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Drittes Kapitel.

Die Verwaltung.

§ 202.

Anordnung des Stoffes.

Kein Staat kann sich darauf beschränken, Gesetze zu geben, d. h. allgemeine abstrakte Rechtssätze aufzustellen, er muss vielmehr mit seiner Thätigkeit in den einzelnen Fall eingreifen und denselben beherrschen, soweit dies nöthig ist, um die staatlichen Aufgaben zu erfüllen. Es gilt dies zunächst von der Hauptaufgabe des Staates, der Aufrechterhaltung der Rechtsordnung; auch hier genügt es nicht, Rechtssätze aufzustellen, sondern es kommt darauf an, den Rechtsschutz im einzelnen Falle praktisch zu handhaben. Dies ist die Aufgabe der richterlichen Gewalt, welche im zweiten Kapitel ihre Darstellung gefunden hat. Damit erschöpft sich aber die Aufgabe des Staates nicht. Ausser dem Rechtsschutze liegen dem Staate noch andere, sehr umfassende Aufgaben ob; so der Schutz seines Gebietes und seiner Angehörigen gegen Angriffe anderer Staaten, so die Pflege der Wohlfahrt des Volkes nach allen Richtungen, so die Beschaffung der materiellen Mittel für alle diese Zwecke. Die Erfüllung dieser Aufgaben kann durch Aufstellen abstrakter Regeln nicht erreicht werden, sondern es bedarf hier einer ununterbrochenen, allumfassenden Thätigkeit, welche sich zwar innerhalb der gesetzlichen Schranken zu bewegen hat, sich aber im einzelnen Falle durch Erwägungen der Zweckmässigkeit und der Wohlfahrt bestimmen lässt. Die positiven Motive ihres Handelns entnimmt sie nicht dem Gesetze, sondern ihrer Auffassung von der möglichst vollkommenen Erreichung der Staatszwecke. Die Gesammtheit dieser Thätigkeit, welche neben der Gesetzgebung und Justiz den Aufgaben des Staates gerecht zu werden sucht, nennen wir Staatsverwaltung; sie ist die Leitung der öffentlichen Thätigkeit für das Gemeinwohl, positiv bestimmt durch Erwägungen der Zweckmässigkeit, negativ begrenzt durch das Gesetz (S. 30). In den Bereich der Rechtswissenschaft gehören nur die Rechtsregeln, welche die Staatsverwaltung normiren, Verwaltungsrecht, während die Zweckmässigkeitserwägungen, die die einzelnen Zweige der Verwaltung bestimmen, die Verwaltungslehre ausmachen.

Was nun die weitere Gliederung der gesammten Verwaltungsthätigkeit betrifft, so sind zunächst die inneren und äusseren Verhältnisse des Staates zu unterscheiden, indem bei jenen die Staatsgewalt lediglich ihren Unterthanen gegenübertritt, bei diesen ihre Beziehungen zu anderen selbständigen Staaten in Betracht kommen.

Im Bereiche des Innern ist als erster Gegenstand der Verwaltung das eigene wirthschaftliche Leben des Staates zu besprechen, dessen juristische Seite sich als das Recht der Finanzverwaltung darstellt. Dieselbe hat die Aufgabe, für alle Staatsverrichtungen ohne Ausnahme die materiellen Grundlagen zu beschaffen, ihre Zwecke zu fördern, ohne jemals sich selbst als Zweck zu setzen (Erster Abschnitt. Recht der Finanzverwaltung).

Das zweite Gebiet ist das der sogenannten inneren Verwaltung. Zu den Forderungen des Rechtsstaates treten die des Kulturstaates, welche durch die innere Verwaltung ins Leben geführt werden sollen. Während diese Thätigkeit anfangs vorherrschend nur einen negativen Charakter hat, steckt sie sich später immer mehr positive Aufgaben, indem sie als Volkswirthschaftspflege den Wohlstand, als Bildungspflege die Bildung der Staatsangehörigen zu fördern sucht, indem sie ihnen in allen ihren vernünftigen Bestrebungen die Hand reicht und ihnen besonders diejenigen Bedingungen der Entwickelung darbietet, welche sich die Privatkraft zu verschaffen nicht im Stande ist. Die rechtliche Seite der inneren Verwaltung wird im zweiten Abschnitt » Recht der inneren Verwaltung«< dargestellt.

Jeder selbständige Staat hat aber auch Beziehungen zu anderen selbständigen Staaten, auswärtige Verhältnisse. Die friedlichen Beziehungen zu anderen Staaten werden durch das Ministerium der auswärtigen Angelegenheiten gepflegt, welchem die Verwaltung der auswärtigen Angelegenheiten zusteht. Um seine staatliche Selbständigkeit mit Erfolg gegen widerrechtliche Angriffe zu vertheidigen, um seine Stellung im Staatensystem zu behaupten, um seinen Ansprüchen Nachdruck zu geben und in letzter Instanz sich durch Selbsthülfe Recht zu schaffen, bedarf ein selbständiger Staat eines Heeres, dessen Errichtung, Unterhaltung, Befehligung und Verwendung für Kriegszwecke ein wichtiges Attribut jeder souveränen Staatsgewalt ist. Durch die Gründung des norddeutschen Bundes, jetzt durch die deutsche

Reichsverfassung, ist die völkerrechtliche Vertretung und die Kriegsherrlichkeit in ihren wesentlichen Punkten auf das deutsche Reich übergegangen. Obgleich den Gliederstaaten noch einzelne Reste dieser Befugnisse, in einem partikularen Gesandtschaftsrecht, in einer Kontingentsherrlichkeit verblieben sind, so fällt doch unzweifelhaft jetzt der Schwerpunkt der Verwaltung der auswärtigen Angelegenheiten und des Heeres in das Reichsstaatsrecht. Es ist daher methodisch geboten, diese beiden Lehren im zweiten Buch, dem Reichsstaatsrecht, im Zusammenhange zu behandeln, wobei auch dann die untergeordneten Rechte der Einzelstaaten auf diesen Gebieten die nöthige Berücksichtigung finden werden. Dagegen sind im Landesstaatsrecht eingehend zu behandeln :

Abschnitt I: Das Recht der Finanzverwaltung.

Abschnitt II: Das Recht der inneren Verwaltung. Abschnitt III: Die Rechtskontrollen der Verwaltung.

Obgleich es sich bei diesem dritten Abschnitt eigentlich um eine Rechtsprechung handelt, so hängt dieselbe doch mit der Verwaltung so eng zusammen, dass sie nur in Verbindung mit dieser wissenschaftlich verstanden und dargestellt werden kann.

Erster Abschnitt.

Das Recht der Finanzverwaltung 1.

§ 203.

Im Allgemeinen.

Alle grossen umfassenden Aufgaben, mögen sie noch so geistiger Natur sein, bedürfen zu ihrer Verwirklichung im Leben materieller Mittel, nämlich menschlicher Kräfte und sachlicher Güter. So vor Allem die Aufgaben des Staates. Der Umfang und die Be

1 Die Finanzwissenschaft wurde früher in Deutschland in Verbindung mit den sogenannten Kameralwissenschaften dargestellt und beschäftigte sich, als fiskalische Jurisprudenz, besonders mit den landesherrlichen Regalien. In dieser Richtung verfasste Kaspar Klock sein Werk »de aerario«, Nürnberg 1651. 2. Ausg. 1671. Derselbe, tractatus nomico-politicus de contributionibus. Francof. 1656. Zu dieser juristischen Seite trat dann in V. L. v. Seckendorff's »Deutschen Fürstenstaate« eine eingehende Behandlung der eigentlichen Finanz

deutung dieser Mittel erweitert sich mit den Aufgaben, welche sich der Staat steckt. Mit den Aufgaben wachsen aber auch die Ausgaben des Staates. Es macht sich mit steigender Kultur überall »das Gesetz des wachsenden Staatsbedürfnisses « geltend. Der moderne Staat nimmt daher die Kräfte seiner Unterthanen ganz anders in Anspruch, als der wenig leistende und wenig ausgebende Staat des Mittelalters. Aber der Staat der Gegenwart erhöht nicht nur die Ansprüche an seine Unterthanen, er macht sie auch in anderer Weise geltend, als der des Mittelalters. Während letzterer sich wesentlich auf die Naturaldienste seiner Unterthanen stützte, wendet ersterer sich in umfassender Weise an ihr Vermögen. Die mittelalterliche Naturalwirthschaft verwandelt sich beim Privatmann, wie beim Staate, nach gleichen Gesetzen, in die moderne Geldwirthschaft, d. h. der Staat beschafft sich, soweit als möglich, alle zur Verwirklichung seiner umfassenden Aufgaben dienenden Mittel, sowohl Menschenkräfte, als Sachgüter, durch das Medium des Geldes. Die Wirth

verwaltung eines deutschen Territoriums, mit Regeln für Buchführung, Domänenverwaltung, Steuererhebung u. s. w. Die erste selbständige Behandlung der Finanzwissenschaft verdankt Deutschland G. H. v. Justi, dessen Staatswirthschaft 1752, dessen System der Finanzwissenschaft 1766 erschien. Seitdem ist die Wissenschaft in Deutschland weiter gepflegt worden. Die Hauptwerke sind: Graf J. v. Soden, Nationalökonomie B. VI. (1811), hat auch den besonderen Titel: »Staatsfinanzwissenschaft«<. v. Jakob, Die Staatsfinanzwissenschaft. Halle 1821. 2. Ausg. von Eiselen 1837. Frhr. v. Malchus, Handbuch der Finanzwissenschaft und Finanzverwaltung. Stuttgart 1830. Durch Gründlichkeit und reiches Material zeichnet sich aus K. H. Rau, Grundsätze der Finanzwissenschaft, völlig neu bearbeitet und auf die Höhe der gegenwärtigen Wissenschaft erhoben durch A. Wagner, 7. Aufl. Leipzig. I. 1879. II. 1880. Vergl. auch den letzteren Artikel »Staatshaushalt« in Rentzsch, Handw. der Volkswirthschaftslehre (1866). E. Laspeyres, Art. Staatswirthschaft in Bluntschli's Staatsw. B. X. S. 71–182. L. v. Stein, Lehrbuch der Finanzwissenschaft. 4. Aufl. 2 Bde. Leipzig 1878. In allen diesen Werken über Finanzwissenschaft ist die juristische Seite nur nebensächlich behandelt. Eine besondere Darstellung des deutschen Finanzrechtes, mit Hervorhebung der staatsrechtlichen Momente giebt es nicht; dagegen behandeln alle Staatsrechtslehrer dasselbe in ihren Systemen, so Klüber § 393 ff., Gönner § 432 ff. Leist § 221. Zöpfl, Grunds. Th. II. S. 482 ff. H. A. Zachariä B. II. § 261 ff. S. 394 ff. v. Mohl, Württemb. Staatsrecht Th. II. § 274 ff. v. Rönne, Preuss. Staatsr. B. I. Abth. I. § 63 ff. Von der Finanzgewalt S. 377-457. B. II. Abth. II. Von der Finanzverwaltung § 512 ff. S. 574-733. Vom allgemein staatsrechtlichen Standpunkt behandeln das Finanzwesen: v. Aretin, Staatsrecht der konstitutionellen Monarchie, fortgesetzt von Rotteck II. S. 295 (1827). Schmitthenner, Grundriss der polit. Wissenschaften B. I. S. 215. (1830). Schön, Die Staatswissenschaft S. 311-360. (1830). Stahl, Philos. des Rechts II. 2. § 120 ff. Bluntschli, Allg. Staatsr. B. II. B. X. Kap. I—VI.

schaft des Staates gleicht darin der Wirthschaft der Privaten, dass sie die Aufgabe hat, die durch die wirthschaftlichen Bedürfnisse erzeugten Ausgaben, den Bedarf, durch entsprechende Einnahmen zu decken und das Gleichgewicht zwischen Ausgaben und Einnahmen herzustellen und zu erhalten. Beide Wirthschaften stehen somit unter den gleichen Regeln, welche aus dem Wesen der Wirthschaft überhaupt entspringen; dennoch sind sie auch wieder sehr verschieden und folgen anderen Gesetzen, indem die Staatswirthschaft sich nicht nur durch ihre Grossartigkeit und Mannigfaltigkeit, sondern auch durch ihr inneres Wesen, besonders durch ihre Zwecke und die Art der Einkünfte, welche sie aus der ganzen Fülle des Volksvermögens schöpft, von der Privatwirthschaft unterscheidet. Die systematische Entwickelung der Regeln, welche sich auf die Führung des Staatshaushaltes, auf die Besorgung der Staatsausgaben, die Beschaffung der Staatseinnahmen und die Herstellung des wirthschaftlichen Gleichgewichts zwischen beiden beziehen, bilden den Inhalt der Finanzwissenschaft. Aber nur soweit es sich darum handelt, die Ausübung der Staatsgewalt auf dem Gebiete des Finanzwesens rechtlich zu bestimmen, die Befugnisse der verschiedenen zusammenwirkenden Organe auf diesem Gebiete gegen einander abzugrenzen, haben wir es hier mit den Finanzen zu thun. Nicht die Finanzwissenschaft, nur das Finanzrecht, ist unsere Aufgabe. Dies aber steht im engsten Zusammenhange mit der staatsrechtlichen Gesammtentwickelung, besonders mit der Ausbildung des Begriffes der Staatspersönlichkeit. Erst mit der Anerkennung dieser arbeitete sich aus der fürstlichen Patrimonialherrschaft des Mittelalters eine wahre Staatswirthschaft heraus, wurde der Staat als das Subject vermögensrechtlicher Beziehungen anerkannt, kam der Begriff eines wahren Staatsvermögens zum Durchbruche.

§ 204.

I. Vom Staatsvermögen.

Die Persönlichkeit des Staates in ihren vermögensrechtlichen Beziehungen wird als Fiskus bezeichnet. Man darf sich die Sache nicht so denken, als ob der Staat mehrere Persönlichkeiten bilde1, eine staatlich herrschende und eine private, vermögens

1 Dies war die bedenkliche Tendenz der unter Kamptz'schem Einflusse

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