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Staates laufen «, indem durch diese Klausel der willkürlichsten Beurtheilung Spielraum gegeben war. Erst im heutigen Staatsrechte findet diese Frage ihre einfache, selbstverständliche Beantwortung. Durch den Thronwechsel wird in den wohlbegründeten Rechtsverhältnissen des Staates nicht das Mindeste geändert. Es wird dadurch nichts andres bewirkt, als dass dieselbe dauernde Staatsgewalt einen neuen Träger erhält. Es ist daher für die Verbindlichkeit eines staatlichen Aktes gleichgiltig, ob ihn der jetzige Herrscher oder sein Vorgänger vollzogen hat. Beide sind im staatsrechtlichen Sinne eine und dieselbe Person: » successor pro una eademque persona cum praedecessoribus habetur«. Hieraus ergeben sich für die praktische Anwendung folgende Sätze:

1) In der heutigen Staatspraxis sind die Formen und sonstigen Voraussetzungen einer Regierungshandlung dermassen festgestellt, dass nicht leicht ein Zweifel über das Vorhandensein einer solchen entstehen kann; wenigstens kann überall, wo die verfassungsmässige Form fehlt, z. B. die Kontrasignatur der Minister, nur von einer Privathandlung des Fürsten die Rede sein, welche den Staatssuccessor, als solchen, nichts angeht.

2) Alle wirklichen Regierungshandlungen eines Vorgängers binden den Nachfolger ganz so, als wenn sie von ihm selbst ausgegangen wären. Eine ausdrückliche Anerkennung eines Staatsaktes durch den Nachfolger kann politisch zweckmässig sein, rechtlich nothwendig ist sie nicht. Diese dauernde, vom Wechsel der physischen Herrscherpersönlichkeit unabhängige Rechtsverbindlichkeit bezieht sich auf alle Arten staatlicher Akte ohne Ausnahme; mag es sich um Erlassung einer Verfassung, um Sanktion eines Gesetzes, um verfassungsmässig kontrahirte Staatsschulden, um Gnadenbezeigungen, Privilegien, Anstellungen im Staatsdienste handeln; selbst förmlich ertheilte Expektanzen auf Lehen oder auf Staatsämter1 müssen respektirt werden, wenn sie nicht an und für sich, durch Verfassung und Gesetz ausgeschlossen sind.

3) Widerrufen oder annulliren kann der Nachfolger nur

1 Ueber die Verbindlichkeit von Lehensexpektanzen wurde sonst viel gestritten mit Rücksicht auf II. F. 26 § 2. v. Kamptz a. a. O. S. 229. H. A. Zacharia B. I. § 77 Nr. 5. In mehreren Verfassungen sind jetzt Anwartschaften auf öffentliche Aemter verboten. Bayerische Verfassung Tit. III. § 5. Grossherzoglich-hessische Verfassungsurkunde § 48. Anwartschaften auf künftig der Krone heimfallende Lehen verbietet ausdrücklich die bayerische Verfassungsurkunde Tit. III. § 6. die königlich sächsische Verfassungsurkunde § 17.

solche Regierungsakte seines Vorgängers, welche an und für sich, nach den bei ihrer Vornahme geltenden Rechtsgrundsätzen, ungiltig waren; er ist dazu ganz in derselben Weise befugt, wie der Vorgänger selbst, welcher durch einen an sich nichtigen Akt ebensowenig gebunden gewesen wäre. Eine einseitige Aufhebung aus andern Gründen, z. B. aus Rücksichten auf das vermeintliche Staatswohl, oder unter Berufung auf gewisse theoretische Grundsätze, z. B. das sogenannte monarchische Prinzip, ist durchaus rechtswidrig, ein Angriff auf die Kontinuität des Staates selbst. Der schwerste Rechtsbruch dieser Art in unserm Jahrhundert war die einseitige Aufhebung des hannöverschen Staatsgrundgesetzes vom 26. September 1833 durch das Patent König Ernst August's vom 1. November 1837.

4) Dagegen kann der Nachfolger jede Regierungshandlung seines Vorgängers auf verfassungsmässigem Wege abändern, wie dies der Vorgänger selbst gekonnt hätte, denn es giebt im Staatsleben nichts, was auf alle Zeiten unabänderlich wäre, keine lex in perpetuum valitura. Dabei versteht sich von selbst, dass eine derartige verfassungsmässige Abänderung keine rückwirkende Kraft hat und mit Achtung aller unterdessen wohlerworbenen Rechte vor. sich gehen muss.

Die hier entwickelten Prinzipien sind für unser heutiges Rechtsbewusstsein so selbstverständlich, dass nur einzelne Verfassungen kleinerer Staaten es für nöthig befunden haben, sie ausdrücklich zu bestätigen (Sachsen-Altenburg § 14. Reuss j. L. § 44. Schwarzburg-Sondershausen 1857 § 44).

Dritter Abschnitt.
Stellvertretung des Monarchen.

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Im Allgemeinen.

Der Monarch kann aus verschiedenen Gründen, auf kürzere oder längere Zeit, an der Ausübung seines Regentenberufes gehindert sein. Da durch eine solche Verhinderung einerseits das Recht auf die Innehabung der monarchischen Gewalt nicht aufgehoben wird, andrerseits der Staat keinen Augenblick des Herrschers ent

behren kann, so wird für solche Fälle eine Vertretung des Monarchen nothwendig. Je nach der Art und der Zeitdauer der Verhinderung nimmt diese Vertretung einen verschiedenen Charakter sie ist entweder

an;

I. eine Vertretung aus eigenem Rechte und mit selbständiger staatsrechtlicher Befugniss, meist auf eine längere Zeitdauer berechnet, Regentschaft, oder

II. eine blos vorübergehende, lediglich im Auftrage des Monarchen geübte Vertretung für kürzere Zeit, ohne jede eigene staatsrechtliche Befugniss, Stellvertretung im engern Sinne.

I. Die Regentschaft1.

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Standpunkt der Erörterung.

Es liegt im Wesen der Erbmonarchie, dass durch die Successionsordnung ein Individuum auf den Thron berufen werden kann,

1 Moser, Staatsrecht Th. XVII. und XVIII., dessen Pers. Staatsrecht Th. I. S. 288-609. Pfeffinger, Vitr. illustr. Tit. III. F. XX. Tom. IV. p. 112–154. Pütter, primae lineae L. II. cap. 2. p. 128. Leist, § 49. Gönner § 245. Die älteren Werke in Pütter's Lit. Th. III. S. 779 und Klů – ber's Forts. H. F. C. v. Lyncker's Abhandlung von der Vormundschaftsbestellung bei Privat- und erlauchten Personen. 1790-1791. 2 Thle. bes. Th. I. S. 232, wo namentlich über die im sächsischen Hause vorgekommenen Fälle ausführliche Mittheilungen sich finden. J. F. Reite meier, Grundsätze der Regentschaft in souveränen und abhängigen Staaten (Berlin 1789), behandelt die Lehre vom Standpunkte des allgemeinen Staatsrechtes. A. Müller, Ueber Regentenbevormundung. Ilmenau 1822, und C. W. Schenck, Ueber Regentenbevormundung, Stände und ständische Verfassung. Ilmenau 1823. H. Zöpfl, Die Regierungsvormundschaft im Verhältniss zur Landesverfassung. 1830. Ausführlich und gründlich, unter Angabe und Benutzung der gesammten älteren Literatur, behandelt den Gegenstand Wilh. Theod. Kraut, Die Vormundschaft nach den Grundsätzen des deutschen Rechtes B. III. S. 111-216. Von neuern Lehrbüchern sind besonders zu vergleichen: Klüber, Oeffentliches Recht § 247. Weiss, § 299. H. Zöpfl, Grundsätze B. I. § 238. H. A. Zachariä, B. I. § 80. Held, System B. II. S. 267 ff. § 352 ff. v. Gerber, § 31. v. Mohl, Württemb. Staatsr. B. I. § 60 ff. Pözl, § 152-154. Weiss, Hessen-Darmst. Staatsrecht § 65. S. 220. Schweitzer, Oeffentliches Recht des Grossherzogthums Weimar § 27. Für Preussen v. Rönne, B. I. § 81 ff. S. 379, zwei Aufsätze in den preussischen Jahrbüchern. B. II. S. 352–354. S. 438-458. Materialien, Zur Geschichte der Regentschaft in Preussen. Berlin 1859. Ferner: v. Mohl, Ueber die ständischen Rechte in Beziehung auf Reichsverwesung. Staatsrecht, Völkerrecht und Polit. B. I. S. 144 ff. Pözl's Art. Regentschaft in Bluntschli's Staatsw. B. VIII. S. 563-575, auch die Mo

welches nicht, oder wenigstens noch nicht fähig ist, die Regentenpflichten zu erfüllen. Wo desshalb keine Ausschliessung eines solehen Individuums stattfindet, muss eine gesetzliche Vertretung aus eigenem Rechte eintreten, völlig unabhängig von dem Regierungsunfähigen, welcher ja auch nicht fähig ist, selbst für eine Vertretung seiner Person zu sorgen. Da das auf den Thron berufene, zur Regierung eigentlich berechtigte Subjekt seinen Beruf nicht erfüllen kann, so bedarf der Staat eines interimistischen Oberhauptes. Es tritt also der Fall ein, dass die volle Ausübung des monarchischen Rechtes von dem nicht aufgehobenen, aber einstweilen ruhenden Rechte des Monarchen getrennt wird.

Die Unfähigkeit des Mittelalters, privatrechtliche und staatsrechtliche Verhältnisse scharf auseinanderzuhalten, zeigt sich auf diesem Gebiete in besonders auffallender Weise. Wie man den Begriff der Staatssuccession durch die Einmischung privatrechtlicher Erbgrundsätze verlor, so legte man hier die Prinzipien der Vormundschaft zu Grunde. Hier wie dort wurde ein allerdings analoges Verhältniss des Privatrechtes als leitendes Princip eines öffentlich-rechtlichen Institus angewendet. Die Bevormundung, welche ein minderjähriger Fürst ebensowenig entbehren kann, wie eine Privatperson, wurde auch auf seine landesherrliche Stellung übertragen und derjenige, welcher ihn als Landesherrn vertrat, lediglich als Vormund betrachtet. Man legte den Schwerpunkt auf das Recht des zu bevormundenden Fürsten, nicht auf die Nothwendigkeit, dass das Land jeder Zeit eines regierungsfähigen Herrschers bedarf. Man zog daher lehenrechtliche Grundsätze, das deutsch-rechtliche Mundium und die römischen Institute der Tutela und Cura in der ungehörigsten Weise herbei und behandelte die Bevormundung des unmündigen Fürsten in Bezug auf seine privatrechtlichen Verhältnisse nach ganz gleichen Grundsätzen, wie seine Vertretung als Landesherr. Erst in den letzten Reichszeiten gewann die staatsrechtliche Betrachtungsweise bei den bessern Reichspublicisten an Boden; doch zeigt sich auch bei ihnen immer noch eine grosse Unklarheit. Wie sich das Territorialstaatsrecht zu Reichszeiten überhaupt nie vollständig von patrimonialen und privatrechtlichen Zusätzen reinigte, so vollzog sich auch auf diesem Gebiete die volle Auseinandersetzung der disparaten Elemente erst in unserem Jahrhundert nach Auflösung des Reiches. Dies geschah tive zum Entwurfe des badischen Regentschaftsgesetzes. Beil. zu den stenogr. Prot. vom 30. Januar 1862. Nr. 142.

besonders in den neuern Verfassungsurkunden, welche 'dem wichtigen Institute der Regentschaft meist einen besondern Abschnitt widmen. Es gilt nun, diesen wichtigen Fortschritt in unserem praktischen Staatsleben auch theoretisch zu verwerthen. Vor allem ist daher die Vormundschaft über die Person und das Vermögen eines unmündigen Fürsten durchaus von seiner Vertretung als Landesherr zu trennen1. Es ist von staatsrechtlichem Gesichtspunkte aus ebenso gleichgiltig, ob der Regent zugleich Vormund des unmündigen Fürsten ist oder nicht, wie für den Staatssuccessor der Umstand, ob er zugleich Privaterbe seines Vorgängers geworden ist oder nicht. Ueberhaupt muss jede, wenn auch nur analoge Beziehung der Regentschaft zum Institute der Vormundschaft aufgegeben werden und es trägt nur zur Verewigung der alten Unklarheit bei, wenn man auch heutzutage noch mit Zachariä von einer >>Regierungsvormundschaft« redet oder sogar, wie Zöpfl, die ganze Privatvormundschaft des fürstlichen Hauses in das Staatsrecht hereinzieht.

§ 111.

2) Gründe einer eintretenden Regentschaft.

Der gewöhnlichste Fall, in welchem eine Regentschaft nothwendig wird, ist die Minderjährigkeit des Monarchen. Nur für die Kurfürsten war ein Volljährigkeitstermin reichsgesetzlich festgestellt durch die Goldne Bulle VII § 4, und zwar auf das vollendete 18. Jahr. Heutzutage ist in allen regierenden Häusern der Volljährigkeitstermin verfassungsmässig oder hausgesetzlich für den regierenden Fürsten festgestellt, welcher oft von dem für die übrigen Glieder des Hauses bestimmten Termine abweicht. In sämmtlichen ehemaligen Kurhäusern, also im preussischen, bayerischen, königlich sächsischen, württembergischen und badischen Hause ist der Volljährigkeitstermin der Goldnen Bulle beibehalten worden. Derselbe Termin gilt ausserdem noch für Sachsen-Weimar, Braun

1 Richtig erklärte Hannover 1829 in der Bundesversammlung: »Die vormundschaftliche Regierung über einen souveränen Staat lässt sich nicht mit der Vormundschaftlichen Verwaltung des Vermögens eines Privatmannes auf eine Linie stellen. Die Verbindung der Regentschaft mit der Privatvormundschaft in Einer Person lässt die rechtliche Eigenthümlichkeit beider unberührt, bisweilen wird sie verlangt, wie in der koburg-gothaischen Verfassung § 14, bisweilen verboten wie in der oldenburgischen § 27. In Preussen kann die Tutel über den minderjährigen Nachfolger des regierenden Königs durch letztwillige Disposition auf eine andere Person als den nächsten Agnaten übertragen werden, nie aber die Regentschaft.

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