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Erinnerungen an die große Zeit der Reichsgründung sind nicht nur sehr dunkel geworden, sondern es haben sich auch mythische Vorstellungen entwickelt, wie sie zwar von allen gewaltigen Begebenheiten der Völker sich zu bilden pflegen und häufig auch ganz nüßlich sein können, aber den Wunsch der wenigeren nicht zu stillen vermögen, die zu wissen verlangen, wie alles in Wirklichkeit gewesen sei.

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Neuntes Kapitel.

Der Abschluß der Reichsgründung und die allgemeine politische Lage.

Von einer nicht geringen Zahl von Persönlichkeiten, die mit Bismarck in den Tagen verkehrten, in denen er die weltgeschichtlich größte Tat seines Lebens, die Friedensverhandlungen in Versailles, vollzog, liegen Äußerungen über ihre Eindrücke und Erinnerungen an jene große unvergeßliche Zeit vor. Vieles da= von ist heute veröffentlicht, und in der Bewunderung für den großen Staatsmann findet sich eine seltene Übereinstimmung bei allen, die die Elastizität seines Geistes gerade in den mühevollsten und anstrengendsten, oft unnötig verlängerten Verhandlungen mit Favre und Thiers beobachteten. Aber in der reichen Auswahl solcher Überlieferungen findet man doch vorzugsweise nur zwei Briefwechsel, in denen ein edles und vornehmes Bild von der Lage und Person Bismarcks hervortritt, und welches man mit unbefangenem Vergnügen im Gedächtnis bewahren mag. Der eine dieser Autoren ist der treueste und feingebildetste langjährige Gehilfe des auswärtigen Amtes, Abeken, und der andere der scharfbeobachtende badische Minister Jolly. Gar schön beschreibt Abeken die großen Leistungen, welche zwei so grundverschiedene Geister und Charaktere, wie Moltke und Bismarck,

jeder in seiner Art groß und eigentümlich, zu vollbringen wußten, ohne daß sie sich doch persönlich zu vereinigen und zu verständigen vermocht hätten. „Zu den verworrenen Wegen der Politik, die immer nach den verschiedensten Seiten blicken muß, hat der Liebe Gott" meint Abeken, „wohl eben auch komplizierte Charaktere, wie Graf Bismarck es ist, an diese Stelle gesezt." Und ebenso schön und dankbar blickt Jolly zu dem gewaltigen Riesen empor, der gleichsam spielend vor den Augen der süddeutschen Minister die schwierigsten Fragen des zu begründenden Weltfriedens zu lösen verstand. Interessant findet Jolly besonders seine allgemeinen politischen Reflexionen, wenn man Bismarcks aus der frischesten Anschauung hervorsprudelnden Bemerkungen so nennen darf und mag. Sie laufen wesentlich darauf hinaus, große politische Änderungen ließen sich nicht machen, man müsse den natürlichen Lauf der Dinge beachten und sich darauf beschränken, das Gereifte zu sichern; der Staatsmann müsse wie ein Förster sein, der geduldig abwarte, bis der Wald schlagreif geworden.

Im weiteren macht Jolly aber eine sehr beachtenswerte Bemerkung über die Eigenständigkeit und die Vereinsamung, in welcher Gedanken und Entschlüsse in Bismarck reiften. „Wunderbar, daß der unvergleichlich geniale, gesellschaftlich so überaus liebenswürdige Mann doch allem Anschein nach eigentlich keinen persönlich an ihn geketteten Freund hat. Es war mir sehr merkwürdig, wie in diesen Tagen herrlicher Entscheidung die vermeintlich vertrautesten Räte seines Ministeriums, wenn ich nicht sehr irre, innerlich gegen ihn gereizt waren, weil er vermöge seiner unbedingt gebieterischen Natur jedes Vertrauen, jede Mitteilung, jede Gemeinsamkeit verschmäht und allein seine kühnen Pfade wandelt. Unbegrenzten Dank sind wir ihm, denke ich, wegen seiner in ihren Folgen ihn am schwersten treffenden Rücksichtslosigkeit nur um so mehr schuldig. Er ist ein rastloser Arbeiter, der ein vertrauensvolles Sichgehenlassen nicht kennt und bei welchem in Ermangelung dieser natürlichsten Aussparnuag

die Gereiztheit und Überspannung begreiflich sind. Auf meine Frage, wie er den jezigen Moment genieße, erhielt ich die Antwort: Es gibt im politischen Leben keinen Ruhepunkt, der ein befriedigtes Rückschauen zuläßt; ich weiß nicht, was aus dem heute gepflanzten morgen wird."

Troß dieser rastlos fortschreitenden politischen Werktätigkeit, die lediglich von dem Moment bestimmt und auf den eben vorliegenden Fall berechnet zu sein scheint, fehlt es dem großen Staatsmann nicht an bestimmten prinzipiell feststehenden Grundanschauungen, die seiner Politik in den inneren und äußeren Angelegenheiten etwas viel dauernderes und beharrenderes verliehen haben, als auf den ersten Blick oft erscheinen mochte. Die von allen seinen Mitarbeitern hervorgehobene starke Einflußnahme auf jede Einzelheit der amtlichen Tätigkeit wird wahrscheinlich damit zusammengehangen haben, daß sein sehr feines Gefühl für die Grenzen dessen, was die grundsäglichen Anschauungen gestatteten und nicht zuließen, ihn beständig antrieb, selbst zu handeln und zu entscheiden und sich desto schärfer gegen jene Seiten zu wenden, die ihm eine Störung in seinen scharfgeschnittenen Systemen bereiten konnten. Es war natürlich, daß ein solcher Staatsmann gerade in bundesstaatlichen Verhältnissen wie Deutschland sie aufweist, durch das, was er die starken Friktionen zu nennen pflegte, besonders zu leiden hatte. Seine völlige Unzugänglichkeit in Betreff von Vorschlägen und Programmen, die nicht seinen eigenen feststehenden Absichten entsprachen, war zu einer Quelle von Mißverständnissen und Kämpfen geworden, bei denen er doch einerseits bedauerte, daß der Staat nicht eine absolute Gewalt mehr verleihen könne, während er andererseits eine ganz ungewöhnliche Sorge um die strengste Aufrechterhaltung aller gegebenen Zustände und Verhältnisse an den Tag legte. Er hat einmal Herrn von Freydorf gegenüber die Klage erhoben, daß die heutige Stellung eines Ministers unerträglich sei. „Ich habe meine Galle verbraucht“, sagte er, „wir sollten eine absolute, oder eine wahre konstitutionelle Monarchie

haben. In der ersten hat man einfach zu gehorchen, in der zweiten nach seiner Überzeugung zu handeln. Hier aber ist scheinbar eine konstitutionelle Monarchie, man muß auf persönliche Wünsche Rücksicht nehmen. Dazu muß ich noch auf den ganzen hohen Olymp Deutschlands achten; oft sogar noch auf die künftigen Nachfolger."

Bei dieser Stimmung, die den Meister der deutschen Staatskunst unzählige Male übermannte, erscheint es fast als ein Widerspruch, wenn man wahrnimmt, wie er bei der Gestaltung der neuen Reichsverhältnisse mit der sorgfältigsten Rücksichtnahme auf alle souveränen und partikularen Staatsbegriffe des alten Bundesrechts zu Werke ging. Nichts konnte ihn schon seit 1866 mehr erzürnen, als der Hinweis auf die Notwendigkeit eines Zwei-Kammersystems im neuen Bundesstaate. Gegen nichts hatte er eine so große Abneigung als gegen ein richtiges Deutsches Herrenhaus, oder ein parlamentarisch zusammengeseßtes Staatenhaus. Sein demokratischer Reichstag war ihm lieber, als jede Teilnahme höher stehender Gewalten. Das monarchische Sicherheitsventil glaubte er hinreichend gewahrt, wenn nur kein vom Parlament abhängiges Ministerium, keinerlei Eingriff in das monarchische Prinzip Plaz greifen könnte. So, war troz aller Bemühungen des Kronprinzen und mancher gleichdenkender Fürsten ein Bundesrat entstanden, der sich im wesentlichen von der Versammlung sehr wenig unterschied, welcher der preußische Bundestagsgefandte in Frankfurt einst die vernichtendsten Kritiken gewidmet hatte.

Alles in allem genommen, war in der reformatorischen Neugestaltung Deutschlands durch seinen kühnen Baumeister der ungemein konservative Charakterzug das maßgebende, wodurch er sich schließlich die Gunst gerade jener Kreise zu erwerben verstand, die sein Werk während der Entstehung am leidenschaftlichsten bekämpften. Und so ist das Erstaunliche schließlich hervorgetreten, daß Bismarck am Ende seiner Laufbahn die strengeren Einheitsgedanken, von denen die Reform ausgegangen war, so sehr zurück

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