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kreis erscheint. Der so zusammengesetzte Provinciallandtag vertritt den Provincialverband und hat über die Angelegenheiten desselben, sowie über diejenigen Gegenstände zu berathen und zu beschliessen, welche ihm durch die bisherigen Gesetze und königlichen Verordnungen überwiesen sind oder in Zukunft durch Gesetz überwiesen werden. Der Provinciallandtag übt das dem Verbande verliehene wichtige Recht zum Erlasse von Statuten und Reglements aus, er stellt die Grundsätze, nach denen die Verwaltung der Angelegenheiten des Provinzialverbandes zu erfolgen hat, und den Provincialhaushaltsetat fest, er beschliesst über die Einrichtung der Provincialämter und vollzieht die Wahl zu den obern Aemtern, er ist berufen, über diejenigen die Provinz betreffenden Gesetzentwürfe, sowie die sonstigen Gegenstände sein Gutachten abzugeben, welche ihm von der Staatsregierung überwiesen werden. Der kommunale Inhalt der Provincialverbände ist hauptsächlich durch das Dotationsgesetz vom 8. Juli 1875 bestimmt, wodurch der Selbstverwaltung erst die genügende materielle Unterlage gegeben worden ist.

Die Verwaltungsorgane des Provincialverbandes sind der Provincialausschuss und der Landeshauptmann oder Landesdirektor. Der Provincialausschuss besteht aus einem Vorsitzenden und 7—13 Mitgliedern, welche von dem Provinciallandtag gewählt werden; der gleichfalls vom Provinciallandtag zu wählende Landeshauptmann, welcher der Bestätigung des Königs bedarf, ist von Amtswegen Mitglied des Ausschusses, kann aber nicht zum Vorsitzenden desselben gewählt werden. Der Provincialausschuss ist beschliessendes, der Landesdirektor ausführendes Organ für die Verwaltung der Angelegenheiten des Provincialverbandes. Darin aber zeigt sich eine grosse Verschiedenheit von der Kreisverfassung, dass im Kreisausschusse die Verwaltung der Kommunalangelegenheiten mit der der staatlichen Verwaltung organisch verbunden ist, während der Provincialausschuss mit eigentlichen Staatsverwaltungssachen nichts zu thun hat. Dafür bestehen der Provincialrath und der Bezirksrath, welche, aus berufsmässigen Beamten und erwählten Ehrenbeamten zusammengesetzt, als reine Staatsbehörden, nicht als kommunale Organe zu betrachten sind, weshalb sie hier nicht weiter zur Besprechung kommen. Ob dieser in die Verwaltung hineingetragene Dualismus, welcher zu einem Uebermasse verschiedener Behörden und zu einer kaum zu übersehenden Verwickelung der Kompetenzverhältnisse führt, für die Dauer lebensfähig sein wird, ist eine andere Frage.

Je mehr sich der preussische Staat zu einem wahren Grossstaate ausgestaltet, welcher vom Niemen bis zum Rhein die grössten wirthschaftlichen, gesellschaftlichen und volksthümlichen Verschiedenheiten in sich schliesst und Länder der eigenartigsten geschichtlichen Entwicklung zu einem grossen Ganzen verknüpft, um so dringender ist er darauf hingewiesen, allen Provinzen die Wohlthaten der Selbstverwaltung und Autonomie soweit einzuräumen, als die Einheit der obersten Staatslenkung gestattet. In der Pflege und Ausbildung eines gesunden Provincialgeistes liegt eine eigenthümlich bedeutsame Aufgabe der preussischen Gesetzgebung, deren glückliche Durchführung Preussen allein vor den Gefahren einer zu weitgehenden bureaukratischen Centralisation schützen kann. In dem konstitutionellen Zwischenbau, welchen die Körper der Selbstverwaltung zwischen der einheittlichen Staatsgewalt und dem Individuum bilden, baut sich dann über Ortsgemeinde, Sammtgemeinde, Kreisverband, als oberstes Glied in diesem Organismus, die verjüngte, selbständige Provincialgemeinde auf.

Fünftes Kapitel.

Von der Volksvertretung oder dem Landtage'.

§ 169.

Im Allgemeinen.

Das Wesen des konstitutionellen Staates besteht einerseits darin, dass den einzelnen Bürgern, auch der Staatsgewalt gegenüber, eine gesicherte öffentliche Rechtssphäre abgesteckt (sog. Grundrechte), andererseits darin, dass dem Volke in seiner Gesammtexistenz eine aktive Theilnahme an der Ausübung der Staatsgewalt, durch das Medium eines volksvertretenden Organs verfassungsmässig eingeräumt ist (§ 22. S. 37). Ein solches Organ gehört

1 R. v. Mohl in seinem Werke Staatsr., Völkerrecht u. Politik. B. 1. Der Gedanke der Repräsentation im Verhältnisse zu der gesammten Staatenwelt S. 1-32. Ueber die verschiedenen Auffassungen des Repräsentativsystems in England, Frankreich und Deutschland S. 33-65. Konstitutionelle Erfahrungen S. 324-367. Das Repräsentativsystem, seine Mängel u. Heilmittel S. 367-461. Derselbe, Literat. der Staatswissenschaft. B. I. Liter. des allgemeinen konstitutionellen Staatsr. S. 267–337. K. v. Rotteck, Ideen über Landstände, Karlsruhe 1819. C. Vollgraff, Täuschungen des Repräsentativsystems, Marb. 1829. K. E. Jarcke, Die ständische Verfassung und die deutsche Konstitution. Leipzig 1834. O. D. v. Witzleben, Die Grenzen der Volksrepräsentation in der konstitut. Monarchie. Leipzig 1847. F. A. v. Campe, Die Lehre von den Landständen nach gemeinem Staatsrechte. II. Aufl. Lemgo 1864. C. Levita, Die Volksvertretung im repräsentativen Staate der Gegenwart. Leipzig 1856. Das konstitut. Princip, seine geschichtliche Bedeutung u. s. w. herausgegeben von A. Frhr. v. Haxthausen. Th. I. Die Repräsentativverfassung mit Volkswahl von K. Biedermann. Th. II. Vier Abhandlungen über das konstitutionelle Princip von J. Held, R. Gneist, G. Waitz, W. Kosegarten. Leipzig 1864. Den Unterschied zwischen den alten Landständen und der modernen Volksvertretung charakterisiren am besten Dahlmann, Politik S. 115-131, und Bluntschli, Allgem. Staatsr. B. I. B. IV., auch in seinem Art. Repräsentativverfassung im Staatsw. B. VIII. S. 580-596. Ferner sind zu vergleichen: J. Ch. v. Aretin, Staatsrecht der konstitut. Monarchie (1828) B. II. Abth. II. S. 154-267. K. S. Zachariä, Vierzig Bücher vom Staate. Buch XIX. Th. III. J. Stahl, Philosophie des Rechts Th. II. K. 8: Die reichsständische Verfassung Kap. 9: Das ältere und neuere Ständewesen. Kap. 10: Die Konstitutionen der französischen Revolution. v. Kaltenborn, Einleitung in das

wesentlich dem Gedankenkreise der germanischen Staatseinrichtungen an, deren Grundprincip von jeher die organische Verbindung der Einherrschaft mit der Volksfreiheit, »das Königthum innerhalb der verfassungsmässigen Ordnung«, gewesen ist. (S. 35).

Allerdings ist die Volksvertretung, wie sie in allen monarchischen Staaten Deutschlands besteht, in ihrer gegenwärtigen Gestalt eine Neuschöpfung, welche unter dem mitbestimmenden Einflusse allgemeinstaatsrechtlicher Ideen und ausserdeutscher Vorbilder zu Stande gekommen ist. Dennoch wäre es unwissenschaftlich, den tieferen inneren Zusammenhang unserer heutigen Volksvertretung mit altgermanischen Rechtsgedanken und darauf beruhenden, mehr als tausendjährigen Staatseinrichtungen verkennen zu wollen. Form und Inhalt der Institution hat mannigfach gewechselt, aber der Grundgedanke, verfassungsmässige Beschränkung und volksthümliche Bestimmung der Herrschergewalt durch Theilnahme der Beherrschten an der Ausübung der Staatsgewalt, ist zu allen Zeiten derselbe geblieben.

I. Geschichtliche Entwickelung der Volksvertretung1.

$ 170.

1) Die landständische Institution in aufsteigender Linie.

Wir übergehen hier die ältesten Formen der Volksvertretung bei den Deutschen, das concilium der Taciteischen Zeit, die Reichsversammlungen der Franken, die Provinciallandtage der Herzöge

konstitut. Verfassungsrecht. Klüber, Oeffentl. Recht des deutschen Bundes §§ 279 ff. Zöpfl, Grundsätze (5. Aufl.) B. II. §§ 325 ff. S. 161 ff. H. A. Zachariä, D. St. B. I. §§ 23 ff. S. 579 ff. G. A. Grote fend, Das deutsche Staatsr. S. 547–627. v. Gerber, (III. Aufl.) S. 125–143. G. Meyer, Lehrb. § 96 ff. S.216 ff. R. v. Mohl, Württemb. Staatsr. B. I. § 97 S. 531 ff. Pözl, Bayerisches Verfassungsrecht V. Buch S. 526 ff. v. Rönne, B. I. Abth. 2. §§ 109 ff. S. 319-477.

1 F. W. Unger, Geschichte der deutschen Landstände. 2 Bde. Hannover 1844. G. D. Strube, Observ. de statuum provincialium origine et praecipuis juribus, in dessen Observ. jur. et hist. Hildesh. 1735. Obs. IV. p. 157 ff. Desselben, Nebenstunden Th. II. S. 424 ff. B. G. Struv, Diskurs vom Ursprung, Unterschied und Gerechtsame der Landstände in Deutschland, insonderheit in Mecklenburg. Hamburg 1741. Pütters, Beiträge zum deutschen Staats- und Fürstenrecht. B.I. Nr. VI. Häberlin, Grundlinien einer Geschichte der deutschen Landstände in Schlözer's Staatsanz. Heft 67. S. 265 ff. Derselbe, Hand

und Sendboten der karolingischen Zeit, welche in den Landdingen, Landtaidingen bis ins XIII. Jahrhundert fortdauerten. Obgleich demselben Grundgedanken entsprossen, haben diese ältern Formen doch gar keinen unmittelbaren Zusammenhang mit der gegenwärtigen Gestaltung der Volksvertretung, dagegen lässt sich ein solcher zwischen der landständischen Institution und den heutigen Landtagen nicht verkennen, wenn auch die alte Form einen ganz neuen staatsrechtlichen Inhalt in sich aufgenommen hat.

Die Entwickelung der deutschen Landstände geht mit der der Landeshoheit Hand in Hand. Seit der Mitte des XIII., noch bestimmter seit dem Anfange des XIV. Jahrhunderts, suchten die deutschen Landesherrn, domini terrae, das Aggregat ihrer ungleichartigen Befugnisse, welche sie über Land und Leute ihrer Territorien ausübten, in den einheitlichen Begriff der Landeshoheit umzugestalten (§ 32. S. 66 ff.). In paralleler Bewegung mit dem Entwickelungsgange der Landeshoheit schlossen sich nun diejenigen Klassen des Territoriums ständisch zusammen, welche hergebrachte oder verbriefte Rechte, dem Landesherrn gegenüber, zu vertreten hatten. So entstehen schon seit dem XIII. Jahrhundert Ritter- und Städtebündnisse in den einzelnen Territorien, deren Ziel Bewahrung und Vermehrung ihrer ständi

buch des deutschen Staatsrechts Th. II. S. 29 ff. J. J. Moser, Von der deutschen Reichsstände Landen. 1769. (B. II. S. 313-903. B. IV. S. 940—1529). Derselbe, Von der deutschen Unterthanen Rechten und Pflichten. B. II. Kap. I. S. 85-147. Lünig, Collectio nova, worin der mittelbaren oder landsässigen Ritterschaft in Deutschland sonderbare Prärogative und Gerechtsame, auch Privilegien und Freiheiten enthalten sind. 2 Bde. Frankfurt u. Leipzig 1730. Wilda, Landstände in Weiske's Rechtlex. B. VI, S. 791 ff. K. Maurer, Art. »Landstände« im Staatsw. B. VI. S. 251-272. Eichhorn, D. St. u. RG. B. III. §§ 423-428. Zöpfl, St. u. RG. § 54 u. 78. Walter § 366. v. Schulte, § 77. O. Gierke, a. a. O. § 51 u. 60. R. v. Mohl, Die geschichtlichen Phasen des Repräsentativsystems in Deutschland (Zeitschr. für die gesammten Staatsw. B. XXVII. 1871). Für einzelne deutsche Staaten nennen wir beispielsweise: K. Hegel, Geschichte der mecklenburgischen Landstände bis zum Jahre 1555. Rostock 1856. J. Rudhart, Geschichte der Landstände in Bayern bis 1808. 2 Bde. Heidelberg 1876. G. v. Lerchenfeld, Die altbayerischen landständischen Freibriefe mit den Landesfreiheitserklärungen. München 1853. (Mit einer geschichtl. Einleitung von L. Rockinger). C. V. Fricker und Th. v. Gessler, Geschichte der Verfassung Württembergs. 1869. O. W. v. Lancizolle, Ueber Königthum und Landstände in Preussen. Berlin 1846. W. Lüders, Art. Preussisches Staatsrecht im Staatslex. B. XIII. S. 1–103. H. v. Treitschke, »Der erste Verfassungskonflikt in Preussen 1815-1823.« (Preuss. Jahrb. 1872. Märzheft S. 409-474, Aprilheft S. 313-360). Weitere die einzelnen Staaten betreffende Literaturangaben finden sich im vorbereitenden Theile dieses Werkes S. 111-123.

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