Abbildungen der Seite
PDF
EPUB

Reichs selbst die auswärtigen Mächte, die denselben förderten und garantierten, indem sie nichts anderes dachten, als daß inmitten Europas an der Stelle des alten Deutschen Reichs ein föderatives Staatengebilde von gleichem oder ähnlichem Umfang bestehen sollte. Hierbei war weniger eine Rücksicht auf das nationale Band, als auf die Notwendigkeit des europäischen Gleichgewichts genommen worden. Für dieses waren die Einheitsträume der patriotischen Denker Deutschlands selbst etwas völlig gleichgültiges und wenn sich diese in zahlreichen Schriften auf die idealen Bedürfnisse und Wünsche des deutschen Volkes beriefen, so machten sie den Praktikern damit den Eindruck von Pronunciamentos spanischer Generale, hinter denen wenige oder gar keine Truppen marschierten.

Niemand wird den guten Geist und Patriotismus verkennen, der durch die Schriften Friedrich von Gagerns, Pfizers, Welckers, des Hoffmannschen Bundes und mancher anderer wohlmeinender deutscher Schriftsteller über weitere Kreise sich in dem Sinne einer gewissen Vorherrschaft Preußens allmählich zu verbreiten be= gonnen hatte. Auch Arndt war nicht ohne die Empfindung, daß es sich in der deutschen Frage um das Problem handle, Preußen an die Spitze des Deutschen Bundes zu stellen; aber weder früher noch später wagte jemand den Gedanken auszudenken, daß es sich um eine Umwandlung aller geographischen und historischen Vorausseßungen dabei handle und um eine Veränderung, welche, soweit geschichtliche und staatliche Erinnerungen reichten, wohl noch niemals im Wege freundschaftlicher Abmachungen erreicht worden sind.

So hatte ein reeller Einheitsgedanke in der ersten Hälfte des Jahrhunderts sich kaum noch in jenen Höhen praktisch bemerkbar gemacht, in denen damals die Geschicke des deutschen Volks in sehr absolutistischen Formen zur Entscheidung gebracht zu werden pflegten. Es war ein Zufall, daß die Bemühungen des Generals von Radowiz eine Bedeutung erhalten konnten, als er seine unruhige Feder in den Dienst einer deutschen Politik

stellte. Es war nur dadurch möglich, daß eine unerwartete Verbindung zwischen einem national denkenden Fürsten und dem entschlossenen für jene Zeit sehr offen sprechenden militärischen Publizisten geschlossen wurde. Indem beide die deutsche Einheitsfrage zum Gegenstand ihrer Erwägungen machten, war eigentlich zum erstenmal der entscheidende Gedanke hervorgetreten, daß von preußischer Seite Einigungen besonders in Betreff der Wehrkraft und des Rechtslebens ausgehen müßten, wie sie für den wirtschaftlichen Verkehr geschlossen waren. Aber auch der König dachte nach dem eigenen Zeugnis von Radowig lediglich an eine solche nähere Verbindung deutscher Staaten, zu welcher Österreich selbst seine Einwilligung geben sollte. Radowiz dachte zwar nach seiner Denkschrift vom 20. November 1847, von der Wahrscheinlichkeit, Österreich werde sich zu irgend welchen Zugeständnissen an Preußen herbeilassen, sehr gering; aber er bestärkte den König doch in der Meinung, daß Preußen an die Spitze einer engeren Verbindung der rein deutschen Staaten treten müsse. Das letztere Ziel war es, welches Friedrich Wilhelm IV. seiner Regierung gesezt hat, aber es scheiterte an dem Verhängnis, daß sein Streben weder in den unteren, noch in den höchsten Kreisen des deutschen Volkes und seiner Regierungen Verständnis fand

Bedeutungsvoll blieb indessen immerhin die Tatsache, daß der König von Preußen nicht nur einen neuen Verfassungszustand Deutschlands ins Auge gefaßt, sondern auch zum erstenmal ein faßbares politisches Programm in Gemeinschaft mit Radowiz aufzustellen suchte. Eine Folge davon war, daß die Persönlichkeit Friedrich Wilhelms einen Mittelpunkt für alle strebenden Geister bildete, die dem unklaren Einheitsdrang durch regelrechten Anschluß an Preußen und sein königliches Haus einen reellen Inhalt zu geben gedachten. Dadurch, daß Friedrich Wilhelm IV. seit Friedrich dem Großen der erste preußische König war, dem es gelang eine politisch anhängliche Gesellschaft der höchsten Kreise um sich zu sammeln, kann seine Bedeutung für die Verwirklichung dessen, was aus Deutschland heute ge=

worden ist, nicht hoch genug angeschlagen werden. Es bildete sich in den vierziger Jahren ein Kreis von fürstlichen Personen, welche im Anschluß an den König und mit ihm die deutsche Frage zu lösen hoffte und da dieser Kreis die jüngere Generation umfaßte, die demnächst die Regierung der deutschen Lande in ihre Hände nehmen sollte, so lag in den von Friedrich Wilhelm zuerst und in einer auf den Thronen bis dahin unerhörten Weise begünstigten Richtung in Bezug auf Deutschlands Zukunft ein erzieherisches Moment von der größten Bedeutung. Seit 1842 gehörte es bei den verschiedensten Zusammenkünften von Herrn aus fürstlichen Häusern, besonders auch unter Vorantritt des Königs von Preußen fast zum guten Ton, die deutsche Frage zu erörtern. Die jungen Prinzen von Baden, Oldenburg, Koburg, Meiningen und viele andere bildeten eine Gesellschaft von Opponenten gegenüber den konservativen Bundesmächten und insbesondere dem führenden Österreich, welche dem alten Fürsten Metternich sehr unheimlich war.

Der König hörte von der ihn umgebenden Schar jüngerer deutscher Fürsten nicht ungern die Worte der Versicherung, daß man ihn als den Hort deutscher Zukunft und Stärke ansähe und er war längst entschlossen dieses Vertrauen zu rechtfertigen und wahr zu machen, obgleich ihm ein klares Programm von keiner Seite vorzuliegen schien. Den Gedanken einer Auseinandersegung mit Österreich auf Grund einer Teilung der Gewalten und der überlieferten Rechte und Ansprüche hatte er niemals aufgegeben und wenn man ohne Voreingenommenheit die Äußerungen Friedrich Wilhelms IV. prüft, so darf man immerhin sagen, daß politisch und staatsrechtlich mancherlei Verbesserungen der Bundesverhältnisse im Wege von Verhandlungen und Kompromissen zwischen den Regierungen denkbar gewesen wären. An eine kriegerische Lösung der Verfassungsverhältnisse Deutschlands glaubte vor dem Jahre 1849 aber niemand und die, welche dergleichen wünschten, standen auf einem revolutionären und republikanischen Standpunkt. Aber für eine legitime Lösung

des großen Problems bildete die irreführende Erinnerung an das alte Deutsche Reich und Kaisertum auch jezt noch immer erneuerte Schwierigkeiten unüberwindlicher Art. Was die Romantik geschichtlicher Überlieferungen tun konnte im Kopf und Herzen des Volkes den Wunsch und Gedanken der nationalen Einheit zu stärken, das verhinderte und erschwerte dieselbe in dem Augenblicke, wo man daran ging ein nüchternes, politisches Programm einer Einheit Deutschlands zu stande zu bringen.

Bei dem Ausbruche der Revolutionen von 1848 lagen dem= nach die Dinge, politisch betrachtet, ungeheuer hoffnungslos, und man sollte endlich aufhören, allen den schwazhaften Resolutionen von Abgeordnetenkammern und Volksversammlungen die entscheidende Bedeutung für die Entwicklung des heutigen Reichs beizulegen. Es war vielmehr eine ungeheuere Unfähigkeit hervorgetreten, nicht nur in der Aufstellung eines politischen Programms das wäre ja wohl nicht so schlimm, aber vor allem auch in der Auffassung und Erkenntnis des politischen Problems. Sofern nun die Anregungen zu einer Reform des Deutschen Bundes von den deutschen Regierungen noch unmittelbar vor den Märzereignissen in Wien und Berlin angenommen worden waren, fehlte es auch diesen durchaus an einer Direktive für die Herstellung einer wirklichen Einheit und an dem Dualismus von Österreich und Preußen scheiterten von vornherein alle Vorschläge einer Verbesserung, wobei man nicht außer acht lassen darf, daß der, welcher sich in seinem politischen System mit am wenigsten von der Unvermeidlichkeit und notwendigen Erhaltung des ganzen Bundes mit Einschluß von Österreich loszumachen im stande war, niemand anderer als der König selbst war. An ein Ausscheiden des Kaiserstaates glaubte Friedrich Wilhelm niemals, und ein Herausdrängen desselben hätte er für unklug und selbst verbrecherisch im Sinne der preußischen Politik gehalten. In späterer Zeit und nach dem Scheitern aller Reformversuche bezeichnete er Gedanken von kriegerischer Abrechnung mit Österreich nicht als unmöglich, doch nur dann als zulässig, wenn

sie von einem Helden, wie der große Friß gefaßt worden wären. Er selbst mochte sich eines solchen Unternehmens nicht unterwinden, aber indem er wenigstens die Notwendigkeit einer Kriegstat zur Lösung der deutschen Frage erwogen hatte, bewies er schon, daß ihm so wenig wie seiner Umgebung die Schwere der deutschen Frage fremd war. Es war die Entdeckung gemacht worden, daß die vielbesprochene deutsche Einheit eine Frage des Krieges sei.

Der Gedanke einer neuen Staatsordnung ist aber zum erstenmal im Siebzehnerausschuß des erweiterten Bundestags von Dahlmann in eine politisch besprechbare Form gebracht worden, und der Maßstab, sowie die Absicht eines deutschen Einheitsstaates war im neunzehnten Jahrhundert nirgends systematisch und grundlegend angekündigt worden, wie in dem Verfassungsentwurf, welchen die siebzehn Vertrauensmänner, wenn auch nur mit kleiner Majorität dem Bundestage übergaben und zur Annahme empfahlen. Hier war das Kaisertum, hier war ein einheitliches Heer, eine Reichsgewalt, welche ausschließlich über Kriegswesen, Diplomatie, Handels-, Zoll- und Verkehrswesen unter der Mitwirkung eines aus dem allgemeinen gleichen Stimmrecht hervorgegangenen Parlament verfügte. Der geniale Wurf war darin zu sehen, daß der Ausschluß Österreichs und die Notwendigkeit der Übertragung der höchsten Würde und Machtstellung des Reiches auf das preußische Königtum, wenn nicht statutarisch gefordert, doch greifbar vorausgesezt wurde.

Daß der Entwurf nicht zur Ausführung, selbst nicht zur Verhandlung weder im Bundestag noch in der konstituierenden Nationalversammlung kam, mindert nicht seine Bedeutung, weil alle Fragen, die für die nachträgliche, wirkliche Kaiser und Reichsgründung entscheidend geworden sind, hier durchaus und zwar embryonisch festgestellt sind, und weil der Entwurf auch von Fürsten und Regierungen vom ersten Augenblick an so angesehen wurde, daß man dazu Stellung nehmen mußte und eine Stellung nahm. Als erstes Ergebnis des klar ausgesprochenen Programms

« ZurückWeiter »