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infolge des Rücktritts des Erbprinzen von Hohenzollern endgültig zu Gunsten Preußens umgeschlagen. Und das Verhalten. Gramonts vermochten auch seine besten Freunde, wie Beust in Wien, nicht mehr zu verteidigen. Vielmehr erhielt er von allen Seiten Warnungen, ja die Schritte der französischen Regierung hatten vermöge der gegen die höchste Person eines monarchischen Staates gerichteten Beleidigungen nachgerade den Fluch einer lächerlichen Torheit von seite eines Napoleon auf sich gezogen. Es ist auch erfreulich zu sehen, daß die einsichtsvolle französische Geschichtsschreibung in ihrer Auffassung der Ereignisse seit dem 13. Juli sich so sehr der deutschen genähert hat, daß man an dieser Stelle auf ein Werk, wie das vor kurzem erschienene von Lehautcourt hinweisen kann, wo die vortrefflich geschilderten inneren Vorgänge in Paris nachzulesen sind. Das rasche Eingreifen Bismarcks hatte bewirkt, daß die Lage, in welche Gramont Frankreich gebracht hatte, durch Lord Loftus schon am 15. Juli vollständig klargelegt wurde; von Überraschungen konnte auf keiner Seite mehr die Rede sein. Wenn die entscheidenden Beschlüsse in der französischen Kammer auch nicht schon am 15. Juli gefaßt worden wären, so würden die Franzosen doch durch die lezten Schritte der preußischen Regierung belehrt worden sein, daß sie auf eine nachsichtige Behandlung auch für den Fall nicht zu rechnen hätten, wenn sie einen diplomatischen Rückzug in lezter Stunde anzutreten versuchten.

In den entscheidenden Stunden, in welchen es galt die Beleidigungen Frankreichs zurückzuweisen, hatte Bismarck keinen Augenblick gesäumt, sich als der gewaltige Riese vor den Augen Europas aufzurichten, und es wird die Zeit kommen, wo spätere Geschlechter ihn am liebsten in dieser Stellung darstellen werden. Wie er, ein donnernder Jupiter, die Ehre der Nation verteidigt und alles zu bester Ausführung bringt, was der Heldenkönig in entschlossener Brust gewünscht, ist das große Verdienst, welches ihm die Dankbarkeit der Nachwelt sichert. Indessen hat die den großen Krieg mit einem Gestrüpp von falschen Voraus

seßungen umgebende historische Legende auch bei diesem leßten Abschnitt der Ereignisse die freie Initiative unterschäßt, die der königliche höchste Wille an den Tag legte.

Noch war zu wirksamer Gegenwehr die Ordre der Mobilmachung nicht erfolgt, als der König, wie es Benedetti schon am 14. seiner Regierung vorausgesagt hatte, bereits am 15. in Berlin eintraf, um alle nötigen Regierungsmaßregeln anordnen zu können. In Brandenburg fand er auf der Rückreise den Kronprinzen, Bismarck, Moltke, Roon, die ihm entgegenkamen. Die von Thile danach auf dem Bahnhof überbrachten Depeschen aus Paris machten es wünschenswert, daß die Mobilmachung sofort angeordnet wurde, und der König war auch längst dazu entschlossen, wenn er auch nach seiner alles genau überlegenden Art den Wunsch hatte, nichts zu überstürzen, und daher im ersten Moment zunächst nur eine teilweise Mobilmachung der westlichen Armeekorps anbefehlen wollte. Aber schon im nächsten Augenblick beschloß er die Mobilmachung der ganzen Armee, und seinen freudig, wenn auch in ernstester Stimmung gegebenen Entschluß konnte sofort der Kronprinz der erregten für den König begeisterten Menge, die draußen der Nachrichten harrte, verkündigen. Der König selbst versicherte seiner Gemahlin, daß bei den Nachrichten aus Paris beim ersten Schritt in die Residenz „sein erster Gedanke natürlich" war, „sofort mit der Mobilmachung der ganzen Armee zu antworten, was sofort besprochen und befohlen wurde!! und jezt sind die Befehlstelegramme schon nach allen Seiten fort! Und ebenso sind die Süddeutschen aufgefordert das Gleiche zu tun, von denen heute noch die allerbesten Aussprüche eingingen und auch von einem völligen Enthusiasmus dort berichtet wird! Kurzum es ist ein Nationalgefühl, wie man es wohl niemals so allgemein und gleich erlebt hat! Aber welche Erwartungen werden mir aufgebürdet! Wie wird ihnen entsprochen werden können?! Gott mit uns!"

Wenn man dieses heldenmütige Auftreten des Herrschers wahrnimmt, so muß man sich wundern, daß die leisetretende

Geschichtsschreibung auch bei diesen erhebenden Momenten die Initiative des Königs verkleinert. Manchmal machen die Darstellungen den Eindruck, als ob der alte Herr wiederum erst mühselig zu der entscheidenden Tat hätte genötigt werden müssen. In dem gelesensten Werke findet man schon bei Gelegenheit der Zurückweisung Benedettis in Ems folgende unbewiesene Worte: „Die Folgen dieses Beschlusses waren bedeutender, als vielleicht der König selbst sie erwartet hatte." Und als der König seine Räte in Brandenburg trifft, heißt es: „Noch wollte der König nicht an den Ausbruch des Krieges glauben; er dachte, daß jezt die französische Aufregung sich beruhigen würde." Nicht der leiseste Anhaltspunkt liegt für diese angeblichen Wahrnehmungen vor. Wer immer sie gemacht haben wollte, beweist, daß der wahre Charakter des Königs wenig erkannt ist. Sein stilles abwartendes Wesen, welches den festen Entschluß nicht eher verkündigt, bevor er nicht alles erwogen und vor allem auch allen jenen das Wort erteilt hat, ihre Ansicht zu äußern, die dazu berufen sind, stellt die Größe seines Charakters nur in ein noch helleres Licht. Er gehört nicht zu den Herrschern, welche ihre überragende Stellung dazu benüßen, um mit ihren Anschauungen und Befehlen stets herauszutreten, bevor noch eine Sache gründlich beraten und die Meinungen berechtigter Ratgeber ausgesprochen und erwogen worden sind, sondern die Größe der historischen Persönlichkeit liegt vielmehr in der glücklichen Wahl des Augenblicks, in welchem der unabänderliche Wille des herrschenden Geistes sich zeigen soll. Nur in diesem Sinne hat man seit Alexander und Cäsar den Willensgewaltigsten den Namen der Großen zugelegt, weil sie in Entschlüssen und Entscheidungen der Gewalt im hohen Grade maßvoll waren, aber eben dadurch dauernde Wirkungen in Staat und Gesellschaft hervorzubringen verstanden. Die weiterschreitende Eröffnung zahlreicher Quellen, wird ohne Zweifel beweisen, daß die selbstbewußte Initiative dem König in vollstem Maße eigen war, so daß sie es ihm ermöglichte, einer freien Tätigkeit und dem selb

ständigen Gange seiner Räte, die seine Ziele erkannt und erreichbar gemacht haben, den vollsten Spielraum zu lassen. In diesem Sinne konnten in der voranstehenden Darstellung persönliche Zeugnisse hervorragender und dem König nahestehender Zeitgenossen auch für einen Abschnitte benußt werden, welcher leider durch deutsche Quellen und Urkunden heute noch sehr wenig Aufklärung erfahren hat. Man muß zufrieden sein, wenn auf dem Wege kritischer Erörterung der Beweis erbracht werden konnte, daß König Wilhelm in der verbreiteten Überlieferung neben seinem großen Kanzler, dessen Verdienste zu verkleinern unmöglich wäre, noch nicht voll zur Anerkennung kommt. Auf die höchste Höhe seiner historischen Eigenschaften erhoben ihn eben jene Ereignisse, die ihn nach Versailles führten und durch die er dem Deutschen Volke Reich und Kaisertum gebracht hat.

Fünftes Kapitel.

Der casus foederis und die neutralen

Mächte.

I.

Bei dem Ausbruch des Krieges stand den Franzosen aller Parteien nichts so fest, wie die Überzeugung, daß der König von Preußen vermöge der rein dynastischen Frage, in welche er verwickelt war, ganz und gar isoliert bleiben werde. Nach dem übereinstimmenden Urteile aller mit den Pariser Verhältnissen vertrauten Persönlichkeiten zeigte sich in der Kriegsbegeisterung, deren ausgelassenste Szenen in den ersten Julitagen von den Geschichtsschreibern aller Nationen nicht ohne ein schmerzliches Gefühl geschildert werden können, die deutliche Vorstellung, daß der Streitfall in allen deutschen Königreichen und Fürstentümern als ein rein dynastisch Hohenzollerischer betrachtet werde, dem die Stimmungen des Volkes sehr ferne ständen. Die Regierungsblätter wußten auf alle Weise zu versichern, daß in den weitesten Kreisen von Deutschland keine Neigung vorhanden sei, für den König von Preußen in dessen persönlicher Sache Gut und Blut zu opfern. Dieser ungeheuerliche Irrtum war insbesondere von dem Herzog von Gramont verbreitet worden, dem er durch seine Wiener Freunde und namentlich durch den Grafen Beust in jahrelangem Umgang eingeflößt worden war. Der kurzweilige, heitere Aufenthalt Gramonts in der Kaiserstadt an der Donau hatte ihm die Meinung beigebracht, daß zwischen den Süd

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