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einkunft mit der grossherzoglich hessischen Regierung geschlossen, welche 1856 durch fernere Zugeständnisse der letzteren erweitert wurde. Am 8. April 1858 schloss Württemberg ein Konkordat mit Rom, aber die Regierung sah sich genöthigt, das von ihr bereits abgeschlossene Konkordat den Ständen vorzulegen, welche es verwarfen. Statt desselben wurden die Beziehungen zwischen Kirche und Staat nun staatsgesetzlich geregelt durch das Gesetz, betr. die Regelung des Verhältnisses der Staatsgewalt zur katholischen Kirche vom 30. Januar 18621. (Zorn, a. a. O. S. 56.) Aehnlich ging es in Baden. Auch hier scheiterte die Durchführung des am 28. Juni 1859 bereits abgeschlossenen Konkordates am mannhaften Widerstande des Landtages. Dasselbe wurde wieder aufgehoben und das Verhältniss des Staates zur katholischen Kirche, wie in Württemberg, staatsgesetzlich geregelt. Gesetz, die rechtliche Stellung der Kirchen und kirchlichen Vereine im Staate betr. vom 9. Oktober 18602. (Zorn, a. a. O. S. 37 ff.) Der so in Süddeutschland vorbereitete Umschwung trat in Preussen mit der verhängnissvollen Proklamation des Unfehlbarkeitsdogmas vom 18. Juli 1870 ein. Die umfassende Gesetzgebung der Jahre 1873 bis 18763 hat die seit 1848 dem Staate abhanden gekommenen Hoheitsrechte über die katholische Kirche wieder hergestellt; doch hat man, im Gegensatz zu der früher bloss administrativen Behandlung dieser Fragen, alles möglichst auf ge

1) Golther, Der Staat und die katholische Kirche in Württemberg. Stuttgart 1874.

2) E. Friedberg, Der Staat und die katholische Kirche in Baden. II. Aufl. 1874.

3 Preuss. Gesetz, betr. die Abänderung der Art. 15 und 18 der V. U. vom 31. Januar 1850, vom 5. April 1873. Gesetz über die Vorbildung und Anstellung der Geistlichen vom 11. Mai 1873. Gesetz über die kirchliche Disciplinargewalt und die Errichtung des königl. Gerichtshofes für kirchliche Angelegenheiten vom 12. Mai 1873. Gesetz über die Grenzen des Rechtes zum Gebrauch kirchlicher Straf- und Zuchtmittel vom 13. Mai 1873. Gesetz wegen Deklaration und Ergänzung des Gesetzes vom 11. Mai 1873 über die Vorbildung und Anstellung der Geistlichen vom 21. Mai 1874. Gesetz, betr. die geistlichen Orden und ordensähnlichen Kongregationen der katholischen Kirche vom 31. Mai 1875. Gesetz über die Aufhebung der Art. 15, 16 und 18 der V. U. vom 31. Mai 1850, vom 11. Juni 1875. Gesetz über die Vermögensverwaltung in den katholischen Kirchengemeinden vom 20. Juni 1875. Gesetz über das Aufsichtsrecht des Staates bei der Vermögensverwaltung in den katholischen Diöcesen vom 7. Juni 1876. Hinschius, Die preussischen Kirchengesetze der Jahre 1874 und 1875. Berlin 1875. Derselbe, Das preussische Kirchengesetz vom 14. Juli 1850 nebst den Gesetzen vom 7. Juni 1876 und 13. Februar 1878 nebst Kommentar. Berlin und Leipzig 1881.

setzliche Grundsätze zu bringen und die Entscheidungen der Staatsgewalt mit gerichtlichen Garantien zu umgeben versucht. Dem Beispiele der preussischen Kirchengesetzgebung folgten mehrere deutsche Mittelstaaten, zuerst Baden mit seinem Gesetze vom 19. Februar 1874, die Aenderung einiger Bestimmungen des Gesetzes vom 9. Oktober 1860, die rechtliche Stellung der Kirchen und kirchlichen Vereine betr. (Zorn, a. a. O. S. 50.), das Grossherzogthum Hessen mit seinen Gesetzen, die rechtliche Stellung der Kirchen und Religionsgemeinschaften im Staate betr. u. s. w. vom 23. April 1875 (Zorn, a. a. O. S. 92-102), endlich das Königreich Sachsen mit dem Gesetz vom 23. August 1876, die Ausübung des staatlichen Oberaufsichtsrechtes über die katholische Kirche im Königreich Sachsen betreffend.

Nach einem fest begründeten deutschen Staatsherkommen, wie nach dem Stande der neuesten Gesetzgebungen, offenbart sich die Kirchenhoheit des Staates über die katholische Kirche besonders in folgenden Punkten:

1) in dem Rechte des Placet, d. h. in der Befugniss der Staatsgewalt, von allen Erlassen der kirchlichen Behörden, besonders auch des Papstes, Kenntniss zu nehmen und ihre Veröffentlichung zu gestatten oder zu verweigern. Bis zum Jahre 1840 bestand dasselbe in allen deutschen Staaten. Seitdem ist es in einzelnen Staaten aufgehoben oder beschränkt. In Preussen ist es beseitigt und auch durch die neuere Gesetzgebung nicht wieder hergestellt worden. Unverändert besteht es in Bayern. Die anderen Staaten machen gewisse Unterschiede je nach dem Inhalte der Verordnungen; alle kirchlichen Verordnungen müssen gleichzeitig mit der Verkündigung der Staatsregierung mitgetheilt werden; einer ausdrücklichen Genehmigung bedürfen nur solche, welche in die bürgerlichen Verhältnisse der Staatsangehörigen eingreifen. Bad. Gesetz vom 9. Oktober 1860 § 15. Württemb. Gesetz vom 30. Januar 1862 Art. 1. Hessisches Gesetz vom 23. April 1875 Art. 5 u. s. w.;

2) in einer Mitwirkung des Staates bei Errichtung, Veränderung und Besetzung der Kirchenämter. In erster Beziehung ist eine Mitwirkung des Staates schon deshalb erforderlich, um für die betreffenden Aemter die Anerkennung des Staates zu erlangen. Bei der Besetzung der Kirchenämter stellt der Staat einerseits gewisse gesetzliche Bedingungen der Anstellung fest: Staats- resp. Reichsangehörigkeit des Anzustellenden, wissenschaftliche Vorbildung auf bestimmten Anstalten, Ablegung einer Prüfung, die

entweder unter staatlicher Kontrolle stattfindet oder eine eigentliche Staatsprüfung ist, andererseits behält er sich vor, gegen die Anstellung gewisser Personen aus staatlichen Gründen Widerspruch zu erheben (Einspruchsrecht). Letzteres Recht ist in allen Gesetzgebungen der Neuzeit gleichmässig anerkannt, z. B. preuss. Gesetz vom 11. Mai 1873. Württemb. Gesetz vom 30. Januar 1862 Art. 4. Badisches Gesetz vom 9. Oktober 1860. Königl. sächsisches Gesetz vom 23. August 1876 §§ 25-26. Hinsichtlich der Mitwirkung des Staates bei Besetzung der Bisthümer bestehen besondere Bestimmungen 1. In Bayern steht dem Könige das Ernennungsrecht zu; in den anderen Staaten wählen die Domkapitel, die Regierung hat aber das Recht, sogenannte personae minus gratae von der Liste zu streichen. (Für Preussen z. B. das Breve quod de fidelium.) Auch für die Stellen der Domkapitel haben die Regierungen sich regelmässig gewisse Ernennungs- und Ausschliessungsrechte vorbehalten.

Auch halten sich die Staaten für befugt, die Entfernung von Kirchendienern von ihrem Amte auszusprechen, wenn diese sich schwere Verletzungen der Staatsgesetze zu Schulden kommen lassen; dieselbe erfolgt in einigen Staaten im Verwaltungswege, in anderen durch richterliches Urtheil. Als Mittel, die Befugnisse des Staates hinsichtlich der Besetzung von Kirchenämtern aufrecht zu erhalten, sind Strafen für den Fall unbefugter Amtsausübung durch die neuere Gesetzgebung festgestellt. Ausserdem kommt hier die Reichsgesetzgebung der Landesgesetzgebung zu Hülfe, indem sie den Regierungen die Befugniss einräumt, Personen, welche sich unrechtmässiger Weise Kirchenämter anmaassen, Aufenthaltsbeschränkungen zu unterwerfen und äussersten Falles, nach Entziehung der Staats- und Reichsangehörigkeit, aus dem Reichsgebiete zu verweisen. Reichsgesetz, betr. die Verhinderung der unbefugten Ausübung von Kirchenämtern vom 4. Mai 1874 (Zorn, a. a. O. S. 20);

3) in dem Rechte des Staates, Beschwerden wegen Missbrauchs der geistlichen Gewalt anzunehmen und denselben, im Falle ihrer

1 E. Herrmann, Das staatliche Veto bei Bischofswahlen nach dem Rechte der oberrheinischen Kirchenprovinz. Heidelberg 1869. E. Friedberg, Das Veto der Regierungen bei Bischofswahlen in Preussen und der oberrheinischen Kirchenprovinz. Halle 1869. Fr. v. Sybel, Das Recht des Staates bei Bischofswahlen in Preussen, Hannover und der oberrheinischen Kirchenprovinz. Bonn 1873. E. Friedberg, Der Staat und die Bischofswahlen in Deutschland. Leipzig 1874.

an den

Begründung, Abhülfe zu schaffen. Der in Frankreich von jeher gebräuchliche recursus ab abusu, appel comme d'abus, welcher früher bei den Parlamenten, später beim Staatsrathe eingelegt werden konnte, ging im älteren deutschen Reiche an die obersten Reichsgerichte; in den einzelnen Territorien ging er Landesherrn und sein Ministerium, ohne gesetzliche Regelung des Verfahrens. In dieser administrativen Form hat sich der recursus ab abusu in den meisten Staaten erhalten. »Den Geistlichen, sowie den Weltlichen, bleibt, wo immer ein Missbrauch der geistlichen Gewalt gegen sie stattfindet, der Rekurs an die Landesbehörden«<. (§ 36 der sogenannten Kirchenpragmatik für die oberrheinische Kirchenprovinz vom 30. Januar 1830.) Die Beschwerde ist nicht nur gegen Verletzungen von Staatsgesetzen, sondern auch gegen Verletzung kirchlicher Rechte des Individuums gerichtet. In Preussen, wo dieser Rekurs durch die oben bezeichnete Verwaltungspraxis ausser Gebrauch gekommen war, ist derselbe in einzelnen gesetzlich bestimmten Fällen wieder hergestellt. So ist eine Berufung an den Staat gegen Entscheidung kirchlicher Behörden, welche Disciplinarstrafen auferlegen, eingeräumt, wenn dadurch staatliche Gesetze verletzt werden. Eine Eigenthümlichkeit der preussischen Gesetzgebung ist es, dass hierüber nicht wie anderwärts durch eine Verwaltungsbehörde (Ministerium, Staatsrath), sondern durch den königlichen Gerichtshof für kirchliche Angelegenheiten entschieden wird, eine mit allen Garantien richterlicher Unabhängigkeit ausgestattete Behörde.

Ausser diesen Befugnissen nimmt der Staat kraft seiner Kirchenhoheit noch die besondere Aufsicht über gewisse Angelegenheiten der katholischen Kirche in Anspruch. Dahin gehört die Ueberwachung der kirchlichen Straf- und Disciplinargewalt sowohl über Laien, als Kirchendiener, die Aufsicht über die kirchlichen Anstalten zur Ausbildung der Geistlichen, über die Vermögensverwaltung, indem die Genehmigung des Staates bei gewissen wichtigen Akten der Vermögensverwaltung, sowie die Prüfung der Kirchenrechnungen vorgeschrieben ist, die Aufsicht über die geistlichen Orden, wo dieselben überhaupt noch zugelassen sind. Durch Reichsgesetz betr. den Orden der Gesellschaft Jesu vom 4. Juli 1872 ist der Jesuitenorden nebst den ihm verwandten Orden und ordensähnlichen Kongregationen vom Gebiete des deutschen Reichs ausgeschlossen.

So hat der deutsche Staat, gestützt auf die Erfahrung von

Jahrhunderten, in Uebereinstimmung mit der Gesetzgebung fast aller europäischen Staaten, sich weit gehende Befugnisse beigelegt, welche seinen Bestand und die Rechtssphäre seiner Bürger gegen die Uebergriffe der Hierarchie möglichst sichern sollen. Ob und wann er auf einzelne derselben verzichten kann, wird von der zukünftigen inneren Entwickelung der katholischen Kirche abhängen, besonders davon, wie sie sich zu der Staatsgesetzgebung stellt. Fallen wird, was bloss als vorübergehendes Kampfmittel für nöthig befunden wurde in dem Kampfe, welchen das Papstthum selbst durch die verhängnissvolle Ueberspannung seiner Ansprüche heraufbeschworen hat; bleiben werden die organisatorischen Grundgedanken der neuesten Kirchengesetzgebung. Als Ziel muss erscheinen möglichst selbständige Bewegung der Kirche in ihrem inneren Leben, freie Entfaltung ihrer Kräfte auf dem rein religiösen Gebiete, bei Aufrechterhaltung aller nothwendigen Befugnisse der Kirchenhoheit, welche aber nie in eine Usurpation des Kirchenregiments ausarten soll. Die grundsätzliche Scheidung beider Begriffe ist eine unverlierbare Errungenschaft unseres modernen Rechtsbewusstseins.

§ 244.

IV. Der Staat gegenüber der evangelischen Kirche 1.

Wie oben erwähnt, brachte es die deutsche evangelische Kirche nicht zu einer einheitlichen und freiheitlichen Kirchenverfassung im Geiste der Reformation. Das nur als vorübergehende Nothverfassung von den Reformatoren zugelassene landesherrliche Kirchenregiment wurde als ein bleibendes gemeinrechtliches Institut angesehen. Es gab rechtlich keine deutsche evangelische Kirche, sondern so viele Landeskirchen, als das Reich unmittelbare Territorien zählte; die Landesherren besassen das Kirchenregiment

1 A. L. Richter, Geschichte der evangelischen Kirchenverfassung in Deutschland. Leipzig 1851. Derselbe, Beiträge zum preussischen Kirchenrechte. Aus dessen Nachlasse herausgegeben von Hinschius. Leipzig 1865. Derselbe, Die Grundlagen der Kirchenverfassung nach den Ansichten der sächsischen Reformatoren, in Reyschner's und Wilda's Zeitschrift für deutsches Recht B. IV. S. 35 ff. H. F. Jakobson, Das evangelische Kirchenrecht des preussischen Staates und seiner Provinzen. Halle I. Abth. 1. 1864. II. Abth. 1866. Heinrich v. Mühler, Geschichte der evangelischen Kirchenverfassung in der Mark Brandenburg. Weimar 1846. E. Herrmann, Art. >>Protestantische Kirche« in Bluntschli's Staatsw. B. VIII. S. 377-401.

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