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1868, 3. Januar, München.

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Aus früheren Berichten werden Ew. ... ersehen, wie der Baron Beust, bei seiner leßten Anwesenheit in München, den Gedanken eines Südbundes wieder aufgenommen und als Mittel der Beschwichtigung Frankreichs und der Erhaltung des Friedens dem Fürsten Hohenlohe nachdrücklich empfohlen hatte. In dem aus dieser Konversation abgeleiteten Ideengange hat der Fürst damals die Ermächtigung S. M. des Königs nachgesucht, vorläufig ganz vertrauliche Schritte in dieser Richtung tun zu dürfen und nachdem er sie erhalten, eine Korrespondenz ganz konfidentieller Natur mit Frh. v. Varnbüler eingeleitet."

„Dieser Korrespondenz war der Entwurf einer Vereinbarung beigeschlossen, und diese Vereinbarung enthielt folgenden Gedanken: Als Organ eines Bundes der „Süddeutschen vereinigten Staaten" sollte eine ständige Gesandtenkonferenz mit wechselndem Vororte eingesetzt werden. Die gemeinsame Tätigkeit würde zunächst auf die Militärangelegenheiten und Bildung einer Militärkommission und dann auf solche Gegenstände gerichtet sein, deren gemeinsame Behandlung wünschenswert und durchführbar erscheine, z. B. Indigenat, Zivil- und Kriminalgesetzgebung, Rechtspflege in oberster Instanz, Münz- und Gewichtssystem, Bank-, Papiergeldwesen, Schuß des geistigen Eigentums u. s. w. Auf ein gemeinsames süddeutsches Parlament wollte sich der Fürst Hohenlohe eben unter keinen Umständen einlassen.“

„Diese vertraulichen Mitteilungen hat Frhr. von Varnbüler erst in diesen Tagen beantwortet. Er gibt die Notwendigkeit gemeinsamer Durchführung der militärischen Einrichtungen zu, zweifelt aber, was die übrigen Punkte anbetrifft, daß dieselben Stoff zu einer organischen Einigung der süddeutschen Staaten bieten und daß eine Tätigkeit eines Bundesorgans ohne Mitwirkung gemeinsamer Volksvertretung die öffentliche Meinung befriedigen werde. Wie der Fürst Hohenlohe ist auch er entschiedener Gegner des süddeutschen Parlaments und würde in demselben entweder den Anfang einer süddeutschen Föderativ

republik oder das Organ jenes nicht unbedeutenden Teiles, welcher die Vereinigung der süddeutschen Staaten mit dem Norddeutschen Bunde als die nächste und wichtigste Aufgabe betrachtet, sehen. Diese Rückäußerung des Br. Varnbüler nahm Fürst Hohenlohe heute wahr, um mich von der Lage dieser Frage in Kenntnis zu sehen und er bemerkte dabei, es liege ihm außerordentlich viel daran, auch den Schein zu vermeiden, als agiere er hinter unserem Rücken. Er wisse sehr wohl, daß jener Gedanke einer Vereinigung der süddeutschen Staaten gar keine Aussicht auf eine politische Ausführung habe, solange man ihn in Berlin nicht unterstüße. Dies habe selbst Herr von Beust anerkannt, der, indem er ihn suppeditierte, in seiner Weise ganz ehrlich und von dem Wunsche geleitet worden sei, die Empfindlichkeit Frankreichs zu schonen. Charakteristisch ist, daß dieser Gedanke zunächst wieder angeregt worden ist durch eine Äußerung des Herzogs von Gramont, der seine Verwunderung (wohl dem Grafen Bray gegenüber) darüber an den Tag legte, daß in Bayern offenbar weit weniger Sympathie für einen Südbund bestehe als z. B. in Württemberg. Es geht hieraus hervor, daß Frankreich und Österreich den Südbund gemeinschaftlich protegieren und ferner, daß Österreich den Einfluß auf denselben zu gewinnen hofft, den es in diesem Augenblick nicht auf einzelne Teile desselben ausüben kann; mit anderen Worten, daß Österreich wieder das Terrain vorbereitet, um wenn es sich reorganifiert und gekräftigt hat, uns unsere Stellung in Deutschland wieder mit den Waffen streitig zu machen. Daß der Klerus, vom Erzbischof bis herab zum Dr. Westermeyer, Pfarrer von St. Petri, der seine Weihnachtspredigt mit den Worten schloß: „das ist der Fortschritt, und den Fortschritt hole der Teufel, Amen,“ jeden Wechsel in dieser Richtung nährt und nähren wird, solange mit dem patrimonium Petri nicht das Hauptquartier dieser Dunkelmänner gesprengt ist, bedarf keiner Erwähnung. .. .“

Es braucht kaum gesagt zu werden, daß Bismarck durch die Beustschen Abenteuer in Süddeutschland nicht allzusehr be

unruhigt worden sein wird, aber aus der scheinbar schwankenden Stellung des preußischen Kabinets erwuchsen allen beteiligten Regierungen und insbesondere der badischen schwere Mißverständnisse und böse von der Presse der demokratischen Partei schnöde benüßte Streitigkeiten. Namentlich zwischen Baden und Württemberg wütete ein Zeitungskrieg, in welchen auch die preußische Regierung in unangenehmster Weise verflochten wurde. Die Verwirrung hatte in Deutschland den höchsten Gipfel erstiegen und der Spott, welchen das Ausland in diesem Augenblicke über die „nationale Einigung Deutschlands“ auszugießen in der Lage war, überstieg alle Grenzen. Mit tiefer Beschämung blickte der deutsche Patriot während dieser glücklicherweise kurzdauernden Übergangszeiten auf die augenblickliche Lage und die grundgutmütige Natur des deutschen Staatsbürgers und sein unglaublich schlechtes Gedächtnis haben dafür gesorgt, daß diese traurigen. Zeiten heute vollständig vergessen sind.

Lorenz, Wilhelm I.

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Drittes Kapitel.

Die souveränen Kleinstaaten und die
europäische Politik.

I.

Österreichische und französische Einwirkungen.

Mit dem Beginne des Jahres 1868 war alle Welt zur Überzeugung gekommen, daß an die Ausführbarkeit des Nikolsburger Friedens in Betreff der deutschen Neugestaltung auch nicht entfernt zu denken sei. Wenn von der Gründung des Südbunds auch noch ferner in den diplomatischen Unterhandlungen der Südstaaten einerseits und des norddeutschen Bundeskanzleramtes andererseits die Rede war, so machte dies den Eindruck der bekannten Begegnungen römischer Auguren. Anders faßte aber die auswärtige Diplomatie die Sache auf, indem die Feinde Preußens die zuverlässige Hoffnung hegten, daß an dem Artikel IV des Prager Friedens früher oder später der gemeinsame Krieg gegen das übermächtige Preußen sich entwickeln müßte. So fam es, daß man im Osten und Westen von Deutschland dafür sorgte, die Wunde nicht vernarben zu lassen. Gleichwie der V. Art. über Schleswig und seine nationale Teilung die Franzosen beständig beschäftigte und Moustier eben wieder in Berlin vergebliche Versuche machte, die Frage aufzurollen, so war der Südband der diplomatische Kampfplag für den neuen österreichischen

Staatslenker und seine Gesinnungsverwandten in Bayern, Württemberg und Hessen.

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Es ist nötig, wenigstens in einem raschen Überblick, an diese äußeren Verhältnisse zu erinnern, weil das ganze Schicksal Süddeutschlands lediglich an diese allgemeine Lage gebunden war und auch Graf Bismarck ohne Zweifel in seinem vielfach widerspruchsvollen Verhalten in der deutschen Frage nur dann richtig verstanden werden konnte, wenn man sich für überzeugt hielt, daß er hinter den kleinen und fleinlichen Aktionen von Ministern und Landtagen keinen Augenblick über das hohe Spiel sich täuschte, welches in den realen Machtfaktoren Europas mit Kühnheit und Ränken aller Art vorbereitet wurde. In den Geschichtsbüchern ist in Beziehung auf den Vorrang, welchen sie bald Frankreich, bald Österreich in diesem Treiben zuschreiben, eine verschiedene Auffassung bemerkbar. Die Einen lassen sich vermöge der späteren Ereignisse in den österreichisch - preußischen Beziehungen und in Folge der seit 1879 angeknüpften Freundschaftsverhältnisse durchaus nicht ausreden, daß Österreich nur ungern den französischen Revanchegelüften nachgefolgt sei, wie ein verführter Schulknabe, der seinem deutschen Lehrer eigentlich im Herzen nie untreu geworden wäre. Die nachsichtige und langmütige Haltung Bismarcks gegen Österreich und seine früher und später und bis zuleht immer wiederholten Beteuerungen, stets nur Freundschaft für den Kaiserstaat an der Donau gehabt zu haben, begünstigten die Meinung, daß er auch in diesen schwierigen Jahren, wo jeder Tag eine große Koalition gegen das neue Preußen zu schaffen suchte, von Österreich nichts schlimmes zu fürchten gehabt hätte. Seine kluge Haltung, bei welcher er offiziell jedes Mißtrauen gegen Österreich verläugnete, und sich so zu geben wußte, als wenn man in Preußen von den geheimen Wegen und Stegen der haßerfüllten österreichischen Politik kaum etwas bemerkte, eine vornehme und sichere Geschäftsführung, die dem großen Staatsmann als selbstverständlich erschien gibt unsern Geschichtsschreibern eine kindliche Genug

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