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Unterhandlungen mit Rußland.

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gen, wies der Staatskanzler nicht ganz von der Hand, bemerkte aber, daß; die Ereignisse darüber entscheiden müßten, die Hauptsache sei, sich in die gehörige Stellung zu setzen, um davon baldigsten Vortheil zu ziehen.“

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Mit solchen nichtssagenden Redensarten gelang es Hardenberg, den Kaiser Alexander noch einige Wochen zu vertrösten. Endlich trat Stein dazwischen, überzeugte den Kaiser, daß er mit Knesebeck nicht von der Stelle kommen werde, rieth dessen Anwesenheit zu ignoriren und erbot sich, gemeinschaftlich mit Herrn von Anstett, einem gebornen Elsasser in russischen Diensten, nach Breslau zum Abschluß eines Vertrages zu gehen, wozu auch beide mit den nöthigen Vollmachten versehen wurden. Stein übernahm die Sendung ohne Rücksicht auf seine Gesundheit; an einer heftigen Erkältung leidend, traf er am 24. Februar in Kalisch, am folgenden Tage in Breslau ein. Er fuhr sogleich am Schlosse vor, meldete sich beim Könige und erlaubte sich in seiner nicht eben sehr zurückhaltenden Weise zu sagen: „Majestät werden sich doch nun nicht länger besinnen?" Er stellte die Lage des Augenblicks auf das Eindringlichste vor.*) Der König gab nach, und ließ den Staatskanzler holen. Die Sache ward verab redet. Stein erklärte: wenn der König nicht auf der Stelle Scharnhorst oder ihn selbst nach Kalisch sende, so werde der Kaiser nicht glauben, daß es Ernst sei. Es ward also Scharnhorsts Absendung beschlossen. Darauf entfernte sich Hardenberg. Stein fuhr, ein Unterkommen suchend, umher und bei zwei Wirthshäusern vergeblich vor; endlich hielt er mitten auf dem Marktplaße und machte einen so heillosen Spektakel über die tolle Wirthschaft, welche die Freiwilligen, Lüßows wilde verwegene Jagd an der Spize, hier überall aufgeschlagen hatten, daß sich ein Stein des Steins hätte erbarmen mögen. Der Major Lüzow trat an seinen Wagen heran, erbot sich, sobald Stein seinen Namen genannt, sogleich für sein Unterkommen zu sorgen und räumte ihm sofort ein kleines Dachstübchen im Gasthofe zum Zepter ein. „Hier wohnte Stein in großer Abgeschiedenheit; aber seine alten Feinde waren wach. Der Feldmarschall Kalkreuth entdeckte seinen Aufenthalt dem französischen Gesandten; dieser miethete sich ein Zimmer gegenüber im Hause eines Schneiders, um auskundschaften zu lassen, wer Stein besuchen würde; da aber nur Scharnhorst, Boyen

*) Nach einer mündlichen Mittheilung Boyens. Steins Leben III. S. 302.

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Bündniß mit Rußland vom 27. Februar.

und andere Vertraute im Abenddunkel kamen, glaubte St. Marsan sich getäuscht zu haben und gab die Beobachtung auf."*)

Stein war fränfer in Breslau angekommen, als er es sich gestehen wollte. Nur zwei Tage hielt er sich aufrecht und er benutzte sie, um Hardenberg zum Abschlusse des Vertrages zu drängen. Am 27. Februar wurde derselbe zu Breslau von dem Staatskanzler und Herrn von Anstett (Stein stand nicht in russischen Diensten), und am 28. in Kalisch von Kutusoff und Scharnhorst, welcher auf Steins dringendes Verlangen mit den nöthigen Vollmachten dazu versehen worden war, unterzeichnet. Die vornehmsten Punkte dieses Vertrages (Artikel 2 und 3) lauteten: Der Bund zwischen Rußland und Preußen ist für den gegenwärtigen Krieg offensiv. Der unmittelbare Zweck desselben ist, Preußen auf eine solche Weise wieder herzustellen, daß die Ruhe beider Staaten gesichert wird. Da dies unmöglich geschchen kann, so lange die Militairmacht Frankreichs ihre Stellungen oder Festungen im Norden von Deutschland behauptet, ja so lange diese Macht dort nur irgend einen Einfluß ausübt, so werden die ersten Kriegsoperationen besonders auf diesen Punkt gerichtet sein. Rußland soll daher 150,000 Mann, Preußen 80,000 Mann aufstellen und sie verpflichten sich, jeder für sich, weder Waffenstillstand, noch Frieden zu schließen. Im 6. Artikel ward festgesetzt, daßz man sich bemühen wolle, Oestreich in den Bund zu ziehen; im 7. und 8., daß man mit England unterhandeln wolle, um Preußen englische Hülfsgelder zu verschaffen. Ein geheimer Artikel war für Preußen von größter Bedeutung. „Der Kaiser von Rußland," so lautet derselbe, „macht sich durch diesen geheimen und besondern Artikel, weil die Sicherheit und Unabhängigkeit Preußens nur dadurch begründet werden kann, daß man ihm die ganze reelle Macht wieder verschafft, welche es vor 1806 gehabt, den Wünschen des Königs von Preußen zuvorkommend, verbindlich: die Waffen nicht eher niederzulegen, bis Preußen seinen ganzen früheren, statistischen, geographischen, finanziellen Zustand wieder erlangt haben wird und wieder geworden ist, was es vor dem Kriege gewesen. Der Kaiser verspricht zu diesem Zwecke aufs Feierlichste, daß er zur Entschädigung Preußens für das Verlorene und zur Vergrößerung des Königreichs alle die Erwerbungen anwenden wolle, die er im Norden durch die Waffen, oder durch Unterhandlungen machen werde, blos mit Ausnahme der *) Steins Leben III. S. 303.

Bündniß mit Rußland vom 27. Februar.

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alten hannöverschen Besitzungen." In einem zweiten geheimen Artikel gewährleistet der Kaiser von Rußland dem Könige die Erwerbung eines Gebietes, welches Alt-Preußen in allen Beziehungen, sowohl militairischen, als geographischen, mit Schlesien verbindet. Schon damals war man auf die Erwerbung Posens bedacht gewesen.

Zur Ergänzung dieses Vertrages wurde am 19. März eine nachträgliche Erklärung abgefaßt und für Rußland von dem Grafen Nesselrode und Baron von Stein, für Preußen von Hardenberg und Scharnhorst unterzeichnet, worin man die Grundsätze, nach welchen bei dem Vorrücken der Heere verfahren werden sollte, feststellte. „Es sollten," hieß es darin, 1. nicht blos, wie bis dahin ganz allein geschehen sei, weil man des Volkes nicht zu achten pflegte, die Fürsten, sondern ganz besonders die Völker durch Proclamation aufgefordert werden, das Joch der Franzosen abzuschütteln. 2. Es sollte ein Verwaltungsrath von drei von den verbündeten Mächten zu ernennenden Mitgliedern bestellt werden. Die Einkünfte der besetzten Länder sollten berechnet und zwischen Preußen und Nußland zu gleichen Theilen vertheilt werden, doch sollten Hannover einen Theil davon für das von ihm gestellte Contingent erhalten. 3. Sollten alle Länder von Sachsen bis an die Grenze von Holland in fünf große Abtheilungen getheilt und jede unter ein Civil- und ein Militairgouvernement gestellt werden."

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Auf Steins Veranlassung wurde in der später erlassenen Proclamation erklärt, daß alle deutsche Fürsten, die sich weigern würden zur Befreiung des Vaterlandes beizutragen, ihre Staaten verlieren sollten und nach einer vom Feldmarschall Kutusoff erlassenen Erklärung wurde der Rheinbund für aufgehoben erklärt. Anstett ging nach seiner Ankunft in Kalisch sogleich zum Kaiser. Alexander hörte, las und ließ darauf Knesebeck rufen. Den Vertrag in der Hand rief er: „Sehen Sie wohl, der König hat mehr Vertrauen in mich und hat sogleich, ohne ein Wort zu ändern, unterzeichnet!" Knesebeck antwortete: "Sire, der König ist mein Herr und Gebieter; er vertraut das Loos meines Vaterlandes dem großmüthigen Herzen Ew. Majestät an und da ich Ihre wohlwollenden Absichten für Preußen kenne, so wünsche ich dem Könige und meinem Vaterlande dazu Glück.“ Der Kaiser erwiderte: „das ist eine Verstärkung, welche die Vorsehung mir schickt und der König kann sicher sein, daß ich nicht zurücktreten würde, ohne seine Hoffnungen erfüllt zu haben; ich

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Kriegserklärung an Frankreich d. 27. März.

würde eher sterben, als ihn verlassen.“ Diese Worte sprach der Kaiser so ergriffen, daß einige Augenblicke Schweigen folgte. Der Kaiser bemerkte ferner, daß Knesebeck sich sehr geirrt habe, als er ihm abgerathen, Herrn von Stein nach Breslau zu schicken, da derselbe dem Könige unangenehm sei, vielmehr habe Herr von Stein sich einer sehr ehrenvollen Aufnahme zu erfreuen gehabt. In den Briefen, welche Stein nach seiner Genesung von einem typhösen Fieber aus Breslau an seine Gattin nach Prag schrieb, gedenkt er mancher rührenden Beweise von Theilnahme, welche er von den Einwohnern Breslaus empfing. Die Leibärzte des Königs Hufeland und Wiebel widmeten ihm, ohne jedoch hierzu beauftragt zu sein, die größte Sorgfalt. Die Prinzessin Wilhelm sandte ihm täglich ein Krankensüppchen aus ihrer Küche, Prinz Wilhelm, Blücher, Prinz August, der Oberpräsident Merkel, der Staatsrath Rehdiger besuchten ihn. „Der König blieb verschlossen, er ließ selbst nicht einmal nach Steins Befinden fragen, ihm war die plötzliche, von ihm nicht veranlaßte Erscheinung zweier Personen aus dem Hauptquartiere und die dadurch herbeigeführte schnelle Entwicklung der Sachen, der Abschluß des Bündnisses mit Rußland, bevor die Rückantwort aus Paris eingetroffen, unangenehm. Hardenberg war mißtrauisch, besorgt für sein Ansehen; er fürchtete, Stein möchte Ansprüche auf den Rücktritt in den Dienst machen. Den Mitgliedern des Hofes ward verboten, in irgend eine Verbindung mit Stein zu treten, oder seinen Zustand zu erleichtern.“*)

Am 27. Februar hatte der König das Bündniß mit Rußland unterzeich net; vier Wochen später am 27. März übergab der preußische Gesandte in Paris, General v. Krusemark, dem Minister der auswärtigen Angelegenheiten eine Note, welche die Kriegserklärung enthielt. „Die Fortschritte der russischen Waffen," heißt es darin, „gestatten es nicht, daß Preußen den Zustand der Ungewißheit verlängere, worin es sich befindet. Auf der einen Seite bietet der Kaiser von Rußland, mit dem Könige durch die Bande einer persönlichen Freundschaft verbunden, in diesem entscheidenden Augenblicke Preußen den Beistand seiner Macht und die Vortheile seiner Freundschaft an; auf der anderen fährt Se. Maj. der Kaiser der Franzosen fort, einen Bundesgenossen zurückzu

*) Steins Leben III. S. 310.

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stoßen, welcher sich für seine Sache aufgeopfert hat und verschmäht sogar, sich über die Beweggründe seines Stillschweigens zu erklären.“

Es folgt nun eine Aufzählung der Beschwerden über die unredliche Auslegung der Bestimmungen des Tilsiter Friedens von Seiten Frankreichs, welches sich gehässiger (odieux) Vorwände bedient habe, um den Wohlstand Preußens und seiner einzelnen Bewohner bis auf die Grundfesten zu erschüttern, selbst über das Gut der Wittwen und Waisen wurde von dem Kaiser in dem Bayonner Vertrage verfügt. Die Rüstungen Frankreichs und Rußlands im Frühjahr 1812 ließen keinen Zweifel über den Ausbruch eines Krieges. „Der König, seinem Grundsaße getreu, um jeden Preis die National-Existenz sicherzustellen und auf die Zukunft aus der Vergangenheit schließend, fühlte, daß er alles von Frankreich zu befürchten habe. Er opferte seine Neigungen (affections) auf und schloß einen Allianztractat mit Frankreich.“ Auch dieser Vertrag, in welchem Preußen das geforderte Truppencorps gegen Rußland stellte und Lieferungen aller Art in die Magazine der großen Armee leistete, wurde von dem Kaiser, seinen Feldherrn und Soldaten auf das Empörendste verlegt. „Während Preußen alle seine Quellen erschöpfte, um die zugesicherten Vorräthe in die Magazine zu liefern, lebten die französischen Armeen auf Kosten der Einwohner. Zu gleicher Zeit wurde die Erfüllung des Tractats und die tägliche Beköstigung der Truppen verlangt. Das heilige Eigenthum der Einwohner wurde mit Gewalt geraubt, ohne darüber im geringsten Rechnung zu führen und Preußen verlor durch diese gewaltsame Behandlung 70,000 Pferde und 20,000 Wagen." Dennoch ertrug das Land auch jetzt noch die mit jedem Tage unerschwinglicher werdenden Lasten. Vertragsmäßig hatte Frankreich die Verproviantirung der Oderfestungen vom Mai 1812 an übernommen, allein es erzwang dazu von dem Lande Contribution. Die Festungen Spandau und Pillau beseßte es gegen den Vertrag durch eine Art von militairischer Ueberrumpelung. „Da erscholl in ganz Europa das Gerücht der schrecklichen Katastrophe, die einen mit den glänzendsten Aussichten begonnenen Feldzug endete. Preußen empfing die schwachen Ueberbleibsel der großen Armee, die es zu verschlingen gedroht hatte. Ihr Unglück ging uns zu Herzen. Unsere Einwohner folgten dem Beispiele ihres erhabenen Monarchen und eilten denen zu helfen, die seit sechs Jahren unaufhörlich ihre Unterdrücker gewesen waren.

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