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anderweiter Bestimmung im Augenblick seiner Publikation in Kraft. In vielen deutschen Staaten besteht jedoch die Vorschrift, dass die Gesetze erst nach Ablauf eines bestimmten Tages nach der Ausgabe des Gesetzesblattes in Kraft treten sollen. (In Preussen war früher nach dem Gesetze vom 3. April 1846 der Anfang der Verpflichtungskraft für die einzelnen Regierungsbezirke mit Rücksicht auf die Entfernung vom Sitze der Centralregierung nach verschiedenen Zeiträumen festgestellt. In dem Gesetz vom 16. Februar 1874 ist von solchen Unterscheidungen abgesehen und tritt jetzt jedes Gesetz nach Ablauf des vierzehnten Tages in Kraft, an welchem das Gesetzesblatt in Berlin ausgegeben worden ist; in Coburg-Gotha nach Ablauf des vierten Tages, Staatsgrundgesetz § 110, in Schwarzburg-Rudolstadt nach Ablauf des achten Tages u. s. w.) Häufig bestimmen die Gesetze selbst den Termin, wo sie in Kraft treten sollen.

Anmerkung. Ueber das Zustandekommen der Gesetze hat neuerdings Laband, Staatsrecht Bd. II. § 56 und 57, eine Theorie aufgestellt, die wir, trotz ihrer blendenden Ausführung, für nicht zutreffend erachten können, sofern dieselbe auf Allgemeingültigkeit Anspruch machen will. Derselbe nimmt beim Zustandekommen jedes Gesetzes vier Stadien als nothwendig an: 1) die Feststellung des Rechtssatzes oder Gesetzesinhaltes; 2) Sanktion oder Befehl, dem Gesetze zu gehorchen; 3) Promulgation, d. h. Konstatirung des verfassungsmässigen Zustandekommens des Gesetzes in authentischer und feierlicher Form; 4) Verkündigung oder Publikation. Schon die beiden ersten Stadien lassen sich in dieser formalistischen Weise nicht trennen. Feststellung eines Rechtssatzes bedeutet nicht bloss Aufstellung eines theoretischen Satzes oder eines wissenschaftlichen Axioms, sondern einer rechtsverbindlichen Norm, welche den Befehl, ihr zu folgen, nothwendig in sich trägt. In der konstitutionellen Monarchie geht allerdings der Gesetzesbefehl, d. h. die Sanktion, vom Monarchen aus, weil die Theilnahme an der Ausübung der gesetzgebenden Gewalt von Seiten des Monarchen und der Kammern einen verschiedenartigen Charakter hat und die ganze obrigkeitlich befehlende Gewalt in der Hand des Monarchen vereinigt ist. Anders ist es, wo sich zwei in der Gesetzgebung ganz gleichstehende Faktoren gegenüberstehen, wie z. B. in den Hansestädten der Senat und die Bürgerschaft; ein vom Senat der Bürgerschaft vorgelegter Gesetzentwurf wird durch Annahme Seitens der letzteren ohne Weiteres Gesetz, von einer besonderen Sanktion ist hier nicht die Rede, dieselbe fällt mit der Feststellung des Rechtssatzes vollständig zusammen. Ebenso wenig lässt sich die sogenannte Promulgation als ein von der Sanktion und Publikation nothwendig zu unterscheidendes Stadium der Gesetzgebung nachweisen. Selbst im französischen Recht ist der Begriff ein durchaus schwankender, wie die von Laband selbst mitgetheilten Stellen beweisen. Wo dem konstitutionellen Monarchen die Sanktion und Pu

blikation der Gesetze verfassungsmässig zusteht, ist es unmöglich, einen noch dazwischen liegenden eigenthümlichen Akt zu unterscheiden. Wo aber ein staatsrechtlicher Faktor die Verkündigung der Gesetze zu besorgen hat, welcher als solcher keinen Antheil an der gesetzgebenden Gewalt hat, wie im deutschen Reiche der Kaiser, in der französischen Republik der Präsident, ist es selbstverständlich, dass dieser Faktor nicht kritiklos Alles zu publiciren hat, was sich Gesetz nennt, sondern dass er zu prüfen und zu konstatiren hat, ob eine Norm alle nothwendigen Merkmale eines Gesetzes an sich trägt, vor Allem, ob sie auf verfassungsmässigem Wege zu Stande gekommen ist. Nur solche Normen. ist er verpflichtet und berechtigt, als Gesetz zu verkündigen. Diese Prüfung und Konstatirung des verfassungsmässigen Zustandekommens ist eine der Verkündigungspflicht immanente Bedingung und Voraussetzung. Bei der grossen Verschiedenheit im Gebrauche des Wortes: >> Promulgation« würde es am besten sein, auf den Gebrauch desselben ganz zu verzichten; wenigstens haben wir keinen Grund, einen selbst in Frankreich höchst schwankenden Sprachgebrauch in das deutsche Staatsrecht zu importiren.

§ 187.

III. Die Verordnungen.

Es giebt eine Reihe von deutschen Verfassungen, welche die Theilnahme der Volksvertretung an der Gesetzgebung nur auf gewisse Kategorien der Gesetze beschränken, dahin gehören die oben genannten älteren Verfassungen, welche die Zustimmung der Stände nur für solche »allgemeine Gesetze verlangen, die die Landesverfassung betreffen oder die persönliche Freiheit, die Sicherheit oder das Eigenthum der Staatsbürger«. Nach diesen Verfassungen brauchen keineswegs alle Gesetze im materiellen Sinne auch Gesetze im formellen Sinne zu sein; die nicht unter diese Kategorie fallenden allgemeinen Rechtsvorschriften können, ohne Zustimmung der Stände, von der Regierung allein erlassen werden. Anders liegt die Sache nach den neueren Verfassungen, welche den Satz aussprechen, dass die Uebereinstimmung des Monarchen mit der Volksvertretung zu jedem Gesetze erforderlich ist. Damit ist erklärt, dass jedes Gesetz im materiellen Sinne auch Gesetz im formellen Sinne sein müsse, d. h. nur unter Zustimmung der Volksvertretung zu Stande kommen könne. Dies ist auch der Standpunkt der preussischen Verfassung. Wo der Verfassungssatz in Bezug auf die Theilnahme der Volksvertretung an der Gesetzgebung so allgemein lautet, da steht fest, dass jede allgemein verbindliche, von der obersten Staatsgewalt ausgehende Rechtsvor

schrift nur im Wege der Gesetzgebung, d. h. unter Zustimmung der Volksvertretung, zu Stande kommen kann. Trotz dieser allgemeinen, alle selbständigen Rechtsvorschriften umfassenden Ausdehnung der landständischen Mitwirkung, erkennen doch auch diese Verfassungen die Befugniss der Krone an, gewisse allgemeine Vorschriften ohne Mitwirkung der Volksvertretung zu erlassen. Typisch ist hierfür Art. 45 der preussischen Verfassungsurkunde : »Der König befiehlt die Verkündigung der Gesetze und erlässt die zu deren Ausführung nöthigen Verordnungen «<. Darauf beruht das in allen deutsch-monarchischen Staaten bestehende Verordnungsrecht der Krone. Ueber das Wesen dieser Verordnungen bestehen nun in der staatsrechtlichen Literatur zwei verschiedene Ansichten; nach der einen Ansicht ist die Verordnung ein Ausfluss der Verwaltungsthätigkeit des Staates, der sogenannten Exekutive, nach der anderen Ansicht ist sie dem Gesetze gleichartig, enthält allgemein verbindliche Rechtsvorschriften. Laband hat neuerdings überzeugend ausgeführt, dass beide Ansichten für einen Theil der Verordnungen richtig sind. Es giebt Verordnungen, welche Verwaltungsvorschriften enthalten oder Verwaltungseinrichtungen betreffen, andere dagegen, welche in der That allgemeine Rechtsvorschriften enthalten. Beide Arten gilt es genau auseinander zu halten.

1) Die Verordnung als Verwaltungsvorschrift ist ein Ausfluss der Regierungsthätigkeit. »Ihr Anwendungsgebiet ist das von den Gesetzen der Verwaltungsbehörden freigelassene Feld staatlicher Fürsorge (Laband a. a. O. S. 68). Dahin gehört die Errichtung von Anstalten und Einrichtungen, welche zur Ausführung der Gesetze dienen, vor allem die Organisation der entsprechenden Behörden, ferner der Erlass von Anweisungen und Instruktionen an die betreffenden Behörden, die Regelung ihres Geschäftsganges u. s. w. Eine Ausnahme hiervon macht nach allgemeinen Grundsätzen, wie nach dem Wortlaute mehrerer Verfassungen, die Organisation der Gerichte, sowie das von den Gerichten zu beobachtende. Verfahren, weil dies immer unmittelbar oder mittelbar in die Rechtssphäre der Unterthanen eingreift. Die Vorschriften, welche lediglich an die Verwaltungsbehörde gerichtet sind, ohne die Rechtspflege und den Rechtszustand der Unterthanen zu berühren, werden in mehreren Verfassungsurkunden ausdrücklich aufgeführt als »die aus dem Verwaltungs- und Oberaufsichtsrechte fliessenden Verordnungen.« Dieselben bewegen sich innerhalb des Orga

nismus der Verwaltung und beruhen auf der Ueber- und Unterordnung der Behörden; ihre Schranke bilden die Gesetze, gegen welche sie nicht verstossen dürfen. Die Behörden und Beamten haben ihnen zu gehorchen, kraft ihrer dienstlichen Unterordnung, während sie für die Unterthanen keine unmittelbar verbindlichen Rechtssätze aufstellen können. Eine solche Verwaltungsvorschrift ist durchaus verbindlich für die Behörden, an die sie gerichtet ist, kann aber stets von der Regierung nach eigenem Ermessen zurückgenommen werden, wenn sie nicht durch die Zustimmung der Volksvertretung in ein Gesetz verwandelt ist. Ist eine Behördenorganisation und ihr Geschäftsgang durch ein Gesetz festgestellt, so kann selbstverständlich im Verordnungswege nichts mehr daran geändert werden.

2) Verordnungen, welche allgemeine Rechtsvorschriften für die Unterthanen enthalten, kann der Monarch im konstitutionellen Staate nicht ohne Zustimmung der Volksvertretung erlassen, wenigstens da, wo sich die Theilnahme der Volksvertretung auf das ganze Gebiet der Gesetzgebung bezieht; denn solche Verordnungen sind ihrem Inhalte nach nichts anderes als Gesetze. Auch die dem Monarchen verfassungsmässig eingeräumte Befugniss, sogenannte Ausführungsverordnungen zu erlassen, bezieht sich nur auf die oben charakterisirten Verwaltungsvorschriften. Soll durch eine Verordnung in den Rechtszustand der Unterthanen irgendwie eingegriffen werden, so ist zu deren Erlasse eine gesetzliche Ermächtigung nöthig. Diese zu ertheilen, ist die Volksvertretung jeder Zeit berechtigt. Die Gesetze beschränken sich häufig bloss auf allgemein leitende Grundsätze, während sie die Detailvorschriften, die ins Einzelne gehenden Massregeln, der Verordnung überweisen. Es ist ein durchaus rationeller Grundzug unserer heutigen Legislation, dass sie durch specielle gesetzliche Ermächtigung für einen bestimmten Gegenstand die näheren Anordnungen, welche zur Ausführung der allgemeinen gesetzlichen Grundsätze dienen, der Regierung durch Verordnung zu regeln überlässt. Der von Laband für das deutsche Reichsstaatsrecht erbrachte Beweis, dass es für den einseitigen Erlass sogenannter Rechtsverordnungen durch die Regierung stets einer Ermächtigung von Seiten der Volksvertretung bedarf, ist auch für das deutsche Landesstaatsrecht entscheidend, wo nicht ausdrückliche Verfassungsbestimmungen der Regierung eine weitergehende Befugniss einräumen.

§ 188.

IV. Die Verordnungen mit provisorischer Gesetzeskraft1.

Von dem Fundamentalsatze der konstitutionellen Staatsordnung, wonach der Monarch eine allgemein verbindliche Rechtsvorschrift nur mit vorgängiger Zustimmung der Volksvertretung erlassen kann, machen zahlreiche deutsche Verfassungen eine Ausnahme. Es können nämlich im Staatsleben Fälle vorkommen, wo ein aussergewöhnlicher Nothstand nur durch schleunigen Erlass eines Gesetzes beseitigt werden kann. Da nun aber der Weg der Gesetzgebung immer ein langsamer ist, besonders wenn der Landtag augenblicklich nicht versammelt ist, so wird für solche Fälle dem Monarchen die verfassungsmässige Vollmacht beigelegt, durch eine Verordnung in den Bereich der Gesetzgebung einzugreifen, d. h. formell auf dem Wege der Verordnung eine Vorschrift zu erlassen, welche materiell ein Gesetz ist. Da diese Befugniss aber leicht dazu gemissbraucht werden könnte, um die verfassungsmässige Mitwirkung der Volksvertretung bei der Gesetzgebung lahm zu legen, so haben sämmtliche Verfassungen, welche eine solche einräumen, versucht, dieselbe mit allen nur denkbaren Kautelen zu umgeben. Dies bezieht sich auf die Bestimmung des Bedürfnissfalles, des Inhaltes und der Formalitäten einer solchen Verordnung.

Die erste Voraussetzung für den Erlass einer solchen >>Verordnung mit Gesetzeskraft« ist, dass die Kammern nicht versammelt sind. Während dieselben versammelt sind, würde sich der normale Weg der Gesetzgebung ohne Schwierigkeiten beschreiten lassen; sie ad hoc zu versammeln, ist bisweilen unmöglich

1 Zöpfl a. a. O. B. II. § 394. S. 604 ff. und § 441. S. 611 ff. H. A. Zacharia, Th. II. § 160. S. 171 ff. v. Gerber, § 47. S. 146. v. Mohl, Staatsr., Verfassungsrecht und Polit. B. II. S. 624 ff. v. Kaltenborn, Einl. in das konstit. Staatsrecht § 594. Grotefend, Deutsches Staatsrecht S. 637. v. Rönne, B. I. Abth. I. § 47. S. 185 ff. G. Meyer a. a. O. S. 411. § 161. Besonders eingehend auf die Entstehungsgeschichte des Art. 63 der preuss. Verfassungsurkunde ein Aufsatz von E. A. Chr. No. III.: »Die Verordnungen mit Gesetzeskraft«< in Aegidi's Zeitschr. B. I. S. 221–243. Art. 63 der preuss. Verfassungsurkunde lautet: »Nur in dem Falle, wenn die Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit oder die Beseitigung eines ungewöhnlichen Nothstandes es dringend erfordert, können, insofern die Kammern nicht versammelt sind, unter Verantwortlichkeit des gesammten Staatsministeriums, Verordnungen, die der Verfassung nicht zuwiderlaufen, mit Gesetzeskraft erlassen werden, dieselben sind aber den Kammern bei ihrem nächsten Zusammentritt zur Genehmigung sofort vorzulegen.<<

H. Schulze, Deutsches Staatsrecht.

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