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Abersehungsrecht vorbehalten.

Dormort.

Durch eine Reihe glücklicher Umstände bin ich in die Kenntnis von seltenen und wertvollen Schriften und Mitteilungen gekommen, die über die Begründung des Deutschen Reichs und Kaisertums Aufklärung geben. Indessen habe ich mit einer wissenschaftlichen Verarbeitung dieses Schahes persönlicher und amtlicher Überlieferungen immer noch zurückgehalten, weil ich die Hoffnung nicht aufgeben mochte, daß die Zeit nicht allzuferne sein werde, wo die Eröffnung der deutschen Staatsarchive dem Geschichtsforscher GeLegenheit zu allseitigeren und strenger geordneten Studien auch für die dem Jahre 1866 folgende Epoche geben dürfte. Allein diese Aussicht hat sich für lange Jahre noch für ausgeschlossen gezeigt. Denn in den meisten Staaten, vor allem in Preußen, sind die Akten nach 1866 noch gar nicht den Staatsarchiven übergeben und ruhen vorläufig in den Staats- und Reichsämtern zerstreut, in denen sie ihren Ursprung genommen haben. Auch wird bei der Ordnung des archivalischen Stoffes sich ohne Zweifel eine Schwierigkeit ergeben, die mit den in dieser Beziehung nicht festgestellten bundesrechtlichen Verhältnissen zusammenhängt. Da es ein deutsches Bundes- und Reichsarchiv nicht gibt, wird die Frage aufgeworfen werden können, wohin die Reichsakten gelangen werden, wenn sie in der Reichskanzlei keinen Plaz mehr finden sollten. Werden sie bundesstaatlich an die einzelnen Archive in Preußen, Bayern, Sachsen u. s. w. verteilt sein, wo sie der Geschichtsforscher zusammensuchen wird? Mir war unter diesen Umständen es vollkommen begreiflich, daß mir noch vor kurzer Zeit, da ich mich um Benüßung gewisser Gesandtschaftsberichte bewarb, in Berlin der Bescheid erteilt wurde, daß die Akten zerstreut und lückenhaft seien, und daher die „Befürchtung bestehe, lediglich Mißverständnisse" herbeizuführen.

Indem ich auf solche Weise die Gewißheit erlangte, daß mir

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ein vollkommen ausreichendes amtliches Material zu einer Geschichte der Begründung des Reiches niemals zur Verfügung stehen werde, glaubte ich nun den Versuch machen zu dürfen, auch mit den bescheidenen Hilfsmitteln, die mir zu Gebote stehen, ein historisch abgerundetes Bild des wichtigsten Teiles der lezten Vergangenheit zu entwerfen.

Anregung hierzu hatte ich schon vor langer Zeit von dem verewigten Herzog Ernst II. von Koburg erhalten, der mich während eines fast zwanzigjährigen, vorzugsweise den geschichtlichen Erinnerungen der Entstehung des Reiches gewidmeten Verkehrs in den Besitz von Abschriften wichtiger Korrespondenzen und persönlicher Aufzeichnungen gesezt hat, sodaß ich bedauern müßte, wenn dieselben gegen den bestimmt ausgesprochenen Wunsch meines hohen Gönners mit meinem Tode der Wissenschaft verloren gingen. Als der Herzog sein umfangreiches Memoirenwerk ausarbeitete, hatte er die Absicht, seine Darstellung nicht mit dem Jahre 1866 abzubrechen, sondern gedachte sein eigenes Werk selbst noch über das Jahr 1870 hinauszuführen. Mancherlei Umstände machten aber diesen Plan unausführbar und so erzählt das Memoirenwerk die Geschichte der Jahre 1866 bis 1871 in einem sehr kurzen, wenn auch in vieler Beziehung beachtenswerten Abriß. Der Herzog überließ mir jedoch seine Excerpte und Diktate in der Erwartung, daß ich dieselben in späteren Jahren zu verwerten in der Lage sein werde. In diesem Sinne gestattete mir auch die Frau Herzogin-Witwe die Benüßung der herzoglichen Tagebücher bis zu dieser Stunde und haben dieselben insbesondere durch die chronistisch zuverlässigsten Eintragungen bei der kritischen Feststellung vieler Ereignisse mir sehr schäßenswerte Dienste geleistet. Außerdem verdankte ich dem regen Interesse des verstorbenen Ministers von Seebach mancherlei mir zur Verfügung gestellte Abschriften von Akten und Briefschaften aus dessen Privatbesiy.

Aus den Aktenbeständen der Archive Herzogs Ernst war mir ferner bekannt, daß Se. Hoheit der Herzog von Meiningen seit 1866 viele politische Angelegenheiten mit Herzog Ernst brieflich verhandelte, was mich veranlaßte, an Se. Hoheit die Bitte zu richten, einiges von dem Inhalt dieser Korrespondenz verwerten. zu dürfen, und ich habe hierfür sowie auch für die Beantwortung

mancher an Se. Hoheit gerichteten Fragen meinen verbindlichsten Dank auszusprechen.

Ein entscheidender Wendepunkt für meinen Entschluß, endlich eine Verarbeitung dieser mannigfaltigen Materialien zu unternehmen, war im Jahre 1897 eingetreten, wo ich zur Gedenkfeier des hundertsten Geburtstages Kaiser Wilhelms I. in der Deutschen Rundschau ein Lebensbild skizziert habe, welches Sr. königlichen Hoheit dem Großherzog von Baden zufällig bekannt wurde. Dies hatte zur Folge, daß Se. königliche Hoheit mir den Wunsch eröffnen ließ, Abdrücke der kleinen Schrift zur Verteilung in Schulen zu besitzen. Obwohl diesem für mich so ehrenvollen Ansinnen nicht rasch genug entsprochen werden konnte, so nahm Se. königliche Hoheit doch Kenntnis davon, daß ich seit Jahren Akten und Überlieferungen über die in den Geschichtswerken nach meiner Ansicht immer noch nicht genugsam gewürdigte persönliche Wirksamkeit des großen Kaisers sammle. Meine Absicht, ein schärfer gemaltes Porträt des Kaisers besonders in den Jahren der Reichsgründung zu zeichnen, hatte die höchste Entschließung zur Folge, mich durch Jahre in umfangreicher, für mich verantwortungsvollster Art mit Perlen eigener Erinnerungen, wie mit vielen Schriftstücken aus eigenem und aus dem Besize Sr. königlichen Hoheit einst nahestchender Persönlichkeiten ausrüsten zu lassen. So war ich mit der Korrespondenz mit dem verstorbenen Staatsrat Gelzer vertraut geworden, dessen Tagebücher mir auch vorlagen; auch erhielt ich Schriftstücke persönlicher Art aus dem Nachlaß der bei der Reichsgründung besonders beteiligten Staatsmänner, besonders auch das Tagebuch des Ministers von Freydorf, die Korrespondenz mit Staatsminister Jolly und vieles andere.

Die umfassenden Akten des badischen Ministeriums aus den Jahren 1866 bis 1871 mit Einschluß der Gesandtschaftsberichte hat schon in den 90er Jahren Professor Georg Meyer in Heidelberg benüßen dürfen, aber wo immer ich dieses großartige Aktenmaterial aufschlug und die Spuren des eifrig forschenden Staatsgelehrten fand, bemerkte ich doch, daß die Wege des Historikers sich von denen des Juristen wesentlich unterscheiden. Ich darf wohl sagen, daß die kleine Schrift Georg Meyers nicht eine

entfernte Vorstellung von dem Reichtum der badischen Ministerialakten gewähren konnte. Es war mir aber durch die Güte Sr. königlichen Hoheit des Großherzogs auch noch weiter möglich, Papiere anderer Herkunft zu benüßen, die in Abschriften an das großherzogliche Kabinett zum Zwecke literarischer Verwendung vorlängst überlassen waren, wie die wertvollen Berichte des späteren oldenburgischen Staatsministers G. G. Jansen an seinen Herrn, den Großherzog Peter, aus dem Jahre 1870, so wie die kostbare Denkschrift des lehteren von 1866 und manches andere.

Zuletzt waren mir auch weimarische Ministerialakten und endlich selbst das gleichfalls so wichtige Tagebuch des Großherzogs Carl Alexander von Weimar aus Versailles zugänglich geworden. Aus diesem hat mir mein verehrter Fachgenosse, Herr Kabinettssekretär Freiherr von Egloffstein eine Reihe der interessantesten Auszüge mitteilen dürfen und ich lege meinem gnädigsten Landesherrn hierfür noch ganz besonders meinen Dank zu Füßen. Daß aber dieses ganze Werk ohne das unbegrenzte Vertrauen Sr. königlichen Hoheit des Großherzogs von Baden nicht zu stande gekommen wäre, wird der Leser überall wahrnehmen.

Es ist nicht meine Absicht, neben dem hier gegebenen Hinweis auf meine Quellen mich über Auffassungen und Leistungen auf dem Gebiete der Geschichte der Reichsbegründung im allgemeinen zu verbreiten. Das Bewußtsein, lediglich der historischen Wahrheit dienen zu wollen, muß den Geschichtschreiber so nahe liegender Epochen selbstverständlich für unvermeidliche Mißdeutungen entschädigen, welche der Parteigeist mit einem gewissen Recht in Anspruch nehmen wird. Ohne diesen irgend befehden oder einschränken zu wollen, wäre es erfreulich, wenn man meine durchaus und in jeder Beziehung unabhängige Stellungnahme nicht verkennen würde.

Zum Schlusse darf ich mitteilen, daß die Druckbogen zum großen Teile von keinem Geringeren als meinem gütigen Freunde Professor Erich Schmidt in Berlin durchgesehen worden sind, dessen schriftstellerischer Hand eine große Zahl von Besserungen nach jeder Richtung hin zu verdanken ist.

Jena, im August 1902.

Der Verfasser.

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