Abbildungen der Seite
PDF
EPUB

leistet wird, nur ein Abglanz sei. Die Katastrophe Österreichs war durchaus ein Werk des durch ein Jahrhundert systematisch betriebenen politischen Geistes des „echten Österreichertums". Wer nicht Schriften und Zeitungen jener Tage zur Hand nimmt, den täuschen die heute unter den Deutschen in Österreich vielfach verbreiteten Stimmungen gänzlich über die Motive der Kämpfe um die deutsche Frage.

So war auch der Sturz des Grafen Rechberg vielmehr eine Folge seines momentanen Zusammengehens mit Preußen und seinem verhaßten Minister, als es nach dem Anlaß, der dafür in dem Mißlingen der Handelspolitik gesucht wird, scheinen mochte. Herr von Sybel, der eben keine ausreichende Kenntnis von Österreich besaß, und bei der Abfassung seines Werkes es für überflüssig gehalten zu haben scheint, auch nur einen Blick in eine österreichische Zeitung zu machen, hat die Meinung verbreitet, daß zwischen Bismarck und Rechberg wirklich schließlich die Freundschaft bestanden hätte, die die Anrede in ihren lezten Korrespondenzen zu besagen schien!

Wenn man die lange Reihe gewaltiger politischer Taten und Aktionen betrachtet, welche dem größten deutschen Staatsmann des 19. Jahrhunderts gelangen, so wird man immer wieder und durch jede neue Mitteilung aus den kampfreichen Jahren im Innern und Äußern der preußischen Regierung darin bestätigt werden, daß seine Behandlung der schleswig - holsteinischen Angelegenheiten das Genie dieses Mannes in dem unvergleichlichsten Maße an den Tag brachte. Wie er es vermochte, seinen größten Feind von den heuchlerischen Verbindungen mit den süddeutschen Demokraten und Regierungen zu einer über Nacht hereingebrochenen Schwenkung zu bringen und seinen Zwecken in europäischer, großmächtlicher Entwicklung einer deutschen Successionsfrage dienstbar zu machen, gehört ohne Frage zu den hervorragendsten Leistungen der europäischen Diplomatie seit den Zeiten Richelieus und Oxenstjerns. So war es ja in der Tat ein glücklicher Umstand, daß ein Minister, wie Graf Rechberg

Lorenz, Wilhelm I.

4

von dem die Times eine Charakteristik gaben, die ohne Beweise nicht wiederholt werden könnte, zur Zeit des Todes des Königs Friedrich VII. von Dänemark im Amte war; aber noch glücklicher war es, daß er gerade zu der Zeit das Feld räumte, als Bismarcks Politik mit Österreichs vorübergehender Freundschaft fertig geworden war und dort nur noch Feinde und Gegner wünschen und gebrauchen konnte. Diesen Gefallen machte ihm die ultramontane Clique in Österreich, als sie Rechberg fallen ließ, um eine vollkommene politische Null an die Spitze der Geschäfte zu stellen, hinter der die rücksichtslosesten Sendboten der katholischen Kriegspartei ihr großes, verwegenes Spiel mit gewaltigen Einfäßen treiben konnten. In der Person des Grafen Mensdorff fand sich diese geeignete Persönlichkeit in jeder Bezichung, und da der Kaiser auch seinerseits Gründe zu haben glaubte, in einem Verwandten der Königin von England ein passendes Werkzeug zu besißen, um den von ihm sicherlich ge= wünschten Frieden zu erhalten, so nahm alles eine Gestalt an, als hätte sich Bismarck die Sache eigentlich genau so bestellt. Denn während Graf Mensdorff völlig unbekannt mit allen Details der Geschäfte war, gesellten sich zu den bisherigen preußenfeindlichen Räten auf dem Ballplaße nunmehr zwei in der Wolle gefärbte Jesuiten im Frack, wovon der eine der zum Katholizismus übergetretene Graf Blome, der andere aber Graf Moriz Esterhazy war. Diesen beiden Männern war es in Verbindung mit Biegeleben und Gagern ein leichtes, den Grafen Mensdorff in einem völligen Dunkel über die Lage zu erhalten. Ein Mann, der selten im stande war, nur das dürftigste Memoire oder eine Instruktion selbst zu schreiben, und dessen deutsche Korrespondenz oft von unmöglichsten Stilblüten und fremdsprachlichen Wendungen wimmelte, konnte gewiß nur von einem Corps untereinander geeinigter Beamten, wie sie das Auswärtige Amt jezt besaß, als ein Spielball angesehen werden. Während Graf Mensdorff sich bemühte, wie er in einem persönlichen Schreiben an den Herzog von Koburg sagte, „den Riß in Deutschland hint

anzuhalten“, arbeiteten seine Räte mit Hochdruck an einem Kriege gegen Preußen. So in die Hand gespielt ist ja selten einem großen Staatsmann geworden, wie es Bismarck in diesen Jahren zu teil wurde, und man begreift wohl, daß er gerade am zuversichtlichsten die Erfüllung seiner Pläne und Hoffnungen erwarten konnte, wenn seine Gegner am gewissesten schienen, daß sein Horizont mit den dunkelsten Wolken umzogen wäre. Zu den geschicktesten und großartigsten Wendungen seiner Schritte gehörte aber die rechtzeitige, man möchte sagen auf Tag und Stunde zutreffende Entrollung der deutschen Frage. Wenn der geniale Schöpfer der deutschen Zukunft in der schleswig-holsteinischen Sache vermöge der auffallenden Ungeschicklichkeiten seiner Gegner in großem Maße vom Glück begünstigt worden war, wenn die zusammengeraffte, aus Advokaten und Schriftstellern zusammengewürfelte augustenburgische Diplomatie dem gewiegten, in den schwersten Künsten der auswärtigen Geschäfte längst erprobten Staatsmanne nicht eben zu große Schwierigkeiten zu bereiten vermochte, so war die Art, wie er mit einem Male als der Messias des deutschen Volks und seiner Einheitsträume dastand, eine gewaltige, überwältigende Erscheinung. Es war eine Tat, deren Wirkung, wie jede große Tat, sich zunächst darin äußerte, daß man den Ernst der Sache nicht glauben mochte, daß die Beust, Pfordten und Dalwigk und wie sie alle hießen, meinten oder zu meinen vorgaben, es handle sich lediglich um eine Finte, um eine Täuschung.

Wir sind bis zum heutigen Tage nur über den äußerlichsten Hergang der Dinge selbst innerhalb der zunächst beteiligten deutschen Regierungen unterrichtet. Wie es dem klugen und voraussichtigen Minister gelungen ist, für seinen politischen und alsbald militärischen Feldzug auch bei den auswärtigen Mächten und insbesondere bei Napoleon Zustimmung zu finden, entzieht sich vorläufig jeder Beurteilung, da Napoleon die Methode hatte, seine tiefsten Absichten nur in mündlicher Verhandlung zu erkennen zu geben, und der preußische Minister darin längst von

den Gewohnheiten profitierte, die Cavour und Victor Emanuel bei dem Kaiser der Franzosen angewendet hatten. Daß sich bei dem Abschluß der Friedensverhandlungen nachträglich die preußische Politik eingeengt fand, kann wohl kein Zweifel sein, wenn es auch um so törichter wäre, dem erfolgreichen Minister daraus einen Vorwurf zu machen. War doch die Art, wie er sich dem gewaltigen Herrn an der Seine, zu dessen Füßen Europa lag, aus den Schlingen zu ziehen verstand, vielmehr ein neues Wunder seiner überragenden Kunst. Aber daß er dem Manne, der sich als Schicksal und zugleich als Wettermacher von Europa hielt, nicht allerlei Hoffnungen erregt hätte, kann man doch nur dann glauben, wenn man der Meinung wäre, daß alle Handlungen Napoleons seit dem 4. Juli 1866 nur noch aus einem ganz verrückt gewordenen Kopfe entsprungen seien. Daß dies nicht der Fall gewesen, dafür liegen freilich nur dunkle Anzeichen vor. Daß aber unmittelbar vor dem Kriege Bismarck noch ein sehr starkes Vertrauen zu Napoleons Haltung hegen zu können meinte, geht aus einer wenig bekannten Mitteilung des Großherzogs von Baden hervor, die lange genug mit größter Diskretion gewahrt worden ist. Denn da die süddeutschen und badischen Verhältnisse den so lange gesuchten Anschluß an Preußen just in der Gefahr des deutschen Bruderkrieges unmöglich gemacht hatten, wurde zwischen Karlsruhe und Berlin die schwierige und äußerst fatale Stellung des Großherzogs inmitten einer ganz in das preußenfeindliche Lager übergesprungenen Kammer und Bevölkerung allerdings erwogen. Was aber dem Großherzog kein geringes Erstaunen erregte, war der Rat, den Graf Bismarck geben ließ er stellte dem Großherzog anheim, sein Land neutral zu erklären und sich die Integrität seines Staates von Frankreich garantieren zu lassen. Dies würde Napoleon, wie man in Berlin zu wissen versicherte, ohne weiteres übernehmen. Der Großherzog erwiderte aber dem Abgesandten des Grafen Bismarck, daß er sich nicht entschließen könne, einen Schritt zu tun, der Baden in den übelsten Verdacht bringen müßte, selbst wenn ein Napoleon

vorhanden wäre, der es noch so ehrlich und uneigennüßig meinte.

Daß aber eine Voraussetzung von der letzteren Art dem Kaiser Napoleon gegenüber nicht mehr am Playe war, zeigten die zur selben Zeit offiziell gewechselten Briefe zwischen Berlin und dem Kaiser, worin die Fragen der Kompensationen und Gebietsabtretungen mit größter Offenheit von Napoleon erörtert und von dem Grafen Golz entgegengenommen wurden. Wenn Preußen den Antrag machte, die Kompensationsforderungen Frankreichs bestimmt zu formulieren, so war es eine Folge der Schwäche und Kränklichkeit Napoleons, sich darauf einzulassen und doch aus Furcht vor England und Rußland den Schein jeder Begehrlichkeit vermeiden zu wollen. Und dieser Umstand war es, welcher Bismarck in die Lage sette, den unglücklichen Dezembermann bis ins Innerste zu durchschauen und ihn zu der höchst kläglichen Rolle zu verurteilen, die er dem überlegenen Geiste Bismarcks gegenüber nunmehr durch vier Jahre spielen sollte, bis ihn sein Schicksal erreichte. Daß aber in dem Werke von Sybels die Verhandlungen über den Länderschacher, wenigstens soweit er in offizieller Form geführt wurde, offen mitgeteilt sind, gehört zu den wertvollsten Teilen seines Werkes und gereicht der Unbefangenheit und Wahrheitsliebe desselben durchaus zur Ehre.

Für die Entwicklung der deutschen Reichs- und Kaiseridee hatte indessen, wie sich von selbst versteht, die Wendung, welche die preußische Regierung seit dem März 1866 nahm, indem sie mit der schleswig-holsteinischen Frage die Bundesreformangelegenheit untrennbar verknüpfte, weitaus die größte Bedeutung. Einige Momente, die für die ganze Politik der folgenden Jahre in den Verhandlungen über die Reichsgründung immer wieder entscheidend waren, müssen gleich hier sehr bestimmt ins Auge gefaßt werden. Für die ganze weitere Entwicklung der Dinge bildet der zu Berlin am 28. Februar 1866 abgehaltene große Ministerrat den wichtigsten Ausgangspunkt. Denn damals war es, wo der König zum ersten Male aus seiner Zurückhaltung gegenüber den deutschen

« ZurückWeiter »