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bis zum 10. Januar 1870. Mittlerweile hatte das Ministerium seine Entlaffung erhalten, und Emil Ollivier, der Führer der Mittelpartei, war mit der Bildung eines neuen, des ersten parlamentarischen Ministeriums im kaiserlichen Frankreich betraut worden. Die neue Aera wurde stolz die Krönung des Gebäudes genannt. Ollivier wählte seine Genossen aus dem rechten und linken Centrum; aus dem letteren Graf Daru für das Auswärtige, Segres für den Unterricht, Buffet für die Finanzen, Ollivier selbst übernahm Justiz und Cultus. Am 9. Januar entwickelte Graf Daru im Senat und Ollivier im gesetzgebenden Körper das Programm der neuen Regierung. Es waren gut gewählte Phrasen von gemeinsamer Strömung, Freiheit, Aufrichtigkeit, Ehrlichkeit und endlich die Versicherung: „auf diese Weise können wir alle zusammen das herrlichste Werk, welches von politischen Männern geschaffen werden kann, herstellen: Fortschritt ohne Gewaltthätigkeiten, Freiheit ohne Umsturz." Krönung des Gebäudes! die Rechte verhielt sich zuwartend, die Linke aber, Gambetta, Jules Simon und Andere sprachen es offen aus, daß zwischen ihrer Partei und der neuen Regierung nicht Opportunitätsfragen, sondern ein Princip liege und daß jene auf ihre Unterstützung nicht rechnen dürfe. Das allgemeine Stimmrecht stehe über jedem geschriebenen Worte. Das sah nicht aus wie Versöhnung und Napoleon mußte erkennen, daß seine neue Aera, die Krönung des Gebäudes, wie er sie selbst genannt, durchaus nicht die imponirende oder gar befriedigende Wirkung ausübte, auf welche er gehofft hatte. Am 28. Februar wurden dem Senate einige Verfassungsänderungen vorgelegt. Das Wesentlichste derselben betraf, daß sie die drei Factoren: Kaiser, Senat und gefeßgebender Körper in die gewöhnlichen constitutionellen Beziehungen zu einander stellten, daß der gesetzgebende Körper Petitionen annehmen dürfe, daß der Artikel, nach welchem im Falle der Auflösung des gesetzgebenden Körpers der Senat während 6 Monate alle vom Kaiser vorgeschlagenen Dringlichkeitsmaßregeln beschließen dürfte, sowie derjenige, nach welchem alle Gemeindevorsteher von der Regierung ernannt wurden, abgeschafft sein sollten.

Jetzt begann aber für Napoleon III., dessen Macht eine persönliche, auf der unmittelbaren Berührung mit den Massen beruhende war, die Sache ernsthaft zu werden und er fühlte, daß wenn sich zwischen diese Massen und ihn der constitutionelle Apparat schob und ihm durch Auferlegung der Minister die Hände band, er verloren sei. Sein Berather Rouher zeigte ihm den Ariadnefaden aus diesem Labyrinthe und gab ihm den Meisterzug an, durch welchen der Kaiser der schon fertigen Schlinge wieder entschlüpfte. Napoleon III. verlangte Sanctionirung der neuen Verfassung, wenn der Senat sie angenommen, durch ein Plebiscit der ganzen Nation. Der Ministerrath fügte sich dem Verlangen, grub aber damit dem neuen constitutionellen System selbst das nun unvermeidliche Grab. Es half dagegen das scheinbare Zugeständniß Napoleons, daß die Regierung diese Frage der Verfassungsänderung und des Plebiscits im gesetzgebenden

Körper aufnehme, gar nichts. Gefordert wurde dies durch eine Interpellation Grevy. Die Opposition hatte gut beweisen, daß das Plebiscit eine Täuschung sei, daß man damit nur scheinbar und mit Worten dem Lande die constituirende Gewalt gebe, die man in Wahrheit confiscire; das rechte Centrum beantragte eine Tagesordnung, welche dem Ministerium das Vertrauen auf dessen Ergebenheit für die kaiserliche und parlamentarische Regierung ausdrückte, und die gegen die Stimmen der Linken angenommen wurde. Das Ministerium war damit allerdings befestigt, aber es war kein constitutionelles mehr. Napoleon III. hatte die Freiheit erhalten, das volle persönliche Regiment aus den Händen der Nation zurückzuerbitten. Am 23. April erließ er eine Proclamation und legte dem Volke, d. h. jedem einzelnen nach dem Gesetz mündigen und wahlberechtigten Franzosen die Frage vor: „Das französische Volk billigt die in der Verfassung seit 1860 durch den Kaiser unter Mitwirkung der großen Staatskörper bewirkten liberalen Reformen und genehmigt den Staatsbeschluß vom 20. April 1870, ja, oder nein." Die größere Hälfte verstand diese Frage nicht. Für die einfachen Leute war die Frage einfach: Napoleon, oder Napoleon nicht. Beamte und Geistlichkeit machten den Bauern klar, daß „Ja“ den Frieden, „Nein" den Krieg bedeute, der Kaiser selbst schickte noch an jeden Wahlberechtigten einen gleichlautenden gedruckten Brief, in welchem er ihn um sein „Ja“ ersuchte. So kam das Kunststück ganz nett zu Stande, welches Napoleon III. am 8. Mai mit 7,350,000 „Ja“ gegen 1,538,000 Nein“ die Zustimmung der Nation und das volle persönliche Regiment zurückgab. Nun wurde auch das Ministerium ergänzt und Graf Daru, der einzige Mann von selbstständigem Character und geistiger Bedeutung im Cabinet Ollivier, durch den seitherigen Gesandten in Wien, Herzog von Gramont, ersetzt, der für einen höchst mittelmäßigen Kopf und eine blinde Creatur des Kaisers bekannt war, lange bevor er im Ruin seines Vaterlandes durch einen von ihm vorzugsweise verschuldeten unglücklichen Krieg den Beweis dafür lieferte.

Der Meisterstreich war vollendet, Napoleon III. wieder Herr des unumschränkten persönlichen Regiments. Von Wichtigkeit im gesetzgebenden Körper waren im Juni die Debatten über das Heerescontingent für 1871. Obgleich die Regierung seit einiger Zeit mit Friedensliebe kokettirte und mit Oftentation Abrüstungsvorschläge an die Mächte richtete, verlangte sie doch als Minimum 90,000 anstatt 100,000 Rekruten als äußerste Nothwendigkeit. Granier de Cassagnac, der Gassenjunge des Kaiserreichs, rief in die Debatte:,,nehmen wir den Rhein, so werden wir bald 200,000 Mann weniger brauchen." Der Kaiser selbst hatte Thiers, obgleich er wisse, daß derselbe nicht sein Freund sei, bitten lassen, die Regierung in dieser Frage zu unterstüßen, und Thiers, dessen Ideal ja immer Rheineroberung gelautet hatte, that so. Er erklärte, die Opposition sei auf falschem Wege. Nach a seien 90,000 Mann ab

solut unentbehrlich, und das Wenigste, was verlangt werden könne.

,,Sadowa war für mich ein großer patriotischer Schmerz, ein Unglück, das nicht wieder gut zu machen ist. Auch mit Süddeutschland mache sich Graf Bismarck zu schaffen, so rieb er Salz in die erhaltene Sadowawunde, und fügte, scheinbar zum Frieden sprechend hinzu, wonach jedem Franzosen der Sinn stand: man fragte soeben, wem gehört Süddeutschland? Darum ist Graf Bismarck friedlich, und darum müssen auch wir es sein, um nicht den Süden in die Arme Preußens zu treiben." Ollivier fügte hinzu: „Ich erkläre, daß die Regierung keinerlei Besorgniß hegt, und daß zu keiner Zeit die Aufrechterhaltung des Friedens gesicherter war, als jezt; wohin man blickt, kann man nirgends eine Frage entdecken, die vielleicht Gefahren in sich tragen könne.“ Diese Worte wurden gesprochen am 30. Juni 1870. Es ist keineswegs anzunehmen, daß Ollivier in diesem Augenblicke wissentlich eine Unwahrheit sagte; Ollivier kannte die Politik Gramont-Eugenie nicht, die neben und hinter ihm spielte, sah nicht das unheimliche Kriegsgespenst, das bereits drohend seine knöchernen Arme emporreckte, um das Zeichen zu einem Kriege zu geben, dessen Beginn ein unerhörtes Bubenstück, dessen Verlauf das blutigste Drama aller Zeiten werden follte.

IV.

Kriegsvorbereitungen und Clorwände.

Darüber, daß der Krieg zwischen Preußen und Frankreich unvermeidlich sein werde, wenn er auch zu dieser Zeit noch einmal verschoben werden könne, war man im Rathe des Königs von Preußen schon bei dem Luxemburger Handel einig gewesen. Aber während Moltke nichts von einem Rückzuge der preußischen Garnison aus Luxemburg wissen, sondern den noch ungerüsteten Zustand Frankreichs benutzen wollte, um ein bedingungsloses Zurücktreten Napoleons von seiner Forderung zu erlangen, im Weigerungsfalle aber ihm ein zweites Nicolsburg zu bereiten; während der Chef des Generalstabs den Krieg mit Frankreich für unvermeidlich erklärte — werde derselbe von Preußen jetzt nicht aufgenommen, so werde er diesem in wenigen Jahren, wenn Napoleon seine Rüstungen vollendet habe, unter minder günstigen Chancen aufgedrängt werden — zweifelte allerdings Bismarck ebensowenig an der Unvermeidlichkeit des nahen Krieges; er wollte jedoch, bevor es dazu käme, die Neugestaltung Preußens sich befestigen, die neuen politischen und militairischen Einrichtungen erstarken lassen, und glaubte dabei sicher zu sein, daß die deutschen Streitkräfte, welche in den nächsten Jahren ebenfalls verbessert und verstärkt werden würden, von ihrer Ueberlegenheit nichts einbüßten. Sein Vorschlag ging also dahin, man solle eine friedliche, mit der Ehre Preußens vereinbare Lösung herbeiführen. Wir wissen bereits, daß dieser Rathschlag die Zustimmung des Königs erhielt und der Frieden erhalten blieb. Doch die tief erschütterte Stellung Napoleons wurde durch die immerhin erlittene Niederlage in dieser Frage noch verschlechtert. Er selbst fühlte das historische Gesetz aller Zeiten: Niedergang des einen Staates und Aufgehen des anderen Staates sich an Frankreich und Deutschland erfüllen und wand sich verzweifelnd unter der weltgeschichtlichen Consequenz. Er rief voll Entrüstung aus: „Herr von Bismarck hat mich dupirt; ein Kaiser der Franzosen darf

sich nicht dupiren lassen!" und er selbst war wie seine Umgebung davon überzeugt, daß nur ein Krieg mit Preußen das schwindende Prestige seines Namens auffrischen, seine Dynastie retten könne. Der alte Thiers rief es von der Tribüne des gesetzgebenden Körpers aus in ganz Frankreich hinein: „Frankreich ist auf den dritten Rang herabgefunken." Die Bonapartisten riefen; „Revanche für Sadowa!" und die Klerikalen, deren Protektorin die Kaiserin war, schürten den Krieg, entsetzt von dem Gedanken, daß der Einigungsprozeß Deutschlands binnen wenigen Jahren eine vollendete Thatsache sein und daß dann das protestantische Haus Hohenzollern den deutschen Kaiserthron besteigen werde. Napoleon selbst konnte sich bei dem Gedanken an einen Krieg mit Deutschland banger Ahnungen nicht erwehren, aber die kolossalen Rüstungen, die er betrieb, und die Bundesgenossenschaft, auf die er zählte, gaben ihm wieder Muth. Er rechnete auf Dänemark, Oesterreich und trotz 1866 auf Italien. Mit dem Kaiser Franz Joseph traf er in Salzburg zum Besprechen einer Allianz zusammen, unterhielt aber auch fortgesetzt Unterhandlungen mit Preußen. Diesmal richteten sich die Gelüste auf Belgien. Der sogenannte „rothe Prinz“, Napoleon Jérôme, kam nach Berlin und gab zu verstehen, daß für den Fall einer französischen Occupation Belgiens Preußen sein Belgien anderweit finden würde. Preußen ließ sich auf alle diese Lockungen nicht ein, und es kam wiederum zur heißen Spannung, deren Ausgehen in Krieg damals, wie wir bereits wissen, nur durch den Ausbruch der Revolution in Spanien verhindert wurde. Nachdem dieses Bündniß mit der Königin Isabella unmöglich geworden, griff Napoleon wieder auf Desterreich und Italien zurück. Eine katholische Liga sollte gebildet, Romanen und Slaven sollten zur Bekämpfung deutscher Macht ins Feld geführt werden. Während der große Plebiscitschwindel in Frankreich in Scene gesetzt wurde, arbeitete man in St. Cloud einen Bündniß-Vertrag aus, der zwischen Frankreich, Desterreich und Italien gelten solle. Der Entwurf wurde beiden Staaten mitgetheilt. In Florenz begegnete derselbe Schwierigkeiten. Victor Emanuel, befangen in seinen französischen Traditionen und dankbar für Frankreichs Hilfe von 1859, war trotz 1866 zum Bündniß gegen Preußen bereit, verlangte aber vorher Rom, das von französischen Bajonnetten geschützt ward. Diesen Preis konnte Napoleon nicht-zahlen, ohne die ihm seither verbündete Geistlichkeit tödtlich zu verletzen. Daran scheiterte dieses Project. Als dann der Krieg ausbrach und Napoleon das Unzulängliche seiner Streitkräfte erkannte, nahm er das Project wieder auf, wollte seine Truppen aus Rom zurückziehen und den Kirchenstaat seinem Schicksale überlassen. Aber jetzt trieb ihn schon die Noth, er gebrauchte die Truppen in Rom, und nun wollten Desterreich und Italien erst einen französischen Sieg abwarten, ehe sie den französischen Bündniß-Vertrag unterzeichneten. Diese Siegesnachrichten blieben aber aus; nach den ersten französischen Niederlagen marschirte Victor Emanuel nach Rom, und Desterreich

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