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fach verschieden gestaltet ist. Das Verfahren ist in den Gesetzgebungen der deutschen Staaten ziemlich gleichmässig geordnet. Die civilprocessualische Verhandlungsmaxime ist durch die Untersuchungsmaxime mannigfach modificirt. Unter Gewährleistung der Rechte der Parteien soll gleichwohl dem Richter eine möglichst freie Bewegung verstattet werden. Das Gericht kann sofort nach Eingang der Klage die mündliche Verhandlung anberaumen, in welcher die Parteien, eventuell die betheiligte öffentliche Behörde oder deren Vertreter zu hören sind. Es kann statt dessen aber auch, sofern es ihm zweckmässig erscheint, vor Anberaumung der mündlichen Verhandlung einen Schriftenwechsel einleiten. Es kann nicht minder sofort den angetretenen und nach seinem Ermessen erforderlichen Beweis erheben. Es kann die Beiladung Dritter, deren Interesse durch die Entscheidung berührt wird, auf Antrag oder von Amtswegen verfügen. Das Gericht hat nach seiner freien, aus dem ganzen Inbegriffe der Verhandlungen und Beweise geschöpften Ueberzeugung zu entscheiden, es kann beim Ausbleiben oder in Ermangelung einer Erklärung der betreffenden Partei die von der Gegenpartei vorgebrachten Thatsachen für zugestanden erachten. Stellt sich der erhobene Antrag sofort als rechtlich unzulässig oder unbegründet heraus, so kann die Klage ohne weiteres durch einen mit Gründen versehenen Bescheid zurückgewiesen werden. In diesem Bescheide ist indessen dem Kläger zu eröffnen, dass derselbe befugt sei, innerhalb der gesetzlichen Frist, gegen den Bescheid Einspruch zu erheben und die Anberaumung der mündlichen Verhandlung zu beantragen. Ueberhaupt ist das rechtliche Gehör der Betheiligten, unter Anerkennung der Grundsätze der Oeffentlichkeit und Mündlichkeit, vorgeschrieben, doch ist es nicht mit derjenigen Ausschliesslichkeit, wie im Civilprocesse, durchgeführt. Jede Entscheidung ist mit Entscheidungsgründen zu versehen. Gegen die Endurtheile der unteren Instanzen sind verschiedene Rechtsmittel gegeben, wobei zwischen Berufung, Beschwerde und Revision. unterschieden zu werden pflegt.

§ 234.

V. Resultat 1.

So hat sich die von vielen kaum beachtete, von wenigen hinreichend gewürdigte Reform in unserem Rechtsleben innerhalb 1 Hermann Schulze, Der Rechtsschutz auf dem Gebiete des öffentlichen

zweier Jahrzehnte vollzogen. Durch sie haben die öffentlichen Rechte einen ebenso sicheren Schutz gefunden, wie bisher nur die Privatrechte. Durch sie ist der Polizeistaat innerlich überwunden, indem eine feste Grenzlinie zwischen der subjektiven Rechtssphäre und den Anforderungen der Verwaltungsbehörden durch ein immer mehr sich befestigendes Verwaltungsrecht gezogen und die Einhaltung dieser Linie durch unabhängige Gerichte geschützt ist. Die früher kaum verstandene Idee einer Rechtsprechung des öffentlichen Rechtes ist zu einem Gemeingute der deutschen Wissenschaft geworden. Ueberall hat sie sich, trotz der kurzen Zeit ihres Bestehens, bewährt und bereits praktisch eingelebt. Vor diesem Erfolge sind ihre Gegner fast verstummt. Niemand möchte mehr die Entscheidung der Verwaltungsrechtssachen dem Ermessen der Verwaltungsbehörden zurückgeben. Nur vereinzelte Stimmen sind es noch, welche die Gerichtsbarkeit des öffentlichen Rechtes den ordentlichen Gerichten übertragen möchten. Grundsätzlich wäre eine solche Uebertragung allerdings möglich, ja sie mag als ein Ideal für eine unberechenbare Zukunft erscheinen; aber die praktischen Gründe, welche gegen eine solche Uebertragung sprechen, sind bekannt und oft ausgeführt. Bei der einmal durchgeführten strengen Trennung zwischen Justiz und Verwaltung, bei der wesentlichen civilistischen Ausbildung unserer Richter, ist von ihnen eine gründliche Kenntniss des immer mehr sich entwickelnden, umfangreichen Verwaltungsrechtes kaum zu erwarten, noch weniger ein Verständniss für die Bedürfnisse der Verwaltung. Nichts könnte der Verwaltung gefährlicher werden, als wenn sie durch eine formale Beurtheilung in rein civilistischem Sinne in der nothwendigen Freiheit der Bewegung gehemmt würde. Ja, es könnte vielleicht ebenso die Beschäftigung mit den Fragen des Verwaltungsrechtes der civilistischen Beurtheilung der Privatrechtsfälle nachtheilig werden. Nur eine planmässige Arbeitstheilung zwischen Civil- und Verwaltungsrichtern kann, wenigstens nach dem Stande unserer gegenwärtigen Rechtsbildung, beiden Aufgaben der Rechtsprechung gerecht werden. Nur fortwährende berufsmässige Beschäftigung mit den Fragen des Verwaltungsrechtes wird bei den Verwaltungsgerichten, besonders der obersten Instanz, die wichtige Tradition einer gleichbleibenden Gerichtspraxis erzeugen,

Rechtes. Leipzig 1873. Was damals als pium desiderium ausgesprochen worden, ist jetzt meist in Erfüllung gegangen.

während ein stossweises vereinzeltes Hereingreifen der Civilgerichte den Gang der Verwaltungsbehörden leicht lähmen könnte. Gewiss würde keine einzige deutsche Regierung darauf eingegangen sein, eine so weitgehende Ausdehnung der Rechtsprechung auf das Gebiet des öffentlichen Rechtes zu genehmigen, wenn das Postulat darauf gerichtet gewesen wäre, die gesammte Verwaltung in ihren Rechtsfragen der Judikatur der Civilgerichte zu unterstellen. Auf lange hin wird die Rechtsprechung des öffentlichen Rechtes durch besondere Gerichtshöfe (fora specialia) ein unentbehrliches Institut bleiben, und statt an diesem Fundament zu rütteln, gilt es, auf demselben rüstig weiter zu bauen. Für die Weiterentwickelung der Verwaltungsgerichtsbarkeit in Deutschland sind zwei Forderungen zu stellen:

1) Möglichste Erweiterung der Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte auf alle Verwaltungsrechtssachen, welche überhaupt zu einer juristischen Beurtheilung und somit zur Rechtsprechung geeignet sind. Bei der geringen Erfahrung auf diesem Gebiete mag es vorsichtiger gewesen sein, dass die Gesetzgebung der sogenannten Dinumerationsmethode gefolgt ist. Bei weiterer Entwickelung von Theorie und Praxis wird man schliesslich doch dahin kommen, eine allgemeine Norm aufzustellen, welche die Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte durch ein grosses Princip von der Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte und der Verwaltungsbehörden scheidet und es der Rechtswissenschaft überlässt, im einzelnen Falle die Abgrenzung richtig zu bestimmen. Vorläufig werden wir damit fürlieb nehmen müssen, die Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte durch Aufnahme geeigneter Gegenstände zu

erweitern.

2) Die Wohlthat der Verwaltungsrechtspflege muss ganz Deutschland zu Theil werden. Die Ausdehnung derselben auf alle Provinzen des preussischen Staates ist angebahnt. Bayern, Württemberg, Baden und Hessen-Darmstadt erfreuen sich derselben. Die kleineren Staaten sind zurückgeblieben. Da die Errichtung eines Oberverwaltungsgerichts die Kräfte jedes einzelnen Staates übersteigen möchte, so ist auch hier nur durch Verbindung mehrerer Staaten Rath zu schaffen. Staaten, die sich in ihrer Rechtsentwickelung, in ihren wirthschaftlichen und gesellschaftlichen Verhältnissen näher stehen, müssten gruppenweise zur Errichtung eines Oberverwaltungsgerichtes zusammentreten, z. B. die thüringischen Staaten, die freien Städte u. s. w.

H. Schulze, Deutsches Staatsrecht.

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Wird diese sachliche und räumliche Ausdehnung der Rechtsprechung des öffentlichen Rechtes, wie fest zu erwarten, dereinst durchgeführt sein, so wird sich der deutsche Bürger eines so gesicherten Rechtsschutzes erfreuen, wie ihn die Gesetzgebung keines andern Volkes in Europa kennt.

Viertes Kapitel.

Das Rechtsverhältniss des Staates zur Kirche1.

§ 235.

Im Allgemeinen.

Gewiss ist die Religion die erhabenste Angelegenheit des Menschen, indem sie sein zeitliches, irdisches Dasein mit einem ewigen, himmlischen verbindet, indem sie ihm in den endlichen Dingen eine Ahnung des Unendlichen gewährt. Die Religion lebt zunächst individuell in jeder Menschenbrust. Seiner ganzen geselligen Natur nach strebt aber der Mensch auch auf diesem Ge

1 E. Herrmann, Ueber die Stellung der Religionsgesellschaften im Staate. Göttingen 1849. J. P. Lange, Ueber die Neugestaltung des Verhältnisses zwischen Kirche und Staat. Heidelberg 1848. Hundeshagen, Ueber einige Hauptmomente in der geschichtlichen Entwickelung des Verhältnisses zwischen Staat und Kirche, in Dove's Zeitschr. B. I. S. 232-262. S. 444-490. Eduard Zeller, Staat und Kirche, Vorlesungen, gehalten zu Berlin 1873. Rudolf Sohm, Das Verhältniss von Staat und Kirche, aus dem Begriffe von Staat und Kirche entwickelt. Tübingen 1873. (Zeitschr. für Kirchenrecht B. XI. S. 157 ff.) Heinrich Geffken, Staat und Kirche in ihrem Verhältniss geschichtlich entwickelt. Berlin 1875. E. Friedberg, De finium inter ecclesiam et civitatem regundorum judicio, quid medii aevi doctores et leges statuerint. Lipsiae 1861. Derselbe, Die Grenzen zwischen Staat und Kirche und die Garantie gegen deren Verletzung, in 3 Abtheilungen. Leipzig 1873. W. Martens, Die Beziehungen der Ueberordnung, Nebenordnung und Unterordnung von Kirche und Staat. Stuttgart 1877. E. Meier, Die Rechtsbildung in Staat und Kirche (Berlin 1861), die Artikel »Kirche und Kirchenverfassung von E. Meier im Staatslex. III. Aufl. B. IX. S. 92 ff. 150 ff. 173 ff. Eine sehr brauchbare Sammlung der neuesten Gesetze hat gegeben Ph. Zorn, Die wichtigsten neueren kirchen- und staatsrechtlichen Gesetze Deutschlands, Oesterreichs, der Schweiz und Italiens, gesammelt und mit Einleitungen versehen. Nördlingen 1876. Bluntschli, Allg. Staatsr. B. II. B. 9. Derselbe im Staatswörterbuch B. V. S. 661 ff. Art. Kirchenhoheit. Klüber, öffentl. R. des d. B. §§ 506 ff. Zöpfl, Grunds. B. II. §§ 526-540. Grotefend, Das deutsche Staatsr. §§ 118-128. G. Meyer, Lehrb. S. 606 ff. v. Mohl, Das Staatsr. des Königr. Württemberg B. II. S. 438 ff. Derselbe, Ueber das Verhältniss des Staates zur

biete nach Vereinigung mit seines Gleichen. Es drängt ihn, sein individuelles Bewusstsein zu offenbaren in dem gemeinsamen Bekenntnisse gleicher religiöser Ueberzeugungen, sowie in der geweihten Bildersprache eines gemeinsamen Kultus. Aus diesem Bedürfnisse sind zu allen Zeiten und bei allen Völkern religiöse Gemeinschaften entstanden. In der alten Welt fielen dieselben, wie konzentrische Kreise, meistens mit der staatlichen Gemeinschaft zusammen. Alle Religionen der alten Welt waren Volksreligionen, alle Götter Nationalgötter. Kann man die orientalischen Staaten Religionsstaaten nennen, so bestand bei den Römern eine Staatsreligion. Das ganze jus sacrum mit seinem Kultus und seinen Opfern, das sacerdotium, war anerkanntermaassen ein Theil des römischen Staatsrechtes. (L. 1 D. de just. et jure I, 1.) Erst das Christenthum mit seinem universalen Charakter trägt den Beruf in sich, die religiöse Gemeinschaft selbständig zu gestalten. Erst mit ihm tritt der Begriff der Kirche, als einer selbständig neben dem Staate stehenden Lebensordnung, ins Dasein. Der Begriff der Kirche ist ein specifisch christlicher. Aber die Kirche (xuptaxóv), als Trägerin der ewigen Wahrheiten des Christenthums, als Gemeinschaft aller Gläubigen in Christo, ist ein Begriff, welcher nur der Welt der Ideen angehört. Erst wenn es den von der Macht dieser Ideen getriebenen Individuen gelingt, sich auch äusserlich als menschliche Gemeinschaft zu konstituiren, wird die Kirche, aber nur in dem äusserlich be

Kirche (in dessen Staatsr., V.-R. und Pol.) B. II. S. 1 ff. v. Rönne, Preuss. Staatsr. B. I. Abth. 2. S. 619 ff. § 188 ff. H. Schulze, Preuss. Staatsr. B. II. S. 698 ff. Eine gute Uebersicht des neuesten Rechtszustandes giebt F. Thudichum, Deutsches Kirchenrecht des neunzehnten Jahrhunderts B. I. u. II. Leipzig 1877 u. 1878. Ausserdem sind als die bedeutendsten Systeme des Kirchenrechtes zu nennen: K. Fr. Eichhorn, Grundsätze des Kirchenrechtes der katholischen und evangelischen Religionspartei in Deutschland. 2 Bde. Göttingen 1831–1833. A. L. Richter, Lehrbuch des katholischen und evangelischen Kirchenrechtes. 7. Aufl. von Dove, Leipzig 1874. (8. Aufl. im Erscheinen.) O. Mejer, Lehrbuch des deutschen Kirchenrechtes 3. Aufl. Göttingen 1869. P. Hinschius, Das Kirchenrecht der Katholiken und Protestanten in Deutschland. B. I. B. II. B. III erste Hälfte. Lex. 8. Berlin 1870 ff. Derselbe, Das Kirchenrecht in Holtzendorff's Encykl. B. I. S. 641 ff. F. Walter, Lehrbuch des Kirchenrechtes aller christlichen Konfessionen. 14. Aufl. von Gerlach. Bonn 1871. Philipp's Lehrbuch des Kirchenrechtes 2 Bde. 2. Aufl. Regensburg 1861. Derselbe, Kirchenrecht 7 Bde. (unvollendet). Regensburg 1845 -1872. v. Schulte, Das kathol. Kirchenrecht 2 Bde. Giessen 1856-1860. Derselbe, Lehrb. des kath. Kirchenrechtes. Giessen 1873. E. Friedberg, Lehrbuch des katholischen und evangelischen Kirchenrechtes. Leipzig 1879.

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