedem andern Bundesstaate als Inländer zu behandeln und demgemäss zum festen Wohnsitz, zum Gewerbebetrieb, zu öffentlichen Aemtern, zur Erwerbung von Grundstücken, zur Erlangung des Staatsbürgerrechts und zum Genusse aller sonstigen bürgerlichen Rechte unter denselben Voraussetzungen wie der Einheimische zuzulassen, auch in Betreff der Rechtsverfolgung und des Rechtsschutzes demselben gleich zu behandeln ist.

In der Ausübung dieser Befugnisse darf der Bundesangehörige weder durch die Obrigkeit seiner Heimath, noch durch die Obrigkeit eines andern Bundesstaates beschränkt werden.

Diejenigen Bestimmungen, welche die Armenversorgung und die Aufnahme in den lokalen Gemeindeverband betreffen, werden durch den im ersten Absatz ausgesprochenen Grundsatz nicht berührt.

Ebenso bleiben bis auf Weiteres die Verträge in Kraft, welche zwischen den einzelnen Bundesstaaten in Beziehung auf die Uebernahme von Auszuweisenden, die Verpflegung erkrankter und die Beerdigung verstorbener Staatsangehörigen bestehen.

Hinsichtlich der Erfüllung der Militärpflicht im Verhältnisse zu dem Heimathslande wird im Wege der Bundesgesetzgebung das Nöthige geordnet werden.

Dem Auslande gegenüber haben alle Bundesangehörigen gleichmässig Anspruch auf den Bundesschutz.

Art. 4. Der Beaufsichtigung Seitens des Bundes und der Gesetzgebung desselben unterliegen die nachstehenden Angelegenheiten:

1. Die Bestimmung über Freizügigkeit, Heimaths- und Niederlassungs-Verhältnisse, Staatsbürgerrecht, Passwesen und Fremden-Polizei und über den Gewerbebetrieb, einschliesslich des Versicherungswesens,

soweit diese Gegenstände nicht schon durch den Art. 3. dieser Verfassung erledigt sind, desgleichen über die Kolonisation und die Auswanderung nach ausserdeutschen Ländern;

2. die Zoll- und Handels-Gesetzgebung und die für Bundeszwecke zu verwendenden1 Steuern;

3. die Ordnung des Maass-, Münz- und Gewichts-Systems, nebst Feststellung der Grundsätze über die Emission von fundirtem und unfundirtem Papiergelde;

4. die allgemeinen Bestimmungen über das Bankwesen;

5. die Erfindungs-Patente;

6. der Schutz des geistigen Eigenthums;

7. Organisation eines gemeinsamen Schutzes des deutschen Handels im Auslande, der deutschen Schifffahrt und ihrer Flagge zur See und Anordnung gemeinsamer konsularischer Vertretung, welche vom Bunde ausgestattet wird;

8. das Eisenbahnwesen und die Herstellung von Land- und Wasserstrassen im Interesse der Landesvertheidigung und des allgemeinen Verkehrs;

9. der Flösserei- und Schifffahrtsbetrieb auf den mehreren Staaten gemeinsamen Wasserstrassen und der Zustand der letzteren, sowie die Fluss- und sonstigen Wasserzölle;

10. das Post- und Telegraphenwesen;

11. Bestimmungen über die wechselseitige Vollstreckung von Erkenntnissen in Civil-Sachen und Erledigung von Requisitionen überhaupt;

12. sowie über die Beglaubigung von öffentlichen Urkunden; 13. die gemeinsame Gesetzgebung über das Obligationenrecht, Strafrecht, Handels- und Wechselrecht und das gerichtliche Verfahren 2; 14. das Militairwesen des Bundes und die Kriegsmarine; 15. Massregeln der Medicinal- und Veterinärpolizei.

Art. 5. Die Bundesgesetzgebung wird ausgeübt durch den Bundesrath und den Reichstag. Die Uebereinstimmung der MehrheitsBeschlüsse beider Versammlungen ist zu einem Bundesgesetze erforderlich und ausreichend.

Bei Gesetzes-Vorschlägen über das Militairwesen und die Kriegsmarine giebt, wenn im Bundesrathe eine Meinungsverschiedenheit stattfindet, die Stimme des Präsidiums den Ausschlag, wenn sie sich für die Aufrechterhaltung der bestehenden Einrichtungen ausspricht.

III. Bundesrath.

Art. 6. Der Bundesrath besteht aus den Vertretern der Mitglieder des Bundes, unter welchen die Stimmführung sich nach Massgabe der Vorschriften für das Plenum des ehemaligen deutschen Bundes vertheilt,

1) Entwurf: indirekten.

2) Entwurf: Art. 13: Die gemeinsame Civil-Processordnung und das gemeinsame Konkursverfahren, Wechsel- und Handelsrecht.

Krisis des deutschen Staatsrechts.

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so dass Preussen mit den ehemaligen Stimmen von Hannover, Kurhessen, Holstein, Nassau und Frankfurt 17 Stimmen führt, Sachsen 4, Hessen 1, Mecklenburg-Schwerin 2, Sachsen-Weimar 1, MecklenburgStrelitz 1, Oldenburg 1. Braunschweig 2, Sachsen-Meiningen 1, SachsenAltenburg 1, Sachsen-Koburg-Gotha 1, Anhalt 1, Schwarzburg-Rudolstadt 1, Schwarzburg-Sondershausen 1, Waldeck 1, Reuss älterer Linie 1, Reuss jüngerer Linie 1, Schaumburg-Lippe 1, Lippe 1, Lübeck 1, Bremen 1, Hamburg 1. Summa 43 Stimmen.

Art. 7. Jedes Mitglied des Bundes kann so viel Bevollmächtigte zum Bundes-Rathe ernennen, wie es Stimmen hat; doch kann die Gesammtheit der zuständigen Stimmen nur einheitlich abgegeben werden. Nicht vertretene oder nicht instruirte Stimmen werden nicht gezählt.

Jedes Bundesglied ist befugt, Vorschläge zu machen und in Vortrag zu bringen, und das Präsidium ist verpflichtet, dieselben der Berathung zu übergeben. Die Beschlussfassung erfolgt mit einfacher Mehrheit. Bei Stimmengleichheit giebt die Präsidialstimme den Ausschlag.

Art. 8. Der Bundesrath bildet aus seiner Mitte dauernde Ausschüsse

1. für das Landheer und die Festungen,

2. für das Seewesen,

3. für Zoll- und Steuerwesen,

4. für Handel und Verkehr,

5. für Eisenbahnen, Post- und Telegraphenwesen,

6. für Justizwesen,

7. für Rechnungswesen.

In jedem dieser Ausschüsse werden ausser dem Präsidium mindestens zwei Bundesstaaten vertreten sein, und führt innerhalb derselben jeder Staat nur eine Stimme. Die Mitglieder der Ausschüsse zu 1. und 2. werden von dem Bundesfeldherrn ernannt, die der übrigen von dem Bundesrathe gewählt. Die Zusammensetzung dieser Ausschüsse ist für jede Session des Bundesrathes resp. mit jedem Jahre zu erneuern, wobei die ausscheidenden Mitglieder wieder wählbar sind. Den Ausschüssen werden die zu ihren Arbeiten nöthigen Beamten zur Verfügung gestellt.

Art. 9. Jedes Mitglied des Bundesrathes hat das Recht, im Reichstage zu erscheinen und muss daselbst auf Verlangen jederzeit gehört werden, um die Ansichten seiner Regierung zu vertreten, auch dann, wenn dieselben von der Majorität des Bundesrathes nicht adoptirt worden sind. Niemand kann gleichzeitig Mitglied des Bundesrathes und des Reichstages sein.

Art. 10. Dem Bundes-Präsidium liegt es ob, den Mitgliedern des Bundesrathes den üblichen diplomatischen Schutz zu gewähren.

IV. Bundes-Präsidium,

Art. 11. Das Präsidium des Bundes steht der Krone Preussen zu, welche in Ausübung desselben den Bund völkerrechtlich zu vertreten, im Namen des Bundes Krieg zu erklären und Frieden zu schliessen,

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