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I.

Die Neugestaltung Deutschlands.

Der deutsche Bund war endgültig aufgelöst, und das siegreiche Preußen hatte dem Kaiser von Desterreich das bittere Zugeständniß abgerungen, daß Desterreich aus Deutschland ausscheiden mußte, daß Preußen die Länder oberhalb des Main zu einem deutschen Nordbunde vereinige und daß die südlich vom Main gelegenen deutschen Staaten einen selbstständigen Bund bilden und ihre nationale Verbindung mit dem norddeutschen Bunde mit diesem selbst zu regeln hätten. Wie der König von Preußen, um die Brücke zur dereinstigen Versöhnung nicht abzubrechen und mit Frankreich nicht in Collision zu gerathen, die weise Mäßigung besessen hatte, angesichts der Hauptstadt Wien mit seinem siegreichen Heere umzukehren, ohne den Triumph eines Einzugs zu genießen, so legte er dieselbe Mäßigung auch bei den Friedensunterhandlungen mit den übrigen Staaten an den Tag, welche die internationale Existenz der süddeutschen Staaten, die Integrität Sachsens, die möglichste Schonung Bayerns, die rechtliche Stellung der nördlichen Districte Schleswigs betrafen. Er hielt es offenbar und mit Recht für staatsmännisch weise, jetzt, nachdem der große Wurf gelungen, großartige Vortheile ihm reif in den Schooß gefallen, nicht nochmals alles das Neugewonnene und möglicherweise mehr auf ein neues Würfelspiel der Waffen zu setzen. Er rechnete vielmehr, daß der magnetische Zug der Gemeinsamkeit stark genug sein werde, um die alleinstehenden süddeutschen Staaten beim ersten äußern Sturme in die Arme des Nordbundes zu treiben. War doch schon beim Friedensschlusse eine geheime Militärconvention zwischen Preußen und den süddeutschen Staaten abgeschlossen worden, von der weder Frankreich noch Desterreich eine Ahnung bekamen, welches letztere noch immer auf einen Südbund mit Anschluß und militärischer Führung Oesterreichs hoffte. Daß Oesterreich mit seinen eigenthümlichen dynastischen Interessen auf immer von der Mitberathung

über das Wohl und Wehe Deutschlands ausgeschlossen sein sollte, wurde von der großen Mehrheit urtheilsfähiger Deutschen selbst in Desterreich mit Freuden begrüßt, so schmerzlich es auch war, die deutschen Oesterreicher in diesem Ausschluß einbegriffen zu sehen.

Aber, so fragte man sich, wo bleibt der Preis der Sieger am Main für die deutsche Einigung? Den vier Staaten unterhalb des Main soll die volle Souveränetät verbleiben, und 8 Millionen Süddeutsche sollen, in vier wehrlose Gemeinwesen zerstückelt, dem Einigungswerke fern bleiben, das der Norden unter Preußens Führung erstrebt? Und bei alledem steht auch das einzige wirkliche Band, das Deutschland bisher besessen, die Grundbedingung jeder wirthschaftlichen Blüthe Deutschlands, auf bloßer freier Kündigung der Vertragsstaaten? Wer kann dafür bürgen, daß der deutsche Zollverein in einem halben Jahre noch bestehe? Diese bange Frage war grundlos. Hätten die Fragsteller die schon erwähnten noch geheim gehaltenen Schutz- und Trutzbündnisse gekannt, welche Preußen als vornehmsten Siegespreis von den süddeutschen Staaten gefordert und erreicht hatte, so würden sie weniger besorgt gewesen sein und die andererseits keimende Genugthuung über das Erreichte reiner genossen haben.

Der Krieg hatte jedoch nicht nur die große politische Reform in Deutschland, sondern auch eine Umgestaltung der öffentlichen Meinung im preußischen Volke zur Folge gehabt - wie wir heute noch behaupten, eine zu jähe, bedingungslose, die Kindschaft des Volkes und das Princip des beschränkten Unterthanenverstandes vor den vollendeten Thaten viel zu bedingungslos anerkennende. Wir haben unsere Ansicht über die Behandlung der preußischen Volksvertretung durch die Regierung in der Conflictszeit bereits im vorigen Abschnitt kundgegeben, und fein Siegesjubel des Jahres 1866, fein mit den Waffen der ungesetzlich reorganisirten Armee erfochtener äußerer Erfolg hat uns verblenden und das caeterum censeo, daß das Volk und seine Vertreter wie eine Schaar dummer Jungen behandelt worden sind, in uns ersticken können. Ob zum Guten, ob zum Schlimmen, diese Behandlung bleibt dieselbe Unwürdigkeit, denn das Volk ist mündig und muß in Scham erglühen, wenn man ihm practisch aufreden will, das sei nicht wahr. Das Volk kann Indemnität ertheilen für Geschehenes, um des Erfolges willen, aber das Geschehene vergessen kann und darf es nicht, wird es auch nicht. Viele, die im ersten Siegesrausch es thaten, sind nachher davon zurückgekommen, besonders weil sie erkennen mußten, daß bei den Fragen innerer preußischer Verwaltung das verwerfliche System von damals weiter geübt wurde.

Das am 28. Februar 1866 geschlossene Abgeordnetenhaus war während des Kriegs aufgelöst worden und die Neuwahlen wurden auf den 3. Juli angesetzt. Während seine Söhne den furchtbaren Kampf um Königgrätz fochten,

wählte das preußische Volk neue Vertreter in das Abgeordnetenhaus. Der Einfluß der seitherigen preußischen Siege, von der Einnahme Hessens, Hannovers, Sachsens, der Capitulation von Langensalza, der ersten Siege in Schlesien und Böhmen bis zum Gefechte von Gitschin blieb am Ausfalle der Wahlen unverkennbar. Die Regierung erhielt zwar noch nicht die Majorität des Hauses, aber immerhin bereits eine Minorität, welche gegen diejenigen in den Conflictsjahren eine sehr anständige zu nennen war. Wenn sich die Verhältnisse auf dem Kriegstheater weiter glücklich für Preußen gestalteten, so durfte die Regierung auf eine endliche Beseitigung des Conflicts nach ihrem Wunsche rechnen.

Diese günstige Entwicklung der Verhältnisse trat durch den Sieg bei Königgrät und seine Folgen, wie durch die Siege und Eroberungen der Mainarmee ein. König Wilhelm hatte von seinem Hauptquartier in Mähren aus den preußischen Landtag auf den 30. Juli einberufen, später wurde der Zusammentritt auf den 5. August verschoben, weil der König die Eröffnungsfeierlichkeit in Person vollziehen wollte. Am 4. August kehrte der siegreiche Monarch unter dem lauten Jubel der Bevölkerung nach Berlin zurück. Ja, Berlin hatte wol ein Recht zu jubeln, denn welches sein Schicksal geworden wäre, wenn die österreichische Armee ihr planmäßiges großes Siegesfest in der feindlichen Hauptstadt wirklich hätte abhalten können, wer mag es ermessen!

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Am 5. August eröffnete der König den Landtag mit einer denkwürdigen Thronrede. Dieselbe gedachte in einfacher, würdiger Weise der Kriegserfolge, welche die Armee erfochten hatte, und ging dann mit Dringlichkeit auf die innern Verhältnisse, auf den noch nicht gelösten Conflict über, zu dessen Lösung der König von den ruhmreichen Kriegsereignissen, die nun freilich erst die ganze insgeheim verfolgte Politik des Ministeriums Bismarck an das Licht gezogen hatten, eine kräftige und zwingende Mitwirkung erwartete. Ueber die Feststellung des Staatshaushaltsetats" heißt es wörtlich; hat eine Vereinbarung mit der Landesvertretung in den letzten zehn Jahren nicht herbeigeführt werden können! Die Staatsausgaben, welche in dieser Zeit geleistet worden sind, entbehren daher der gesetzlichen Grundlage, welche der Staatshaushalt nur durch das in Gemäßheit der Verfassungsurkunde alljährlich zwischen meiner Regierung und den beiden Häusern des Landtags zu vereinbarende Gesetz erhält. Wenn meine Regierung gleichwohl den Staatshaushalt ohne diese gesetzliche Grundlage mehrere Jahre geführt hat, so ist das nach gewissenhafter Prüfung in der pflichtmäßigen Ueberzeugung geschehen, daß die Fortführung einer geregelten Verwaltung die Erfüllung der gesetzlichen Verpflichtungen gegen die Gläubiger und Beamten des Staates, die Erhaltung des Heeres und der Staatsinstitute Existenzfragen waren, und daß daher jenes Verfahren eine der unabweisbaren Nothwendigkeiten wurde, denen sich eine Regierung im Interesse des Landes nicht entziehen kann und darf. Ich hege das Vertrauen, daß die jüngsten Er

eignisse dazu beitragen werden, die unerläßliche Verständigung insoweit zu erzielen, daß meine Regierung in Bezug auf die ohne Staatshaushaltsgesetz ge= führte Verwaltung die Indemnität, um welche die Landesvertretung angegangen werden soll, bereitwillig ertheilt und damit der bisherige Conflict um so sicherer zum Abschluß gebracht werden wird, als erwartet werden darf, daß die politische Lage des Vaterlandes eine Erweiterung der Grenzen des Staates und die Einrichtung eines einheitlichen Bundesheeres unter Preußens Führung gestatten werde, dessen Lasten von allen Genossen des Bundes gleichmäßig werden getragen werden. Die Vorlagen, welche in dieser Beziehung behufs einer Einberufung der Volksvertretung der Bundesstaaten erforderlich sind, werden dem Landtage unverzüglich zugehen."

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Am Tage nach der Eröffnung des Landtags begaben sich der Berliner Magistrat und die Stadtverordneten in ihrer Gesammtheit nach dem königlichen Schloße, um dem Könige eine Adresse zu überreichen, in welcher die erfolgte tiefe Umwandlung in der öffentlichen Stimmung sich besonders durch folgende Sätze kennzeichnete: „Jezt sieht sich Ew. Majestät stärkster Feind gezwungen, die Grundlagen eines Friedens anzunehmen, welcher die politische Gestaltung Deutschlands von dem hemmenden Drucke der Interessen des österreichischen Kaiserhauses befreit und unter Ew. Majestät Führung und Herrschaft ein neues Staatswesen erstehen läßt, dessen geschlossene Kraft auch die Gefahren, welche die Zukunft bringen kann, erfolgreich bestehen und die Erkenntniß immer weiter verbreiten wird, daß die unserem Staate für die politische Kräftigung Deutschlands, für die Erhaltung seiner Culturgüter gestellte Aufgabe von Ew. Majestät wie von ihren glorreichen Ahnen mit hohem Sinne erfaßt und mit entschlossenem Muthe erfüllt worden ist." Der König dankte der großen Abordnung und sagte: „Selten ist Gottes Segen und Gnade so sichtlich mit einem gewagten Unternehmen gewesen, als in den letzten Wochen. Preußen mußte das Schwert ziehen, als es sich zeigte, daß es die Erhaltung seiner Selbstständigkeit galt; aber auch zur Neugestaltung Deutschlands hat es sein Schwert gezogen. Ersteres ist erreicht, Letzteres möge nun unter Gottes fernerem Segen gelingen.“ Die Umgestaltung in den Verhältnissen wurde aus den Verhandlungen des Abgeordnetenhauses bald sichtbar. Der Preuße ist im Allgemeinen stolz und von kräftigem Nationalgefühl beseelt, die Erfolge preußischer Waffen lassen das Volk nicht gleichgiltig und können es auch nicht gleichgiltig lassen, denn Preußen ist durch die Waffen groß geworden; die Ehre und Größe seines Staates liegt dem Preußen am Herzen. Daher war der Boden, auf welchem die Parteien bisher gekämpft hatten, jegt ein anderer geworden. Wenn Preußen die Stellung, die es mit den Waffen in der Hand erfochten hatte und die noch immer lebhaft angegriffen wurde, behaupten, wenn es die beabsichtigte Neugestaltung Deutschlands, trotz aller offenen und geheimen Gegner durchführen

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