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Unionsgenossen theils etwas früher, theils etwas später dasselbe thaten. So war denn im Juni 1851 die vollständige Restauration der alten Bundesverfassung von allen Regierungen anerkannt.

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II. Die deutschen Einzelstaaten im Jahre 1848.

Der gewaltige Stoss der französischen Februarrevolution, welcher den Bundestag umstürzte, wirkte auch auf die Verfassungsentwickelung der einzelnen deutschen Staaten tief umgestaltend ein. Zwar blieb in Deutschland » die Revolution vor den Thronen stehen, aber der Bestand des deutsch-monarchischen Staatsrechts wurde in vielen Staaten wesentlich alterirt. War bis jetzt überall, besonders von Seiten der Bundesgewalt, das sog. monarchische Prinzip vor allem betont worden, so stellte man jetzt die sog. Volksrechte an die Spitze der Verfassungen. Die Frankfurter Grundrechte mit ihren weitgehenden abstrakten Principien gingen zum grossen Theile in die einzelnen Landesverfassungen über. Ueberall rief die Furcht vor der lange geübten polizeilichen Willkür der vergangenen Periode das Streben hervor, die Regierungsgewalt in möglichst enge Schranken einzuschliessen, dagegen die Freiheit des Individuums aufs höchste zu steigern. Die verderbliche Saat, welche die Regierungen seit den Zeiten der Karlsbader Konferenzen in so reichem Maasse ausgestreut hatten, ging jetzt auf einmal wuchernd auf in dem Misstrauen der Völker, der politischen Unreife und dem Unverstande der entfesselten Massen. Diese Erscheinungen traten gerade da am stärksten hervor, wo der Absolutismus jeden geistigen Aufschwung schonungslos unterdrückt und das Volk in der vollsten politischen Unmündigkeit zurückgehalten hatte. So offenbarte sich die ganze Fäulniss dieser Zustände am schlimmsten in Oesterreich. In jenem wunderbar zusammengefügten Staatsbau der österreichischen Monarchie, wo die verschiedensten Nationalitäten und Kulturstufen nur durch die Dynastie zu einer grossartigen Einheit verbunden waren, wo seit Jahrhunderten mit der ganzen Unbeweglichkeit habsburgischer Ueberlieferung regiert worden war, begann jetzt, unter furchtbaren revolutionären Zuckungen, ein unreifes Experimentiren mit Verfassungen. Eine vom Kaiser Ferdinand I., nach Sturz des Metternich'schen Regierungssystems, am 25. April 1848 nach dem Muster der belgischen entworfene Verfassungsurkunde kam gar nicht zur Ausfüh

rung. Der sog. verfassungsgebende Reichstag zu Kremsier stellte vielmehr einen andern Verfassungsentwurf auf. Ehe derselbe aber zur Annahme gelangte, erfolgte die Auflösung jenes Reichstages und Kaiser Franz Joseph I. oktroyirte die Reichsverfassung für das Kaiserthum Oesterreich vom 4. März 1849. Allein diese Verfassung wurde durch kaiserliches Patent vom 31. December 1851 beseitigt und damit die ganze konstitutionelle Staatsform wieder aufgehoben. Oesterreich war damit wieder ein absoluter Staat. Die neueste, an sich hoch interessante Verfassungsentwicklung Oesterreich-Ungarns gehört nicht mehr in das'deutsche Staatsrecht, da Oesterreich seit 1866 aus dem deutschen Staatensysteme geschieden ist.

Um so wichtiger ist die Verfassungsentwicklung des andern Grossstaates, Preussens, welches jetzt an die Spitze des deutschen Bundesstaates getreten ist1. In Preussen wurde durch die Märzrevolution die weitere Ausbildung des vereinigten Landtages unterbrochen. Derselbe wurde noch einmal im April 1848 in Berlin zusammenberufen. Mit seiner Zustimmung wurde »eine Versammlung zur Vereinbarung der preussischen Staatsverfassung« berufen, ohne erste Kammer, gewählt auf der damals beliebten, »breitesten demokratischen Grundlage« nach dem Urwahlgesetze vom 8. April 1848. Diese Versammlung trat am 22. Mai in Berlin zusammen und liess, unter Beiseitelegung des Regierungsentwurfes, von einer Kommission von 24 Mitgliedern einen neuen Verfassungsentwurf ausarbeiten 2, von welchem jedoch nur die Eingangsformel und die vier ersten Artikel zur Annahme gelangten; denn die Krone fand sich bewogen, diese vielfach von Tumulten beunruhigte Versammlung durch Botschaft vom 9. November nach Brandenburg zu verlegen und dieselbe bis zum 27. November zu vertagen. Als auch dies zu keiner Verständigung führte, sah sich die Krone veranlasst, unter Beseitigung des Vereinbarungsprincips, die Verfassungsurkunde vom 5. December 1848 zu oktroyiren, nebst dem Wahlgesetze

1 Vgl. besonders mein preussisches Staatsrecht B. I. § 33: »Konstitutionelle Anfänge in Preussen von 1848 bis auf die Gegenwart.« Ferd. Fischer, Preussen am Abschlusse der ersten Hälfte des XIX. Jahrhunderts. Geschichtliche, kulturhistorische, politische und statistische Rückblicke auf das Jahr 1849. Berlin 1876.

2 K. F. Rauer, Protokolle der von der Versammlung zur Vereinbarung der preussischen Verfassung ernannt gewesenen Verfassungskommission. Berlin 1849.

für die erste und zweite Kammer, unter Vorbehalt der Revision. Das Wahlgesetz für die erste Kammer bestimmte einen mässigen Census, das für die zweite Kammer hielt das Kopfzahlsystem fest. Die zur Revision bestimmten neuen Kammern wurden am 26. Februar 1849 eröffnet 1; am 27. April 1840 erfolgte die Auflösung und die Oktroyirung eines neuen Wahlgesetzes unter Zugrundelegung des bekannten Dreiklassensystems am 30. Mai 1849. Mit den auf dieser Grundlage erwählten Revisionskammern wurde nach langen und schwierigen Verhandlungen die Verfassungsurkunde vom 31. Januar 1850 festgestellt und am 6. Februar vom Könige und von den Kammern feierlich beschworen, sie bildet mit manchen wichtigen Abänderungen und Ergänzungsgesetzen, unter denen besonders das Gesetz vom 7. Mai 1853 nebst Verordnung vom 12. Oktober 1854 über die Zusammensetzung des Herrenhauses hervorzuheben ist, das jetzt giltige Staatsgrundgesetz der preussischen Monarchie2. Die preussische Verfassung weicht nach Form und Inhalt vielfach von den Verfassungsurkunden ab, welche in Deutschland vor dem Jahre 1848 entstanden sind. Unverkennbar ist in ihrer ganzen Anordnung die Zugrundelegung der ausländischen Schablone. Die nivellirenden demokratischen Tendenzen des Jahres 1848 mischten sich mit den absolutistisch – büreaukratischen Bestrebungen, welche in der Zeit der Revisionskammern bereits wieder zur Macht gelangt waren. Die radikalen Theorien der Fortschrittsmänner von 1848 sind vielfach mit den Traditionen des preussischen Beamtenstaates zu einem unorganischen Aggregate zusammengewürfelt. Die Anschauungen des französischen Konstitutionalismus haben auf die preussische Verfassung viel stärker eingewirkt, als der Gedanke des deutschen Rechtsstaates 3. Auch hat die

1 Vergl. besonders Ferd. Fischer, Geschichte der preussischen Kammer vom 26. Februar bis zum 7. April 1849. Berlin 1849.

2 Die Materialien zur Geschichte der preussischen Verfassungsurkunde finden sich am vollständigsten bei L. v. Rönne, Die Verfassungsurkunde für den preussischen Staat vom 31. Januar 1850. III. Aufl. Berlin 1859. Eine pragmatische Geschichte der preussischen Verfassungsurkunde ist bis jetzt noch nicht geschrieben, obgleich eine solche eine fühlbare Lücke (in der Erkenntniss der preussischen und deutschen Staatsentwickelung ausfüllen würde.

3 In diesem Sinne giebt eine Kritik der preussischen Verfassung Geffken, Die Reform der preussischen Verfassung. Leipzig 1871. Die Mängel der preussischen Verfassung als einer sog. lex imperfecta hebt hervor E. v. Stockmar in seinen scharfsinnigen »Studien über das preussische Staatsrecht" in Aegidi's Zeitschr. B. I. S. 196 ff. Die Idee des Rechtsstaates, im Gegensatz zu den Irrthümern des französischen Pseudokonstitutionalismus, hat mit be

bald folgende Reaktionsepoche nichts gethan, diese »>lex imperfecta<< weiter zu bilden und die Phrasen der Grundrechte in wahre Bollwerke einer rechtlich geordneten Freiheit zu verwandeln. Trotz aller dieser Mängel der preussischen Verfassung war es immerhin eine grosse Thatsache, dass Preussen durch die Bewegung des Jahres 1848 in die konstitutionelle Staatsordnung eintrat und so dem preussischen Volke die lange vorenthaltene Theilnahme an den öffentlichen Angelegenheiten gewährt wurde. Dadurch wurde der preussische Staat zuerst auf den Boden der allgemeinen europäischen Staatsentwicklung gestellt und befähigt, die politische Führerschaft in Deutschland zu übernehmen. Nur ein konstitutionelles Preussen konnte ein deutsches Reich auferbauen.

Weniger wichtig sind die Veränderungen, welche das Jahr 1848 in den Verfassungen der ältern konstitutionellen Staaten, meist in radikalem Sinne herbeiführte, indem sie fast überall schnell wieder beseitigt worden sind. In Bayern, Sachsen, Württemberg, Baden und Hessen-Darmstadt bestehen die oben erwähnten konstitutionellen Verfassungen noch in voller Kraft. Grösser waren die Umgestaltungen in Hannover, wo König Ernst August, nach Umsturz des Staatsgrundgesetzes, sein Landesverfassungsgesetz vom 6. August 1840 oktroyirt hatte: Unter strengster Einhaltung aller verfassungsmässi– gen Formen kam hier das Verfassungsgesetz vom 5. September 1848 zu Stande, welches wesentlich an das Staatsgrundgesetz von 1833 anknüpfte, mannigfach aber auch über dessen Bestimmungen hinausging.

Ein wahres Chaos von Verwirrung zeigte sich aber in vielen Kleinstaaten, besonders in denjenigen, wo bis dahin eine völlige staatliche Indolenz geherrscht hatte. In diesen Ländchen, welche meist wie Patrimonialherrschaften verwaltet worden waren, in denen eine kleine Residenzstadt mit einer völlig abhängigen Bevölkerung das städtische Element vertrat, während das platte Land grossen Theils landesfürstliche Domaine war, traten in dieser Zeit konstituirende Versammlungen auf, welche in diesen Duodezstaaten die abstrakten naturrechtlichen Grundsätze der Rousseau'schen Staatslehre ins Leben führen wollten. Wenn man in Dessau, Sondershausen und anderwärts kühn proklamirte: »Die Regierungsform ist die demokratisch-monarchische, alle Gewalt geht vom Volke aus«<,

sonderer Klarheit und Energie seit Jahren Rudolf Gneist vertreten, besonders in seiner Schrift »Der Rechtsstaat«. I. Aufl. Berlin 1872. II. Aufl. Berlin 1879.

so glaubte man damit in kindischer Verblendung »den festen Grundstein für die Freiheit der Völker gelegt und das wahre Glück aller Staatsgenossen für alle Zukunft gesichert zu haben«. Diese Verfassungsexperimente des Jahres 1848 mit ihren radikal-demokratischen Principien, für deren Verwirklichung geradezu alle Grundbedingungen im Lande und in der Bevölkerung fehlten, sind als der Höhepunkt jener Unklarheit und Begriffsverwirrung zu betrachten, welche einmal mit zur Signatur des Jahres 1848 gehört.

Fünftes Kapitel.

Die Restaurationsepoche von 1851-1866.

§ 62.

Die Thätigkeit des wiederhergestellten Bundestages.

Die Thätigkeit der wiederhergestellten Bundesversammlung bewegte sich bald wieder in den alten Bahnen. So forderte ein Bundesbeschluss vom 23. August 1851 die Regierungen auf: »die in den einzelnen Bundesstaaten seit dem Jahre 1848 getroffenen staatlichen Einrichtungen und erlassenen gesetzlichen Bestimmungen einer sorgfältigen Prüfung zu unterwerfen und dann, wenn sie mit den Grundgesetzen des Bundes nicht in Einklang stehen, diese nothwendige Uebereinstimmung ohne Verzug, d. h. selbst mit Umgehung des gesetzlichen landesverfassungsmässigen Weges, wiederherzustellen«<. (v. Meyer B. II. S. 560). In dieser Richtung erfolgten dann weitere specielle Bundesbeschlüsse in Betreff der Verfassungen von Kurhessen, Bremen, Frankfurt am Main. Ein Bundesbeschluss vom 23. August 1851 setzte die Grundrechte des deutschen Volkes ausser Kraft. Ein Bundesbeschluss vom 31. December 1851 verfügte die Auflösung der deutschen Flotte. Dann folgten die Bundesbeschlüsse zur Verhinderung des Missbrauchs der Pressfreiheit vom 6. Juli 1854 und zur Aufrechterhaltung der gesetzlichen Ordnung und Ruhe im deutschen Bunde, insbesondere das Vereinswesen betreffend, vom 13. Juli 1854 (v. Meyer II S. 605).

§ 63.

Reaktionsperiode in den Einzelstaaten.

Bald legte sich der hochgehende Strom der Volksbewegung. Auf die unnatürliche Erregung folgte im Volke die tiefste politische

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