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XVIII.

Die Belagerung von Strassburg.

Die Leser wissen bereits, daß nach dem Siege bei Wörth die badische Division unter General Werder von der dritten deutschen Armee abgesondert worden war, um die Festung Straßburg einzuschließen. Die Belagerung derselben begann am 11. August. General Uhrich hatte bereits vorher eine Proklamation erlassen, in welcher er ausdrücklich erklärte, daß er Straßburg vertheidigen werde, „so lange nur ein Soldat, ein Zwieback und eine Patrone übrig seien." Diesen Vorsaß hat er mit furchtbarem Ernste durchgeführt, ohne Rücksicht auf die entsetzlichen Opfer, welche die schließlich doch aussichtslose Vertheidigung forderte.

Die Straßburger Festungswerke bilden ein gleichschenkliges Dreieck, dessen Grundlinie mit den Vogesen parallel läuft, und dessen Spize in der dem Rheine zugekehrten Citadelle liegt. Die Grundlinie des Dreiecks besteht aus zwei einspringenden Bastionen und an ihren Endpunkten aus zwei starken Forts. Diese westliche Vertheidigungsfront der Festung hat nur zwei Zugänge, ein enges Eisenbahnthor und die Porte de Saverne, hinter welcher sich drei Eisenbahnen in einem Bahnhof sammeln, der zwar durch vorgeschobene Hornwerke mit bombensicheren Räumen gut befestigt, aber außerhalb des um die ganze Süd- und Ostfront ziehenden Inundationsgeländes gelegen ist. Die beiden andern Seiten des Festungsdreiecks sind ziemlich gleich. Die Spite desselben, die Citadelle, ist der stärkste Theil der Festung. Sie besteht seit 1865 und ist von der Stadt durch die Esplanade geschieden, auf welcher sich sämmtliche militairische Magazine befinden. Die Citadelle bildet ein Fünfeck aus 5 kleinen Bastionen, denen ebensoviele Halblunetten vorliegen, welche nach außen durch zwei den Enceintewall umlagernde Hornwerke gedeckt werden und eine dreifache abschnittsweise Vertheidigungsfront, deren Vorterrain durch die Ill und den

Rhein-Rhonekanal vollständig unter Wasser gesetzt werden kann. Der Angriff wurde trotzdem zuerst gegen diese stärkste Seite der Festung gerichtet, doch nur zum Schein, denn der Hauptangriff erfolgte später gegen die Westseite.

Die friegerischen Ereignisse von Straßburg haben drei verschiedene Stadien durchlaufen, welche sich in Cernirung, Beschießung und regelmäßigen Angriff trennen lassen.

Die Cernirung von Straßburg wurde vom 11.-17. August allein durch die badische Division ausgeführt. Nach der Erkrankung des Generals v. Beyer übernahm General von Werder das Commando des aus obengenannter Division der 1. Reserve und Gardelandwehrdivision, sowie den technischen Truppen gebildeten Belagerungscorps; unter dem General von Werder war der Generallieutenant von Decker zum Commandanten der Belagerungs-Artillerie und der Generalmajor von Martens zum Ingenieur en chef ernannt worden. Die Cernirung wurde nach dem Eintreffen der preußischen Divisionen eine engere und währte als solche bis zum 24. August, im Ganzen also 13 Tage.

Am 24. August wurde mit der Beschießung der Stadt begonnen, nachdem General Uhrich, trotz der Ankündigung des Bombardements, mehre Aufforderungen zur Uebergabe zurückgewiesen hatte. Mit Ausnahme einer sechsstündigen Pause am Morgen und Mittag des 26., in welche ein erfolgloser Vermittelungsversuch des Bischofs fällt, dauerte das Bombardement 3 volle Tage, bis dasselbe nach Eintreffen des inzwischen eingetroffenen Belagerungsmaterials wieder eingestellt wurde. Mit diesem Tage begannen die Vorbereitungen zum regelmäßigen Angriff auf die Festung, welcher im ganzen einen Zeitraum von 31 Tagen, vom 27. August bis 28. September, oder von nur 29 Tagen füllte, wenn man den Bau der ersten Parallele als den Anfang des formellen Angriffs bezeichnet. Dieselbe wurde in der Nacht vom 29. zum 30. August gegen die Nordwestfront der Festung, etwa 700 Schritte von deren Werken entfernt, eröffnet; bereits vom 1. zum 2. September wurde 300 Schritt näher dem Feinde die zweite Parallele ausgehoben und in der Nacht vom 11. zum 12. September wurde mit Aushebung der dritten Parallele vorgegangen. Inzwischen war der Bau der Belagerungsbauten ohne wesentliche Störung durch die Besatzung des Plates energisch gefördert worden, so daß am 9. September bereits 98 gezogene Geschüße und 40 Mörser gegen die Angriffsfront postirt waren, während von Kehl aus 32 gezogene Kanonen und 8 Mörser gegen die Citadelle wirkten. Der bedeutendste Ausfall aus der Festung fand am 2. September statt und wurde auf beiden Seiten mit Erfolg zurückgewiesen. Am 17. September war es gelungen, die Krönung des Glacis zu vollenden, ein feindliches Minensystem wurde entdeckt und entladen und durch die Anwendung des indirecten Schusses unserseits der schwierige Bau von Bresch und Contre-Batterien vermieden. Am 20. September wurde Lunette 53, nachdem auf 1000 Schritte Entfernung

Bresche in dieselbe geschossen und ein Theil der Contre- Escarpe durch Minen niedergeworfen war, besetzt und behauptet; am folgenden Tage wurde auch Lunette 52 genommen, nachdem der derselben vorliegende Graben auf einer Faßbrücke überschritten war. Die Belagerungs-Artillerie bewarf unterdessen die wichtigsten Objecte der Angriffsfront und es waren am 24. September 146 gezogene Geschütze und 83 Mörser in Thätigkeit. Die gewonnenen Werke wurden mit Mörsern armirt und die Krönung der Glacis mit 8 Sechspfündern beseßt. Das etwa war der Stand der Dinge, so weit waren die Vorbereitungen zum Sturme getroffen, als am 27. September Nachmittags 5 Uhr von Seiten des belagerten Plates der Wunsch nach Unterhandlungen kundgegeben ward, welche in der 2. Morgenstunde des 28. ihren Abschluß fanden. Am 27. September 1681 3og der französische General Monclar unter dem Vorwande einer Musterung in der Nähe Straßburgs 30,000 Mann zusammen und am 30. Seps tember wurde die deutsche Reichsstadt mitten im Frieden verrätherischerweise durch Franzosen besetzt. Am 28. September 1870 wurden in der kaum begonnenen 5. Woche der Belagerung die Thore der Festung nach 189 jährigem französischen Besitz vom französischen Commandanten den deutschen Truppen wieder geöffnet.

Leider hielt sich General Uhrich bei der Vertheidigung der wichtigen Festung nicht auf dem Boden des Völkerrechts, sondern hat dasselbe in gröblicher Weise verlegt. Am 12. August war eine Aufforderung zur Uebergabe ergangen, die zurückgewiesen wurde. Da wir nun, um Ernst zu zeigen, einige Häuser in den Grund schossen, wobei Menschenleben verloren gingen, verkündigte er in der Festung, er werde dafür an Kehl Rache nehmen. Entfernt von Kehl, mit der Stadt nicht in Verbindung, war eine Batterie aufgefahren, die einmal und zwar regelrecht auf die Festungswerke feuerte. Was that der General Uhrich? Er sendet Brandgeschosse auf die Batterie? Nein, aber auf die mit der weißen Fahne und dem rothen Kreuze beflaggte Kirche, worin Kranke gepflegt wurden. Auf die Kirche und die Krankenpfleger zuerst. Es glückte, die Kirche gerieth in Brand. Nun ward das Gasthaus zum Helmen in Brand geschossen. Die Feuerwehr eilte herbei: Uhrich wartete, bis sie beisammen war und schleuderte dann Brandgeschosse auf die Feuerwehr. Der General sendet eine Depesche an Uhrich, in der er ihn persönlich verantwortlich macht für die flagrante Verletzung des Völkerrechts, eine offene Stadt mit Brandkugeln zu beschießen. Uhrich antwortete, bei Kehl stehe eine Batterie, deshalb habe er die Stadt beschossen. Er ignorirte also den Unterschied zwischen einer offenen und einer befestigten Stadt. Unter solchen Umständen konnte deutscherseits von Schonung nicht mehr die Rede sein, und so begann am 24. August das Bombardement. Leider war es dabei nicht möglich, Stadt und Bewohner zu schonen, so schmerzlich ein Bombardement der alten deutschen Stadt den Deutschen selbst war. Soviel als möglich wurden die Geschüße auf Kasernen,

Magazine, und andere Staatsgebäude gerichtet und am 27. das Bombardement ganz aufgegeben. Die Verwüstung war immerhin bereits groß genug. Abgesehen von Privathäusern, in denen leider viele Menschen zu Grunde gingen, war das Theater verbrannt, die berühmte Bibliothek vernichtet, und auch der berühmte Bau Erwin's, zum Glück nicht arg, verlegt worden. Der Dachstuhl war abgebrannt, allein das Innere erhalten, der Thurm war wenig beschädigt und die berühmte Uhr unverlegt. General Uhrich, der wol das endliche Schicksal voraussah, schien es darauf abgesehen zu haben, den Deutschen den Münster nur als Trümmerhaufen zu überlassen, denn er ließ auf dem Thurme ein Observatorium mit Telegraphen errichten, von dem aus man alle Arbeiten der Deutschen überblicken konnte, und keine Vorstellung konnte ihn dazu bewegen, diesen Apparat von dem herrlichen Bau zu entfernen, so daß die Deutschen ihre Geschosse dahin richten mußten. Trotz hartnäckiger Vertheidigung und lebhafter Ausfälle, rückte die Belagerung stetig vor, eine Parallele nach der andern wurde eröffnet, Werk um Werk genommen, die Glaciskrönung vollendet und endlich Bresche geschossen.

Jezt endlich, also unmittelbar vor dem Sturme, erfolgte die Capitulation. Sie wurde in Königshofen unterzeichnet, und 17,111 Mann einschließlich National-Garden und 451 Offiziere, streckten die Waffen und 1843 Pferde sowie das ganze reiche Material fiel in die Hände der Deutschen, die am 28. September früh die Citadelle besezten, während um 11 Uhr Ausmarsch und Waffenstreckung der Garnison vor sich ging. Die Festungswälle, die Citadelle, leider aber auch die Stadt zeugten von der gewaltigen Wirkung der deutschen Geschosse. Die Bevölkerung hatte entsetzlich gelitten. Die Deutschen hatten von Anfang an für Frauen und Kinder freien Abzug angeboten, aber Uhrich grob geantwortet: er könne unter 80,000 keine Auswahl treffen, und erst später wurde von Wohlthätern aus der Schweiz mit deutscher Bewilligung wenigstens ein Theil dieser Unglücklichen weggebracht. Aber verhältnißmäßig nur wenigen konnte die Wohlthat zu Theil werden, die meisten mußten alle Schrecken der Belagerung aushalten.

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,,Eine Belagerung schreibt ein Augenzeuge ist zu gräßlich, auch wenn sie nicht mit solchen Gräueln verbunden ist wie die Zerstörung Straßburgs. Alle Kellerlöcher mit Mist und Eichenlohe verstopft, alle Thüren vernagelt, alle Portale mit Brettern verstellt. Es war noch Alles da, wie es während der Belagerung gewesen, ich konnte noch Alles deutlich sehen. Sogar die Plakate saßen noch an den Straßenecken, in welchen die Municipalcommission anzeigt, daß in Folge des Milchmangels eine große Sterblichkeit unter den Kindern eingetreten und daher ein jeder Bürger ersucht sei, nur die Hälfte seiner seitherigen Portion zu verbrauchen und die andere Hälfte in die Apotheken abzuliefern, um diesen interessanten Theil der Bevölkerung (Kinder und Greise)

zu retten. Ein anderes Plakat gab diejenigen Keller und unterirdischen Räume an, in welchen die bedrohten Bewohner noch Schutz finden konnten. Und welch' eine Luft in diesen Kellern, in welchen Mann und Weib, Alt und Jung, Herr und Knecht oft zu 50 zusammenlagen, kaum am Tage sich hervorwagend, um sich an den Häusern hinzuschleichen und auch das nicht ohne Gefahr. Eine halbe Stunde vor der Capitulation wurden einer alten Frau, die aus einem Keller kam, durch einen Granatsplitter beide Beine weggerissen und sie starb noch auf dem Wege ins Lazareth. Selbst in den Kellern kamen vielfache Verwundungen und Todesfälle vor, wenn die oberen Stockwerke getroffen wurden und zusammenstürzten. Man sagt, daß während der Belagerung 3000 Menschen gestorben sind, theils an Blessuren, theils wegen der sonstigen gesundheitsgefährlichen Folgen der Blokade. Denn wie gesagt, die Luft in diesen mit Mist verstopften, von Menschen überfüllten Kellern ist noch jetzt pestilenzialisch. Und nicht allein in den Kellern, auch in den andern großen Räumen über der Erde sind die Miasmen unerträglich, z. B. in der Markthalle, wo von der Stadt die durch die Belagerung brodlos und hauslos Gewordenen Morgens und Abends gespeist werden. Es war ein erhebendes Liebeswerk. Kopf an Kopf saßen sie da an langen Tischen, 2000 auf einmal; doch war es mir nicht möglich, den Becher Wein zu leeren, welchen einer der aufsichtführenden Bürger mir reichte, die Ausdünstungen dieser hohen, luftigen Halle waren zu niederdrückend."

Grauenhaft waren die Wirkungen des Bombardements, und es muß tiefe Berachtung einflößen, wenn Frankreich angesichts solcher Schrecken noch General Uhrich des Verraths beschuldigt. Der Commandant hat der militairischen Ehre auf Kosten der Menschlichkeit bis aufs Aeußerste genügt. Erst als eine längere Vertheidigung aussichtslos geworden, übergab er die Festung. Ein Augenzeuge, der gleich nach der Uebergabe die Stadt besuchte, beschrieb den ihm gewordenen Anblick:

"In der ganzen Stadt gibt es keine hundert Häuser, welche nicht von den Kugeln irgendwie beschädigt sind. Der Kleberplay, der dicht vor dem Münster liegt, hat gleichfalls bedeutend gelitten. Das Café Kleber ist durch Granaten zerstört worden, allein das als Schild dienende Gemälde des Generals ist unversehrt geblieben, ebenso das eiserne Standbild auf der Mitte des Plates, welches eine Frauenhand mit einem frischen Kranz geschmückt hatte. Dem Café gegenüber, fast die ganze Seite des Plates einnehmend, steht die Bildergallerie. Sie ist vollständig zerstört. Nur die nackten Mauern stehen noch. Die übrigen Häuser des Plates sind sämmtlich noch bewohnbar. Wir gingen nach dem Fischerthor und der sogenannten Fischerstadt, wo die Königsbrücke über den Kanal führt. Hier wie auf dem Quai de la Finkmatt waren die Häuser furchtbar zerschossen. Manche waren ein bloßer Schutthaufen, von anderen war die ganze Façade weggeschossen und das Innere blosgelegt. Die Balken der Decke und des

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