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lebenslänglichen Mitgliedern besteht, wie z. B. in Preussen 1. Die Auflösung zieht stets den Schluss der Sitzungsperiode nach sich, was sich auch auf die von der Auflösung nicht getroffene erste Kammer bezieht, weil es nach den Grundsätzen des Zweikammersystems nur Sessionen des ganzen Landtages, nicht der einzelnen Kammern geben, weil eine Kammer ohne die andere überhaupt als Kollegium nicht existiren kann.

Damit die Auflösung des Abgeordnetenhauses nicht zu einer Beeinträchtigung seiner konstitutionellen Wirksamkeit überhaupt gemissbraucht werden kann, enthalten die Verfassungen in der Regel die Bestimmung, dass, im Falle einer Auflösung, binnen einer bestimmten Frist die Neuwahlen (z. B. in Preussen 60 Tage) stattfinden sollen und binnen einer weitern Frist (in Preussen 90 Tage) die neue Kammer einberufen werden muss. Die Mitglieder der aufgelösten Kammer, welche durch den staatsrechtlichen Akt der Auflösung ihre Eigenschaften als solche verloren haben, können sofort wieder neugewählt werden.

In manchen mittleren und kleineren Staaten besteht in Anschluss an die ältere landständische Verfassung ein ständischer Ausschuss, welcher sich aus dem Präsidium und einer Anzahl vom Landtag erwählter Mitglieder zusammensetzt, so in Württemberg, Baden, Sachsen-Meiningen, Sachsen-Altenburg, SachsenKoburg-Gotha, Braunschweig u. s. w. Solange die Stände nicht versammelt sind, erscheint derselbe »als Stellvertreter derselben für diejenigen Geschäfte, deren Besorgung von einem Landtage zum andern zur ununterbrochenen Wirksamkeit der Repräsentation des Landes nöthig ist«. Die Funktionen desselben sind in den verschiedenen Verfassungen verschieden bestimmt; doch bestehen sie meistens in Wahrung der verfassungsmässigen Landesrechte, Kontrolle der Finanzverwaltung und Vorbereitung von Vorlagen für den künftigen Landtag. Seine Verrichtungen hören auf mit Eröffnung eines neuen Landtages. Bei einer Auflösung muss dafür gesorgt sein, dass die Stände noch ihren Ausschuss wählen können oder dass die schon gewählten Glieder ihre Vollmacht nicht verlieren. (Württemb. Verfassungsurkunde § 192.) Den Verfassungen von Preussen, Bayern und Sachsen ist ein ständischer Ausschuss unbekannt.

1 Wo dagegen wie in Baden die erste Kammer zum Theil auch aus erwählten Mitgliedern (den Grundherrn, der Universitäten) besteht, verlieren auch diese durch Auflösung ihre Eigenschaft. Verfassungsurkunde § 43.

Anhang.

Verfassung der drei freien Städte.1

Die bisher befolgte Systematik des Verfassungsrechtes der deutschen Einzelstaaten (Buch I. Abth. I.) schloss sich durchweg dem Organismus der in Deutschland vorherrschenden konstitutionellmonarchischen Staatsordnung an. Aber in dem staatsrechtlichen Gesammtbilde Deutschlands würde eine erhebliche Lücke vorhanden sein, wenn die Verfassung der drei freien Städte Lübeck, Bremen und Hamburg unberücksichtigt bliebe. Diese staatlichen Gemeinwesen, die ehrwürdigen Reste reichsstädtischer Freiheit und hanseatischer Macht, sind auch für die Gegenwart noch bedeutsam, weit über die Zahl ihrer Quadratmeilen hinaus, als die Emporien des Welthandels und des grossartigsten Seeverkehrs; aber auch vom staatsrechtlichen Gesichtspunkte bieten ihre Verfassungen der Betrachtung ein ebenso eigenartiges als würdiges Problem.

I. Geschichtliches.

Der Unterschied zwischen Reichs- und Landständen war im Mittelalter vielfach schwankend. Manche ehemals landsässige Städte stiegen zur Reichsunmittelbarkeit empor, viele, besonders kleinere

1 Moser's Staatsr. Th. 39. S. 296 ff. Th. 40–44. Derselbe, Von der reichsstädtischen Regimentsverfassung. 1772. Desselben, reichsstädtisches Handbuch. Tübingen 1733. 2 Bde. v. Sartori, Auserlesene Beiträge in reichsstädtischen Sachen. 2 Thle. Frankfurt 1777. Ueber die ältere Geschichte vergl. die Lit. zu § 161. S. 416, über die Aufhebung der meisten deutschen Reichsstädte vergl. besonders G. W. Hugo, Die Mediatisirung der deutschen Reichsstädte. Karlsruhe 1838. (Mit genauen Nachweisungen über alle einzelnen Städte.) Klüber, Oeff. R. § 240 f. H. A. Zacchariä, D. Staats- und Bundesrecht Th. I. Kap. VI. S. 690 ff. Eine gute, auf officiellen Mittheilungen beruhende Darstellung des Staatsrechts der drei Hansestädte gibt Ch. de Villers, Constitutions des trois villes libres anséatiques, Lubeck, Bremen, Hambourg avec mémoire. Leips. 1814. Wurm, Verfassungsskizzen der freien und Hansestädte, Lübeck, Bremen und Hamburg. Hamburg 1841. Kurze Darstellungen der Geschichte und der Verfassungen der Hansestädte finden sich auch in Bluntschli's Staatsw. B. IV. S. 731-787. Lübeck von Mantels, Bremen von Böhmert, Hamburg von Buek. Lappenberg, Art. Hamburg im Staatslexikon III. Aufl. B. VII. S. 306 ff. Eine treffliche staatsrechtliche Arbeit besitzt Hamburg in N. A. Westphalen, Verfassung und Verwaltung Hamburgs in ihrer allmäligen Entwickelung bis auf die neueste Zeit. Hamburg 1841. 2. Aufl. 1846. Dieses Buch liegt unserer Darstellung der ältern hamburgischen Verfassung wesentlich zu Grunde.

Reichsstädte kamen durch Verpfändung, Gewalt, Selbstunterwerfung unter die Herrschaft von Landesherrn. Ein genaues Verzeichniss der Reichsstädte lässt sich für diese Zeit nicht aufstellen. die Matrikeln sind völlig unzuverlässig. (Hugo a. a. O. zählt ihrer etwa 133.) Als besonders privilegirt erschienen die Freistädte, welche, von der Landeshoheit emancipirt, auch dem Reiche gegenüber nur sehr beschränkte Verpflichtungen übernommen hatten und von den regelmässigen Reichssteuern und Reichsdiensten frei geblieben waren. Erst im Anfang des XVI. Jahrhunderts verlor sich der Unterschied zwischen Freistädten und Reichsstädten; die ersteren wurden auch zu des Reiches Lasten, namentlich zu Reichssteuern herangezogen, der Name Freistadt hörte auf und an dessen Stelle trat die allgemeine Bezeichnung, Reichsstadt, auch freie Reichsstadt. Zum Begriffe einer solchen gehörten seit dieser Zeit zwei Merkmale, Landeshoheit und Reichsstandschaft. Eine Reichsstadt im Sinne des neuern Staatsrechtes ist eine unmittelbar unter Kaiser und Reich stehende Stadt, welcher die Landeshoheit und Sitz und Stimme auf dem Reichstage zukommt. In Betreff beider Punkte standen sie den übrigen Reichsständen vollständig gleich; sie wurden in ihren Rechten durch die Reichsgesetze, besonders durch den westphälischen Frieden J. P. O. VII, § 4 und die Wahlkapitulation A. I, § 8 ausdrücklich anerkannt. Die Zahl der anerkannten Reichsstädte betrug bis zum Frieden von Luneville 51; 4 wurden durch denselben an Frankreich abgetreten : Speier, Worms, Köln und Aachen. Durch den Reichsdeputationshauptschluss wurden die noch übrig bleibenden bis auf 6 den weltlichen Landesherrn als Entschädigung überlassen (S. 79). Die sechs noch fortbestehenden : Augsburg, Lübeck, Nürnberg, Frankfurt a. M., Bremen und Hamburg wurden aber in ihrer vollen Landeshoheit anerkannt. (Reichsdeputations hauptschluss § 27.) Durch den Pressburger Frieden vom 26. December 1805 wurde Augsburg Bayern zugesprochen. Durch die Rheinbundsakte vom 12. Juli 1806 kam Nürnberg an Bayern, Frankfurt an den Fürsten Primas. Die allein noch übrig bleibenden Hansestädte Lübeck, Bremen und Hamburg wurden durch einen Gewaltakt im Jahre 1810 dem französischen Kaiserreiche einverleibt (S. 90). Nach dem Sturze der Fremdherrschaft traten sie von selbst wieder in den Besitz ihrer

1 Vergl. darüber die neueste Untersuchung von A. Heusler, Ursprung der deutschen Staatsverfassung. 1872. S. 239 ff. Hugo a. a. O. S. 6. § 4.

Unabhängigkeit; Frankfurt a. M. wurde durch die Wiener Kongressakte § 46 wieder zur freien Stadt erklärt: »>La ville de Francfort, avec son territoire, tel qu'il se trouvait en 1803, est declarée libre et fera partie de la ligue Germanique.« Die so wieder zur staatlichen Selbständigkeit gelangten vier freien Städte traten als Mitglieder in den deutschen Bund, an dessen Stiftung sie bereits theilgenommen hatten. Durch das Gesetz vom 10. September 1866 wurde die freie Stadt Frankfurt dem preussischen Staate einverleibt (S. 152). Dagegen behielten Lübeck, Bremen und Hamburg ihre staatliche Unabhängigkeit, traten dem norddeutschen Bunde bei und sind jetzt Glieder des deutschen Reichs 1.

II. Quellen des Staatsrechtes der freien Städte. 2

Es kommen hier nur die noch bestehenden freien Städte Lübeck, Bremen und Hamburg in Betracht.

1) Lübeck. Die Hauptgrundgesetze der ältern Verfassung Lübecks bilden, nächst kaiserlichen Privilegien, die Konkordate zwischen Rath und Bürgerschaft von 1416, 1534, 1535, der Recess von 1665 und der Hauptrecess vom 9. Juli 1669. Die alte Verfassung Lübecks wurde nach Befreiung von der Fremdherrschaft wieder hergestellt. Die längst beabsichtigte Reform wurde 1844 ernstlich in Angriff genommen. Nachdem bereits 1846 eine Vereinbarung zwischen dem Rathe und den bürgerlichen Kollegien erzielt worden war, trat am 8. April 1848 »die Verfassungsurkunde für die freie und Hansestadt« Lübeck in Kraft. Allein diese Verfassung befriedigte die Ansprüche des Jahres 1848 nicht und

1 Seit der Auflösung des Reiches vom Jahre 1806 nannten sich die übrig bleibenden freien Reichsstädte nur noch freie Städte. Der dreissigjährige Krieg hatte auch die Macht der alten Hanse gebrochen, 1630 war der letzte Hansetag zu Lübeck gehalten worden. Aber als der grosse Bund seitdem zerfiel, traten die drei eng zusammengehörigen Städte Lübeck, Bremen und Hamburg in eine neue Einigung, welche den Sturm der Zeiten überdauert hat und die Pflanzstätte hanseatischen Geistes bis auf die Gegenwart geblieben ist. Daher verbinden sie mit Recht die ehrenvollen Bezeichungen einer freien und Hansestadt. Auch in juristischer Beziehung werden dieselben als Rechtsnachfolger der alten Hanse angesehen, wo es sich um wirklichen Besitz derselben handelt (Verkauf des Stahlhofes in London, Oesterches Haus in Antwerpen), da die Hanse nie aufgehoben ist und in ihnen fortgedauert hat.

2 Die ältern Grundgesetze finden sich in J. J. Moser's Reichsstädtischem Handbuch. Tübingen 1732. 2 starke Bände, und in Lünig's Reichsarchiv Part. spec. Cont. IV. Ueber die Quellenliteratur der einzelnen Städte vergl. H. A. Z achariä, D. Staats- und Bundesrecht Th. I. § 123.

erfuhr in Betreff der Zusammensetzung der Bürgerschaft (Beseitigung jedes ständischen Princips), des Bürgerausschusses u. s. w. eine so weitgehende Revision, dass daraus »die Verfassungsurkunde für die freie und Hansestadt Lübeck« vom 29. December 1851 hervorging (H. A. Zachariä, Sammlung der deutschen Verfassungsgesetze S. 1120), welche abermals am 7. April 1875 revidirt worden ist. Dieses revidirte Grundgesetz liegt unserer Darstellung zu Grunde.

2) Bremen. Die Hauptgrundlage der ältern Verfassung bildete die sog. Tafel von 1433, die neue Eintracht von 1534 und die kündige Rolle von 1489 (Polizeigesetz, neueste Redaktion von 1756). Nach der Wiederbefreiung erfolgte 1814 auch die Wiederherstellung der früheren Verfassung. In den Jahren 1816 und 1818 wurde durch neue Statuten über die Rathswahlen und über die Bürgerkonvente eine theilweise Reform bewirkt. Eine radikale Veränderung brachte die zwischen Rath und Bürgerschaft vereinbarte >> Verfassung des Bremischen Staates « vom 5/8. März 1849 nebst den in Beziehung auf einzelne Bestimmungen derselben erlassenen Gesetzen vom 2. April 1849. (Rauch, Parlamentarisches Taschenbuch 4. Heft, S. 78). Ueber die nothwendig erachtete Revision dieser Verfassung entspann sich ein Streit zwischen Rath und Bürgerschaft, welcher auf Grund eines Bundesbeschlusses vom 6. März 1852 zur Auflösung der Bürgerschaft und zur Oktroyirung provisorischer Verfassungsbestimmungen, die Bürgerschaft betreffend, vom 29. März 1852 führte. Hierauf folgte die Senatsverordnung vom 3. Mai 1852, durch welche eine Reihe von Bestimmungen der Verfassung von 1849 »bis auf Weiteres ausser Kraft gesetzt« und provisorische Bestimmungen über mehrere Gegenstände der Verfassung zur Geltung gebracht wurden (H.A. Zachariä, Sammlung S. 1185). Mit der hierauf gewählten neuen Bürgerschaft wurde die Revision der Verfassung zum Abschlusse gebracht und die neue Verfassung nebst den zur Ausfüh– rung einzelner Bestimmungen derselben vereinbarten sieben Gesetzen am 21. Februar 1854 publicirt. Dieselbe hat am 17. November 1875 eine Revision erfahren, welche unserer Darstellung zu Grunde liegt.

3) Hamburg. Dessen ältere Verfassung erhielt die erste schriftliche Grundlage durch den Recess von 1410, revidirt und erweitert 1458 und 1483, von Bedeutung sind dann die Recesse von 1529, 1603, 1633 und 1663, der Unionsrecess des Rathes von 1574, H. Schulze, Deutsches Staatsrecht.

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