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Armee fehlte; allein es konnte schließlich nur ein kleiner Theil der französischen Armee das Lager besuchen, während die großen Armeecorps - Uebungen der preußischen Armee den möglichsten Ersatz für ein stehendes Lager boten. Die französische Infanterie hatte durch das Gesetz von 1868 eine veränderte Organisation erhalten. Dieses Gesetz bildete eine Folge der neuen Bewaffnung mit dem Chassepot. Man erkannte, daß die verbesserte Hinterladerwaffe die Anforderungen an die individuelle Leistungsfähigkeit der Soldaten steigere, daß es deshalb nicht möglich sei, einzelne Compagnien der Infanterie aus verschiedenen Elementen zusammen zu setzen. Diese neue Organisation, wie die kaiserliche Anordnung des obligatorischen Fechtunterrichts für die gesammte Infanterie, bewies sich auf die Entwickelung der Gewandtheit und Fähigkeiten der einzelnen Soldaten von gutem Einfluß, wie es denn überhaupt für ausgemacht galt, daß der französische Soldat durch leicht erregbaren Schwung (élan), ausflammenden Enthusiasmus und reißende Entschlossenheit, besonders im ersten Anprall Manches zu erreichen vermochte. Dagegen besitzt der deutsche Infanterist mehr Kaltblütigkeit, Ruhe, Ausdauer und Consequenz, als der Franzose, der kaum jemals erlangen wird, was er nicht im ersten Ansturme im Fluge davontragen kann. Der deutsche Soldat besitzt zwei wichtige Elemente für den Sieg: Ruhe und Kraft, also Ueberlegenheit im Feuergefecht und im Kampfe Mann gegen Mann. Der Franzose war übrigens stets ein schlechter Schüße, der Deutsche das Gegentheil; schon die verschiedenen Elemente erklären das. Der Franzose knallt gern und viel, meist ohne zu zielen. Die Bewaffnung beider Armeen wies keine wesentlichen Unterschiede auf, die Chassepots schießen noch schneller als die Zündnadel, schlagen dabei aber so heftig, daß der Soldat beim Abschießen das Gewehr auf die Lende stützt, statt an die Backe legt, dadurch wird das Zielen nicht befördert; im Gegentheil, jemehr die unruhigen Temperamentler knallen, um so unsicherer werden sie schießen. Das preußische Zündnadel- und das bayrische Werdergewehr waren schon vor dem Feldzuge geprüfte und bewährt gefundene Waffen für tüchtige und sichere Schützen. Die deutsche Cavallerie erwähnten wir eben schon als der französischen überlegen. Anders stand es mit der Artillerie. Die französische Artillerie hatte sich von jeher eines besondern Vorzugs erfreut, wovon man über Preußen lange Zeit hatte das Gegentheil behaupten können, und die meisten höheren französischen Commandanten hatten ihre Sporen in der Artillerie verdient, aus der ja auch Napoleon I. hervorgegangen war. Die französische Artillerie besitzt eine große Manövrirfähigkeit, ihre Führer verstehen es, mit mehreren Batterien zusammen zu agiren, deren Feuer zu concentriren, kurz, die Vorzüge der weittragenden Geschütze auszunützen. In dem Feldzuge von 1870 sollten sich in der Artillerie gleichberechtigte Waffen, gezogene Kanonen auf beiden Seiten entgegentreten und der Erfolg hat gezeigt, daß die deutsche Artillerie der französischen mindestens eben

bürtig geworden war. Die Feuerkraft erwies sich auf deutscher Seite ebenso groß, theilweis größer als auf französischer, und hinsichtlich der Manövrirfertigkeit blieb die deutsche nicht hinter der französischen zurück. Zur französischen Artillerie gehörten aber auch noch 24 Batterien à 6 Stück Mitrailleusen oder Kugelsprigen. Napoleon III. hat es bei allen größeren Kriegen geliebt, den Gegner mit irgend einem neuen Kriegsgeräthe zu überraschen. Für den seit 1866 gegen Deutschland geplanten Krieg hatte man die Mitrailleuse erfunden. Sie hat sich weder als ein überwältigendes Wunderwerk der Menschenvernichtung bewährt, noch war sie verächtlich aufzunehmen. Die Mitrailleuse ist eine Art leichter Artillerie mit verbesserter Kartätschenwirkung. 20 bis 30 Hinterladungsgewehrläufe bilden ein Bündel, welches die ungefähre Form eines dicken Geschützrohrs hat, und wie dieses auf einer Laffette mit Rädern ruht. Die einzelnen Läufe werden durch eine mechanische Vorrichtung mit Patronen geladen, und durch dieselbe Vorrichtung abgefeuert. Die Patronen liegen zu diesem Zwecke in einem Vorrathskasten am hintern Theil des Gesammtrohrs in Reihen geordnet, eine Kurbel setzt die Mechanik in Bewegung. Auf diese Weise kann die Mitrailleuse einen gewaltigen Kugelregen speien und ihr Arbeiten soll dem Knarren einer Ankerkette gleichen. Allein sie erwies sich nicht überall verwendbar. Sie hat Größe, Form und Gewicht eines kleinen Feldgeschützes und muß durch Pferde fortbewegt werden. Auseinandernehmen läßt sie sich nur mit Mühe und vielen Umständen und kann auch während der Fortbewegung nicht feuern. Der Infanterist kann bei jedem Schusse nach einer andern Richtung feuern, während die Mitrailleuse wie ein Geschütz erst gerichtet werden muß, ohne doch die Wirkung des Geschützes zu haben. Sie bedarf einer eigenen Mannschaft und muß, wenn sie ihren Zweck erfüllen und großen Kugelregen schleudern soll, einen sehr großen Vorrath an Munition mit sich führen. Daraus geht hervor, daß sie der Infanterie, der sie beigegeben werden sollte, auf schwierigen Wegen nicht folgen konnte. Wohl aber hat sie bei Vertheidigungen eine bedeutende und verheerende Wirkung geübt. Wenn feststehende Infanterie gegen anstürmende feindliche Infanterie oder Cavallerie in der Ebene. oder auf deckender Höhe plötzlich eine Mitrailleusen-Batterie demaskirte, so war ihre Wirkung regelmäßig eine furchtbare. Die deutschen Truppen hatten jedoch als sie wohlgemuth, wie wohl noch nie eine Armee, dem Kampfplage zuzogen, gar keine Furcht vor den ,,Demoiselles", wie sie die Mitrailleusen nannten und waren entschlossen, diese Ueberraschung Napoleons ebenso kaltblütig zu nehmen, wie das Geheul und die Capriolen der Turkos.

Man hatte seither geglaubt, daß die Franzosen in Folge ihrer vielen Kriege bessere Führer und geübtere Strategen befäßen als die Deutschen, aber auch diese Ansicht verslog im Laufe der Ereignisse in Nichts und es stellte sich heraus, daß es der deutschen Armee an Heerführern ersten Ranges nicht fehlte.

Eher konnte die Art der französischen Kriegsführung in ihrer ursprünglichen, rücksichtslosen Form für den ruhigen norddeutschen Soldaten etwas Ueberraschendes und Verblüffendes haben, doch haben sich auch hiervon keine nachtheiligen Wirkungen ergeben. Die Franzosen besitzen eine Art von Naturtaktik, die ohne Studium oft das Richtige getroffen hat. Ihr System des Ueberflügelns, Umgehens, Ueberraschens hat ihnen oftmals glänzende Erfolge gebracht, war aber den deutschen Heerführern nicht unbekannt, die sich überdies als bedeutendere Strategen erwiesen.

Frankreich besaß im Jahre 1870 beim Beginn des Krieges 116 Regumenter oder 373 Bataillone Infanterie in der Gesammtstärke von 250,000 Mann; 63 Regimenter oder 349 Schwadronen Cavallerie mit 61,500 Mann; 23 Regimenter Artillerie oder 224 Batterien mit 1140 Geschüßen und 18,000 Mann. Ferner an Genietruppen 8000 Mann und an Militair-Equipagen nebst Verwaltungstruppen, Train 2. 20,000 Mann. Diese 360,000 Mann bildeten den Friedensfuß der Armee, die Reserven sollen nahezu eine gleiche Stärke gehabt haben, so daß Frankreich mit 700,000 Mann und 1140 bespannten Geschüßen ins Feld rücken konnte. Dieselben konnten jedoch nicht vollzählig auf dem Kriegsschauplate erscheinen, weil die Garnisonen im Lande und in den Colonien davon abgingen und 100,000 Mann als Ersatztruppen in den Depots verbleiben mußten, so daß es wohl nur an 400,000 Mann gewesen sind, die gegen Deutschland ins Feld geführt werden konnten.

VI.

In Deutschland.

Der König von Preußen hatte, als vor der Entsagung des Prinzen von Hohenzollern die Haltung der französischen Regierung eine feindselig drohende wurde, den Bundeskanzler Grafen Bismarck nach Ems beschieden, damit ihm derselbe über die wünschenswerthe Einberufung des Reichstages Vortrag halte. Graf Bismarck traf sofort aus Varzin in Berlin ein und hatte noch am 12. Abends eine Besprechung mit dem Kriegsminister und dem Minister des Innern; am andern Morgen wollte er seine Reise nach Ems fortseßen. Nachdem jedoch noch am Abend des 12. ein Telegramm aus Paris eingetroffen, in welchem der Botschafter den amtlich dort angezeigten Verzicht des Prinzen Leopold auf die Throncandidatur meldete, verzichtete Graf Bismarck auf die Weiterreise nach Ems und wollte noch am selbigen Tage nach Varzin zurückkehren. Da empfing er die Nachricht von den Vorgängen in Ems, von den weiteren Ansprüchen der französischen Regierung, von der Abweisung derselben sowie ihres Ueberbringers durch den König. Da der König einsah, daß jezt ein Zurücktreten Frankreichs kaum noch möglich war und der Ernst der Lage, den er glücklich beseitigt erachtet hatte, in voller Schwere zurückgekehrt war, so beschloß er, selbst nach Berlin zu eilen. Er verließ Ems am 15. Juli früh unter der lebhaften Theilnahme der Badegäste. Schon war die Kunde von der durch einen feilen Buben dem Könige angethanen Zumuthung durch ganz Deutschland gedrungen, und überall hatte die feste und würdige Haltung Wilhelm's I. lebhafte Sympathie für den greifen Schirmherrn des Norddeutschen Bundes wachgerufen. Denn, daß des Königs Verhalten gegenüber der französischen Frechheit über jedes Lob erhaben sei, darin waren auch die auseinanderlaufendsten Parteien einig. So begegnete der König auf seiner Reise nach Berlin überall lebhaften Ovationen, die sich beim Empfange in Berlin zu begeistertem Jubel steigerten. Graf Bismarck war dem Könige entgegen gefahren

und hatte ihn über die neuesten Vorgänge in der verhängnißvollen Sitzung der französischen Kammer unterrichtet. Auch im Volke kannte man bereits die Kriegsbotschaft aus Paris, und eine unzählbare Menschenmenge bedeckte den Weg vom Bahnhofe bis zum Schlosse. Wie im Triumphzuge fuhr der königliche Wagen, in welchem der tiefbeleidigte Monarch saß, durch diese Menge, aus der sich Lebehochs auf ihn mit Verwünschungen gegen Frankreich mischten. Als König Wilhelm aus dem Wagen stieg, trat er nahe an die mit Offizieren dicht beseßte Rampe und wollte sprechen, allein der enthusiastische Jubel, eine Mischung von Gesang und Hochruf, wie ihn der König selbst 1866 nicht erlebt hatte, machte den Versuch zum Sprechen vergeblich, gab aber auch die beredteste Kunde von den Gesinnungen des Volkes in Betreff des Krieges gegen Frankreich. Bis gegen 11 Uhr mußte sich der König noch wiederholt dem Volke zeigen, das ihn mit' dem Gesang der Sieges-Hymne grüßte. Als kurz vor 11 Uhr Moltke sich in das Palais begab, wurde er auf dem ganzen Wege stürmisch begrüßt. Bald nach 11 Uhr baten Schußleute im Namen des Königs um Ruhe, da der Kriegsrath während der Nacht noch eine schwere Arbeit vor sich habe . . . Nach Hause! erscholl sofort der Ruf und binnen wenigen Minuten lag der Platz vor dem Palais so ruhig da, als hätte die große Demonstration gar nicht stattgefunden.

Die Wirkung des Kriegsbeschlußes in Paris auf Deutschland war eine so gewaltige, wie sie Niemand geahnt haben mochte, am wenigsten der gekrönte Meineidige in Frankreich. Wenige Entartete ausgenommen, zeigten sich alle Deutschen in und außerhalb des Vaterlandes einig in dem Vollbewußtsein, daß der von Napoleon frevelhaft entzündete Krieg für Deutschland ein heiliger Krieg sei, daß die Nation das Schwert ergreifen und Opfer bringen mußte ohne Zögern und Zagen, um die Freiheit und Selbstständigkeit Deutschlands gegen die Tücke des Bonapartismus zu vertheidigen. In allen Theilen unsers Vaterlandes regte es sich gewaltig. Arm und Reich, die höchste Bildung, die feurigste Thatkraft und der stille Arbeitsmuth, Alter und Jugend waren nur Eines. Alle fühlten sich nur als Deutsche, als Söhne und Töchter der gemeinsamen Mutter, alle sammt und sonders fand man sie entschlossen, Alles einzusetzen für des Vaterlandes Unabhängigkeit und Ehre, für das frech angetastete Recht der Selbstbestimmung

und durch alle Gauen wehte wie Geisterhauch immer lauter, gewaltiger, überwältigend anschwellend wie machtvolle Orgel Accorde, das Wort des Bürgerhelden, der 1813 als das kostbarste Opfer für das Vaterland fiel: das Volk steht auf, der Sturm bricht los!

Sollen wir eine Liste der Kundgebungen beginnen, die in und außer Deutschland laut wurden, um das gute Recht des Vaterlandes gegen den frechen Eroberer zu betonen und Gut und Blut für dasselbe zu geloben? Sie würde unendlich werden, denn aus allen Gauen Deutschlands liefen sie ein und bezeugten überall die gleiche Gesinnung und Begeisterung. Der Telegraph hatte die Kunde

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