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beamtenthum allein vertreten, erfreut sich dafür aber voller richterlicher Unabhängigkeit. Die massgebenden preussischen Gesetze sind, ausser der grundlegenden Kreisordnung vom 13. December 1872, das Gesetz vom 3. Juli 1875, betreffend die Verfassung der Verwaltungsgerichte und das Verwaltungsstreitverfahren, und das Gesetz vom 26. Juni 1876, betreffend die Zuständigkeit der Verwaltungsbehörden und der Verwaltungsgerichtsbehörden im Geltungsbereiche der Provinzialordnung vom 26. Juli 1875. Das neueste Gesetz vom 2. August 1880 »zur Abänderung und Ergänzung des Gesetzes betreffend die Verfassung der Verwaltungsgerichte und das Verwaltungsstreitverfahren vom 3. Juli 1875 und Einführung derselben in dem gesammten Umfange der Monarchie« hat die Grundbestimmungen des gedachten Gesetzes im Wesentlichen unberührt gelassen. Jedenfalls gebührt der preussischen Gesetzgebung der Ruhm, dass sie den Körpern der Selbstverwaltung und dem bürgerlichen Ehrenamte einen starken Antheil an der Verwaltungsrechtspflege eingeräumt, dieselbe durchweg mit der nöthigen richterlichen Unabhängigkeit ausgestattet und somit für die Gesetzmässigkeit der Verwaltung weitgehende Garantien geschaffen hat.

An das Vorbild der preussischen Gesetzgebung knüpfen die Gesetze mehrerer anderen deutschen Staaten an; besonders wurde im Grossherzogthum Hessen durch die Gesetze vom 12. Mai 1874, die innere Verwaltung und Vertretung der Kreise und Provinzen betreffend, vom 11. Januar 1875, das oberste Verwaltungsgericht betreffend die Verwaltungsrechtspflege unter starker Heranziehung der Körper der Selbstverwaltung und des Ehrenamtes in einer dem preussischen Systeme verwandten Art geregelt. (Gesetz vom 16. April 1879.) Die bedeutsame Reformgesetzgebung des Königreichs Sachsen (S. 438) hat der Selbstverwaltung einen weiten Spielraum gegeben, ist aber in Betreff der Errichtung selbständiger Verwaltungsgerichte zurückgeblieben. Der Schwerpunkt des Gesetzes, die Organisation der Behörden für die innere Verwaltung betreffend, vom 21. April 1873 und die Bildung der Bezirksverbände und deren Vertretung betreffend vom gleichen Datum, liegt in der ausgedehnten Heranziehung des bürgerlichen Ehrenamtes zur Verwaltung, dagegen ist die sogenannte Administrativjustiz nach wie vor bei den Amts- und Kreishauptmannschaften geblieben und geht der Rekurs, abgesehen von einzelnen speciellen Ausnahmen, in allen streitigen Verwaltungssachen nach wie vor an die Ministerialinstanz, sodass Sachsen zu denjenigen Staaten gerechnet werden

muss, welche bis jetzt eine selbständige Rechtsprechung auf dem Gebiete des öffentlichen Rechtes nicht besitzen.

Abweichend von Preussen, aber unter einander nah verwandt, sind die Gesetzgebungen der beiden süddeutschen Königreiche über Verwaltungsgerichtsbarkeit. Das württembergische Gesetz vom 16. December 1876 über Verwaltungsrechtspflege hat nur die seit der Verfassung von 1819 bestehende Institution auf den Principien, welche die Rechtsprechung des Geheimen Rathes ausgebildet hatte, folgerichtig weiter entwickelt und ist zum Theil nur eine Kodifikation der längst von der Praxis entwickelten Grundsätze gewesen. (v. Sarwey a. a. O. S. 255.) Die württembergische Gesetzgebung verzichtet ganz auf die Heranziehung des Ehrenamtes zur Verwaltungsrechtspflege, sondern überlässt dieselbe in der unteren Instanz den verwaltenden Behörden, besonders den Kreisregierungen, während ein vollständig unabhängiger Verwaltungsgerichtshof, welcher mit der laufenden Verwaltung nichts zu thun hat, in höchster Instanz endgültig entscheidet. Auf ganz ähnlichen Grundlagen beruht das bayerische Gesetz vom 8. August 1878, die Errichtung eines Verwaltungsgerichtshofes und das Verfahren in Verwaltungssachen betreffend1. Auch dieses Gesetz stellt sich zur Aufgabe: »richterlichen Schutz bei allen Streitigkeiten über öffentliche Rechte und Pflichten zu gewähren, welche durch bestehende Rechtsnormen dem freien Belieben der Verwaltungsbehörden entrückt und nicht in anderer Weise bereits genügend geschützt sind.<«< Für diesen Kreis von Streitigkeiten des öffentlichen Rechtes wird sodann in dem Verwaltungsgerichtshof ein Gericht höchster Instanz errichtet, dessen sämmtliche Mitglieder die Befähigung zum Richteramte haben müssen und sich voller richterlicher Unabhängigkeit erfreuen. Bezüglich der unteren Instanzen wird an der bestehenden Organisation nichts geändert, indem in erster Instanz die Distriktsverwaltungsbehörden, in zweiter die Kreisregierungen ohne jede Theilnahme von Selbstverwaltungskörpern entscheiden.

Bedeutsam ist es, dass auch Oesterreich, trotz seiner staatlichen Trennung von Deutschland, auch auf diesem Gebiete an den Bewegungen des deutschen Geistes Theil genommen und durch das Gesetz vom 22. Oktober 1875, betreffend die Errichtung eines Verwaltungsgerichtshofes, eine Verwaltungsgerichtsbarkeit ins Leben

1 Vergl. darüber den gediegenen Kommentar von W. Krais, Gesetz vom 8. August 1878, die Errichtung eines Verwaltungsgerichtshofes und das Verfahren in Verwaltungsrechtssachen betreffend. Erlangen 1879.

H. Schulze, Deutsches Staatsrecht.

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gerufen hat. Das österreichische Gesetz kennt keine Mehrheit verwaltungsgerichtlicher Instanzen und stellt das Organ der Verwaltungsrechtspflege nicht innerhalb, sondern ausserhalb des Verwaltungsrechtsorganismus. Dem Verwaltungsgerichte liegt die Kontrolle der Gesetzmässigkeit administrativer Entscheidungen auf Parteianrufen ob. Eine Beschwerde kann erst dann an dasselbe ⚫ gebracht werden, wenn die Angelegenheit die administrativen Instanzen durchlaufen hat. Das österreichische Verwaltungsgericht ist lediglich ein Kassationshof, welcher, wenn er die Beschwerde für begründet erachtet, nicht materiell abändernd erkennen, sondern die angefochtene Entscheidung nur wegen mangelhaften Verfahrens oder als gesetzwidrig aufheben kann. Auch das auf dem Staatsgrundgesetz vom 21. December 1867 beruhende Reichsgericht ist seiner Natur nach ein Verwaltungsgericht, indem dasselbe über gewisse Ansprüche des öffentlichen Rechtes, besonders über Beschwerden wegen Verletzung der durch die Verfassung gewährleisteten politischen Rechte zu entscheiden hat.

So hat überall, wo deutsche Wissenschaft und deutsches Rechtsbewusstsein befruchtend gewirkt haben, in den beiden letzten Decennien, die Forderung einer unabhängigen Rechtsprechung auf dem Gebiete des öffentlichen Rechtes gesetzliche Anerkennung gefunden, und die Verwaltungsgerichtsbarkeit ist zu einem bedeutsamen Institute herangereift, dessen gemeinsame Wurzeln man auch in seiner verschiedenartigen Ausgestaltung in den einzelnen deutschen Staaten nachweisen kann.

§ 231.

II. Die Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte.

Durch die Schöpfung der Verwaltungsgerichte ist ein völlig neues Glied im staatlichen Behördenorganismus entstanden, dessen

1 J. Kasserer, Die Gesetze vom 22. Oktober 1875, betreffend die Errichtung eines Verwaltungsgerichtshofes und die Entscheidung von Kompetenzkonflikten zwischen dem Verwaltungsgerichtshofe und dem Reichsgerichte und den ordentlichen Gerichten, mit Materialien. Wien 1876. (Besonders werthvoll, auch in wissenschaftlicher Beziehung sind die hier mitgetheilten Reden des Ministers D. Unger.) Pann, Die Verwaltungsgerichtsbarkeit in Oesterreich 1876. Dr. v. Kissling, Der Verwaltungsgerichtshof. Kritische Bemerkungen zur Regierungsvorlage über die Errichtung desselben. Wien 1873. Derselbe, Der Rechtsschutz der Einzelnen gegenüber den öffentlichen Organen in Oesterreich. (In Hartmann's Zeitschr. B. II. S. 226 ff.)

Zuständigkeit gegen die Thätigkeitssphäre der schon bestehenden Behörden abgegrenzt werden muss. Dies sind einerseits die Verwaltungsbehörden, andererseits die ordentlichen Gerichte. Ihnen gegenüber musste die Gesetzgebung die Zuständigkeit der neugeschaffenen Verwaltungsgerichte abgrenzen; sie konnte dies thun durch Aufstellung eines allgemeinen Grundsatzes oder durch ausdrückliche Aufzählung der einzelnen, als Verwaltungsrechtssachen zu behandelnden Gegenstände (Specifikations- oder Dinumerationsmethode). Das österreichische Gesetz vom 22. Oktober 1875 hat den ersten Weg eingeschlagen, indem § 2 bestimmt: »Der Verwaltungsgerichtshof hat in allen Fällen zu erkennen, in denen jemand durch eine gesetzwidrige Entscheidung oder Verfügung einer Verwaltungsbehörde in seinen Rechten verletzt zu sein behauptet« ; doch macht § 3 von diesem Grundsatz wieder zahlreiche Ausnahmen. In den Staaten des deutschen Reiches hat man sich an die sogenannte Dinumerationsmethode gehalten, indem nur die Gegenstände zur Kompetenz der Verwaltungsgerichte gehören, welche ausdrücklich im Gesetze aufgeführt sind, dagegen jede nicht im Gesetze aufgezählte Materie den Verwaltungsgerichten entzogen ist. Nur das württembergische Gesetz vom 16. December 1876 nähert sich dem ersten in Oesterreich befolgten Wege, indem es, nach Aufzählung vieler specieller Gegenstände, durch Art. 13 dem Verwaltungsgerichtshofe noch folgendes General mandat ertheilt: »Ausserdem entscheidet der Verwaltungsgerichtshof (vorbehaltlich der hiernach bezeichneten Ausnahmen) über Beschwerden gegen Entscheidungen oder Verfügungen der Verwaltungsbehörden, wenn jemand behauptet, dass die ergangene, auf Gründe des öffentlichen Rechtes gestützte Entscheidung oder Verfügung rechtlich nicht begründet und dass er hierdurch in einem ihm zustehenden Rechte verletzt oder mit einer ihm nicht obliegenden Verbindlichkeit belastet sei.<< Aber auch für diejenigen Staaten, in welchen die reine Dinumerationsmethode gilt, kommt es darauf an, das allgemeine Princip aufzusuchen, welches der Gesetzgebung als Direktive bei der Aufstellung der einzelnen Nummern zu Grunde gelegen hat. Die preussische Gesetzgebung unterstellt der Entscheidung der Verwaltungsgerichte »die in den Gesetzen bezeichneten Streitsachen über Ansprüche und Verbindlichkeiten aus öffentlichen Rechte (streitige Verwaltungssachen) «; dennoch darf als »streitige Verwaltungssache« nur behandelt werden, was durch positives Gesetz als solche bezeichnet ist. Im Gegensatze

dem

zu streitigen Verwaltungssachen stehen einerseits die administrativen Zweckmässigkeits- und Ermessensfragen, andererseits die bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten aus Privatrechtsverhältnissen. Von ersteren unterscheiden sich die Verwaltungsrechtssachen dadurch, dass es sich bei ihnen um wahre Rechtssachen und eine wirkliche Rechtsprechung handelt, d. h. um den Schutz eines verletzten subjektiven Rechtes, nicht bloss eines persönlichen Interesses, und es müssen bestimmte gesetzliche Normen der Entscheidung vorliegen, ohne welche eine Rechtsprechung überhaupt nicht stattfinden kann. Durch diese Merkmale scheidet sich das Gebiet der Verwaltungsrechtspflege von dem der Verwaltungsbehörden. Der aktiven Verwaltung ist ein weiter Spielraum ihrer freien Thätigkeit gegeben, wo sie nach ihrem besten Wissen und Gewissen für die ihr gesteckten Aufgaben arbeiten kann. Hier ist ein weitgehendes persönliches Ermessen, ein »>pouvoir discrétionaire«<, gegeben, ohne welches kein Zweig der Verwaltung eine schöpferische Thätigkeit entfalten kann. »>Ausgeschlossen ist jede Klage, wann und soweit die Verwaltungsbehörden durch das Gesetz nach ihrem Ermessen zu verfügen ermächtigt sind.« (Württembergisches Gesetz § 13.) Aber mit höherer Ausbildung des Verwaltungsrechtes werden dem Ermessen der Verwaltung auf allen Gebieten gesetzliche Schranken gezogen und die Voraussetzungen normirt, unter welchen die Verwaltungsorgane in die Sphäre des Individuums eingreifen dürfen. Wo den Verwaltungsorganen also nicht bloss Sonderinteressen, sondern subjektive Rechte in dem oben bezeichneten Sinne gegenüber stehen, können sie mit denselben in Kollision gerathen und muss letzteren ein wirksamer Rechtsschutz zu Theil werden, wenn sie nicht bloss auf dem Papier stehen sollen, wie die weiland Grundrechte der deutschen Nation. Wo die Kollision der verwaltenden Thätigkeit der Staatsbehörden mit subjektiven Rechten eintritt und das verletzte Subjekt sein Recht vertheidigen will, beginnt der Bereich der Rechtsprechung. Bisher sprach sich in solchen Fällen die Verwaltung regelmässig selbst das Recht. Die verwaltenden Behörden entschieden über die Reklamationen der verletzten Individuen und übten somit eine weitgehende Gerichtsbarkeit des öffentlichen Rechtes, meist ohne jede Scheidung des Verfahrens in Verwaltungssachen und Verwaltungsrechts sachen. Gewissermaassen als Richter in eigener Sache, boten sie dem verletzten Individuum, selbst bei beabsichtigter Unparteilichkeit, keine entsprechenden Garantien. Die hier besprochene neueste Gesetzgebung

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