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Geburt auf den Thron beruft, dass nicht auf hervorragende geistige und sittliche Befähigung, noch weniger auf besondere Herrschertalente des Staatsoberhauptes gerechnet werden kann. Die konstitutionelle Staatsordnung mit ihren verfassungsmässigen Schranken, ihrer Betheiligung der Volksvertretung am Staatsleben, ihrer geregelten und öffentlichen Regierungsweise wird selbst bedeutende persönliche Mängel des Herrschers ertragen und ausgleichen können. Aber immerhin ist es denkbar, dass einmal eine Persönlichkeit auf den Thron gelangt, welche, durch schlimme Naturanlage oder schlechte Erziehung verleitet, die Staatsgewalt in gröbster Weise missbraucht, sich über alle verfassungsmässigen Schranken hinwegsetzt, willkürlich in den Gang der Justiz eingreift und die bestehende Staats- und Rechtsordnung mit Füssen tritt. In einer solchen Denkungs- und Handlungsweise kann sich ebenso eine absolute Regierungsunfähigkeit aussprechen, wie in einer eigentlichen Geisteskrankheit, worüber alle deutschen Regierungen in Betreff des Herzogs Karl von Braunschweig einig waren. Es wird also auch in einem solchen Falle dasselbe Verfahren beobachtet werden müssen, welches einem geisteskranken Fürsten gegenüber einzutreten hat. Es werden somit dieselben Faktoren, welche nach Verfassung, Hausgesetzen und Herkommen berufen sind, die geistige Beschaffenheit des Fürsten in einem solchen Falle zu konstatiren, also Agnaten, Staatsministerium, Landstände, zusammenzuwirken haben, um auf Einsetzung einer Regentschaft hinzuwirken1, wodurch der seine Regierungsgewalt in grober Weise missbrauchende Landesherr der Ausübung derselben vollständig entkleidet wird, sodass dadurch thatsächlich dasselbe erreicht wird, wie durch eine wirkliche Entsetzung. Ausser diesen landesverfassungsmässigen Faktoren ist jetzt entschieden auch die Reichsgewalt berufen, einzuschreiten, wo ein derartiger Missbrauch der Staatsgewalt in einem deutschen Einzelstaate vorkommt. Wie sie das Recht innerhalb des

1 Kraut, a. a. O. B. III. S. 165: »Wenn ein Landesherr zwar nicht blödsinnig, aber notorisch von einer so übeln Sinnesart ist, dass man ihm die Regierung nicht anvertrauen konnte oder sich genöthigt sah, die bereits angetretene wegen Missbrauchs derselben ihm wieder zu nehmen, so wurde zur Zeit des Reiches, wenn man ihm die Regierungsgewalt, wie es allerdings zulässig war, nicht ganz entzog, eine Regierungsverwesung angeordnet, die statt seiner das Land regierte. Gewiss lässt sich nicht verkennen, dass heutzutage noch weit mehr Grund dazu ist, als zur Zeit des Reiches, indem damals Agnaten und Unterthanen gegen Missbrauch der Regierungsgewalt bei Kaiser und Reichsgerichten Hilfe finden konnten, während der Schutz, welchen die neuern Verfassungen gewähren, sich meist als illusorisch erweist.<<

Bundesgebietes überhaupt zu schützen berufen ist, wie sie die Regierungen bei Auflehnung und Widerstand ihrer Unterthanen vertheidigt, so muss sie auch die Angehörigen der Einzelstaaten gegen willkürlichen Missbrauch der Staatsgewalt schützen. Dazu kommt, dass eine derartige Missregierung nicht nur das Wohl des Einzelstaates schädigt, sondern stets auch die Erfüllung der Bundespflichten gefährdet und damit der Gesammtheit nachtheilig wird. Wenn es daher den landesverfassungsmässigen Faktoren nicht gelingt, einen geordneten Rechtszustand wiederherzustellen, so ist die Reichsgewalt, d. h. Kaiser und Bundesrath, berechtigt und verpflichtet, selbst mit Zwangsmassregeln gegen eine Regierung einzuschreiten, welche ihre verfassungsmässigen Bundespflichten nicht erfüllt, wozu auch die Führung einer geordneten Landesregierung gehört. Der Zwang kann ausgedehnt werden bis zur Sequestration des betreffenden Landes und seiner Regierungsgewalt, d. h. bis zur Besetzung des Landes und Uebernahme der gesammten Regierungsgewalt durch das Reich bis zur Erlangung voller Garantie für die Wiederherstellung eines geordneten Rechtszustandes. Diese Garantie kann in solchen äussersten Fällen nur erreicht werden durch Einsetzung einer Regentschaft oder durch einen wirklichen Thronwechsel. Kraft der Souveränetät der Reichsgewalt, wodurch sie als die übergeordnete Staatsgewalt auch den Rechtszustand in den Einzelstaaten aufrecht zu erhalten hat, ist sie unzweifelhaft im Nothfalle zu solchen politischen Massregelu berechtigt, welche sich freilich, bei dem unfertigen Zustand der Reichsjustiz in staatsrechtlichen Fragen, bis jetzt noch nicht zu einer formellen Rechtsprechung »nach Urtheil und Recht« entwickelt haben.

Anmerkung.

Auch heutzutage noch wichtig für diese schwierige Frage ist das Verfahren gegen den Herzog Karl von Braunschweig, besonders der Bundesbeschluss vom 2. December 1830 und die agnatische Disposition vom 10. März 1831 (Hausgesetze B. I. S. 395 ff.). Auch die in den Bundesprotokollen enthaltenen staatsrechtlichen Ausführungen sind. von Interesse. Am ausführlichsten suchten die Möglichkeit einer Thronentsetzung darzuthun Preussen und Hannover, welchen die Mehrzahl der Stimmen des engern Rathes beitrat. Preussen erklärte in der XIII. Sitzung des Bundestages am 14. April 1831: »Es waltet im Bunde kein Zweifel darüber ob, dass Herzog Karl die Regierung des Herzogthums Braunschweig nie wieder ausüben könne und dürfe, sondern immer von derselben ausgeschlossen bleiben müsse. Der Grund dieser allseitig anerkannten absoluten Regierungsunfähigkeit liegt in dem Missbrauche, welchen der Herzog Karl von der Regierungsgewalt gemacht

hat. In einem moralischen Uebel, nicht in einem unverschuldeten, körperlichen oder geistigen Hindernisse des zur Regierung berufenen Fürsten liegt die Ursache, dass seine Entfernung von der Regierung eine bedauernswürdige, aber rechtliche Nothwendigkeit geworden ist. Weil Minderjährigkeit, unverschuldete Krankheit oder Altersschwäche keinen Vorwurf begründen können, leidet durch solche auch die Würde des Fürsten nicht. Unverschuldete Krankheit und Altersschwäche, sowie das Erlöschen einer Dynastie, können eine ausserordentliche Regentschaft zur Folge haben, es mag solche in einer Vormundschaft oder, bei erloschener Dynastie, in einem Vicariate bestehen. Der Fall des Erlöschens einer Dynastie oder der eines Vicariates steht jetzt so wenig in Rede, als der einer Bevormundung; denn was letztere betrifft, so wird dem Herzog Karl Geistes- und Willensfähigkeit nicht bestritten, vielmehr beruht das Anerkenntniss der absoluten Regierungsunfähigkeit desselben auf der Annahme und Voraussetzung der völligen Zurechnungsfähigkeit seiner mehrjährigen Regierungshandlungen. Damit würde aber auch eine für die Lebensdauer dieses Fürsten zu errichtende Regentschaft einer rechtlichen Basis entbehren, indem letztere nur in einer, ohne eigene Verschuldung herbeigeführten Unfähigkeit zur eigenen Ausübung der Regierung, unter Fortdauer der Regentenwürde, in der Person des berechtigten Fürsten gefunden werden kann. Eine das Andenken der Regierung des Herzogs Karl bewahrende, für die Lebensdauer desselben zu errichtende und als eine blosse Fortsetzung dieser Regierung zu betrachtende Regentschaft würde, weil sie sich nur in der Natur einer Regierungsverwaltung für den Herzog Karl darstellen und jede einzelne Regierungshandlung nur in dessen Namen vollziehen könnte, mit den moralischen und rechtlichen Ursachen und Gründen, die diesem Fürsten den Verlust der Regierung zugezogen haben, im Widerspruche stehen. Die korrekte Anwendung des nicht genugsam zu wahrenden Legitimitätsprinzips führt mithin auf die Nothwendigkeit des Uebergangs der Regierung auf das nächstberufene Familienglied. Wäre eine legitime Nachkommenschaft des Herzogs Karl bereits vorhanden, so würde diese mit eignen Successionsrechten eintreten und von ihrer Regierungsfähigkeit abhängen, ob für sie eine Vormundschaft oder Regentschaft einzurichten wäre. In Ermangelung einer solchen Descendenz ist die Succession mit denselben Rechten für den Herzog Wilhelm eröffnet.

Dass es zur Zeit des deutschen Reiches Fälle gab, wo der Successor unmittelbar in Folge des Regierungsverlustes des Vorgängers nicht in dessen, sondern in sein eigenes Regierungsrecht eintrat, darf als bekannt vorausgesetzt werden. In diesem Sinne ist, wenngleich nicht durch ein formelles Rechtsurtheil, wie zur Zeit des deutschen Reiches vom Kaiser mit Zustimmung der Kurfürsten und Fürsten geschehen konnte, sondern als eine sich von selbst aus der richtigen Anwendung des Staatsherkommens und der Hausverfassung ergebende Thatsache, von den Agnaten, welchen es nach eingetretener Souverånetät der deutschen bundesfürstlichen Fürstenhäuser unter den vorliegenden Umständen allein zukommen

kann, im Art. 3 der dem Bundestag übergebenen Erklärung ausgesprochen worden, dass die durch absolute Unfähigkeit des bisherigen rechtmässigen Regenten als erledigt zu betrachtende Regierung des Herzogthums Braunschweig nunmehr definitiv auf Sr. Durchlaucht den Herzog Wilhelm in Höchstdessen Eigenschaft als nächster Agnat mit allen verfassungsmässigen Rechten und Pflichten eines regierenden Herzogs von Braunschweig übergegangen sei.« Ganz in gleicher Weise deducirte Hannover in der XVIII. Sitzung vom 11. Mai 1831: »Wenn nun auch anzunehmen ist, dass weder den Agnaten noch der Gesammtheit des Bundes ein eigentliches Richteramt über einen souveränen deutschen Bundesfürsten zusteht, dass somit weder dem Einen, noch den Andern das Recht eingeräumt werden kann, einen souveränen deutschen Fürsten seiner Regierung für verlustig zu erklären, so bringt es doch die Natur der Sache mit sich, dass ungeachtet der mit dem deutschen Reiche erloschenen oberstrichterlichen Gewalt, welche Kaiser und Reich zustand, den Agnaten zum wenigsten dieselben Rechte geblieben sein müssen, welche ihnen zu Zeiten des Reiches eingeräumt wurden und die ihnen um so mehr erhalten sind, als gegenwärtig die im Kaiser und Reich gelegene Souveränetät auf die deutschen Fürsten und deren Familien übergegangen ist. Eben diese Natur der Sache bringt es ferner mit sich, dass an der Stelle der oberstrichterlichen Gewalt eben diesen Agnaten wenigstens eine konservatorische Einschreitung zustehen muss, um den aus einer absoluten Regierungsunfähigkeit entspringenden verderblichen Folgen auf eine der Ehre des fürstlichen Hauses, der bleibenden Sicherheit und Ruhe im Lande und im deutschen Bunde, sowie den angestammten Rechten der Agnaten entsprechende Weise möglichst vollkommen zu begegnen; daher, wenn zur Erreichung eines solchen Zweckes die blosse Errichtung einer Regentschaft nicht zureicht, die zu treffende Anordnung diejenige Ausdehnung erhalten muss, welche die nöthige Kraft und Stabilität der Regierungsgewalt sichert, um Volksreaktionen vorzubeugen, und wozu die nächsten Agnaten das ihnen ipso jure zustehende Successionsrecht berechtigt ... Sollte etwa einer entgegengesetzten Ansicht die nie staatsrechtlich oder historisch begründet gewesene Theorie eines sog. Charakter indelebilis der Souveränetät zu Grunde liegen, so müssen die höchsten Agnaten erklären, dass sie einer solchen neuen Lehre ihre Zustimmung nicht ertheilen können.«< Allerdings herrschten im Schoosse der Bundesversammlung zwei divergirende staatsrechtliche Ansichten, indem die Einen, bei allgemein anerkannter Regierungsunfähigkeit des Herzogs Karl, die Agnaten für berechtigt hielten, den Thron für erledigt zu erklären (so Preussen und Hannover), die Andern nur eine Regentschaft für staatsrechtlich zulässig hielten, so besonders Oesterreich; doch erhielt die preussischhannöversche Ansicht, wornach Herzog Wilhelm die Regierung im eigenen Namen anzutreten habe, die Majorität von einer Stimme.

Zweites Kapitel.

Von den Staatsämtern.

§ 117.

Im Allgemeinen.

Nach deutsch-monarchischem Staatsrechte ist die gesammte Staatsgewalt grundsätzlich in dem Staatsoberhaupte vereinigt. Damit dieselbe aber praktisch wirksam werde, damit der einheitliche Staatswille vom Centrum in alle Punkte der Peripherie übertragen werde, bedarf es noch einer besondern staatlichen Organisation. Diese ist in den Staatsämtern gegeben. Nicht bloss aus dem äussern Grunde, weil der Monarch wegen unzureichender menschlicher Kraft nicht alle Staatsgeschäfte selbst besorgen kann, nimmt er sich >>Diener und Gehülfen«< an, sondern weil er, aus Gründen einer höher entwickelten staatlichen Ordnung, sie nicht allein besorgen darf, sind die Staatsämter nothwendige anstaltliche Glieder im Organismus des Staates. Da die monarchische Gewalt erst durch ihre Verbindung mit den Staatsämtern handlungs- und regierungsfähig wird, so muss die Lehre von den Staatsämtern systematisch unmittelbar auf die vom Staatsoberhaupte folgen, indem erst durch das Zusammenwirken dieser beiden Elemente die Eine ungetheilte Staatsregierung dargestellt wird.

Staatsämter sind Einrichtungen, kraft deren menschliche Kräfte, für Zwecke und Aufgaben des staatlichen Gemeinwesens, in bestimmter räumlicher und geschäftlicher Abgrenzung, in dauernder Weise in Dienst genommen werden. Das Staatsamt ist lediglich eine staatliche Veranstaltung, keine vom Staate getrennte juristische Person. Es hat kein eigenes Recht, sondern vertritt, innerhalb seiner Kompetenz, den Staat selbst. Wenn man sagt, dass ein Staatsamt berechtigt und verpflichtet sei, seine volle Kompetenz innerhalb seines Amtsbezirkes geltend zu machen, so heisst dies nicht etwa, dass ein Amt ein wohlerworbenes Recht auf seine Amtsbefugnisse habe, vielleicht sogar der Staatsgewalt gegenüber, sondern nur, dass der Staat aus Ordnungsgründen sich bewogen gefunden hat, die verschiedenen Funktionen seiner eigenen viel umfassenden Thätigkeit, nach gewissen geographischen und sachlichen Beziehungen, an verschiedene Stellen zu vertheilen und gegeneinander abzugrenzen. Der Staat kann daher jeder Zeit die Organisation der Aemter ändern, ihre Kompetenz anders bestimmen wie bisher. Eine

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