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Im Jahre 1865 veröffentlichte ich die erste Abtheilung eines »Systems des deutschen Staatsrechts «, welche die Einleitung und den allgemeinen oder grundlegenden Theil enthielt'. Kaum war diese erste Abtheilung erschienen, als die Katastrophe des Jahres 1866 hereinbrach und den ganzen Bestand unserer staatlichen Zustände in Frage stellte, vor allem aber die bis dahin bestehende Gesammtverfassung Deutschlands zertrümmerte. Da solche schwankende und unfertige Zustände einer Uebergangsperiode wohl zu einer politischen Betrachtung, nicht aber zu einer staatsrechtlichen Erörterung geeignet sind, so entschloss ich mich, die Fortsetzung des begonnenen Werkes zu sistiren. So wenig ich, vom patriotischen Gesichtspunkte aus, den Zusammenbruch des deutschen Bundes beklagte, so empfand ich damals doch lebhaft, dass keine Wissenschaft in ihrem Bestande so abhängig ist von der wechselnden Gestaltung der realen Staatsverhältnisse, wie die Disciplin des positiven Staatsrechtes.

In dieser Zeit der Auflösung erschien mir als der einzige feste Kern, als der staatliche Krystallisationspunkt des werdenden Deutschlands, der preussische Staat, sein Staatsrecht als das würdigste Objekt wissenschaftlicher Betrachtung. Es galt nicht nur speciell für Preussen, sondern für ganz Dentschland ein tieferes Verständniss der Institutionen dieses Staates anzubahnen, dessen staatsrechtliche Eigenart ausserhalb Preussens so vielfach verkannt wurde. Wissenschaftliches Bedürfniss, wie praktische

1 In einer neuen Ausgabe erschien diese Abtheilung unter dem Titel: Einleitung in das deutsche Staatsrecht mit besonderer Berücksichtigung der Krisis des Jahres 1866 und der Gründung des norddeutschen Bundes.« Leipzig 1867. Dieselbe wird unter dem Namen »Einleitung« kurzweg citirt.

Mitbethätigung auf verschiedenen Gebieten des Staatslebens, bestimmten mich, mehr als sieben Jahre unausgesetzter Arbeit der wissenschaftlichen Begründung des preussischen Staatsrechtes zu widmen, wobei mein Bestreben besonders darauf gerichtet war, das preussische Staatsrecht in engste Verbindung mit der staatlichen Gesammtentwickelung Deutschlands zu setzen. Das Resultat dieser Arbeit war mein: »Preussisches Staatsrecht auf Grundlage des deutschen Staatsrechtes « Leipzig 1870-1877. Niemals hatte ich aber den Gedanken aufgegeben, den durch die Zeitverhältnisse unterbrochenen Versuch eines deutschen Staatsrechtes wieder aufzunehmen, wenn sich die staatlichen Verhältnisse Deutschlands wieder befestigt, wenn sich vor allem neue Grundlagen einer deutschen Gesammtverfassung ausgebildet haben würden, welche nicht blos dem Staatsrechtslehrer ein würdiges Objekt juristischer Betrachtung bieten, sondern zugleich den nationalen Bedürfnissen dauernde Befriedigung in Aussicht stellen würde. Diese Bedingung ist durch die Gründung des neuen deutschen Reiches erfüllt. Nie hat das deutsche Volk, in seiner mehr als tausendjährigen Geschichte, sich einer Verfassungsform erfreut, welche, ein adäquater Ausdruck der gegebenen staatlichen Zustände, allen gerechten Ansprüchen der Nation dermassen entspräche, wie die heutige deutsche Reichsverfassung.

Das neu geschaffene Gesammtstaatsrecht des norddeutschen Bundes, wie des deutschen Reiches, hat in der kurzen Zeit seines Bestandes eine solche Zugkraft auf unsere besten Kräfte ausgeübt, dass dasselbe bereits eine ebenso umfassende, als wissenschaftlich bedeutsame Literatur aufzuweisen hat. Gewiss war die vorwiegende Beschäftigung mit dem Staatsrechte des neuen Reiches, in dem ersten Decennium seines Bestandes, nicht nur erklärlich, sondern geradezu nothwendig. Es kam darauf an, der Nation ein tieferes Verständniss ihrer neuen staatlichen Errungenschaften zu eröffnen und den anfangs spröden Stoff zuerst unter juristische Gesichtspunkte zu bringen. Aber nachdem dies geschehen oder wenigstens angebahnt ist, muss es auch wieder hervorgehoben werden, dass unser deutsches Staatsleben sich in einer doppelten Sphäre, der des Reiches und der der Einzelstaaten, be

wegt, und dass weder die ausschliessliche Beschäftigung mit dem Reichsstaatsrechte, noch mit dem Staatsrechte eines, wenn auch noch so hervorragenden Einzelstaates das wissenschaftliche Bedürfniss vollständig befriedigt, sondern dass nur eine organische Zusammenfassung beider Sphären dem Gesammtrechtsbewusstsein der Nation auf dem Gebiete des Staatslebens vollkommen gerecht werden kann. Besonders für den akademischen Unterricht halte ich es für geboten, dass die Disciplin des deutschen Staatsrechtes in dem Sinne aufrecht erhalten und weiter entwickelt wird, dass das Reichsstaatsrecht mit dem Landesstaatsrechte zu einer wissenschaftlichen Einheit verbunden wird. Es ist natürlich nur zu billigen, wenn die Reichsverfassung in besondern Vorlesungen interpretirt wird, wenn in den grössern Staaten (Preussen, Bayern) auch besondere Vorträge über das partikulare Staatsrecht gehalten werden, aber dabei darf die Vorlesung über das deutsche Staatsrecht in seiner Gesammtheit nie aufgegeben oder nur in den Hintergrund gedrängt werden; sie muss auch fernerhin, als die zusammenfassende Einheit, als der Mittelpunkt der staatsrechtlichen Studien auf der Universität, betrachtet werden. Nur in einer Lehre, wo der Zusammenhang, die fortwährende Wechselwirkung zwischen Reichs- und Landesstaatsrecht nachgewiesen wird, kommt unser bundesstaatlicher Organismus zur vollen Anschauung, in welchem das Staatsrecht des Gesammtstaates, wie der Einzelstaaten, zu einer höheren Einheit verbunden ist. Damit ist aber die Vermischung von Reichs- und Landesstaatsrecht methodisch nicht gerechtfertigt; Reich wie Einzelstaaten sind selbständige Glieder unseres staatsrechtlichen Gesammtorganismus. Dieser relativen Selbständigkeit beider muss auch die wissenschaftliche Darstellung Rechnung tragen; sie muss Reichs- und Landesstaatsrecht in ihrer Eigenthümlichkeit hervortreten lassen und beide gesondert, wenn auch unter Hervorhebung ihrer fortwährenden Wechselbeziehung, als die sich ergänzenden Haupttheile unserer staatsrechtlichen Theorie abhandeln. Einer Vermischung beider steht vor allem der Umstand entgegen, dass es sich hier nicht um äquivalente Grössen, sondern um Rechtsstoffe handelt, welche eine durchaus verschiedene juristische Konstruktion erheischen. Das Reichsstaatsrecht wird

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