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gewalt und den Gewalten der Einzelstaaten vermieden, damit die unbedingt nothwendige Einheit des Staatswillens gewahrt werde, muss im Confliktsfalle die Entscheidung letzter Instanz der Centralgewalt zugesprochen, ihr Wille, als höchster in der bundesstaatlichen Organisation, anerkannt werden. Die Centralgewalt und die Gewalt der Einzelstaaten sind einander nicht nebengeordnet, sondern erstere ist der letzteren übergeordnet. Trotzdem bleiben die Einzelstaaten Staaten, weil sie nicht nur, wie Körper der Selbstverwaltung, eine relative Selbständigkeit in der Verwaltung gewisser Angelegenheiten, sondern eigene nicht von der Centralgewalt abgeleitete Hoheitsrechte besitzen, weil sie sich selbst innerhalb ihrer Sphäre Gesetze geben und ihren Entscheidungen die höchste Sanktion ertheilen.

Wo diese Merkmale vorhanden sind, kann man von einem Bundesstaate sprechen, dessen Organisation übrigens eine sehr verschiedenartige sein kann. Die Centralgewalt lässt sehr verschiedene Formen ihrer Konstituirung zu, sie kann ganz getrennt von der Staatsgewalt der Einzelstaaten bestehen, oder den Regierungen der letzteren kann eine weitgehende Mitwirkung bei ihrer Zusammensetzung eingeräumt sein. Es können dem Träger einer Einzelstaatsgewalt, als solchem, weitgehende Befugnisse der Centralgewalt übertragen sein, welche ihn zu einem wichtigen Organe der letzteren machen. Es können die Kompetenzgrenzen zwischen der Centralgewalt und den Staatsgewalten der Einzelstaaten sehr verschieden gezogen sein. Alle diese verschiedenen möglichen Gestaltungen machen die besondere Individualität eines konkreten Bundesstaates aus und bilden sein positives Staatsrecht. Unsere Aufgabe wird es sein, die Individualität des deutschen Bundesstaates staatsrechtlich zu charakterisiren.

Zweites Buch.

Geschichtliche Entwickelung

des staatlichen Rechtszustandes in Deutschland.

Erstes Kapitel.

Die Zeiten des ältern deutschen Reiches1.

I. Das Reich.

§ 26.

1) Entstehung des deutschen Reiches?.

In der ältesten Zeit unserer Geschichte fehlte es den deutschen Völkerschaften an jeder staatlichen Gesammtverfassung. Erst in

1 Für das Reichsstaatsrecht, wie es bis zu den letzten grossen Umgestaltungen am Anfange dieses Jahrhunderts bestand, sind die wichtigsten allgemeinen Werke: J. J. Moser, Deutsches Staatsrecht, 50 Theile nebst 2 Theilen Zusätzen und Register 1737–54. Dessen: Neues Staatsrecht, 21 Bände und 1 Bd. Register. 1755-1766. Desselben: Grundriss der heutigen Staatsverfassung des deutschen Reiches. Tübingen 1754. Johannis Stephani Pütteri institutiones juris publici Germanici. Göttingen, zuerst 1770 (zuletzt 1802), und Karl Friedrich Häberlin, Handbuch des deutschen Staatsrechtes nach Pütter's System in 3 Bden. Berlin, zuerst 1793, dann 2. Aufl. 1797. (Bd. I. und II. sind 1802 und 1803 noch einmal neu aufgelegt). Die specielle Literatur wird bei den einzelnen Lehren angegeben werden.

2 Dies ist das eigentliche Thema der deutschen Reichsgeschichte, woraus sich später die Disciplin der deutschen Staats- und Rechtsgeschichte entwickelte Pfeffinger, Vitriarius illustratus sive corpus juris publici ad Vitriarii institutiones juris publici Frib. 1691. Gotha 1731 4 vol. 4. Repertorium dazu von Riccius. Gotha 1741. (Eine seltene Fundgrube historischer Gelehrsamkeit.) Dom. Häberlin, Umständliche deutsche Reichshistorie, Halle. 1763 ff. 12 Bde. Fortgesetzt von Senckenberg bis zum J. 1650. 40 Bde. bis 1806. J. St. Pütter, Grundriss der Staatsveränderungen des deutschen Reiches 1763. 1795. Dessen Histor. Entwickelung der heutigen Staatsverfassung des deutschen Reiches. Göttingen 1786. 3 Bde. (noch heute

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der Erschütterung der Völkerwanderung schmolzen die zahlreichen kleinern Völkerschaften zu grössern Stämmen zusammen. Den Franken war die Aufgabe zugefallen, diese Stämme zu einer Reichseinheit zu verbinden. Chlodwig begann, Karl der Grosse vollendete diese Arbeit. Das grosse Frankenreich hatte aber keinen nationaldeutschen Charakter, es umfasste sowohl celtisch-romanische, wie deutsche Elemente. Durch den Vertrag von Verdun und die darauf folgende definitive Lossagung nach der Absetzung Karl's des Dicken im Jahre 888 trennte sich endlich das vorherrschend germanische Ostfrankenreich von dem mehr romanischen Westen. Das Ostfrankenreich ist die Grundlage des deutschen Reiches geworden.

Karl der Grosse hatte Krone und Namen des römischen Reiches erneuert; aber die römische Kaiserkrone war nicht grundsätzlich mit der deutschen Königskrone verbunden. Eine solche Realunion erfolgte seit Otto dem Grossen. Seitdem durfte nur ein König der Deutschen zum römischen Kaiser gekrönt werden. Das deutsche Reich hiess von nun »das heilige römische Reich deutscher Nation«1.

Mit der römischen Kaiserkrone erhielt der deutsche König nicht sowohl einen Zuwachs an wirklichen Herrschaftsrechten oder an Land und Leuten, sondern er überkam damit nur gewisse kosmopolitische Ansprüche, dominium mundi, als vermeintlicher Nachfolger der alten römischen Cäsaren, und einzelne Ehrenrechte, wozu vor allem die Advokatie über den römischen Stuhl und die christliche Kirche, sowie der Vorrang vor allen Monarchen der Christenheit gerechnet werden muss. Die deutsche Königskrone war eine staatlich-nationale mit wirklichen Regierungsrechten, die römische

sehr brauchbar. Epoche machend: Karl Friedrich Eichhorn, Deutsche Staats- und Rechtsgeschichte, 4 Bde., Gött. 1808-1823. 5. Aufl. 1843. 1844. H. Zopfl, Deutsche Staats- und Rechtsgeschichte 1836. 2. Aufl. Stuttg. 1644. 4. Aufl. 1871. W. Dönniges, Das deutsche Staatsrecht und die deutsche Staatsverfassung, Band I. bis ins XII. Jahrh.). Berlin 1842. Georg Waitz, Deutsche Verfassungsgeschichte, 6 Bde. Kiel 1844. ff. (umfasst die Zeit bis zur Mitte des 12. Jahrh.); 2. Aufl. Bd. I. 1865. B. II. 1870. J. F. v. Schulte, Lehrb. der deutschen Reichs- und Rechtsgesch. 4. Aufl. 1876.

↑ G. Waitz, B. III., bes. der Abschnitt: »Königthum und Kaiserthum in Verbindung". B. IV. S. 593 ff. W. Giesebrecht, Geschichte der deutschen Kaiserzeit 1. Bd. II. Buch: »Gründung des deutschen Reiches«<. Ueber das Wesen der römischen Kaiserwürde vergl.: J. St. Pütter, Specimen juris publici et gentium medii aevi. Gött. 1784. C. W. v. Lancizolle, Die Bedeutung der römisch-deutschen Kaiserwürde nach den Rechtsanschauungen des Mittelalters. Berlin 1856. K. L. Aegidi im Staatswörterb. B. VIII. S. 702 ff. Art. Römisches Reich deutscher Nation. J. v. Held, Das Kaiserthum als Rechtsbegriff. Würzb. 1879.

H. Schulze, Dentsches Staatsrecht.

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Kaiserkrone eine kosmopolitische mit ideellen Ansprüchen, die nur selten verwirklicht werden konnten. Für das Staatsrecht kommt daher wesentlich nur das deutsche Königthum in Betracht. Das deutsche Reich des Mittelalters war ein monarchischer Einheitsstaat, welchen der König durch seine grossen Reichsbeamten regierte, freilich mit einem sehr geringen Maasse centralisirter Staatsgewalt, wie dies bei allen mittelalterigen Staaten der Fall war. Während im Westfrankenreiche das Königthum die Mittelgewalt der grossen Vasallen sprengte, siegten im deutschen Reiche die centrifugalen Kräfte und aus den ehemaligen Reichsbeamten, den Herzögen und Grafen, sowie den geistlichen Würdenträgern wurden Landesherrn, aus den Amtsbezirken staatenähnliche Gebilde oder Territorien. Damit war seit dem Ende des Mittelalters die eigenthümliche Staatsform des deutschen Reiches entschieden.

8 27.

2) Vom deutschen Reiche überhaupt.

Das Ostfrankenreich bildete auch in territorialer Beziehung den Grundstock des deutschen Reichsgebietes 1; doch wurde das ursprüngliche Erbtheil Ludwig's des Deutschen dadurch sehr erweitert, dass der Antheil Lothar's, regnum Lotharii, Lotharingen, 870, 880 an das ostfränkische oder das deutsche Reich kam. Allein seit dem entschiedenen Uebergewichte Frankreichs wurde ein Stück des lotharingischen Besitzes nach dem andern von Deutschland losgerissen und im 18. Jahrh. standen nur noch geringe Ueberreste von Lothringen und Burgund in einer nominellen Verbindung mit dem deutschen Reiche. Das Königreich Italien bildete im Mittelalter ein abhängiges Nebenland des deutschen Reiches, dessen Befugnisse sich in den letzten Jahrhunderten indessen auf gewisse lehensherrliche Rechte über einzelne italienische Fürsten beschränkten. Das Königreich Böhmen mit dem ihm inkor

1 H. Conring, de finibus imperii Germanici, Helmst. in mehreren Ausgaben. Chr. H. Pfeffel, limes Franciae ab Oceano ad Rhenum. Argent. 1785. Häberlin, Staatsrecht B. I. S. 42 ff. Erstes Kapitel: »Von den Grenzen des deutschen Reiches«. Noch heute sehr brauchbar ist: A. F. Büsching, Neue Erdbeschreibung, III. Theil in 3 Bdn. enthaltend das deutsche Reich. VI. Aufl. Hamburg 1779. Dr. Heinrich Berghaus von Grössen, Deutschland vor hundert Jahren, Geschichte der Gebietseintheilung und der politischen Verfassung des Vaterlandes. 2 Bde. Leipzig 1859. 1860. K. Wolff, Die unmittelbaren Theile des ehemaligen römisch-deutschen Kaiserreiches nach ihrer früheren und gegenwärtigen Verbindung. Berlin 1873.

porirten Herzogthum Schlesien war zwar Reichsland, genoss aber ganz besondere Freiheiten und Exemtionen. Das eigentliche deutsche Reichsgebiet wurde seit 1512 in zehn Kreise eingetheilt. Zweck der Kreisverbindung war Erhaltung des Landfriedens, Vollziehung der Reichsschlüsse und Urtheile der Reichsgerichte, Fürsorge für das Kriegs- und Münzwesen und manches andere, besonders polizeilicher Natur; jeder Kreis hatte seine besondere Kreisverfassung.

Das deutsche Reich hat nie eine umfassende Kodifikation seines gesammten Verfassungsrechtes erhalten. Die Reichsverfassung beruhte vielmehr auf dem Reichsherkommen und einzelnen Grundgesetzen 1. Als die wichtigsten sind zu nennen: die goldene Bulle Kaiser Karl's IV. in 30 Kapiteln von 1356, der ewige Landfrieden Kaiser Maximilian's vom 7. Aug. 1495, die Wahlkapitulationen der Kaiser (capitulatio caesarea perpetua von 1711), die deutschen Religionsverträge, Passauer Vertrag von 1552 und Augsburger Religionsfrieden von 1555, das westfälische Friedensinstrument von

1648.

Seit dem spätern Mittelalter, besonders seit dem westfälischen Frieden, konnte kein klar sehender Beurtheiler mehr in Zweifel ziehen, dass Deutschland nicht mehr ein einfacher, sondern ein zusammengesetzter Staat, civitas composita, ein Staatenstaat sei 2. Deutschland enthielt so viel Staaten, als es Kurfürstenthümer, Fürstenthümer, Grafschaften, Reichsstädte gab. Jeder dieser Staaten hatte sein eigenes Staatsrecht, seine eigene Verfassung. Aber so viele Staaten Deutschland in sich fasste, so war es doch immer in seiner Gesammtheit noch ein einheitlicher Staat, indem

1 J. J. Schmauss, corpus juris publici acad. 2 Bde. Frankfurt und Leipzig 1722. A. Michaelis, corpus juris publici acad. Tübingen 1825. G. Emminghaus, corpus juris germ. tam publici, quam privati. Jena 1824. 2. Aufl. 1844. F. M. Oertel, Die Staatsgrundgesetze des deutschen Reiches, zusammengestellt und historisch erklärt. Leipzig 1841.

2 J. J. Moser, von Deutschland und dessen Staatsverfassung überhaupt 1766. Pütter, inst. § 23. Das Beste, was hierüber geschrieben ist, befindet sich in Putter's Beiträgen zum deutschen Staats- und Fürstenrechte 1777. B. I. Nr. II. und III. »Von der Regierungsform des deutschen Reiches«<. Mit Klarheit unterscheidet der grosse Reichspublicist hier zum ersten Male den blossen Staatenbund vom zusammengesetzten Staatenstaate: »Deutschland ist ein aus mehreren Staaten zusammengesetzter Staatskörper, zwar auch nicht, wie die Schweiz und die vereinigten Niederlande, blos ein Inbegriff mehrerer verbundenen unabhängigen Staaten, sondern ein Reich, das aus mehreren besondern, jedoch einer gemeinsamen höhern Gewalt noch untergeordneten Staaten bestehet. Clemens Perthes, de sententiis juris publici peritorum, quas habuerint de imperii germanici forma et statu. Bonnae 1844.

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