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IX.

Bis zum Waffenstillstand.

Die kaiserliche Nordarmee existirt nicht mehr! Dieses furchtbar niederschmetternde Wort tönte in der Frühe des 4. Juli in die kaiserliche Hofburg zu Wien hinein, wo man soeben noch voll Siegesfreude den Erfolg der Südarmee bei Custozza gefeiert und einen nicht minder glänzenden Sieg im Norden gegen Preußen erhofft hatte. Und nun die Schreckenskunde: unsere Nordarmee existirt nicht mehr! die in den Wiener Zeitungen vom 4. Juli 1866 schwarz auf weiß zu lesen stand! In Wien wie in ganz Europa erwachte man bei den raschen und durchgreifenden Erfolgen Preußens in Böhmen, dieses tief unterschätzten Preußens, wie aus einem schweren Traume. Kaiser Franz Joseph soll bei der Nachricht von Königgrät ohnmächtig zusammengebrochen sein. Wohl erklärlich, denn diese Nachricht bedeutete das Ende der österreichischen Herrschaft in Deutschland, die wie ein gewaltiges Bleigewicht auf dessen Entwickelung geruht hatte. Der Kaiser der Franzosen und seine Staatsmänner wurden nach dem eigenen späteren Geständniß Rouhers „durch das unwahrscheinliche und unerwartete Ereigniß des Sieges von Königgräß mit patriotischen Beklemmungen erfüllt." Natürlich! Die Leser kennen ja den stolzen Cäsarentraum, der vor dem preußischen Siege ebenfalls in Dunst aufging. Der Cardinal - Staatssecretair des Papstes, Antonelli, rief bei der plötzlichen Siegeskunde in banger Ahnung unausbleiblicher Folgen aus: „Die Welt bricht zusammen.“ Das Bewußtsein war allen diesen Mächten ein gemeinsames, daß mit Königgräß die neue Geschichts-Epoche, die im deutsch-dänischen Kriege den ersten Schritt gethan, jezt voll und gewaltig in die Schranken trat und daß deren Held Preußen war. Aber was thun? fragte man verzweiflungsvoll zu Wien in der Hofburg. Eine zweite Schlacht wagen wollen mit den Trümmern der Nordarmee wäre von vornherein. nur die Gewißheit einer neuen Niederlage gewesen, und eine neue Armee war nicht vorhanden. Einige Stunden der Bestürzung und Verwirrung, schnellen

Rathes und schnellen Entschlusses, und der Kaiser von Oesterreich griff zu einem Mittel, um den verhaßten Preußen Schach zu bieten, das selbst seine getreusten Freunde in Deutschland mit namenlosem Erstaunen erfüllte. Bereits am 4. Juli in der Frühe erhielt der Gesandte Oesterreichs, Fürst Metternich in Paris, auf telegraphischem Wege Befehl, mit dem Kaiser Napoleon über die Abtretung Venetiens zu unterhandeln, in welchem die österreichische Armee wenige Tage vorher einen Sieg erfochten hatte, und seine Vermittelung zum Abschluß eines Friedens unter den kriegführenden Mächten herbeizuführen. Kaiser Franz Joseph entschloß sich zu diesem troß aller Klügelei demüthigenden Schritte und bot dem Kaiser Napolevn die Cession Venetiens an, in der Absicht, denselben in die brennende Frage zu verwickeln, Zeit zu gewinnen und jedenfalls die diplomatische, vielleicht auch die bewaffnete Unterstüßung Frankreichs zu erlangen. Wie in Villafranca die Lombardei, so wurde jetzt von der Wiener Hofburg Venetien preisgegeben, um die Stellung Oesterreichs in Deutschland zu retten. Kaiser Napoleon nahm die Cession Venetiens an und übernahm die Vermittelung zwischen den kriegführenden Mächten. Er wandte sich sofort an die Könige von Preußen und Italien, um zunächst einen Waffenstillstand herbeizuführen.

Als der „Moniteur" diese Nachrichten veröffentlichte, schlug die AffenEitelkeit der Franzosen Purzelbäume. Paris flaggte und illuminirte, als wäre Frankreich der Sieger von Königgräß, und die officiöse Presse feierte Napoleon als den anerkannten Schiedsrichter in Europa. Ob aber alle Parteien dieses Schiedsrichteramt so ruhig anerkennen würden? Der Jubel kam in Wirklichkeit zu früh, denn als Napoleon III. den König von Italien eigenhändig von der Abtretung Venetiens in Kenntniß sette und dabei den Wunsch eines Waffenstillstandes als Vorläufer zum Frieden aussprach, ging König Victor Emanuel nicht darauf ein, sondern ergriff auf Veranlassung seines preußischen Bundesgenossen wieder die Offensive. Cialdini ging mit seiner Armee über den Po, und das italienische Cabinet verlangte, als Bedingung seines Eingehens auf einen Waffenstillstand, daß Oesterreich, wie auch die Intervention Frankreichs zu Stande komme, vorerst das Princip der Vereinigung Venetiens mit dem Königreich Italien, die Erwerbung des italienischen Tyrols, als eines Zubehörs Venetiens, förmlich und ausdrücklich zulasse, und daß die römische Frage von den Friedensverhandlungen ausgeschlossen bleibe.

Zwischen Desterreich und Preußen befand sich Napoleon in einer schwierigen Lage. Das Gegentheil von dem, was er erwartet hatte, war eingetroffen, Preußen der Sieger. Der König von Preußen konnte, wenn er nicht die Feindschaft Napoleons hervorrufen wollte, dessen persönlich angebotene Vermittelung nicht wol ablehnen; er konnte sich aber nicht durch denselben um die Früchte seiner Siege bringen lassen, sondern mußte die Friedensbedingungen selbst for

muliren. Es galt also, die französische Vermittelung so werthlos als möglich zu machen. Preußen nahm daher die Vermittelung Napoleons im Princip an, erklärte aber auf einen Waffenstillstand nicht eher eingehen zu können, bis man mit Desterreich über die Grundlagen des Friedensschlusses einig sei. Prinz Reuß überreichte am 10. Juli dem Kaiser Napoleon einen eigenhändigen Brief des Königs von Preußen, worin als erste Bedingung der Austritt Oesterreichs aus dem deutschen Bunde gefordert wurde. Jezt trat für Napoleon der wichtige Augenblick ein, auf welchen Oesterreich gerechnet hatte. Wollte er auf dem Standpunkte seiner Politik beharren, den er in dem Briefe an seinen Minister aufgestellt hatte, und der für Oesterreich eine große Stellung in Deutschland bedingte, so mußte er zur Durchführung derselben selbst die Waffen gegen Preußen erheben. Einige Stimmen des französischen Cabinets sprachen fich auch dafür aus, in Form einer bewaffneten Vermittelung einen Druck auf Preußen auszuüben, allein Napoleon war diesmal politisch scharfsichtiger als seine Minister und entschied sich dagegen. Einmal waren es die Nachrichten über den üblen Zustand der geschlagenen österreichischen Armee, die ihn dazu bestimmten, dann aber auch die Rücksicht auf die Haltung des deutschen Volks. Der Schachzug Oesterreichs mit Venetien, der die Einmischung Frankreichs provocirte, hatte sogar in dem preußenfeindlichen Süddeutschland einen allgemeinen Unwillen gegen den Kaiserhof in Wien hervorgerufen, die preußische Armee befand sich überdies im Siegeslauf, konnte noch sehr verstärkt werden und würde bei einem Angriffe Frankreichs wahrscheinlich das ganze deutsche Volk auf seiner Seite gehabt haben. So fatal deshalb Napoleon die preußische Vorbedingung war, erklärte er sich schließlich doch bereit, Desterreich zur Annahme derselben zu rathen.

Einen ebenso furchtbaren Eindruck wie in der Hofburg machte die Nachricht von der Niederlage bei Königgrätz auch in der Bevölkerung Oesterreichs, besonders Prags und Wiens; der Schatz der Wiener Bank wurde unter dem ersten Eindruck des Schreckens sofort nach Komorn in Sicherheit gebracht. Um die furchtbar niedergedrückte Stimmung seiner Völker zu erheben und einen neuen Funken von Vertrauen in denselben anzufachen, ordnete der Kaiser den Rückmarsch der siegreichen Südarmee aus Italien an und erließ ein Manifest an seine Völker, dessen wichtigster Passus folgenden Wortlaut hatte: „Das Unglück, welches die Nordarmee betroffen, hat mein Herz tief erschüttert; aber mein Vertrauen auf die Hingebung meines Volkes, auf den Muth der Armee, auf Gott und mein gutes Recht hat nicht gewankt. Ich habe mich an den Kaiser der Franzosen gewandt, um einen Waffenstillstand herbeizuführen. Der Kaiser ist dem nicht nur auf das Eifrigste entgegen gekommen, sondern hat sogar noch aus eigenem Antriebe seine Vermittelung angeboten, um einen Waffenstillstand mit Preußen und Verhandlungen über Friedenspräliminarien herbeizu=

führen. Ich habe dies Anerbieten angenommen und bin bereit, einen ehrenhaften Frieden abzuschließen. Aber ehe ich zu einem Frieden meine Zustimmung gebe, der die Grundlagen der Macht meines Reiches erschüttern könnte, bin ich zu einem Kriege auf Leben und Tod entschlossen. Alle disponiblen Truppen sollen concentrirt werden, Recrutirung und Freiwillige werden die Lücken ausfüllen. Die österreichische Armee ist hart geprüft, aber nicht entmuthigt und gebeugt. Niemals haben die Völker Oesterreichs sich größer gezeigt, als im Unglück.“

Der Kaiser Napoleon besetzte weder Venetien, noch erließ er gegen Preußen drohende Demonstrationen, wie man in Wien erwartet hatte, sondern er spielte die Rolle des unparteilichen Freundes. Er übernahm die Vermittelung gegenüber Preußen und Italien, die, ihrem Vertrage getreu, gemeinschaftlich handelten, aber er erließ zugleich die beruhigende Erklärung, daß ihm jeder Gedanke an eine Pression fern liege und daß sein freundschaftliches Verhältniß zu dem Könige von Preußen nie gestört worden sei. Der König von Italien hielt, trog seiner Niederlage von Custozza an dem Vertrage mit Preußen fest, der ihm einseitigen Friedensschluß verwehrte. Er nahm von dem Schachzuge Desterreichs mit Venetien so wenig Akt, als von der Anzeige Napoleons, sondern ließ seine Armee über den Po gehen und südöstlich vom großen Festungsviereck Stellung nehmen. Desterreich konnte aus diesem Grunde nur einen Theil der Südarmee zurückziehen, da Italien fest entschlossen schien, den abziehenden Oesterreichern auf dem Fuße bis Wien zu folgen.

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Das französische Cabinet stellte jetzt selbst ein Programm für die Vermittelung auf. Desterreichs Erklärung in Paris, wenn sich unter den preußischen Bedingungen für einen Waffenstillstand unannehmbare Forderungen, z. B. eine Gebietsabtretung, befänden, so zöge Desterreich vor, die Waffen weiter entscheiden zu lassen und, wenn es sein müsse, mit Ehren unterzugehen, als sein Heil um solchen Preis zu erkaufen mußte bei dieser Aufstellung als Grundlage genommen werden. Napoleon lag vor allen Dingen daran, zunächst zu verhindern, daß die Preußen in Wien einmarschirten. Sein Botschafter in Berlin, Graf Benedetti, erhielt daher den Auftrag sich schleunigst in das preußische Hauptquartier zu begeben und auf sofortigen Abschluß des Friedens zu dringen, während der französische Botschafter in Wien, Herzog von Gramont, das österreichische Cabinet zur Nachgiebigkeit bestimmen sollte. Das preußische Hauptquartier war unterdeß bereits bis Nicolsburg vorgedrungen, und hier wurde dem Grafen Benedetti am 14. Juli erwidert, daß der König von Preußen auf Friedensunterhandlungen nur eingehen könne mit Zustimmung Italiens und unter der Bedingung, daß Frankreich es auf sich nähme, Oesterreich zur Annahme der Friedenspräliminarien zu bestimmen. Am nämlichen Tage ließ Napoleon sowol Preußen als Desterreich die von seinem Cabinete formulirten Vorschläge zugehen, die auf folgenden Grundzügen beruhten: 1) die Integrität des

österreichischen Kaiserthums mit Ausnahme von Venetien; 2) die Auflösung des ehemaligen deutschen Bundes; 3) die Projectirung eines Südbundes mit unabhängiger internationaler Existenz; die Vereinigung der Elbherzogthümer mit Preußen, mit Ausnahme der Districte Nordschleswigs, welche durch freie Abstimmung Vereinigung mit Dänemark verlangen würden; 4) die Bezahlung eines Theils der Kriegskosten von seiten Oesterreichs und seiner Verbündeten an Preußen. Diese Vorschläge bilden wirklich die Grundlagen der späteren Friedenspräliminarien, doch mußten sie an einem sehr wichtigen Punkte eine bedeutende Modification erleiden.

Preußen hatte übrigens der französischen Vermittelung absolut kein Recht auf seine Action eingeräumt, sondern verfolgte unbeirrt die errungenen Vortheile. Schon am Tage nach Königgrät, am 4. Juli, erschien bei der Armee des Kronprinzen von Preußen Feldmarschall-Lieutenant von Gablenz, als Parlamentär Benedeks. Der Kronprinz ließ ihn nach Horzit in das Hauptquartier des Königs führen, der ihn zwar freundlich empfing, das Ersuchen um einen mehrtägigen Waffenstillstand aber einfach und entschieden ablehnte. Es war preußischerseits beschlossen worden, die Vortheile des Sieges in umfassender Weise auszubeuten und die geschlagenen Desterreicher, welche haufenweis durch Böhmen und Mähren flüchteten, nicht mehr zum Sammeln kommen zu lassen. Man hielt an diesem Vorsatz um so fester, weil man von der Eile erfuhr, mit welcher die in Italien disponiblen Truppen dem Norden und der Verbindung mit den Trümmern der Nordarmee zugeführt wurden. So erfolgte denn nun noch der von nur wenigen kleinen Gefechten bezeichnete Siegeslauf der preußischen Armee, welchen dieselbe durch Böhmen und Mähren nach Desterreich hinein, bis vor die Donau und vor Wien und in Ungarn bis vor Preßburg führte und Oesterreich, wenn es nicht die Preußen in Wien selbst begrüßen wollte, zur Annahme der preußischen Bedingungen für Waffenruhe zwang.

Bereits am 6. Juli wurde das preußische Hanptquartier nach Pardubit, jenseit der Elbe verlegt, und an diesem Tage erschien Frhr. von Gablenz nochmals im preußischen Hauptquartier, wo er in einer Besprechung dem General v. Moltke nochmals dringliche Waffenstillstandsvorschläge machte, indeß wiederum unverrichteter Sache abreisen mußte. Am 6. Juli rückten aus Oberschlesien preußische Truppen in dem österreichisch-schlesischen Städtchen Troppau ein; am 8. Juli besetzte ein von der Hauptarmee abgezweigtes Corps von 8000 Mann unter dem Generalmajor von Rosenberg, Prag. Bereits am 7. waren preußische Truppen in Chwala, einem Dorfe vor Prag erschienen, wohin ihnen der Bürgermeister und der Cardinal-Erzbischof entgegenfuhren, um möglichste Schonung der Stadt zu erbitten, die ihnen natürlich bereitwillig zugesichert wurde. Tausende von Neugierigen erwarteten die einrückenden Preußen auf der Bastei. Die städtischen Behörden und der Erzbischof empfingen sie feierlich.

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